Aus meiner Fanpost (30): Die diffamierte AfD

Sehr geehrter Herr Bittner,

beim Lesen Ihrer Kolumnen beschleicht mich das Gefühl, dass Sie das demokratische Prinzip nicht ganz verstanden haben. Um es einfach zu machen: Jede Wählerstimme hat gleiches Gewicht. Jede Partei hat gleichen Wert. Das Grundgesetz unterscheidet nicht zwischen guten und schlechten Parteien, zwischen guten und schlechten Voten. Die politischen Zielvorstellungen und Geschmäcker sind verschieden, aber allesamt haben aus sich selbst heraus ihre Berechtigung. Wenn ich mir eine blaue Jacke zulege, möchte ich vom Verkäufer nicht beschimpft werden, weil es keine rote, grüne oder schwarze ist. Denn Sinn jeder Auswahl ist es, auswählen zu können – frei und ohne jede Bevormundung.

So gibt es auch keine guten oder schlechten Wahlergebnisse, sondern einfach nur Wahlergebnisse. Sie sind respektvoll zur Kenntnis zu nehmen, wobei es den Parteien natürlich frei steht, sich zu freuen oder sich zu ärgern. Maßen sich hingegen „unabhängige“ und „neutrale“ Journalisten an, die Entscheidung des Souveräns extrem abschätzig zu kommentieren, dann zählt das zwar zur Meinungsfreiheit, kollidiert jedoch mit dem Grundgedanken jeder freiheitlichen Demokratie, der da lautet, die Stimme des Volkes zu achten. Jemand wählt links – na und? Jemand wählt rechts – nochmals na und! Jemand wählt mittig – warum nicht? Gegenüber der AfD machen sich aber üble Praktiken breit. Der Partei wird die Existenzberechtigung abgesprochen, ihre Wähler werden wechselweise als dumm, bösartig, ahnungslos, verführt, „abgehängt“, rassistisch, neonazistisch, rechtsradikal etc. diffamiert. Und im Unterschied zu den anderen Parteien werden Wahlerfolge der AfD stets so behandelt, als seien sie Vorboten des Weltuntergangs. Wenn dem wirklich so wäre, müssten Wahlen ja verboten werden – wegen Gemeingefährlichkeit. Richtig aber ist: Der Bürger hat jedes Recht, jede Partei zu wählen. Er braucht sich dafür weder zu rechtfertigen noch beschimpfen zu lassen. Gleiches gilt für die Parteien, sie zählen in ihrer Unterschiedlichkeit zum Wesenskern unserer Demokratie.

Vielleicht werden Sie das irgendwann einmal zur Gänze verstehen. Ich wünsche es Ihnen – in Respekt vor Ihrer persönlichen Wahlentscheidung.

Mit freundlichen Grüßen
Harald N***

 

Sehr geehrter Herr N***,

danke für Ihre kritische Nachricht! Ihre Argumentation ist erfreulich sachlich, weshalb ich mir gerne die Zeit nehmen möchte, um Ihnen zu erklären, warum ich sie dennoch für falsch halte.

Sie schreiben, zum „demokratischen Prinzip“ gehöre die Vielfalt der Parteien sowie das „Recht“ jedes Bürgers, „jede Partei zu wählen“. Das ist völlig richtig. Sie schreiben: „Jede Wählerstimme hat gleiches Gewicht.“ Auch das ist richtig: Auch die Stimmen, die für die AfD abgegeben werden, sind zu respektieren. Die für die AfD gewählten Abgeordneten sind vom Staat streng nach dem Gesetz so zu behandeln wie alle anderen auch. Ihr Denkfehler schleicht sich in die Argumentation ein, wenn Sie das doppeldeutige Wort „Wert“ gebrauchen: „Jede Partei hat gleichen Wert.“ Wenn auch dieser Satz nur auf das Prinzip der Gleichbehandlung durch den Staat zielen soll, ist auch er richtig. Aber mir scheint, er soll mehr besagen: Der AfD soll auch der gleiche politische und moralische Wert zugesprochen werden wie den anderen Parteien. Die demokratische Wahl der AfD beweise schon, dass es sich auch inhaltlich um eine demokratische Partei handeln müsse. Das ist offenkundig falsch: Auch die NSDAP wurde von vielen Bürgern gewählt. War diese Partei deswegen demokratisch? Hatte die Entscheidung jener Deutschen, die 1932 die NSDAP wählten, genauso viel „Wert“ im politischen oder moralischen Sinne, wie die derjenigen, die andere Parteien wählten? Ich benutze dieses Beispiel nicht, um die AfD mit der NSDAP gleichzusetzen, sondern um Ihnen klarzumachen, dass Ihnen hier ein Denkfehler unterlaufen ist.

