Mein Kampf mit Mein Kampf (27): Deutsche Bündnispolitik nach dem Kriege

Selbst aus einem Buch wie Mein Kampf lässt sich lesend Trost schöpfen. In den Kapiteln, in denen Hitler seine außenpolitische Strategie verkündet, zeigen sich nämlich schon deutlich die Denkfehler, die später die Niederlage des Nationalsozialismus verursachten. Tröstlich ist daran die Erkenntnis: Rassistischer Wahn verblendet. Wer aber verblendet in die Welt blickt, sieht nicht klar und wird unweigerlich irgendwann falsch handeln. Solche Irrtümer aber geben den Feinden des Rassismus die Möglichkeit, die Rassisten zu besiegen.

Das Kapitel Deutsche Bündnispolitik nach dem Kriege beginnt in ungewöhnlich sachlichem Ton. Fast glaubt man, die Worte eines zwar nationalistischen, aber doch vernünftigen Politikers zu lesen, der sich überlegt, welche Bündnispartner geeignet wären, um Deutschland nach dem verlorenen Krieg wieder zu europäischer Geltung zu verhelfen. Hitler schlägt ein Bündnis mit England und Italien vor. England wolle vor allem seine „Welt-Hegemonie“ verteidigen, sei aber in Europa an einem Gleichgewicht interessiert, weshalb es nichts gegen eine Erholung Deutschlands einwenden werde. Vielmehr blickten die Engländer schon misstrauisch auf die Stärke der Franzosen. In Italien sieht Hitler vor allem wegen des Siegs der Faschisten einen geeigneten Bündnispartner. Hitlers Vorstellungen waren durchaus exzentrisch und stießen bei den deutschen Rechten auf Ablehnung. England war als ehemaliger Kriegsgegner verhasst, Italien als Dieb und Unterdrücker Südtirols. Doch um des erhofften Bündnisses willen forderte Hitler den Verzicht auf Kolonien, um England nicht zu provozieren, und den Verzicht auf die Deutschen in Südtirol, um Italien nicht zu verärgern. Dieser merkwürdige Mangel an Folgerichtigkeit bei einem Mann, der sonst stets das gemeinsame Blut zur Hauptsache erklärte, belegt schon früh, dass Hitler keine Bedenken hatte, für seine Pläne auch Deutsche zu opfern.

Hitler gibt sich anfangs Mühe, wie ein abgebrühter Machtmensch zu klingen. Nicht Überzeugungen oder Neigungen seien für die Außenpolitik entscheidend, allein auf den Nutzen komme es an, verkündet der Machiavelli aus Braunau:

Völkerschicksale werden fest aneinandergeschmiedet nur durch die Aussicht eines gemeinsamen Erfolges im Sinne gemeinsamer Erwerbungen, Eroberungen, kurz einer beiderseitigen Machterweiterung.

Die Voraussetzung zur Aneinanderkettung von Völkerschicksalen liegt niemals in einer gegenseitigen Hochachtung oder gar Zuneigung begründet, sondern in der Voraussicht einer Zweckmäßigkeit für beide Kontrahenten.

Selbst Partner hören für Hitler nicht auf, „Kontrahenten“ zu sein, denn alle Politik ist ihm ja nichts als Kampf ums Dasein. Sogar „verwandtschaftliche Verhältnisse unter den Völkern“ vermögen es angeblich in keiner Weise, „Rivalitäten auszuschalten“. Eine erstaunliche These im Buch eines Mannes, der sonst eigentlich alles aus Rassenverhältnissen ableitete.

Es dauert jedoch nur ein paar Seiten, bis beim Schriftsteller Hitler wieder alle Sicherungen durchbrennen. Wie immer ist es „der Jude“, der den Führer außer Rand und Band bringt. Alle Rechten, die seine Pläne zum Bündnis mit England und Italien ablehnen, erklärt er zu Opfern jüdischer Propaganda oder Nutznießern jüdischer Bestechung. Dass nur Erwägungen der gegenwärtigen Zweckmäßigkeit die Bündnispolitik bestimmen sollen, ist beim Erbfeind Frankreich auch gleich wieder vergessen: „Der unerbittliche Todfeind des deutschen Volkes ist und bleibt Frankreich.“ Warum aber? Da muss doch wieder der Blutwahn als Erklärung herhalten:

Nur in Frankreich besteht heute mehr denn je eine innere Übereinstimmung zwischen den Absichten der von den Juden getragenen Börse und den Wünschen einer chauvinistisch eingestellten nationalen Staatskunst. […] Dieses an sich immer mehr der Vernegerung anheimfallende Volk bedeutet in seiner Bindung an die Ziele der jüdischen Weltbeherrschung eine lauernde Gefahr für den Bestand der weißen Rasse Europas. Denn die Verpestung durch Negerblut am Rhein im Herzen Europas entspricht ebensosehr der sadistisch-perversen Rachsucht dieses chauvinistischen Erbfeindes unseres Volkes, wie der eisig kalten Überlegung des Juden, auf diesem Wege die Bastardisierung des europäischen Kontinents im Mittelpunkte zu beginnen und der weißen Rasse durch die Infizierung mit niederem Menschentum die Grundlagen zu einer selbstherrlichen Existenz zu entziehen.

