Mein Kampf mit Mein Kampf (17): Staatsangehöriger und Staatsbürger

„Wir fordern offene Grenzen für alle Menschen“, heißt es im Programm der Partei Die Linke, wo auch zum Kampf „gegen Abschiebungen“ aufgerufen wird. Ohne Zweifel entspringen diese Forderungen im Prinzip einem guten Impuls, dennoch scheint es mir fraglich, ob sie in so pauschaler Form auch haltbar sind. Ich wüsste jedenfalls nicht, warum Grenzen auch für Schwerkriminelle oder Terroristen offen stehen sollten. Und ich kann auch nicht erkennen, warum man solche Leute nicht abschieben sollte.

Wohin es führen kann, wenn ein Verbrecher seiner verdienten Abschiebung entgeht, zeigt ein besonders krasser historischer Fall, der von Adolf Hitler nämlich. Nach dem kläglich gescheiterten Novemberputsch in München und dem anschließenden Erholungsurlaub im Hotel „Festung“ in Landsberg wollte Bayern den Ausländer Hitler eigentlich gerne wieder in seine Heimat zurückschicken. Aber wie Tunesien heutzutage nicht mit größtem Engagement um die Rückkehr seiner Dschihadisten aus der Fremde kämpft, wollte auch Österreich seinen verlorenen Sohn nicht wiederhaben. Die österreichischen Behörden verweigerten die Rücknahme des mental beschädigten Exportguts. Die Grenzposten wurden angewiesen, Hitler auf keinen Fall einreisen zu lassen. Schließlich legte Hitler mit freudiger Zustimmung seines Vaterlandes seine Staatsbürgerschaft ab und lebte fortan als Staatenloser im Deutschen Reich. Wie konnte er dann aber überhaupt für ein politisches Amt kandidieren? Braunschweig machte es möglich. Das damals noch selbstständige Ländchen verschaffte, als es schon von Nazis mitregiert wurde, dem Staatenlosen Hitler die deutsche Staatsbürgerschaft, indem es zum Schein den Kunstmaler und Schriftsteller zum Regierungsbeamten ernannte. Nicht eher als 1932 wurde Hitler Deutscher, um im nächsten Jahr dann gleich zum Herrscher der Deutschen zu avancieren. Hier hätte sich gewiss auch mancher Linke eine etwas restriktivere Einwanderungspolitik gewünscht. Und auch Österreich stand am Ende nicht als Sieger da: Sie bekamen den Fahnenflüchtling Hitler schließlich doch zurück, wenn auch auf etwas andere Weise als zunächst befürchtet.

In dem sehr kurzen Kapitel Staatsangehöriger und Staatsbürger erläutert Hitler seine Vorstellungen zur Integrationspolitik. Es überrascht nicht, dass der Staatenlose Hitler, den lange kein Land haben wollte, mit Neid auf die Einbürgerung anderer blickte:

Das Staatsbürgerrecht wird heute […] in erster Linie durch die Geburt innerhalb der Grenzen eines Staates erworben. Rasse oder Volkszugehörigkeit spielt dabei überhaupt keine Rolle. Ein Neger, der früher in den deutschen Schutzgebieten lebte, nun in Deutschland seinen Wohnsitz hat, setzt damit in seinem Kind einen »deutschen Staatsbürger« in die Welt. Ebenso kann jedes Juden- oder Polen-, Afrikaner- oder Asiatenkind ohne weiteres zum deutschen Staatsbürger deklariert werden.

Ein Unding natürlich für Hitler, der Nationalität stets nur durch die Reinheit der „Rasse“ gewahrt sah:

Ein einfacher Federwisch, und aus einem mongolischen Wenzel ist plötzlich ein richtiger »Deutscher« geworden. […] So nehmen alljährlich diese Gebilde, Staat genannt, Giftstoffe in sich auf, die sie kaum mehr zu überwinden vermögen.

