Aus meiner Fanpost (29): Bequeme Feuilleton-Ecke

Lieber Michael Bittner,

Sie ereifern sich aus der bequemen Feuilleton-Ecke heraus über die politischen Auseinandersetzungen über den Gebrauch bestimmter Worte vonseiten der AfD, welche sie leicht als Anhänger national(sozial)istischen Gedankenguts entlarven. Sie nennen dies bloße Provokation und fordern, etwas uneindeutig, dass die Demokraten darauf nicht reflexartig reagieren sollten, der „Kampf (werde) andernorts entschieden“. Das Schauspiel sei zur bloßen Farce geworden.
Der politische Kampf findet aber – und glücklicherweise – „nur“ mit Worten statt. Worte und Argumente sind die Waffen der Politik. Die Wahl der „Waffen“/ Worte entlarven den Sprecher.
Angesichts des bevorstehenden Gedenktages in Dresden möchte ich Sie an den Ihnen gut bekannten Dresdner Victor Klemperer und seine Analyse der Sprache des dritten Reiches -LTI- erinnern, deren Fazit er selbst so zusammenfasste: „Worte sind wie kleine Arsendosen“. Das Volk werde durch ihren steten Gebrauch infiziert und vergiftet.
Wenn wir den Neu-Anfängen wehren wollen, dann ist es die Pflicht der Demokraten, auf den Ursprung und den Zusammenhang solcher Worte hinzuweisen. Es ist eben KEIN Zufall, dass AfD und sonstige Rechte solche Begriffe verwenden. Nur das entlarvt die Sprecher.
Sie haben aber recht, wenn Ihnen das Kolportieren dieser Vorgänge wie eine Farce vorkommt. Dieser Eindruck entsteht aber durch den medialen Widerhall wie eben in Ihrem Kommentar oder in der ziemlich ignoranten Verharmlosung dieser Begriffe durch Prof. Patzelt.

Beste Grüße
Felix ***

Lieber Felix ***,

danke für Ihre Nachricht! Als ich Ihren ersten Satz las, dachte ich schon, ich bekäme es wieder einmal mit einer der PEGIDA-Mails zu tun, wie sie mir so oft ins Haus flattern. Die „Feuilleton-Ecke“ ist gar nicht so bequem, wie Sie glauben, das kann ich Ihnen versichern.

Was Ihre Einwände angeht, so haben Sie nicht ganz verstanden, worum es mir ging. Selbstverständlich ist die Auseinandersetzung um Sprache ein wichtiger Teil der politischen Auseinandersetzung. Dazu gehört auch die Kritik an Wörtern des politischen Gegners, die geeignet sind, Sachverhalte zu verzerren oder Menschen herabzusetzen. Aber: Die Jagd auf historisch vorbelastete Wörter läuft Gefahr, allzu vereinfachend zu verfahren und wird dadurch angreifbar und wirkungslos, bisweilen lächerlich. Wörter erhalten ihre Bedeutung erst aus dem Kontext ihres Gebrauchs. Um einen Gegner zu widerlegen, reicht es nicht, vermeintlich böse Wörter aufzuspüren, man muss das Ganze seines Gedankensystems rekonstruieren, nicht, um herauszufinden, ob es „rechts“ ist, sondern um nachzuweisen, dass es irrig ist. Wer glaubt, er habe einen Rechten schon „entlarvt“, wenn er zeigen kann, dass der Rechte ein Wort benutzt hat, das schon die Faschisten benutzt hatten, der macht sich selbst etwas vor. Denn der Rechte wird einfach grinsend erwidern, bei ihm habe das Wort eine andere Bedeutung als früher.

Nehmen wir ein Beispiel, damit die Sache klarer wird: Es gibt einige Linke, die allen, die das Wort „Volk“ benutzen, vorwerfen, dies zeige schon eine völkische, nationalistische Gesinnung. Wie erwidern die Rechten? Sie zeigen ein Buch von Karl Marx vor, in dem dieser zweifellos wenig völkische Denker ganz positiv vom „Volk“ spricht. Wer wirkt nun bei einer solchen Auseinandersetzung souveräner auf das Publikum? Was wäre besser gewesen? Dem rechten Protagonisten anhand der Gesamtheit von dessen Äußerungen und Taten nachzuweisen, dass er von einer völkischen Ideologie angetrieben wird. Das macht allerdings mehr Mühe als die sprachpolizeiliche Fahndung nach einem bösen Wort.

Ein anderer Aspekt ist vielleicht noch wichtiger: Um den politischen Kampf zu gewinnen, reicht es nicht, den Gegner womöglich treffend zu kritisieren, man muss selbst bessere Ideen überzeugend vertreten. Die Sprachkritik, auf die sich so viele Gegner der Rechten wie besessen konzentrieren, scheint mir auch ein Ausdruck der Ratlosigkeit, was die Artikulation einer eigenen Vision angeht.

Mit freundlichen Grüßen, Michael Bittner

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