Eine Alternative für Sachsen

Es hat lange gedauert, bis der sächsische Landesverband der Alternative für Deutschland sein Programm für die Landtagswahl vollständig ins Netz gestellt hat. Nach der ersten Lektüre erscheint dieses Zögern unverständlich: Das Wahlprogramm ist eine humoristische Großtat. Weil nur wenige Sachsen die Zeit finden werden, sich den ganzen Text durchzulesen, möchte ich an dieser Stelle eine kommentierte Blütenlese präsentieren.

Besonderes Augenmerk verdient die Sprache des Manifestes. Beklagt doch die sächsische AfD selbst einen Sprachverfall und fordert pädagogische Gegenwehr:

Deutschland ist das Land in Europa, das die wenigsten Unterrichtsstunden für die eigene Muttersprache einplant. In Sachsen sind mindestens so viele Wochenstunden für die deutsche Orthographie, Grammatik und für den guten Ausdruck wie für die 1. Fremdsprache oder Mathematik vorzusehen. Der Literaturunterricht kommt extra hinzu.

In diesen Stunden wird man dann wohl auch erfahren, seit wann „extra“ ein deutsches Wort ist. Man gewinnt bei der Lektüre des Programms den Eindruck, dass die Verfasser unter dem schlechten Deutschunterricht der Vergangenheit am schwersten gelitten haben. Es seien nur einige Perlen ausgewählt. Über die DDR-Bürger von 1989 heißt es:

Sie standen dagegen auf, keine Hochschule besuchen zu dürfen, nur weil sie am falschen Glauben festhielten oder die Einheitspartei kritisierten.

Die DDR-Bürger hatten also den falschen, nicht etwa den richtigen Glauben und machten darum Revolution. Andernorts fordert die AfD eine

Schwangerschaftskonfliktberatung, die sich vordergründig dem Lebensschutz verpflichtet fühlt

Vordergründig: nur dem Anschein nach also und nicht tatsächlich. Wieso tritt die AfD so vehement für Abtreibungen ein? Gelegentlich kocht der Furor des Manifestes so über, dass noch die letzten Spuren von Logik verdampfen:

Wenn es ein Land wichtiger findet, dass man sonntags an privaten Tankstellen sein Auto waschen kann statt wochentags in staatlichen Schulen genug Lehrer zu haben, muss dieses Land verändert werden.

Würde sonntags keiner mehr sein Auto waschen, wäre das Problem des Lehrermangels also gelöst.

Doch nicht nur sprachlich, sondern auch inhaltlich gleicht das sächsische Programm dieser angeblich so akademischen und bürgerlichen Protestpartei dem Wutausbruch einer Runde von Stammtischbrüdern. Die Alternative für Deutschland behauptet gern, jenseits des Spektrums der etablierten Parteien zu stehen. Tatsächlich rührt sie die dümmsten Ideen aller anderen Fraktionen zu einem populistischen Brei zusammen. Widersprüche nimmt sie in Kauf, denn alle Frustrierten von links bis rechts sollen angesprochen werden. So geht es gegen „den überkommenen Sozialismus“ und zugleich „gegen einen enthemmten Neokapitalismus“. Beinharter Neoliberalismus steht direkt neben DDR-Nostalgie und nationalistischem Dünkel. Die Alternative für Deutschland weist den Weg auf einen dritten Weg für Dummköpfe: soziale Wohltaten und keine neuen Schulden, niedrigere Steuern und mehr Geld für Polizei und Schulen, Freihandel in Europa und deutsche Selbstbestimmung. Mit diesem illusorischen Unfug unterscheidet sie sich freilich überhaupt nicht von den anderen Parteien. Um das Herz des kleinen Mannes zu erobern, muss daher schließlich doch das Ressentiment herhalten. Erst einmal gegen die Muselmanen:

Wir bekennen uns zur Religionsfreiheit und lehnen Moscheebauten nicht prinzipiell ab. Allerdings ist die freie Religionsausübung für Muslime in Sachsen auch ohne Großmoschee gewährleistet.

Religionsfreiheit ja – aber die Sachsen sollen im Einzelfall darüber abstimmen, ob sie auch gewährt wird. Die bekannte Liberalität der Sachsen gewährleistet ja schon, dass da nichts schief gehen kann:

Gebraucht werden keine an die sächsische Bevölkerung gerichteten Kampagnen für Weltoffenheit oder gar Antidiskriminierungsschulungen, sondern eine an die Einwanderer gerichtete aktivierende Integrationspolitik.