Ich weiß nicht, ob Sie ein Wähler der AfD sind. Nehmen wir an, es wäre so: Dann sind Sie offenkundig davon überzeugt, die politischen Vorstellungen der AfD seien richtig und ethisch wertvoll. Andere Bürger, die – wie etwa ich – die politischen Vorstellungen der AfD für falsch und gefährlich halten, sollte es nun aber verboten sein, Sie zu kritisieren? Weil man doch die Wahlentscheidung „respektieren“ müsse? Hier entspringt Ihr Denkfehler aus der Doppeldeutigkeit des Wortes „Respekt“. Die Wahlentscheidung für die AfD ist in dem Sinne zu „respektieren“, dass man nicht versucht, das Ergebnis zu fälschen oder AfD-Abgeordneten den Einzug ins Parlament gesetzeswidrig zu verwehren. Etwas ganz anderes ist aber der „Respekt“, den man Politikern erweist, weil sie gute Arbeit leisten oder Überzeugungen vertreten, die man teilt. Jenen ersten „Respekt“ darf auch die AfD verlangen, den zweiten „Respekt“ darf niemand verlangen – den muss jede Partei sich bei den Wählern erarbeiten. Wenn 87% der Deutschen diesen Respekt der AfD verweigern, dann werden sie wohl ihre Gründe dafür haben.

Zu dem von Ihnen angeführten „demokratischen Prinzip“ gehört die Redefreiheit und mit ihr das Recht zur Kritik, sofern die Kritik nicht in Beleidigung, Verleumdung, Volksverhetzung etc. umschlägt. Dieses Recht gilt für alle Bürger und selbstverständlich auch für Journalisten, die nicht „neutral“ sein müssen, sondern bloß dazu verpflichtet sind, nicht bewusst die Unwahrheit zu verbreiten, ansonsten aber eine Haltung haben dürfen wie jeder andere auch. (Ich hoffe, Sie wollen sich nicht durch die Behauptung lächerlich machen, die Journalisten der AfD-nahen Medien berichteten „neutral“ über die gegnerischen Parteien.) Jeder Wähler oder Politiker der AfD hat das Recht, Kritiker zu verklagen, von denen er sich „diffamiert“ fühlt. Die Gerichte werden dann entscheiden, ob es sich um legitime Kritik oder um eine Straftat gehandelt hat. Mir scheint es aber, als bestünde Ihr Anliegen darin, die AfD und deren Wähler auch vor legitimer Kritik zu schützen. Sie behaupten, die AfD werde schlechter als andere Parteien behandelt. In Wirklichkeit sind Sie es, der eine Vorzugsbehandlung für die AfD verlangt: Sie soll offenbar mit Samthandschuhen angefasst werden, weil ihre Wähler und Funktionäre so zarte, empfindliche Wesen sind. Darf ich Ihnen in Erinnerung rufen, mit welchen Worten führende Politiker der AfD unliebsame Menschen bezeichnen – „Schweine“, „linksextreme Lumpen“, „Volksverräter“, „Merkelnutte“, „Justizhuren“, „Halbneger“, „Kameltreiber“? Diese Leute sind gewiss die Letzten, die von ihren Gegnern eine respektvolle Behandlung verlangen dürften.

Ich hoffe, ich konnte die Verwirrung, die in Ihrem Kopf über das „demokratische Prinzip“ herrscht, ein wenig verringern. Wenn Sie sich übrigens in Ihrer Mail darauf beschränkt hätten, zu sagen „Es wäre politisch klüger, die Gegner der AfD würden sich darauf konzentrieren, die Politiker der AfD zu kritisieren, statt dauernd den Wählern der AfD moralische Vorwürfe zu machen!“, dann hätte ich Ihnen durchaus zugestimmt. Aber Ihre Mail scheint leider eher die Aussage zu enthalten: „Die AfD ist demokratisch gewählt, deswegen darf man sie und ihre Wähler nicht kritisieren!“ Und diese Aussage ist einfach nur unsinnig und unhaltbar.

