Kampf um Jerusalem auf dem Kurfürstendamm

Für Joseph Goebbels war der Berliner Kurfürstendamm eine „Eiterbeule“ am Körper der Stadt. Denn die Geschäfts- und Vergnügungsmeile war auch ein Zentrum des jüdischen Lebens. Am 12. September 1931 ließ Goebbels, damals Gauleiter der NSDAP, am Abend des jüdischen Neujahrsfestes auf dem Kurfürstendamm Jungnazis auf alle Passanten einprügeln, die sie für Juden hielten. Es war ein Vorgeschmack auf das, was später folgen sollte.

Es ist also recht passend, dass der jährliche antiisraelische Al-Quds-Marsch ebenfalls auf dem Kurfürstendamm stattfindet. Den Al-Quds-Tag (Jerusalem-Tag), an dem bei Massendemonstrationen zur Vernichtung Israels aufgerufen wird, führte der iranische Revolutionsführer Ayatollah Chomeini 1979 ein. Mit Hilfe des jüdischen Feindbilds gelang es ihm, seiner mörderischen Diktatur Rückhalt im Innern zu verschaffen und Sympathien in der muslimischen Welt, ja selbst bei antiisraelischen Kräften im Westen zu gewinnen. Demonstrationen zum Al-Quds-Tag gibt es heute auch in zahlreichen europäischen Städten. Im Jahr 2014 hatten in der vom Gaza-Krieg aufgeheizten Stimmung in Berlin einige Marschierer Parolen wie „Kindermörder Israel“ und „Israel vergasen“ gebrüllt und Gegendemonstranten tätlich angegriffen.

Ich fahre zum Wittenbergplatz, wo in diesem Jahr eine der proisraelischen Gegenkundgebungen stattfinden soll. Vor einem Lautsprecherwagen haben sich ungefähr 200 Leute versammelt. Es ist eine bunte Koalition: junge Antifa-Aktivisten und Rentnerehepaare, jüdische und nicht-jüdische Deutsche. Der alte Mann, der immer seinen „Jesus rettet!“-Koffer mit sich trägt, ist auch dabei. Sprecher verschiedener Gruppen und Parteien halten kurze Reden, in denen sie das Verbot des Al-Quds-Marsches fordern, dann bewegt sich die Demonstration unterm Klang von Tanzmusik über Nebenstraßen zum Breitscheidplatz. Hier spricht zuerst der israelische Botschafter und warnt vor dem iranischen Regime, das weiterhin Terrororganisationen unterstütze und insgeheim an der Atombombe baue. Ein Vertreter der iranischen Opposition berichtet davon, dass seit dem Amtsantritt der neuen „gemäßigten“ Regierung die Zahl der Hinrichtungen noch gestiegen ist. Er fordert, Deutschland solle keine Geschäfte mehr mit dem Iran machen, bis die Mullahdiktatur gestürzt ist. Stattdessen reise nun aber Sigmar Gabriel demnächst mit einer Wirtschaftsdelegation nach Teheran.

Der Zug des Al-Quds-Marsches lässt auf sich warten, also laufe ich ihm über den Kurfürstendamm entgegen. An allen Straßenecken stehen Polizeiwagen. Sonst merkt man wenig von der herannahenden Demonstration. Der Marsch besteht aus etwa 700 Menschen, zwei Lautsprecherwagen fahren mit. Es sind viel weniger Menschen als im vergangenen Jahr. Die gegenwärtigen Kriege zwischen Schiiten und Sunniten, Säkularen und Islamisten in den arabischen Ländern haben die viel beschworene „Einheit der Muslime“, die meist nur im gemeinsamen Hass gegen Israel besteht, wohl nachhaltig gesprengt. Die Polizei bemüht sich, die Berliner und Touristen möglichst wenig beim Shopping zu stören. Der Kurfürstendamm wird immer nur abschnittsweise gesperrt. Die meisten Passanten schauen dem Treiben ahnungslos und verwundert zu.

An der Spitze des Zuges wird ein Porträt von Khomeini getragen. Die meisten Demonstranten sind junge, wütende, bärtige Männer. Ganz hinten laufen auch Frauen, alle mit Kopftüchern verhüllt. Neben vielen palästinensischen sind vereinzelt auch libanesische, türkische und deutsche Flaggen zu sehen. Die Sprecher an den zwei Mikrofonen geben Kommandos: „Ihr seid noch nicht laut genug! Ich will alle eure Fäuste sehen!“ und skandieren die immer gleichen Sprechchöre, die von den Demonstranten wiederholt werden: „Palästina bis zum Sieg! Zionisten sind Rassisten! Gaza, Gaza, das ist Mord! Israel bringt Kinder um! Widerstand ist kein Terrorismus!“ Ein Häuflein Gegner widerspricht vom Straßenrand aus und schwenkt die israelische Flagge. „Fragt die Leute mit der weiß-blauen Fahne doch mal, von wem sie bezahlt werden!“, höhnt einer der Sprecher durchs Mikrofon, seine Anhänger klatschen begeistert. Es ist recht seltsam, aber mich erinnert der Aufmarsch der Islamisten an – die Aufmärsche der Islamhasser von PEGIDA in Dresden. Bei beiden Demonstrationen folgt die Menge widerspruchslos den Anweisungen der Führer, bei beiden rufen Faschisten „Faschisten raus!“, bei beiden werden alle Gegner als „gekauft“ beschimpft. Islamisten und Islamhasser – also wohl doch feindliche Brüder. Gewöhnliche Berliner Muslime halten sich von dem Aufmarsch übrigens sichtlich fern. Der Aufruf „Schließt euch an!“ verhallt ungehört.

Am Breitscheidplatz stehen sich Feinde und Freunde Israels dann zum Finale gegenüber und brüllen einander an. Als Antwort auf „Zionisten sind Rassisten!“ erschallt „Lang lebe Israel!“ und „Free Gaza from Hamas!“ Die Stimmung unter den Israelfreunden ist eher heiter, bei den Gegnern müssen einige zornige Demonstranten von Ordnern zurückgehalten werden. Als der Zug der Israelhasser fast vorüber ist, erklingt aus dem Lautsprecher der Freunde Israels die Nationalhymne Hatikva. Einige junge Israelis singen mit und haben Tränen in den Augen.

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Den Hinweis auf den Hass der Nationalsozialisten gegen den Kurfürstendamm verdanke ich einem Vortrag von Prof. Erhard Schütz in der laufenden Reihe „Feuilleton-Literatur der Zwanziger Jahre“ im Märkischen Museum.

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