Mein Kampf mit Mein Kampf (28): Ostorientierung oder Ostpolitik

Wenn zurzeit die radikalen Rechten des Westens in Liebe zu Russland entbrennen und Wladimir Putin im Gegenzug den rechtsradikalen Parteien Europas mit Propaganda und Geld aufhilft, dann ist das nur die Rückkehr zu einer alten Tradition. Bis ins 20. Jahrhundert hinein war das zaristische Russland ein Bollwerk gegen Liberalismus, Demokratie und Säkularisierung gewesen und hatte allen Gegnern dieser dekadenten Tendenzen des Westens Unterstützung gewährt. Dann kam die Oktoberrevolution. Das Band der Sympathie zwischen den Reaktionären des Westens und Ostens löste sich aber selbst in der Zeit der Sowjetunion nie vollständig, zumal diese unter Stalin auf einen nationalistischen Kurs einschwenkte. In der Weimarer Republik gab es – auch im Umfeld der NSDAP – Nationalbolschewisten, welche die rücksichtslose Herrschaftsausübung der Kommunisten nachahmen wollten und ein Bündnis Deutschlands mit der Sowjetunion gegen den Westen befürworteten. In diesen Kreisen wurde damals schon die Idee einer Querfront propagiert, die rechte und linke Feinde des westlichen Liberalismus zusammenschließen sollte. Obwohl Hitler halb verklemmt die diktatorische Kraft der Bolschewisten ebenfalls bewunderte, war er doch ein wütender Gegner eines Bündnisses mit der Sowjetunion. Denn solche Pläne widersprachen, wie er im Kapitel Ostorientierung oder Ostpolitik ausführt, seinem wesentlichen Ziel: der Eroberung von Lebensraum im Osten. (Als er später, allein aus taktischem Kalkül, vorübergehend seinen Pakt mit Stalin schloss, hatte die Propaganda alle Mühe, dieses unnatürliche Bündnis zu rechtfertigen.)

Wer bis zu diesem vorletzten Kapitel von Mein Kampf vorgedrungen ist, der wundert sich nicht mehr darüber, dass Hitler in ihm ganz unverschämt seine Kriegspläne offenbart und rechtfertigt. Deutschland könne in Zukunft nur als „Weltmacht“ überleben: „Deutschland wird entweder Weltmacht oder überhaupt nicht sein.“ Es sei aber noch keine, dazu fehle es den Deutschen an Raum. Deutschland müsse also unter nationalsozialistischer Führung „neue[n] Grund und Boden“ erwerben. Und dies könne nur durch Krieg geschehen:

So wie unsere Vorfahren den Boden, auf dem wir heute leben, nicht vom Himmel geschenkt erhielten, sondern durch Lebenseinsatz erkämpfen mußten, so wird auch uns in Zukunft den Boden und damit das Leben für unser Volk keine völkische Gnade zuweisen, sondern nur die Gewalt eines siegreichen Schwertes.

Selbst ein Nationalist, der vom Selbstbestimmungsrecht der Völker ausgeht, müsste da einwenden: Ist es denn nicht Unrecht, anderen Nationen gewaltsam ihr Land zu entreißen? Einen brutalen, egoistischen Nihilisten wie Hitler ficht ein solcher Gedanke nicht an, denn für ihn gibt es nur das Recht des Siegers. Wenn’s den Deutschen nutzt, so dürfen sie nach Hitler unbedenklich schwächere Völker unterwerfen, vertreiben und ausrotten.

Wo aber soll der vermisste Raum erobert werden? Der Führer kennt nur eine Richtung:

Wir stoppen den ewigen Germanenzug nach dem Süden und Westen Europas und weisen den Blick nach dem Land im Osten. Wir schließen endlich ab die Kolonial- und Handelspolitik der Vorkriegszeit und gehen über zur Bodenpolitik der Zukunft.
Wenn wir aber heute in Europa von neuem Grund und Boden reden, können wir in erster Linie nur an Rußland und die ihm untertanen Randstaaten denken.

Hitler war ganz frei von der Russlandschwärmerei manch anderer Rechter. Die Sowjetunion war für ihn nicht nur ein Feind, weil sie von Kommunisten beherrscht wurde. Nein, er verachtete auch die Russen selbst als minderwertig. Sie waren seiner Ansicht nach ein Geschlecht von Sklaven, das stets von fremder Hand beherrscht werden musste.

Das Schicksal selbst scheint uns hier einen Fingerzeig geben zu wollen. Indem es Rußland dem Bolschewismus überantwortete, raubte es dem russischen Volk jene Intelligenz, die bisher dessen staatlichen Bestand herbeiführte und garantierte. Denn die Organisation eines russischen Staatsgebildes war nicht das Ergebnis der staatspolitischen Fähigkeit des Slawentums in Rußland, als vielmehr nur ein wundervolles Beispiel für die staatenbildende Wirksamkeit des germanischen Elements in einer minderwertigen Rasse. […] Seit Jahrhunderten zehrte Rußland von diesem germanischen Kern seiner oberen leitenden Schichten. Er kann heute als fast restlos ausgerottet und ausgelöscht angesehen werden. An seine Stelle ist der Jude getreten. So unmöglich es dem Russen an sich ist, aus eigener Kraft das Joch der Juden abzuschütteln, so unmöglich ist es dem Juden, das mächtige Reich auf die Dauer zu erhalten.

