Im Herz der amerikanischen Rechten

Immerhin eines haben die verfeindeten politischen Lager in den Staaten des Westens noch gemeinsam: Linke wie Rechte fühlen ein Unbehagen angesichts des Abgrundes, der sich da innerhalb der Gesellschaften auftut. Zumindest in den Reihen der Linken mehren sich auch die Bemühungen, die gegnerische Seite erst einmal zu verstehen, ohne vorschnell zu verurteilen oder nur zu belehren. Denn unter den Wählern der Rechtspopulisten finden sich auch viele Arbeiter, deren Vertretung früher Sache der Linken war. Warum haben sie die Seiten gewechselt? Wie lassen sie sich zurückgewinnen?

Die amerikanische Soziologin Arlie Russell Hochschild hat mit dem Buch „Fremd in ihrem Land“ den Versuch unternommen, die „Empathiemauer“ zu überwinden. Hochschild, die lange an der traditionell linken Universität Berkeley in Kalifornien lehrte, nahm für ihr Projekt einigen Mühen auf sich. Fünf Jahre lebte sie zeitweise in Louisiana, tief im konservativen Süden der USA, sprach mit Anhängern der Tea-Party-Bewegung, besuchte Gottesdienste und Familienfeiern, schließlich auch eine Wahlkampfveranstaltung von Donald Trump. Mehr als 4000 Seiten an Interviews hatte Hochschild am Ende zusammengetragen, mit vielen ihrer Gesprächspartner freundete sie sich trotz aller politischen Gegensätze an. In ihrem Buch erzählt sie nur vom Schicksal einiger ausgewählter Protagonisten. Auf diese Weise gelingt es ihr mit literarischem Geschick, auch bei den Lesern Sympathie für diese Menschen zu wecken.

Ausgangspunkt der Autorin ist ein „großes Paradox“: Warum wählen weiße Amerikaner der Arbeiter- und Mittelklasse so oft die Republikaner, deren Politik doch vor allem an den Interessen der Vermögenden und Kapitalisten dient? In Louisiana zeigt sich dieser Widerspruch besonders drastisch: Hochschild erzählt von Menschen, die ihr Haus und ihre Gesundheit eingebüßt haben, weil Öl- und Chemiekonzerne rücksichtslos die Umwelt zerstörten. Dieselben Menschen unterstützen aber Politiker, die sich für die Abschaffung von Umweltbehörden und die Lockerung von ökologischen Vorschriften einsetzen. Ein Mann wie Mike Schaff, eine der zentralen Figuren des Buches, engagiert sich sogar zugleich gegen Umweltverschmutzung und für die Tea Party, die staatlichen Umweltschutz als Kommunismus verdammt.

Der deutsche Leser lernt bei der Lektüre dieser Geschichten zunächst, dass es einen einzigen globalen Rechtspopulismus nicht gibt. Von den deutschen Verhältnissen unterscheiden sich die amerikanischen trotz mancher Gemeinsamkeiten erheblich, die Rechte in den USA funktioniert anders als die in Europa. Eine viel größere Rolle spielen nicht nur christliche „Familienwerte“, sondern auch eine eingefleischte Staatsfeindlichkeit, die jede Maßnahme der Bundesregierung in Washington als Einschränkung der persönlichen Freiheit wahrnimmt. Hinzu kommt die Geschichte der Sklaverei in den Südstaaten: Die überwiegend arme weiße Bevölkerung zog hier ihren Stolz lange daraus, wenigstens noch über den Schwarzen zu stehen. Den Reichen gegenüber empfanden sie nicht Hass, sondern Bewunderung, so wie heute für Donald Trump. Die Durchsetzung der Bürgerrechte auch für Minderheiten empfinden noch immer viele Weiße in den Südstaaten, wo seit den sechziger Jahren die treusten Wähler der Republikaner wohnen, als Bevormundung des Nordens.

