Mein Kampf mit Mein Kampf (25): Propaganda und Organisation

„Menschenmaterial“ war eines der Lieblingsworte Adolf Hitlers. Er hatte das Wort nicht erfunden, es war in seiner Zeit gebräuchlich, dennoch bezeichnet es seine eigentümliche Denkweise ziemlich gut. Menschen waren für ihn im Allgemeinen keine Individuen, sondern Dinge – Werkzeuge oder Waffen, die es zweckmäßig zu gebrauchen, oder Hindernisse, die es zu beseitigen galt. Die Menschheit war nur der Stoff, in dem er seine Wahnideen verwirklichen wollte. Wenn moralisches Verhalten darin besteht, Menschen nie bloß als Mittel, sondern immer auch als Zweck zu behandeln, dann war Hitlers Denken im Kern bösartig. Das Wort „Menschenmaterial“ ist aus der Mode gekommen, wahrscheinlich, weil inzwischen eine akademische Jury jährlich Unwörter verurteilt, auf dass die Sprache nicht ganz so hässlich aussehe wie die Wirklichkeit. Allenfalls lassen sich heutzutage noch „humane Ressourcen“ vernutzen.

Hitler plante den effizienten Gebrauch seiner humanen Ressourcen auf dem Weg zur totalen Herrschaft wie folgt:

Jede Bewegung wird das von ihr gewonnene Menschenmaterial zunächst in zwei große Gruppen zu sichten haben: in Anhänger und Mitglieder. […]
Anhänger einer Bewegung ist, wer sich mit ihren Zielen einverstanden erklärt, Mitglied ist, wer für sie kämpft. […]
Die Erkenntnis in ihrer passiven Form entspricht der Majorität der Menschheit, die träge und feige ist. Die Mitgliedschaft bedingt aktivistische Gesinnung und entspricht damit nur der Minorität der Menschen.
Die Propaganda wird demgemäß unermüdlich dafür zu sorgen haben, daß eine Idee Anhänger gewinnt, während die Organisation schärfstens darauf bedacht sein muß, aus der Anhängerschaft selbst nur das wertvollste zum Mitglied zu machen.

Hitler entwarf hier (vielleicht mit halbbewussten Anleihen bei Lenin) das Konzept einer kleinen, schlagkräftigen und radikalen Kaderpartei, die zwar um die Zustimmung der Massen kämpft, nicht aber um massenhaften Zulauf. (Als die NSDAP, besonders nach 1933, dann doch zur Massenpartei anschwoll, wurden zeitweilige Aufnahmestopps verhängt. Und Hitler sorgte dafür, dass immer neue Eliten innerhalb der Eliten gegründet wurden, so besonders die SS.) Die Reinheit der Lehre wie die Totalität seiner Führung wollte Hitler nie durch Zugeständnisse und Kompromisse gefährden.

Höchste Aufgabe der Organisation ist es daher, dafür zu sorgen, daß nicht irgendwelche innere Uneinigkeiten innerhalb der Mitgliedschaft der Bewegung zu einer Spaltung und damit zur Schwächung der Arbeit in der Bewegung führen; weiter daß der Geist des entschlossenen Angriffs nicht ausstirbt, sondern sich dauernd erneuert und festigt.

Um die Einheit nicht zu gefährden, würgte Hitler auch alle Programmdiskussionen ab und erklärt die 25 Punkte des schmalen Gründungsprogramms für unabänderlich. Es überrascht nicht, dass Hitler auch kein Freund der innerparteilichen Demokratie war, denn Debatten fördern Meinungsunterschiede zutage und Abstimmungen zerlegen die Mitgliederschaft in Fraktionen.

Jedenfalls muß aber eine Bewegung, die den parlamentarischen Wahnsinn bekämpfen will, selbst von ihm frei sein.

Die NSDAP sollte für sich schon im Kleinen das Dritte Reich verkörpern, um nach der Machtergreifung sogleich an die Stelle des bestehenden Systems treten zu können. Hitlers Taktik war bekanntlich erfolgreich, deshalb verwundert es nicht, wenn sie auch heute noch Nachahmer findet. Die erfolgreichen rechtsradikalen Parteien Europas verzichten auf ein allzu konkretes Programm und sind in undemokratischer Weise auf eine einzige Führungsfigur zugeschnitten. Die Niederländische Partij voor de Vrijheid besteht sogar buchstäblich nur aus einem Mitglied, nämlich Geert Wilders. Die deutschen Rechtsradikalen haben seit dem Zweiten Weltkrieg vergleichsweise wenig erreicht, weil sie immer wieder von ihren Kaninchenzüchtervereinsinstinkten behindert werden. Sie wollen alles sauber und ordentlich regeln, sie wollen ein ausführliches Programm schreiben, sie wollen diskutieren und abstimmen. Hitler bekäme auf einem der chaotischen Parteitage der Alternative für Deutschland einen seiner gefürchteten Wutanfälle. Gäbe es die inneren Querelen bei der AfD nicht, hätte ein charismatischer Mann die unumschränkte Führung übernommen, die Partei wäre längst mächtiger.

