Frieden mit Russland

In der Sächsischen Zeitung hat mich jüngst der Kollege Wolfgang Schaller in dem Beitrag Alter Narr, was nun? gescholten: für eine Kolumne über den Kabarettisten Uwe Steimle, den ich mit drei kritischen Sätzen bedacht hatte, von denen zwei auch noch ein Lob enthielten. Der Herr Steimle muss von dieser Unverschämtheit tief getroffen worden sein, immerhin fühlte sich einer seiner Dresdner Künstlerfreunde nach einem Gespräch mit dem Gekränkten dazu veranlasst, mir einen cholerischen Drohbrief mit der missverständlichen Warnung zu schreiben, dass ich „gefährlich lebe“. Wenn ich nur gewusst hätte, dass in der Welt des Kabaretts bei so großer Empfindsamkeit zugleich so raue Sitten herrschen! Ich hätte die Finger vom heißen Eisen gelassen und mich lieber mit etwas Harmlosem befasst, der AfD zum Beispiel.

Die Kolumne von Wolfgang Schaller aber gibt mir mein Vertrauen ins Kabarett zurück. Sie zeigt nicht nur unvergleichlich mehr Witz und Kunst als alle erbosten Leserbriefe, die bei mir eintrudelten, schlimmer noch, sie enthält auch viel Wahres.

Was da aus mir raus muss, betrifft die „Hymnen auf die Friedensmacht Russland“, die er bei einem sächsischen Kabarettisten einseitig findet, der halt nicht so politisch korrekt ist wie Dieter Nuhr und, o ja, durchaus umstritten. Aber, sorry, Kabarett ist einseitig, ist in seiner Zuspitzung ungerecht.

So schreibt Schaller, um Uwe Steimle gegen meinen indirekt angedeuteten Vorwurf der Einseitigkeit zu verteidigen. Und wir erinnern uns alle an Tucholsky, der es dem Satiriker erlaubte, die Wahrheit aufzublasen, um sie deutlicher zu machen. Ich stimme ganz zu, gebe aber leise zu bedenken: Es sollte dann schon eine Wahrheit sein, in die man pustet. Wenn es um Flüchtlinge geht oder um Juden, bläst Uwe Steimle leider ab und zu auch einmal eine Lüge auf. Solches Handwerk sollten die Kabarettisten besser den Propagandisten überlassen. Die verstehen sich besser darauf und verlieren auch keine Prozesse vorm Meißner Amtsgericht.

Ich bin vielleicht nicht auf dem neusten Stand der Lüge, wenn ich mich von Putin nicht bedroht fühle, obwohl ich ja wissen müsste: Die Russen sind schuld. Immer. Wir wissen das spätestens, seit sie uns 1945 den deutschen Endsieg vermasselt haben. Das war der Putin!

Es sind offenkundig meine beiläufigen Worte zu Russland, an denen Wolfgang Schaller Anstoß genommen hat. Darum ist es meine Pflicht, sie näher zu erläutern: Ich habe Verständnis dafür, dass Liebe immer einseitig ist. Und auch für die Liebe Steimles und anderer Ostdeutscher zu Russland habe ich Verständnis, selbst wenn sie etwas überrascht, war doch die deutsch-sowjetische Freundschaft einst nicht bei allen eine Herzenssache. Die neu erglühte Liebe lässt sich dennoch erklären, nämlich aus dem Trotz, den die Heuchelei vieler westlicher Medien und Politiker hervorgerufen hat. Da wirft man den Russen die Unterstützung von Separatisten in der Ukraine vor, während man gerade erst Separatisten auf dem Balkan unterstützt hat. Man klagt über russische Einmischung in die Politik westlicher Länder, als würden westliche Länder nicht ebenso die russische Opposition päppeln. Man verdammt die Kriege, die Russland im Kaukasus führt, während die amerikanischen Kriege im Nahen Osten ein Vielfaches an Opfern fordern.

Eine traurige Folge der westlichen Heuchelei scheint mir nun aber gerade die Verwirrung, in die viele Menschen stürzen, die sich ehrlich nach Frieden sehnen. Sie sehen die Ungerechtigkeit des Westens und glauben, sich ganz in die Waagschale des Ostens werfen zu müssen. Sie reden sich ein, die russischen Bomben in Syrien wären nicht mit Sprengstoff, sondern mit Rosenblüten gefüllt. Sie durchschauen westliche Propagandalügen und glauben doch jedes Wort aus dem Kreml. Sie wollen nicht sehen, wie der ehemalige Spitzel Putin sich nach außen routiniert der Methoden der Zersetzung bedient und im Innern als geschäftsführender Direktor einer Clique von Oligarchen amtiert. Es tut mir leid, aber ich bin nicht in der Lage, mein Herz an Putin zu verschenken. Mit Russland in Frieden auskommen will ich aber gerne. Für einen Einmarsch ist es mir da ohnehin zu kalt. Ich plane seit Jahren die Eroberung von La Gomera.

