Sündenbock im Sachsenspiegel

Die Umfrage „Sachsen-Monitor“ führte jüngst den Sachsen vor Augen, was die Sachsen so denken. Und die waren recht erschrocken darüber, was sie im Spiegel sahen. Leider wurden nur ein paar besonders skandalträchtige Zahlen diskutiert, nicht aber die wirklich bemerkenswerten Zusammenhänge.

Nicht weniger als 84% der Sachsen fürchten eine wachsende Kluft zwischen Arm und Reich. Eine Mehrheit der Sachsen hält die Gesellschaft für ungerecht. Eine Mehrheit ist auch der Meinung, wir lebten nicht in einer echten Demokratie, weil die Wirtschaft und nicht die Parlamente das Sagen hätten. Es gibt offenbar selbst bei Sachsen, denen es noch relativ gut geht, ein verbreitetes Gefühl dafür, dass der Kapitalismus, so wie er jetzt ist, auf Dauer nicht funktionieren kann. Warum aber profitieren von diesem Unbehagen nicht linke, sondern rechte Parteien? Weil gerade die ökonomisch abgehängten und pessimistischen Sachsen auch diejenigen sind, bei denen sich fremdenfeindliche Einstellungen am stärksten verfestigt haben.

Wie schaffen es die Rechten, aus dem Gefühl der Entfremdung eine Angst vor Überfremdung zu machen? Professor Patzelt hat es in der letzten Woche hier vorgeführt. Er behauptete, die Linken kümmerten sich zu sehr um die „Migranten“ und zu wenig um die „kleinen Leute“. Hat er wirklich noch nicht mitbekommen, dass der „kleine Mann“ in Deutschland heute nicht selten ein Türke oder ein Deutscher türkischer Herkunft ist? Dass es oft gerade Zuwanderer und deren Nachkommen sind, die in Deutschland die härteste und schmutzigste Arbeit machen? Es ist also überhaupt kein Widerspruch, wenn linke Parteien sich um Zuwanderer und Arbeiter gleichermaßen kümmern.

Es sei denn natürlich, man spaltet die Gesellschaft entlang ethnischer Unterschiede, um dann Einheimische und Zuwanderer gegeneinander auszuspielen. Dazu muss man allerdings auf den lächerlichen Schwindel zurückgreifen, unsere Wirtschaft wäre ein Nullsummenspiel, bei dem man den Einheimischen wegnehmen müsse, was man den Ausländern geben wolle. Tatsächlich wäre es aber möglich, zugunsten aller Arbeiter, gleich welcher Herkunft, die Gesellschaft sozial gerechter zu machen. Dazu müsste man sich allerdings mit den Reichen und Kapitalisten anlegen, was die Rechten gewiss nie tun werden. Deswegen brauchen sie ja auch den Fremden als Sündenbock.

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Dieser Text erschien zuerst als Kolumne der Rubrik Besorgte Bürger in der Sächsischen Zeitung.

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Kommentare
  1. Pedroleum

    Danke für die interessanten Gedanken.

    Allerdings als interessanteres Beispiel für das Erstarken rechtspopulistischer Parteien trotz eines durchschnittlich hohen Lebensstandards empfinde ich die Schweiz und Österreich. Dort gab es im Gegensatz zu den ehemaligen Staaten/Gebieten des Ostblocks keine Abschottung, in der Schweiz eigentlich auch keine Krise, die mir bekannt ist (kenne mich da aber nicht sonderlich gut aus). Dennoch sind in diesen beiden Ländern rechtspopulistische Parteien seit einiger Zeit sehr stark. Erklärungsmuster, die auf Ostdeutschland gerne angewendet werden und auf die Vergangenheit unter der Herrschaft der Kommunisten und die anschließenden Transformationsprozesse verweisen, greifen hier jedoch nicht.

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    • Michael Bittner

      Ja, das ist richtig. Die von manchen Linken vertretene These „Sozialabbau führt zu Armut führt zu Neid und Angst führt zu Fremdenfeindlichkeit führt zu rechten Wahlerfolgen“ ist nicht ganz falsch, aber zu simpel. Das müsste man genauer untersuchen als in einer kleinen Kolumne wie meiner möglich. Autoritäre und rassistische Einstellungen sind auch nach historischer Erfahrung eher in den Mittelschichten als unter Arbeitern zu finden. Worauf ich hinauswollte, war eher Folgendes: Es gibt ein verbreitetes Unbehagen im Kapitalismus, das aber nicht zur linken Solidarisierung führt, sondern in rechte Kulturkämpfe umgeleitet wird. Hier tragen vielleicht auch die Linken selbst schuld, die eine eigene Identitätspolitik betrieben haben, also die Menschen nicht mehr als Bürger oder Arbeiter angesprochen haben, sondern gruppenweise als „black community“, „gay community“ etc. pp. Ich hoffe, in Zukunft noch näher über all dies nachdenken und schreiben zu können.

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