Der gekaufte Gegner

Bekommt ein Autor dieser Tage böse Post von Lesern, dann kann er sicher sein, ungefähr Folgendes zu finden: „Allein von der Wahrheit kann man schlecht leben, oder?! Sie schreiben das doch nur, weil sie sich finanzielle Einkünfte erhoffen! Überhaupt die Medien und Politiker, die sind doch alle gekauft!!!“ Ach, wär’s doch nur so! Wie lieb wäre mir ein bisschen mehr Geld! Aber ich bitte um Vorkasse! Seit Jahren warte ich auf Bestechungsversuche, aber Pustekuchen! Nichts, rein gar nichts! Kommt ein Brief bei mir an, reiße ich ihn jedes Mal auf in der Hoffnung auf ein Bündel Geldscheine direkt von der CIA, den Weisen von Zion oder der Homo-Lobby, aber was finde ich? Nur wieder einen schlecht gelaunten Leserbrief!

Wenn ein Autor mit seinen Schriften Geld verdient, und sei es noch so wenig, dann ist für den Wutbürger, den für seine Meinung niemand entlohnen will, die Bestechlichkeit schon erwiesen. Da er den Unterschied nicht begreifen kann, der in der Frage liegt, ob jemand fürs Schreiben bezahlt wird oder dafür, was er schreibt, ist für ihn sonnenklar: Alles Lügner! Aber längst nicht nur Leser, sondern auch Autoren werfen Kollegen im gegnerischen Lager vor, bezahlte Schwindler zu sein, und glauben, ihre Feinde damit erledigt zu haben.

Als dem politischen Schriftsteller Friedrich Gentz einmal von seinem Gegner Joseph Görres vorgeworfen wurde, er sei korrupt, erwiderte er öffentlich: „Den Vorwurf, gegen seine Überzeugung geschrieben zu haben, geben wir ihm nicht zurück. Dergleichen Anklagen sollten Schriftsteller von gewissem Gehalt, was auch die Verschiedenheit ihrer Ansichten sein mag, des gemeinschaftlichen Interesses der Aufrechterhaltung ihres Ansehens und ihrer Würde eingedenk, nie gegeneinander aussprechen.“ Nun war aber Friedrich Gentz tatsächlich einer der korruptesten Schriftsteller aller Zeiten. Riesige Summen bekam er von der englischen Regierung, die sich darüber freute, dass Gentz die Deutschen zum Kampf gegen Napoleon mobilisierte. Als engster Mitarbeiter des Fürsten Metternich wurde er vom österreichischen Kaiserreich auch fürstlich dafür bezahlt, gegen alle demokratischen Bestrebungen anzuschreiben. Und auch sonst ließ er sich keine Zuwendung entgehen, an einem Freund schrieb er offenherzig: „Ich liebe die Missbräuche bei den Finanzen.“ Der Vorwurf der Korruption gegen Gentz war also vollauf berechtigt. Und doch hat Friedrich Gentz mit seiner Kritik am Korruptionsvorwurf im Wesentlichen recht.

Der Vorwurf der Bestechlichkeit in der öffentlichen Debatte ist unnütz, selbst wenn er zutrifft. Dies hat einen ganz einfachen, logischen Grund: Die Tatsache, dass einer fürs Schreiben bezahlt wurde, sagt über den Wahrheitsgehalt des Geschriebenen gar nichts aus. Selbst ein korrupter Autor kann recht haben. Auch aus einem Misthaufen kann eine Blume erblühen. In der Philosophie spricht man von der Differenz von Genese und Geltung. Wer nur den Vorwurf der Korruption gegen einen Gegner erhebt, der will sich die Arbeit ersparen, dessen Argumente sachlich zu widerlegen. Der Korruptionsvorwurf ist darüber hinaus nicht nur unnütz, sondern auch schädlich. Mit einem Menschen, von dem ich annehme, er lüge prinzipiell, ist überhaupt keine sinnvolle Kommunikation mehr möglich. Der Rest ist Schweigen. Als Mittel einer Auseinandersetzung bleibt nur noch die Gewalt. Es ist also eine Maxime des gesunden Menschenverstandes, selbst einem Gegner, den man für einen Lügner hält, zunächst eine ehrliche Überzeugung zuzuschreiben. Erst unter dieser Voraussetzung wird es überhaupt möglich, ihm Widersprüche in seinen Äußerungen und Handlungen nachzuweisen und vorzuwerfen.