Die Ausländer, die manchmal nachts in die Fäuste von jungen Sachsen laufen, haben sich eben noch nicht aktiv genug integriert. Nationale Identität ist überhaupt die Voraussetzung der Demokratie:

Wer sich mit dem Land, in dem er lebt, nicht identifizieren will und kann, neigt zu Extremismen.

Um sich vorbehaltlos mit Deutschland identifizieren zu können, muss man allerdings historischen Ballast abwerfen:

Schul- und insbesondere Geschichtsunterricht soll nicht nur ein vertieftes Verständnis für das historische Gewordensein der eigenen Nationalidentität, sondern auch ein positives Identitätsgefühl vermitteln. Wir wollen einen deutlichen Schwerpunkt auf das 19. Jahrhundert und die Befreiungskriege gesetzt wissen.

Ist im 20. Jahrhundert etwa irgendwas vorgefallen, das ein positives Identitätsgefühl stören könnte?

Viele Programmpunkte entspringen offenkundig den persönlichen Macken von bestimmten Aktivisten. So war es gewiss die von der Idee einer neuen „Bevölkerungspolitik“ besessene Parteisprecherin Frauke Petry, die das Ziel ins Programm hievte,

die Geburtenrate zu erhöhen.

Denn ohne deutschen Nachwuchs nützt die identischste Identität nichts. Dem Zuchtprogramm der vierfachen Mutter und Pfarrersgattin widerspricht der Kampf

Gegen eine Früh- und Hypersexualisierung in Kindergarten und Schule

nicht, da der sich hauptsächlich gegen die Homos richtet. Um die Gebärfreude der deutschen Weiber zu erhöhen, muss allerdings auch der Feminismus zurückgedrängt werden. Und so verlangt denn die Alternative für Deutschland, der Denkverbote bekanntlich ein Greuel sind:

Wir fordern ideologiefreie Hochschulen und Universitäten. Deshalb ist die Förderung der sogenannten Gender Studies sofort einzustellen.

Ideologie, das ist immer die Meinung der anderen.

Den Gipfel der Komik erreicht das Programm der sächsischen AfD schließlich im Bereich der Klimapolitik. Die junge Partei verfügt hier über die exklusive Einsicht, dass das ganze Gerede von der Erderwärmung auf

frei erfundenen und längst widerlegten Klimaprognosen

beruhe. Man mache sich doch bitte über den CO2-Ausstoß keine Sorgen:

Kohlendioxid ist für das Pflanzenwachstum notwendig.

Die Alternative für Deutschland wird am 31. August in den sächsischen Landtag einziehen. Der Erfolg der AfD wird die NPD ihre Mandate kosten. Es ist ein schwacher Trost.

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Kommentare
  1. Dr. Thomas Hartung

    Dr. Hans Thomas Tillschneider: Schmähschriften sind ein riskantes Genre. Leicht sagen sie sehr viel mehr Nachteiliges über ihren Autor als über den, der getroffen werden soll. Diese unfreiwilligen Selbstbespiegelungen, diesen peinlichen Bumerangeffekt zu vermeiden gelingt nur echten Meistern. Michael Bittner gehört nicht dazu. Das zumindest hat er mit seinem neusten Text über unser Programm effektvoll unter Beweis gestellt. Wir erfahren dort, dass Bittner Kinderreichtum für eine „persönliche Macke“ hält (!), Feminismus und Genderideologie nicht auseinander halten kann und es für ihn der Gipfel der Komik ist, dass Pflanzen Kohlendioxid zum Wachsen brauchen. Ansonsten lässt er die Hosen an. Gott sei’s gedankt! Wenigstens hat er erkannt und stimmt uns darin zu, dass nationale Identität die Voraussetzung der Demokratie ist. Und damit ist alles gesagt.

    PS (von Dr. Thomas Hartung): M. Bittner entpuppt sich als dumpfer Kleingeist, der alles, was über seinen konkreten Horizont hinausweist, weder wahrnehmen will noch verarbeiten kann. Wer nicht erkennt, dass bspw. der antithetische Präambel-Abschnitt zu Waschanlagen und Lehrern darauf zielt, die FDP-Politik als Scheinpolitik mit falschen Prioritäten zu entlarven, ist entweder selbst FDP-Mitglied/ Sympathisant oder in Molwanien zur Schule gegangen – über den Ort des Germanistikstudiums will ich gleich gar nicht mutmaßen.

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