Der schwarze Mann

Ein Mann läuft in Dresden eine Straße entlang, da rufen Fremde plötzlich „Guck mal, ein Jude!“ und fangen an, ihn zu bespucken. Eine junge Frau wird in einem bayrischen Touristenstädtchen von zwei Einheimischen angesprochen: „Verpiss dich, du Türkenfotze!“ Ein Mann sitzt am Tresen einer Dresdner Bar, ein Fremder greift ihm plötzlich in den Bart und lallt: „Du bist ja ein richtiger Vorzeigejude!“ Die drei Menschen, denen diese Übergriffe widerfuhren, haben zwei Dinge gemeinsam: Sie stammen aus ursächsischen Familien, haben aber das Pech, dass ihnen schwarze Haare wachsen. Ich frage mich: Wenn schon allein ich drei Opfer solcher Taten kenne, gibt es vielleicht noch viel mehr ähnliche Fälle, die aus Scham verschwiegen werden?

Solche Taten erscheinen uns absurd, weil sie gewöhnliche Deutsche treffen. Aber der ganz gewöhnliche Rassismus ist es nicht weniger. Eine Faustregel der Rassisten lautet: Je dunkler Auge, Haar und Haut eines Menschen sind, desto schwächer ist sein Geist und desto übler sein Charakter. Die meisten Menschen fühlen sich über solche albernen Vorurteile gewiss erhaben. Doch wir alle unterschätzen, welchen Einfluss die Erzählungen und Bilder besitzen, die uns Europäer über Jahrhunderte geprägt haben. Wir alle sprechen von dunklen Absichten, finsteren Mächten und schwarzen Seelen. In Märchenfilmen ist die schöne Prinzessin blond wie ein Engel, die böse Hexe hat rabenschwarzes Haar. Und nicht nur Kinder fürchten sich vorm schwarzen Mann.

All jene, die von der reinen Identität der Deutschen schwärmen, vergessen eine einfache Tatsache: Das deutsche Volk ist eine Promenadenmischung, so wie die meisten anderen Völker auch. Hitler verachtete die Deutschen deswegen heimlich und wollte aus ihnen eine reine Rasse durch gründliche Ausmerze erst noch züchten. In den Landen, die heute deutsch heißen, mischten sich im Lauf der Geschichte Juden und Römer, Germanen und Slaven. Unzählige Einwanderer hinterließen ihre Spuren. Der nationalsozialistische Rasseforscher Hans Günther teilt in seiner „Kleinen Rassenkunde der Deutschen“ sogar mit, gerade in Sachsen hätten sich die „nicht-nordischen Erbanlagen“ der minderwertigen „ostischen Rasse“ besonders stark durchgesetzt! Hoffentlich bringt diese Nachricht unsere sächsischen Rassisten dazu, sich in Zukunft selbst zu verprügeln.

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Dieser Text erschien zuerst als Kolumne der Rubrik Besorgte Bürger in der Sächsischen Zeitung.

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