Erhellend auch für Europäer ist Hochschilds Einsicht, dass die Zugehörigkeit zu politischen Bewegungen, anders als Linke oft meinen, weniger von ökonomischen Interessen als von Gefühlen und Geschichten abhängt. Hochschild hat eine „Tiefengeschichte“ entworfen, in der sich ihre Gesprächspartner wiedererkannten, weil sie ihre „gefühlte Wirklichkeit“ treffend beschrieben sahen: „Du wartest geduldig in einer langen Schlange, die wie bei einer Wallfahrt auf einen Berg führt. … Gleich hinter der Bergkuppe befindet sich der amerikanische Traum, das Ziel aller, die in der Schlange warten. … Die Sonne brennt, und die Schlange rührt sich nicht vom Fleck. Oder bewegt sie sich sogar rückwärts? … Du siehst, wie Leute sich vordrängen! Du hältst dich an die Regeln, sie nicht. … Schwarze, Frauen, Einwanderer … Ein Mann beaufsichtigt die Schlange … Sein Name ist Barack Hussein Obama. Hey – du siehst, wie er den Vordränglern winkt. Er hilft ihnen und hat für sie besondere Sympathien, die er für dich nicht aufbringt.“

Geschichten wie diese schlummern gewiss auch auf dem Seelengrund vieler Deutscher. Auch sie haben das Gefühl, „ältere weiße Männer“ seien inzwischen zur vernachlässigten, ja unterdrückten Minderheit geworden, zu „Fremden im eigenen Land“. Diese Selbststilisierung zum Opfer hat mit den Tatsachen nur bedingt etwas zu tun, viel aber mit verletzten Gefühlen des Stolzes und fehlender Anerkennung. Daraus lassen sich Lehren ziehen: Wer die Mehrheit zurückgewinnen will, sollte es vermeiden, nur als Lobbyist von Minderheiten wahrgenommen zu werden. Und wer die Arbeiter ansprechen will, sollte zuerst einmal die Arbeit würdigen, die geleistet wird, bevor er Utopien des bedingungslosen Einkommens entwirft.

Arlie Russell Hochschild: Fremd in ihrem Land. Eine Reise ins Herz der amerikanischen Rechten. Frankfurt: Campus, 2017

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Diese Rezension erschien zuerst in der Sächsischen Zeitung.

Termine der Woche

Am Donnerstag (7. Dezember) lese ich mit beim Wedding Slam in Berlin. Der von Robin Isenberg und Wolf Hogekamp organisierte Dichterwettstreit beginnt um 20:30 Uhr in der Panke (nicht dem Fluss, sondern dem schönen Kulturzentrum).

Am Sonntag (10. Dezember) bin ich wieder einmal Gast bei der traditionsreichen Reformbühne Heim & Welt. Die Berliner Lesebühne mit den Stammautoren Ahne, Jakob Hein, Falko Hennig, Heiko Werning und Jürgen Witte hat ihre Heimat in der robusten Jägerklause in Friedrichshain. Ich lese etwas aus meinem neuen Buch Der Bürger macht sich Sorgen, aber auch andere neue Geschichten. Los geht es um 20 Uhr.

Was denken sich denn die Sachsen?

Es war zu erwarten, ist aber doch recht schade, dass der eben veröffentlichte zweite Sachsen-Monitor vor allem dazu benutzt wird, ein paar Zahlen herauszuklauben, um mal wieder aufs Neue zu beweisen, wie übel in Sachsen alles ist. Dabei könnten gerade Linke aus den Ergebnissen der Umfrage einiges darüber erfahren, wieso es für sie in Sachsen (und anderswo) so schlecht läuft.

Ist es nicht ganz erstaunlich, dass die größte Sorge der Sachsen der wachsende Gegensatz zwischen Arm und Reich ist? 83 Prozent der Sachsen geben dies an. 94 Prozent der Sachsen halten es für wichtig, dass demokratische Regierungen die soziale Ungleichheit abbauen und nur 20 Prozent sind der Meinung, dies geschehe zurzeit schon in ausreichendem Maße. Knapp die Hälfte der Sachsen meint, es gehe in Deutschland ungerecht zu. 68 Prozent meinen, es gebe keine echte Demokratie in Deutschland, weil die Wirtschaft das Sagen habe und nicht die Parlamente. Es gibt also ohne Zweifel Ansatzpunkte dafür, Menschen von linker Politik zu überzeugen, die ja zuerst auf Gleichheit und Gerechtigkeit zielt. Warum gelingt dies nicht?