Und auch das faschistische Italien wird nicht nach seinem Nutzen als Bündnispartner beurteilt, sondern aus ideologischer Warte:

Der Kampf, den das faszistische Italien gegen die drei Hauptwaffen des Judentums, wenn auch vielleicht im tiefsten Grunde unbewußt (was ich persönlich nicht glaube) durchführt, ist das beste Anzeichen dafür, daß, wenn auch auf indirektem Wege, dieser überstaatlichen Macht die Giftzähne ausgebrochen werden. Das Verbot der freimaurerischen Geheimgesellschaften, die Verfolgung der übernationalen Presse, sowie der dauernde Abbruch des internationalen Marxismus und umgekehrt die stete Festigung der faszistischen Staatsauffassung werden im Laufe der Jahre die italienische Regierung immer mehr den Interessen des italienischen Volkes dienen lassen können, ohne Rücksicht auf das Gezische der jüdischen Welthydra.

Hitlers Bündnisstrategie endete bekanntlich in einer Katastrophe. Die Briten, auf deren Unterstützung oder zumindest Neutralität Hitler schon hoffte, weil es sich ja um „germanische“ Brüder handelte, wiesen alle Avancen ab. Von einer Clique adliger und industrieller Faschisten abgesehen, stieß Hitler im Vereinigten Königreich auf keinerlei Sympathie. Sein widerlicher Charakter, sein rücksichtsloses Verhalten und sein Rassenwahn schreckten auch Konservative ab. Sogar der Beschwichtigungspremier Neville Chamberlain bezeichnete Hitler nach einem Besuch treffend als den „ordinärsten kleinen Hund, den ich jemals gesehen habe“. Mit dem faschistischen Bruderstaat Italien kam zwar ein Bündnis zustande, doch entpuppte es sich im Krieg als militärisch nutzlos und sogar belastend. Dennoch hielt Hitler, seiner eigenen Theorie zuwider, aus ideologischer Sympathie am Duce Mussolini fest, der im Gegenzug den nationalsozialistischen Antisemitismus übernahm. So schaufelte sich Hitler politisch sein eigenes Grab. Darüber könnte man sich allerdings nur freuen, wenn Hitler nicht noch Millionen Unschuldige mit ins Grab gezerrt hätte.

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Mein Kampf mit Mein Kampf (1)

Mein Kampf mit Mein Kampf (2): Im Elternhaus

Mein Kampf mit Mein Kampf (3): Wiener Lehr- und Leidensjahre (1)

Mein Kampf mit Mein Kampf (4): Wiener Lehr- und Leidensjahre (2)

Mein Kampf mit Mein Kampf (5): Allgemeine politische Betrachtungen aus meiner Wiener Zeit

Mein Kampf mit Mein Kampf (6): München

Mein Kampf mit Mein Kampf (7): Der Weltkrieg

Mein Kampf mit Mein Kampf (8): Kriegspropaganda

Mein Kampf mit Mein Kampf (9): Die Revolution

Mein Kampf mit Mein Kampf (10): Beginn meiner politischen Tätigkeit

Mein Kampf mit Mein Kampf (11): Die Deutsche Arbeiterpartei

Mein Kampf mit Mein Kampf (12): Ursachen des Zusammenbruches

Mein Kampf mit Mein Kampf (13): Volk und Rasse

Mein Kampf mit Mein Kampf (14): Die erste Entwicklungszeit der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei

Mein Kampf mit Mein Kampf (15): Weltanschauung und Partei

Mein Kampf mit Mein Kampf (16): Der Staat

Mein Kampf mit Mein Kampf (17): Staatsangehöriger und Staatsbürger

Mein Kampf mit Mein Kampf (18): Persönlichkeit und völkischer Staatsgedanke

Mein Kampf mit Mein Kampf (19): Weltanschauung und Organisation

Mein Kampf mit Mein Kampf (20): Der Kampf der ersten Zeit – Die Bedeutung der Rede

Mein Kampf mit Mein Kampf (21): Das Ringen mit der roten Front

Mein Kampf mit Mein Kampf (22): Der Starke ist am mächtigsten allein

Mein Kampf mit Mein Kampf (23): Grundgedanken über Sinn und Organisation der S.A.

Mein Kampf mit Mein Kampf (24): Der Föderalismus als Maske

Mein Kampf mit Mein Kampf (25): Propaganda und Organisation

Mein Kampf mit Mein Kampf (26): Die Gewerkschaftsfrage

Mein Kampf mit Mein Kampf (27): Deutsche Bündnispolitik nach dem Kriege

Mein Kampf mit Mein Kampf (28): Ostorientierung oder Ostpolitik

Mein Kampf mit Mein Kampf (29): Notwehr als Recht

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Hitler, Mein Kampf. Eine kritische Edition. Im Auftrag des Instituts für Zeitgeschichte München – Berlin hg. von Christian Hartmann, Thomas Vordermeyer, Othmar Plöckinger und Roman Töppel unter Mitarbeit von Pascal Trees, Angelika Reizle und Martina Seewald-Mooser. Zwei Bände. München/Berlin: Institut für Zeitgeschichte, 4., durchges. Aufl. 2016

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