Für den zu schaffenden „völkischen Staat“ schwebte Hitler ein neues Staatsangehörigkeitsrecht vor, das im Dritten Reich dann auch verwirklicht wurde. Er unterschied zwischen bloßen Staatsangehörigen und vollen Staatsbürgern. Wer ist Deutschland geboren werde, sei Staatsangehöriger. Zum Bürger mit politischen Rechten sollten aber nur Menschen werden, die sich als rassisch einwandfrei und politisch zuverlässig erwiesen. Mit dieser Konstruktion war der Weg frei, Juden und politische Gegner zu entrechten, um sie anschließend vertreiben und vernichten zu können.

Dass Hitlers Unterscheidung heute in den Vokabeln „biodeutsch“ und „passdeutsch“ fröhlich wiederkehrt, beweist wohl, dass der Blutwahn noch unerfreulich tief in den deutschen Köpfen steckt. Deutsche mit ausländischen Vorfahren sind, so „integriert“ sie auch sein mögen, bei jeder passenden Gelegenheit ganz schnell wieder „Ausländer“. Ein Rassist wie Björn Höcke warnt im Tremolo des passionierten Goebbels-Imitators, es gebe schon „nur noch 64,5 Millionen Deutsche ohne Migrationshintergrund“ und erhält dafür erregten Beifall von kleinen deutschen Männern, die neuerlich Angst vor Volksvergiftung durch Fremdblütige haben. Wird’s also in Deutschland womöglich mal wieder Zeit für eine ordentliche Blutwäsche?

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Mein Kampf mit Mein Kampf (1)

Mein Kampf mit Mein Kampf (2): Im Elternhaus

Mein Kampf mit Mein Kampf (3): Wiener Lehr- und Leidensjahre (1)

Mein Kampf mit Mein Kampf (4): Wiener Lehr- und Leidensjahre (2)

Mein Kampf mit Mein Kampf (5): Allgemeine politische Betrachtungen aus meiner Wiener Zeit

Mein Kampf mit Mein Kampf (6): München

Mein Kampf mit Mein Kampf (7): Der Weltkrieg

Mein Kampf mit Mein Kampf (8): Kriegspropaganda

Mein Kampf mit Mein Kampf (9): Die Revolution

Mein Kampf mit Mein Kampf (10): Beginn meiner politischen Tätigkeit

Mein Kampf mit Mein Kampf (11): Die Deutsche Arbeiterpartei

Mein Kampf mit Mein Kampf (12): Ursachen des Zusammenbruches

Mein Kampf mit Mein Kampf (13): Volk und Rasse

Mein Kampf mit Mein Kampf (14): Die erste Entwicklungszeit der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei

Mein Kampf mit Mein Kampf (15): Weltanschauung und Partei

Mein Kampf mit Mein Kampf (16): Der Staat

Mein Kampf mit Mein Kampf (17): Staatsangehöriger und Staatsbürger

Mein Kampf mit Mein Kampf (18): Persönlichkeit und völkischer Staatsgedanke

Mein Kampf mit Mein Kampf (19): Weltanschauung und Organisation

Mein Kampf mit Mein Kampf (20): Der Kampf der ersten Zeit – Die Bedeutung der Rede

Mein Kampf mit Mein Kampf (21): Das Ringen mit der roten Front

Mein Kampf mit Mein Kampf (22): Der Starke ist am mächtigsten allein

Mein Kampf mit Mein Kampf (23): Grundgedanken über Sinn und Organisation der S.A.

Mein Kampf mit Mein Kampf (24): Der Föderalismus als Maske

Mein Kampf mit Mein Kampf (25): Propaganda und Organisation

Mein Kampf mit Mein Kampf (26): Die Gewerkschaftsfrage

Mein Kampf mit Mein Kampf (27): Deutsche Bündnispolitik nach dem Kriege

Mein Kampf mit Mein Kampf (28): Ostorientierung oder Ostpolitik

Mein Kampf mit Mein Kampf (29): Notwehr als Recht

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Hitler, Mein Kampf. Eine kritische Edition. Im Auftrag des Instituts für Zeitgeschichte München – Berlin hg. von Christian Hartmann, Thomas Vordermeyer, Othmar Plöckinger und Roman Töppel unter Mitarbeit von Pascal Trees, Angelika Reizle und Martina Seewald-Mooser. Zwei Bände. München/Berlin: Institut für Zeitgeschichte, 4., durchges. Aufl. 2016

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