Der erste Grund ist der banalste: Die große Mehrheit der Sachsen ist mit ihren persönlichen Lebensumständen zufrieden. 77 Prozent der Befragten halten ihre eigenen wirtschaftlichen Verhältnisse für sehr gut oder eher gut, nur 22 Prozent sehen sie als eher schlecht oder sehr schlecht an. Es ist das eine, eine abstrakte Ungerechtigkeit zu beklagen, etwas anderes, selbst unter Armut, Ausbeutung, Ungewissheit, Hunger oder Obdachlosigkeit zu leiden. Solange es den meisten leidlich gut geht, lässt sich mit dem Thema soziale Gerechtigkeit kaum jemand mobilisieren. Das schwache Abschneiden der Parteien, die bei den letzten Wahlen auf eine solche Strategie gesetzt haben, belegt dies wohl.

Nun gibt es aber zweifellos auch eine Menge Menschen in Sachsen, denen es tatsächlich nicht gut geht, weil sie arbeitslos sind oder in prekären Verhältnissen leben. Warum können linke Parteien oft nicht einmal deren Unzufriedenheit in Unterstützung umwandeln? Zum einen, weil gerade die Leute, die sich ungerecht behandelt fühlen, die pessimistisch und mit der bestehenden Demokratie unzufrieden sind, seltener zur Wahl gehen oder sich politisch engagieren. Aktiv sind hingegen die Gebildeten, die Besserverdienenden, die Zufriedenen. Zum zweiten: Wenn die Unzufriedenen wählen, dann eher rechte Parteien, ja eine rechtsradikale inzwischen sogar am häufigsten. Wir entdecken hier das, was die amerikanische Soziologin Arlie Russell Hochschild in ihrem Buch Fremd in ihrem Land. Eine Reise ins Herz der amerikanischen Rechten als „das große Paradox“ bezeichnet hat. Rechts wählen nicht nur bürgerliche Gesinnungsrechte, sondern gerade auch viele Arbeiter, Angestellte und Arbeitslose – oft gegen ihre ökonomischen Interessen. Warum?

Das Gefühl, ungerecht behandelt zu werden, ist nach den Ergebnissen der Umfrage besonders stark bei jenen, die zugleich eine hohe gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit aufweisen. Anders ausgedrückt: Für die empfundene Ungerechtigkeit werden kaum die Unternehmer verantwortlich gemacht, eher schon die Politiker, am meisten aber die Ausländer, insbesondere die Muslime, daneben auch die Westdeutschen und die Sozialhilfeempfänger. 76 Prozent derjenigen, die finden, dass es in Deutschland ungerecht zugeht, wollen, dass mehr Geld für die deutsche Einheit und weniger für die Integration von Ausländern ausgegeben wird. Angesichts dieser Stimmungslage ist es nicht verwunderlich, dass eine demagogische Anti-Parteien-Partei Erfolg hat, deren Antwort auf die Gerechtigkeitsfrage lautet: Ihr braven Sachsen hättet mehr, wenn nicht die Politiker Ausländer ins Land holen würden, die Geld fürs Nichstun bekommen!

Das große Paradox trägt gelegentlich geradezu absurde Züge, so etwa wenn fast ein Drittel der sächsischen Arbeitslosen die Meinung äußert: „Langzeitarbeitslose machen sich auf Kosten anderer ein schönes Leben.“ Na, ihr müsst es ja wissen! So könnte man antworten, ahnte man nicht, dass diese Menschen natürlich nicht von sich selbst sprechen. Sie halten sich für gute, fleißige Arbeitslose, die gerne arbeiten würden. Schmarotzerei und Faulheit sehen sie nur beim schlechten Arbeitslosen, den sie sich vermutlich zumeist als Ausländer vorstellen. Wenn Ausländer arbeiten, ist das allerdings bekanntlich auch nicht gut, denn dann nehmen sie ja den deutschen Arbeitslosen die Arbeitsplätze weg. Wundert sich noch jemand darüber, dass mehr Arbeitslose die AfD als die Linke gewählt haben?