Ein geschulter Marxist wird vielleicht einwenden: „Diese Trennung von Genese und Geltung ist doch selbst bürgerliche Ideologie! Der geistige Überbau ist eben nicht unabhängig von der materiellen Basis, die Produktion von Gedanken und Worten spiegelt nur die Produktion von Waren und Dienstleistungen. Eine kritische Theorie entlarvt die Ideologie einer Gesellschaft als Abbild ihrer ökonomischen Verhältnisse.“ Aber selbst dies zugestanden, bleibt der Vorwurf der Käuflichkeit Ideologiekritik für Dummies. Denn Ideologie ist gerade nicht einfach Lüge, sondern das verkehrte Bild von verkehrten Verhältnissen. In gewisser Hinsicht sagt die Ideologie also die Wahrheit, indem sie die Unwahrheit sagt. Will man sie kritisieren, dann gilt es, nicht nur nach Lügen zu fahnden, sondern die Notwendigkeit des Irrtums nachzuweisen. Der Redakteur bei Business Punk schreibt vermutlich nicht so, wie er schreibt, weil er gegen Bezahlung lügt. Er ist vielmehr ehrlich von der Richtigkeit seiner Weltanschauung überzeugt. Und dies auch mit gewissem Recht, denn für ihn erscheint der Kapitalismus ja in bestem Licht. Erst eine Zeitungskrise, in deren Verlauf auch seine Stelle eingespart würde, könnte ihn vielleicht in Zweifel stürzen. Dass es daneben auch zynische Propagandisten gibt, versteht sich von selbst. Ihre Entlarvung ist verdienstvoll. Aber bei ihnen handelt es sich gewiss um die Ausnahme, nicht die Regel. Den meisten Menschen fehlen zum ausdauernden Lügen die Fantasie und das Geschick. Sie ersparen sich die Mühe, indem sie glauben, was sie glauben sollen.

Der Vorwurf der Korruption wird heute parteiübergreifend erhoben. Die Linken schmähen ihre Gegner in bewährter Weise als Propagandisten des Großkapitals. Aber auch die Rechten wittern geheime Geldströme, die aus mysteriösen Quellen ihren Feinden vermeintlich zufließen. Wüssten die Rechten nur, wie lausig bei den Linken bezahlt wird! Ihr Hass verwandelte sich augenblicklich in Mitleid! Dass inzwischen jeder jeden für käuflich hält, ist schließlich auch ein schöner Beleg für den endgültigen Sieg des alternativlosen Kapitalismus. Die Mehrheit der Deutschen kann es sich nicht einmal mehr vorstellen, dass einer eine Überzeugung äußert, ohne dafür bezahlt worden zu sein. Mit dem ewigen Vorwurf der Bestechlichkeit verrät der Wutbürger also, ganz ohne es zu ahnen, eine Menge über sich selbst.

Für diesen Beitrag bezahlt mich übrigens mal wieder kein Schwein.

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Kommentare
  1. Johan

    Vielleicht kriegt man es hin, dass doch ein schwein bezahlt, wenn es einen Flattr-Button neben Facebook, Twitter und Google+ gäbe. Man sollte es den Leuten auch ermöglichen.

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    • Micha

      Müsste man mal überlegen, ja. Aber schon wieder neue Konten, Nutzernamen, Passwörter etc. pp. Wenn das nicht alles so anstrengend wäre. Wer mich bezahlen will, dem rate ich vorläufig, mein Buch zu kaufen.

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  2. Pedroleum

    Aber man wird doch wohl noch fragen dürfen, wer hier staatlich finanziert wird. Zum Beispiel ist mir bekannt, dass die Stadtbibliothek meiner SPD-geführten Heimatstadt mehrere Bücher des Enthüllungsjournalisten Udo Ulfkotte im Bestand hat. Das heißt doch, er wird staatlich finanziert, oder?

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