Mit freundlichen Grüßen, Michael Bittner

 

Sehr geehrter Herr Dr. Bittner,

vielen Dank, dass Sie so ausführlich und ebenfalls sachlich geantwortet haben. In den meisten Punkten mag ich Ihnen gar nicht widersprechen. Ich finde nur, dass die Kritik an der AfD oft mit Boxhandschuhen erfolgt, während die Altparteien mit journalistischen Samthandschuhen angefasst werden. Und noch eines ist mir wichtig, weil Sie die NSDAP anführen: Im Unterschied zu damals können undemokratische Parteien verboten werden (sofern sie, laut Karlsruher Rechtsprechung, eine gewisse Relevanz haben). Bislang hat kein ernstzunehmender Mensch behauptet, dass die AfD auch nur in der Nähe eines möglichen Verbots operiert. Kurzum: Sie ist eine Partei wie andere auch, wird aber oft so behandelt, als wäre sie – und damit letztlich auch ihre Wählerschaft – ein Supergau für die bundesdeutsche Demokratie.

Kritik an der AfD stört mich nicht. Das zählt zur üblichen politischen Auseinandersetzung. Was mich stört, ist die kampagnenartige Übertreibung, die krampfhafte Suche nach dem Haar in der Suppe, der totale Verständnisverlust. Und das wird auch nicht dadurch erträglicher, dass die eine oder andere Wortmeldung aus AfD-Kreisen ebenfalls besser unterblieben wäre.

Aber ich will Sie nicht nochmals zu einer Antwort „nötigen“. Wir haben uns zivilisiert ausgetauscht – und nicht die Köpfe eingeschlagen. Das kann man, meine ich, so stehen lassen.

Mit freundlichen Grüßen

Harald N***

 

Sehr geehrter Herr N***,

wenn Sie auch der Meinung sind, dass Kritik an der AfD nicht nur legitim ist, sondern auch teilweise berechtigt, da es aus den Reihen dieser Partei zahlreiche nicht hinnehmbare Äußerungen gegeben hat, dann sehe ich eigentlich keinen prinzipiellen Meinungsunterschied zwischen uns, allenfalls einen graduellen in der Bewertung, welche Art und Menge von Kritik angemessen und welche übertrieben ist. Die Angst mancher, das Vierte Reich stehe vor der Tür, bloß weil ein Zehntel der deutschen Wähler für die AfD stimmt, ist gewiss übertrieben. Das können wir in der Tat so stehen lassen.

Mit freundlichen Grüßen, Michael Bittner.

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Kommentare
  1. Frans Bonhomme

    Der Dialog ging irgendwie am Thema vorbei, nämlich das hier eine neue Art der Zensur um sich greift, dass die Meinungsfreiheit abschafft wird und das dies von einer zunehmend autoritär agierenden Linken ausgeht. Damit mögen Sie persönlich nichts am Hut haben, Herr Bittner, aber wahr ist es trotzdem. Man sieht es gerade am aktuellen Beispiel Suhrkamp.
    Erinnert mich irgendwie an Die verlorene Ehre der Katharina Blum, nur diesmal mit umgekehrten Vorzeichen. Oder, einfach an die DDR.

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    • Michael Bittner

      Jaja: Wenn Rechte Linke kritisieren, machen sie von der Redefreiheit Gebrauch. Wenn Linke Rechte kritisieren, greifen sie die Meinungsfreiheit an. Wenn Tellkamp Lügen in die Welt posaunt, ist er ein Held. Aber wenn der Suhrkamp Verlag vorsichtig mitteilt, er habe eine andere Meinung als sein Autor, dann ist das Zensur? Bleiben Sie mir doch vom Hals mit diesem weinerlichen, verlogenen Quatsch.

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  2. Frans Bonhomme

    Nein, ich bleibe Ihnen nicht vom Hals, und zwar weil ich glaube, dass Sie sich irren.
    Ich kann mich nicht erinnern, dass Suhrkamp sich jemals von den Provokationen seinen linken, teils neo-kommunistischen Autoren distanziert hat. Falls es dort mal eng wird, rettet man sich dann auf die Position, dass sei doch alles nur ironisch gemeint gewesen. Für Millionen Menschen waren – und sind – kommunistische Gulags aber real. Und vielen Linken, die sich so öffentlich äußern, können m.M. E ihre Sympathien für Umerziehungslager nur schwerlich verbergen (woran erkennt man noch mal Krypto-Nazis? An bestimmten Signalwörtern? Gibts auch Krypto-Stalinisten?). Ob dann nach der Machtübernahme immer noch alles nur ironisch gemeint ist? Wer weiss.
    Ich für mich persönlich habe nicht weniger Angst vor einer linken Diktatur als vor einer rechten.