Die Unzufriedenheit mit der Demokratie, das Ungerechtigkeitsempfinden und der Pessimismus sind bei den Sachsen mit niedrigem Bildungsabschluss, niedrigem sozialen Status und niedrigem Lohn am größten. Dass bei eben diesen Sachsen auch die Neigung zum autoritären Denken und zur Feindschaft gegen Minderheiten am größten sind, mag manchen Linken gar nicht beunruhigen: Die Dummen sind eben Rassisten! Ich bin aber klug, darum bin ich keiner! Nachdenklichere Beobachter wird es hingegen traurig stimmen, dass die Linke offenbar zu einer Bewegung der Gebildeten und Besserverdienenden geworden ist, der es immer weniger gelingt, die Unzufriedenheit der Menschen aus Unterschicht und Arbeiterklasse aufzunehmen und in Energie für emanzipatorische Projekte zu verwandeln. Der Rechten ist es gelungen, die Gerechtigkeitsfrage zu okkupieren: Sie hat sie zur Verteilungsfrage im Kulturkampf umgedeutet.

Wie konnte das gelingen? Es liegt in Sachsen (wie im ganzen ehemaligen Ostblock) sicherlich unter anderem daran, dass die Menschen kaum persönlichen Kontakt mit Zuwanderern haben. Selten oder nie Kontakt mit Ausländern haben 53 Prozent der Sachsen am Arbeitsplatz, 70 Prozent in der Nachbarschaft, 73 Prozent im Freundeskreis und 86 Prozent in der Familie. 56 Prozent eben dieser Sachsen halten Deutschland aber für in gefährlichem Maße überfremdet. Angesichts dieser verbreiteten Furcht vor dem, was man gar nicht kennt oder allenfalls aus der Bild-Zeitung zu kennen glaubt, verwundert es nicht, dass fremdenfeindliche Agitation verfängt, zumal sie sich auf Terrorakte und Verbrechen beziehen kann, die wirklich geschehen.

Hinzu kommt ein Mangel an lebendiger Erfahrung mit Demokratie. Dieser Mangel äußert sich in einem vulgären Demokratieverständnis: Wir sind das Volk! Die Politiker sollen machen, was wir wollen! Wenn sie es nicht tun, sind sie Volksverräter, die gestürzt werden müssen! Aus dieser Befindlichkeit erklärt sich der befremdliche Widerspruch, dass zwar 92 Prozent der Sachsen die Demokratie als solche schätzen, sich zugleich aber auch 68 Prozent eine „starke Hand“ und 41 Prozent eine Einheitspartei der „Volksgemeinschaft“ wünschen. Auch diese Vorstellung, der einheitliche Volkswille bedürfe nur einer autoritären Durchsetzung, spielt den Rechtsradikalen in die Hände.

Können denn die Linken irgendetwas ändern und besser machen, um wieder Land zu gewinnen? Ich weiß auch nicht so recht. Vielleicht sollten sie es sich angewöhnen, wieder im Namen aller Arbeitenden, Bürger oder Menschen zu sprechen und weniger als Anwalt einzelner Identitäten. Die Mehrheit gewinnt man vermutlich nicht zurück, wenn man vor allem als Lobbyist von Minderheiten wahrgenommen wird. Und um die Stimmen der Arbeitenden zurückzugewinnen, wäre es möglicherweise klug, wenn die Linke zuerst einmal die Arbeit, die geleistet wird, wieder kräftiger würdigt, bevor sie Utopien des bedingungslosen Einkommens entwirft.

Gibt es Hoffnung für Sachsen? Bei der jüngeren Generation sind die Werte für Menschenfeindlichkeit nicht mehr so erschreckend hoch wie bei der ersten Befragung im Jahr 2016. Die Jüngeren sind es auch, die häufiger Kontakt mit Ausländern haben, was gewiss zum Abbau von Vorurteilen führen wird. Und nach Plänen der Sächsischen Staatsregierung soll nun, schon ein Vierteljahrhundert nach der Wiedervereinigung, auch die Erziehung zur Demokratie in den Schulen Einzug halten. Sollte das noch nicht trösten, gelingt dies vielleicht einer letzten Zahl: Jeder zehnte sächsische Beamte kann sich vorstellen, für seine politischen Ziele mit Gewalt zu kämpfen. Die Sachsen, sie sind in besten Händen!

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Hier übrigens das Ergebnis der Landtagswahl in Sachsen im Jahr 1922: SPD 41,78%, DNVP 19,01%, DVP 18,71%, KPD 10,52%, DDP 8,44%.