Auf welche Seite soll man sich nun aber schlagen in diesem verfluchten Konflikt? Ich würde sagen: auf keine. Der schlimmste Feind des Kriegstreibers ist nicht der Gegner im Krieg, sondern der Gegner des Krieges. Hier wie in vielen politischen Fragen unserer Zeit lautet die richtige Antwort: Weder-Noch. Ganz schön unbefriedigend ist das, zugegeben, und kompliziert obendrein. Wolfgang Schaller meint:

Von einem Kabarettisten komplexe Betrachtung erwarten, ist so, als würde man von einer Prostituierten verlangen, dass sie Jungfrau bleibt.

Das klingt nun aber beinahe so, als wäre Blödheit beim Kabarett Einstellungsvoraussetzung. Die Arbeit von Wolfgang Schaller selbst beweist schon, wie wenig das stimmen kann. Die Einseitigkeit und die Übertreibung mögen Stilmittel des Satirikers sein. In der deutschen Satireordnung finde ich aber keinen Paragrafen, der vorschreibt, dass sie die einzigen Stilmittel sein sollen. Nirgends steht, dass Kabarettisten ihr Publikum nicht nachdenklicher machen dürfen, als es vor dem Gang ins Theater war. Ich wäre sogar dafür. Sonst wüsste ich nicht, wie man den Anspruch von André Poggenburg abweisen sollte, auch ein Satiriker zu sein. Wenn sich Satire nicht mehr vom Genöle eines Wutbürgers unterscheidet, wenn Künstler und Karikatur zur Ununterscheidbarkeit verschmelzen, wenn Kabarettist und Zuschauer sich im Gesinnungsrausch verbrüdern, dann hört die Satire auf. Vielleicht soll sie das ja auch. Dann möge ein solcher Bühnenbürger vom Kritiker aber auch keine ästhetische Betrachtung mehr einfordern. Und vor Gericht schleiche er sich nicht mit Verweis auf die Freiheit der Kunst davon.

Die Kolumne Wolfgang Schallers endet mit dem mahnenden Ruf zum Frieden:

Wenn es um den Frieden geht, würde ich mich mit allen verbünden, mit KdW, AfD und ADAC.

Elfmal wiederholen die abschließenden Verse das Wort „Frieden“! Das ist fies, denn so wird es mir einigermaßen hart, nicht wie ein Freund des Krieges zu wirken, wenn ich mir eine letzte Anmerkung erlaube. Es ist schön, wenn zwei Länder sich vertragen. Am besten schließen sie dazu einen Vertrag. Nur gibt’s aber auch Verträge, die unsittlich sind, weil sie auf Kosten Dritter abgeschlossen werden. Die Balten, die Polen und auch die Juden erinnern sich jedenfalls noch daran, dass nicht jeder deutsch-russische Frieden ein reiner Segen war. Deswegen befremdet es mich ein wenig, mit welcher Unbeschwertheit manche neuen Freunde Russlands ihrem Liebling zubilligen, die kleinen Länder seiner Umgebung zu beherrschen oder sich bei Bedarf stückweise einzuverleiben.

Da höre ich plötzlich von einem, der rechts gewählt hat, meine eigene Meinung. Das ist für einen Kabarettisten ganz blöd. Saublöd. Wer zur anderen Seite gehört, muss doch grundsätzlich unrecht haben.

So spottet Wolfgang Schaller über jene, die nichts vom Frieden wissen wollen, weil er diesmal auch von Rechten gefordert wird. Ein dummes Verhalten, wohl wahr. Aber wenn daraus folgen soll, dass ich mich dem liebsten Dogma der Rechten, dem Recht des Stärkeren, beugen muss, um meinen persönlichen Frieden mit Russland zu machen, dann kann ich mich nur wiederholen: Ich will das eine nicht. Und das andere noch weniger. Das heißt nicht, dass ich mich in die Neutralität verdrücke. Ich befinde mich im Kriegszustand mit allen. Um des Friedens willen!

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Kommentare
  1. Frans Bonhomme

    Kann man alles so unterschreiben.

    Zum Thema

    „Die Balten, die Polen und auch die Juden erinnern sich jedenfalls noch daran, dass nicht jeder deutsch-russische Frieden ein reiner Segen war.“

    möchte ich noch überblicksweise diesen Wikipedia-Artikel empfehlen:

    https://de.wikipedia.org/wiki/Sowjetische_Besetzung_Ostpolens
    Abschnitt „Polens Revisionismus nach 1918“

    Vielen ist das nicht bekannt.
    Ändert natürlich nichts an der Richtigkeit Ihrer Aussage.

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  2. Frans Bonhomme

    Ach, und wenn ich auch selbst Ihre Kritik an Steimle kritisiert habe, schätze ich sie doch als Anstoss, dass mal über das Thema geredet wird. Cholerische Drohbriefe mit missverständlichen Warnungen gehen natürlich garnicht. Muss ja auch mal gesagt werden. Wie Ihr Kollege Patzelt sagte „Kuschen gehört sich nicht!“ ;-)

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