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    • Michael Bittner

      Sie wechseln das Thema, weil Ihnen offenkundig klar geworden ist, dass Ihre ursprüngliche Aussage Unsinn war. Ob Suhrkamp sich jemals von einem linken Autor distanziert hat, was sich meiner Kenntnis entzieht, ist völlig irrelevant für die Frage, ob eine solche Distanzierung „Meinungsdiktatur“ ist. Die Antwort ist aber klar: Ein Verlag muss sich in keiner Weise die Meinung seiner Autoren zueigen machen und kann sich von dieser distanzieren, wenn ihm danach ist. Er kann sich auch von Autoren trennen, wenn er keine Lust mehr hat, sie zu verlegen. Das alles hat nicht das Geringste mit „Zensur“ zu tun, wie es das hysterische Geschrei der Rechten suggeriert. Allenfalls kann man einem solchen Verlag Engstirnigkeit oder Überempfindlichkeit vorwerfen. Wer aber legitime Kritik an Rechten mit einer linken Diktatur in einen Topf wirft, der offenbart ein mangelhaftes Verständnis der Demokratie.

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  3. Frans Bonhomme

    Nein, ich wechsle nicht das Thema. Das ein Autor nicht die Meinung des Verlags schreibt ist offensichtlich, wenn der Verlag wie in diesem Fall dies explizit tweetet hat das also was zu bedeuten. Aber ich sehe, Sie wollen das nicht verstehen und werfen lieber mit „mangelndem Demokratieverständnis“ und „Unsinn“. Das macht auch nichts, denn hier wird sowieso nichts entschieden.

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    • Michael Bittner

      Natürlich hat der Tweet „etwas zu bedeuten“. Er bedeutet: Wir beim Suhrkamp Verlag stimmen mit Uwe Tellkamp in politischen Fragen nicht überein. Na und? Wo ist das Problem? Wen juckt’s, außer dem weinerlichen und eitlen Uwe Tellkamp, der auf Kritik schon immer mit cholerischen Heulkrämpfen reagierte?

      Aber lasst uns stattdessen die rechten Verlage loben, die sich nie von ihren linken Autoren distanzieren! Schon aus dem einfachen Grund, dass sie keine linken Autoren haben!

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  4. Frans Bonhomme

    Ich kann mich gar nicht erinnern, einen rechten Verlag gelobt zu haben. Aber klar gibt es Bestrebungen, rechte Verlage auf Buchmessen zu zensieren. In diesem Zusammenhang steht auch der Auftritt Tellkamps und die Reaktionen, inkl. Suhrkamp, darauf. Und natürlich darf eine Buchmesse zensieren, wen sie will. Dann ist sie dann eben keine Buchmesse mehr für die Gesellschaft, sondern nur für den piefigen linken Teil der Gesellschaft, und der piefige rechten Teil der Gesellschaft hat dann eben seine eigene Buchmesse. Und genauso bei den Verlagen. Vielleicht können wir uns ja darauf einigen, wie Grünbein es selbst ausdrückt: „Suhrkamp stehe nun als „linksliberaler Spießerverein“ da und habe so „das Vorurteil von der Gesinnungsdiktatur“ nur bestätigt.“.

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    • Michael Bittner

      Das stimmt alles auch wieder nur zur Hälfte. Sowohl die Frankfurter als auch die Leipziger Buchmesse haben keine „rechten“ Verlage ausgeschlossen. (Lustig übrigens, wie Rechtsradikale und -extreme inzwischen als „Rechte“ durchgehen und die Gegner der Rechtsradikalen alle „Linke“ sein sollen.) Ich bin auch gegen Ausschlüsse, solange Verlage nicht im Dienste von Verbrechern oder Terroristen stehen. Ihre eingebildete „Zensur“ spielt also wohl auf die „linken“ Gegenproteste an – und da haben wir’s wieder: Rechte Äußerungen sind Meinungsfreiheit, linke sind Zensur.

      Der Suhrkamp Verlag hat alles Recht der Welt, sich zu äußern. Dass diese Äußerung zu Herrn Tellkamp überflüssig war, weil sie nur dem Gejammer der Rechten neue Nahrung liefert, sehe ich auch so wie Herr Grünbein.

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  5. Frans Bonhomme

    Ich bezog mich auf die klar vorhandene Tendenz, unbequeme Meinungen wegzudrücken und zugehörige Personen mundtot zu machen, wovon „echte“ Rechtsextreme ja auch garnicht betroffen sind. Das Sie mein Anliegen nicht verstehen wollen, habe ich schon verstanden. Die Lorbeeren für die erfolgreiche Verzerrung des Begriffs „Rechts“ muss ich aber leider ablehnen. Klar hat Suhrkamp alles Recht der Welt, sich zu äußern. Habe ich nie bezweifelt. So wie Kapitalisten eben das Recht haben, unrentable Betriebe zu schliessen.

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