Vergessliche Besserdeutsche

Nun mache es mal einer den deutschen Rechten recht! Da bekommen sie, was sie wollen, und sind doch wieder nicht zufrieden, zetern sogar noch lauter als gewöhnlich.

In der Türkei regiert seit einer Weile, ganz wie sie es sich schon immer wünschen, ein charismatischer Mann aus dem einfachen Volke mit harter Hand. Er nimmt auf das nervtötende Gejammer von Minderheiten keine Rücksicht, sondern vertritt entschlossen die Interessen der Mehrheit. In der Außenpolitik zählt für ihn nur die eigene Nation, auch vor dem Einsatz von Waffen schreckt er nicht zurück. An den Schulen lässt er die Lehrer von den Heldentaten des eigenen Volkes erzählen, über die Verbrechen wird geschwiegen. Er entmachtet die Elite der Altparteien und stopft der linken Lügenpresse das Maul. Den frechen Journalisten Deniz Yücel, der nach Meinung des Sprechers von AfD-Chefin Frauke Petry schon in Deutschland „das Gefängnis von innen“ hätte erleben sollen, hat er wirklich in den Knast gesteckt. Und diese Politik lässt sich Erdoğan dann bei Bedarf durch Volksabstimmungen bestätigen – direkte Demokratie, wie sie viele Deutsche auch bei uns haben wollen.

Es ist erheiternd zu sehen, wer da alles nach dem Verfassungsreferendum in der Türkei plötzlich Liebe zum Parlamentarismus und zum Pluralismus heucheln muss, um über „die Türken“ herziehen zu können, die zur Demokratie unfähig seien. Ich weiß nicht, was mich an solcher Häme mehr verblüfft: der Hochmut oder die Vergesslichkeit. Offenbar wollen sich viele nicht daran erinnern, wie vor nicht allzu langer Zeit auch die Deutschen die Demokratie abwählten, indem sie mehrheitlich jenen Parteien ihre Stimme gaben, die offen ein Ende der ersten Republik auf deutschem Boden forderten. Mit einer Feigheit, die in der Weltgeschichte Ihresgleichen sucht, beugten sich damals fast alle Parteien, Gewerkschaften und Vereine in vorauseilendem Gehorsam vor einem österreichischen Kunstmaler.

Belegt dies die Unfähigkeit der Deutschen zur Demokratie? Oder nicht vielmehr die Kraft nationalistischer Propaganda, die sehr viele Nationen schon einmal dazu gebracht hat, sich einer Diktatur zu unterwerfen? Ich wünsche den Türken den Mumm, sich eines Tages von ihrem Diktator selbst zu befreien – ein Mumm, den die Deutschen nicht hatten.

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Dieser Text erschien zuerst als Kolumne der Rubrik Besorgte Bürger in der Sächsischen Zeitung.

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