Hitler war in seinen ideologischen Grundüberzeugungen starr, im Taktischen aber ein geschickter Opportunist. Er hatte deswegen auch keine Probleme damit, sich die Arbeit von Fachleuten zunutze zu machen, selbst wenn diese keine überzeugten Parteigänger waren.

Wer für sein Volk wirklich Wertvolles schafft, bekundet damit eine ebenso wertvolle Gesinnung, während ein anderer, der bloß Gesinnung heuchelt, ohne in Wirklichkeit seinem Volke nützliche Dienste zu verrichten, ein Schädling jeder wirklichen Gesinnung ist.

Hitler erregte sich auch darüber, wie „beleidigend und unnationalsozialistisch“ es sei, „wenn Menschen, die eine Sache nicht verstehen, den wirklichen Fachleuten ununterbrochen dreinreden“. Totalitäres und technokratisches Denken gehen durchaus gut zusammen. Dies gilt auch heute noch. Gerne geben sich die gegenwärtigen Wutbürger der Illusion hin, es existierten einfache Lösungen für alle Probleme, nur das überflüssige Streitgeschwätz der demokratischen Politiker verhindere deren sachgemäße Durchführung.

Geschickt sandte Hitler mit seinem Lob der Facharbeit eine Botschaft an die Deutschen: Auch wenn ihr jetzt noch nicht meine Anhänger seid, müsst ihr keine Angst vor meiner Machtergreifung haben. Wer danach brav weiter seine Aufgabe erledigt und seine Pflicht erfüllt, der hat von mir nichts zu befürchten. Hitler wusste, dass er sein Ziel, die Ausrottung der Juden, auch mit einer relativ kleinen Zahl von fanatischen Anhängern würde verwirklichen können, wenn nur die Masse still und gehorsam weiterarbeitete:

Wenn die Propaganda ein ganzes Volk mit einer Idee erfüllt hat, kann die Organisation mit einer Handvoll Menschen die Konsequenzen ziehen.

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Mein Kampf mit Mein Kampf (1)

Mein Kampf mit Mein Kampf (2): Im Elternhaus

Mein Kampf mit Mein Kampf (3): Wiener Lehr- und Leidensjahre (1)

Mein Kampf mit Mein Kampf (4): Wiener Lehr- und Leidensjahre (2)

Mein Kampf mit Mein Kampf (5): Allgemeine politische Betrachtungen aus meiner Wiener Zeit

Mein Kampf mit Mein Kampf (6): München

Mein Kampf mit Mein Kampf (7): Der Weltkrieg

Mein Kampf mit Mein Kampf (8): Kriegspropaganda

Mein Kampf mit Mein Kampf (9): Die Revolution

Mein Kampf mit Mein Kampf (10): Beginn meiner politischen Tätigkeit

Mein Kampf mit Mein Kampf (11): Die Deutsche Arbeiterpartei

Mein Kampf mit Mein Kampf (12): Ursachen des Zusammenbruches

Mein Kampf mit Mein Kampf (13): Volk und Rasse

Mein Kampf mit Mein Kampf (14): Die erste Entwicklungszeit der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei

Mein Kampf mit Mein Kampf (15): Weltanschauung und Partei

Mein Kampf mit Mein Kampf (16): Der Staat

Mein Kampf mit Mein Kampf (17): Staatsangehöriger und Staatsbürger

Mein Kampf mit Mein Kampf (18): Persönlichkeit und völkischer Staatsgedanke

Mein Kampf mit Mein Kampf (19): Weltanschauung und Organisation

Mein Kampf mit Mein Kampf (20): Der Kampf der ersten Zeit – Die Bedeutung der Rede

Mein Kampf mit Mein Kampf (21): Das Ringen mit der roten Front

Mein Kampf mit Mein Kampf (22): Der Starke ist am mächtigsten allein

Mein Kampf mit Mein Kampf (23): Grundgedanken über Sinn und Organisation der S.A.

Mein Kampf mit Mein Kampf (24): Der Föderalismus als Maske

Mein Kampf mit Mein Kampf (25): Propaganda und Organisation

Mein Kampf mit Mein Kampf (26): Die Gewerkschaftsfrage

Mein Kampf mit Mein Kampf (27): Deutsche Bündnispolitik nach dem Kriege

Mein Kampf mit Mein Kampf (28): Ostorientierung oder Ostpolitik

Mein Kampf mit Mein Kampf (29): Notwehr als Recht

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Hitler, Mein Kampf. Eine kritische Edition. Im Auftrag des Instituts für Zeitgeschichte München – Berlin hg. von Christian Hartmann, Thomas Vordermeyer, Othmar Plöckinger und Roman Töppel unter Mitarbeit von Pascal Trees, Angelika Reizle und Martina Seewald-Mooser. Zwei Bände. München/Berlin: Institut für Zeitgeschichte, 4., durchges. Aufl. 2016

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