Zitat des Monats November

Du, meine Mutter ist jetzt total anders drauf! Die ist jetzt superlocker! Das ist echt ein ganz anderes Verhältnis jetzt als früher. Zwei Jahre nicht mit ihr reden hat echt was gebracht.

junge Frau auf Berliner Weihnachtsmarkt zu ihren Freundinnen

Termine der Woche

„Leipzig ist die einzige Rechtfertigung dafür, dass es Sachsen gibt“, so äußerte mir gegenüber jüngst ein Kollege, dessen Namen ich besser verschweige. Über diese These kann man streiten, ganz gewiss jedoch ist Leipzig eine großartige Stadt. Drum freut es mich, am Freitag (1. Dezember) um 20 Uhr endlich auch dort mein neues Buch „Der Bürger macht sich Sorgen“ (edition AZUR) vorstellen zu dürfen – mit einer Lesung in der Galerie Artae (Goliser Straße 3). Zu hören gibt es eine Auswahl der schönsten Kolumnen, Satiren und Geschichten aus den letzten, nicht gänzlich ereignislosen Jahren. Kommt rum, Bier gibt es auch!

Am Sonnabend (2. Dezember) bin ich sodann einer der Autoren beim Kantinenlesen, dem Gipfeltreffen der Berliner Lesebühnen. Mit dabei sind neben Moderator Dan Richter auch noch die wunderbare Kollegin Lea Streisand und die Kollegen Thilo Bock und Moses Wolff. Zu hören gibt es wie immer heitere Geschichten zwischen Nabelschau und Weltgeschehen. Los geht es um 20 Uhr in der Alten Kantine auf dem Gelände der Kulturbrauerei in Prenzlauer Berg.

Affige Grenzen

Obwohl mich mit meiner Partnerin eine Vielzahl von gemeinsamen Interessen verbindet, gibt es doch auch eine Leidenschaft von mir, die sie in keiner Weise teilt, ja über die sie sogar gelegentlich mit eisiger Kälte spottet, meine Leidenschaft für Tierfilme nämlich. Dabei schaue ich mir diese Filme nicht etwa an, weil mich die Treue von Pinguinen zu Tränen rührte oder die Kopulationslust von Bonobos angenehm erregte. Ich schaue mir das Leben von Tieren einfach gerne an, weil auch wir Menschen Säugetiere sind, selbst wenn sich dies mancher Mann und manche Frau nur ungern eingestehen mag. Deswegen können uns die Geschichten der Tiere auch etwas über unser eigenes Leben sagen.

Vor einer Weile schaute ich mir im Fernsehen eine Dokumentation über das Leben japanischer Schneeaffen an. Diese Rotgesichtsmakaken sind bekannt dafür, im Winter in den Bergen ausgiebige Bäder in den vulkanisch beheizten warmen Quellen zu nehmen. So lässt es sich auch in der kalten Höhenluft des Gebirges ganz gut aushalten. Stundenlang räkeln sich die Affen genüsslich in dem 40 Grad heißen Wasser – aber nicht alle: Es sind die Mitglieder der ranghöheren Familien der Horde, denen das Bad vorbehalten ist. Während sie es sich gut gehen lassen, rieselt der Schnee auf die rangniederen Tiere, die rings um die warme Quelle auf den frostigen Felsen sitzen. Diese Ärmsten können sich nur wärmen, indem sie eng zusammenrücken und einander festhalten. Äffische Grenzschützer achten am Beckenrand darauf, dass nur die auserwählten Tiere ins Wasser gelangen, unbefugte Affen werden von den Wächtern durch Gebrüll und Bisse verjagt. Allenfalls wenn die herrschenden Affen abwesend oder die Wächter einmal unaufmerksam sind, haben auch die niederen Affen die Gelegenheit, kurz ins warme Nass zu tauchen.

Ob den privilegierten Affen manchmal Bedenken kommen angesichts der Gewalt und der Ungerechtigkeit, für die sie verantwortlich sind? Sind ihre Gesichter rot nicht nur wegen des angeheizten Kreislaufs, sondern ab und zu auch vor Scham? Vermutlich nicht. Ein schlechtes Gewissen verursacht ziemlich unangenehme Gefühle, deswegen stellt das Hirn von Primaten ganz zuverlässig erleichternde Gedanken bereit, um das Gewissen zu entlasten.