Hitler verfolgte also im Osten zwei miteinander verknüpfte Ziele, die sich ganz aus seinem Denken in Bahnen des Bluts ergaben. Er wollte zum einen den Kommunismus vernichten, den er als Griff der Juden nach jener Weltherrschaft verstand, von der er selbst träumte. Ziemlich unverhohlen kündigt er wieder einmal die Ausrottung der Juden an:

[…] der unerbittliche Weltjude kämpft für seine Herrschaft über die Völker. Kein Volk entfernt diese Faust anders von seiner Gurgel als durch das Schwert. Nur die gesammelte, konzentrierte Stärke einer kraftvoll sich aufbäumenden nationalen Leidenschaft vermag der internationalen Völkerversklavung zu trotzen. Ein solcher Vorgang ist und bleibt aber ein blutiger.

Der Sieg über den Bolschewismus sollte aber die Russen nicht befreien, sondern sie unter ein neues, germanisches Joch zwingen. Denn nach Meinung Hitlers waren die rassisch minderwertigen Slawen gar nicht in der Lage, einen eigenen Staat zu erhalten und zu verteidigen:

[…] das Ende der Judenherrschaft in Rußland wird auch das Ende eines russischen Staates selbst sein. Wir sind vom Schicksal ausersehen, Zeugen einer Katastrophe zu werden, die die gewaltigste Bestätigung für die Richtigkeit der völkischen Rassentheorie sein wird.

In der Tat wurde die Menschheit Zeuge einer Katastrophe, welche die irrwitzige Verkehrtheit der völkischen Rassentheorie bewies. Unter ungeheuren Opfern besiegten die slawischen und jüdischen Bürger der Sowjetunion die brutalen Horden von germanischen Übermenschen, die mordend in ihre Heimat eingefallen waren. Und deren Führer wählte am Ende, verkrochen in einer Höhle unter Berlin, den Fluchtweg in den Tod.

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Mein Kampf mit Mein Kampf (1)

Mein Kampf mit Mein Kampf (2): Im Elternhaus

Mein Kampf mit Mein Kampf (3): Wiener Lehr- und Leidensjahre (1)

Mein Kampf mit Mein Kampf (4): Wiener Lehr- und Leidensjahre (2)

Mein Kampf mit Mein Kampf (5): Allgemeine politische Betrachtungen aus meiner Wiener Zeit

Mein Kampf mit Mein Kampf (6): München

Mein Kampf mit Mein Kampf (7): Der Weltkrieg

Mein Kampf mit Mein Kampf (8): Kriegspropaganda

Mein Kampf mit Mein Kampf (9): Die Revolution

Mein Kampf mit Mein Kampf (10): Beginn meiner politischen Tätigkeit

Mein Kampf mit Mein Kampf (11): Die Deutsche Arbeiterpartei

Mein Kampf mit Mein Kampf (12): Ursachen des Zusammenbruches

Mein Kampf mit Mein Kampf (13): Volk und Rasse

Mein Kampf mit Mein Kampf (14): Die erste Entwicklungszeit der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei

Mein Kampf mit Mein Kampf (15): Weltanschauung und Partei

Mein Kampf mit Mein Kampf (16): Der Staat

Mein Kampf mit Mein Kampf (17): Staatsangehöriger und Staatsbürger

Mein Kampf mit Mein Kampf (18): Persönlichkeit und völkischer Staatsgedanke

Mein Kampf mit Mein Kampf (19): Weltanschauung und Organisation

Mein Kampf mit Mein Kampf (20): Der Kampf der ersten Zeit – Die Bedeutung der Rede

Mein Kampf mit Mein Kampf (21): Das Ringen mit der roten Front

Mein Kampf mit Mein Kampf (22): Der Starke ist am mächtigsten allein

Mein Kampf mit Mein Kampf (23): Grundgedanken über Sinn und Organisation der S.A.

Mein Kampf mit Mein Kampf (24): Der Föderalismus als Maske

Mein Kampf mit Mein Kampf (25): Propaganda und Organisation

Mein Kampf mit Mein Kampf (26): Die Gewerkschaftsfrage

Mein Kampf mit Mein Kampf (27): Deutsche Bündnispolitik nach dem Kriege

Mein Kampf mit Mein Kampf (28): Ostorientierung oder Ostpolitik

Mein Kampf mit Mein Kampf (29): Notwehr als Recht

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Hitler, Mein Kampf. Eine kritische Edition. Im Auftrag des Instituts für Zeitgeschichte München – Berlin hg. von Christian Hartmann, Thomas Vordermeyer, Othmar Plöckinger und Roman Töppel unter Mitarbeit von Pascal Trees, Angelika Reizle und Martina Seewald-Mooser. Zwei Bände. München/Berlin: Institut für Zeitgeschichte, 4., durchges. Aufl. 2016

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