Einige der Affen im Glück werden glauben, der liebe Gott habe nun einmal ihnen und nicht den anderen ein günstiges Schicksal zugewiesen, weshalb schon alles ganz in der Ordnung sei. Schwere Sünde wäre es sogar, die von Gott bestimmten Rollen zu tauschen. Andere Affen werden darauf pochen, schon ihre Vorfahren hätten die Wärme genossen und an Traditionen müsse man nun einmal festhalten, schon aus Respekt vor dem Bestehenden, das ja doch letzten Endes vernünftig sei. Manche Affen dürften fest davon überzeugt sein, die Wärme im Becken sei einzig das hart erarbeitete Ergebnis ihres fleißigen Strampelns mit den Beinen, etwas Wohlverdientes also, das man mit Nichtstuern keineswegs teilen müsse. Wieder andere werden einander beständig versichern, ihr Affenblut sei edler als das der Artgenossen jenseits der Grenze, der Sieg im Kampf ums Dasein im warmen Wasser beweise ja die eigene Tüchtigkeit und Überlegenheit. Überhaupt würden die Affen aus der Kälte nur Schmutz und Krankheiten ins saubere Becken einschleppen, was unter allen Umständen zu verhindern sei. Deshalb: Grenzen schützen!

Solch ganz rohes Denken wird den bedächtigeren Tieren auf der warmen Seite allerdings unangenehm sein. Sie werden sich viel vernünftigere Erklärungen einfallen lassen und im Ton des Bedauerns versichern, man würde ja gerne den Affen in der Kälte helfen, aber der Platz im Becken sei begrenzt und auch die Wärme reiche nun einmal leider, leider nicht für alle. Es sei doch niemandem gedient, wenn alle im Wasser sitzen würden, das dann aber höchstens noch lauwarm wäre. Und wäre einer der Affen rhetorisch so begabt wie Christian Lindner, der Ranghöchste von der FDP, der Partei der Ranghöchsten, dann würde er vielleicht sagen: „Es gibt kein Affenrecht, sich seinen Standort auf der Welt selbst auszusuchen.“ Und die anderen Affen würden in die Hände klatschen und begeistert rufen: „Endlich sagt’s mal einer!“ Und sie stünden Schlange, um ihren neuen Anführer zum Dank zärtlich zu lausen.

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Eine kürzere Fassung dieses Textes erschien zuerst als Kolumne in der Rubrik Besorgte Bürger in der Sächsischen Zeitung.

Termine der Woche

Am Dienstag (21. November) bin ich als Gastautor bei der Lesebühne Phrase4 in Dresden. Ich lese gemeinsam mit den Stammautoren Henning H. Wenzel, Francis Mohr und Lars Hitzing. Los geht es um 20 Uhr in der Veränderbar.

Am Mittwoch (22. November) feiere ich die Premiere meines neuen Buches Der Bürger macht sich Sorgen endlich auch in Berlin. Der neue Band versammelt eine Auswahl meiner trefflichsten Kolumnen, Satiren und sonstigen Versuche aus den letzten, nicht gänzlich ereignislosen Jahren. In der famosen Z-Bar stelle ich das Buch mit einer Lesung vor und mich danach beim Bier kritischen Fragen am Tresen. Los geht es um 20:30 Uhr.

Aus meiner Fanpost (27): Das kommende Elend

Guten Tag Ihr Politiker, die Ihr im Bankrechnen nicht weiter gekommen seid!!

1 +1 = 2
800.000 Flüchtlinge x 10 Familienangehörige = 8.000 000 Menschen

Daraus folgt: anhand Ihrer gefälschten Statistiken ==> 2.000 000 Kriminelle oder mehr

Daraus folgt, setzt man ein Getto mit 20. 000 Menschen an ==> 400 Slums bzw. Gettos mehr in unseren “ Metropolen“ (Städte!)

==> alle, die es sich leisten können ziehen aufs Land

==> Bildung, die eh schon keine mehr ist, katapultiert sich zu Europas Schlusslicht

==> Kulturwerte weichen den primitivsten Bedürfnissen ( Vermüllen und Verdrecken unserer Städte!)

Merkel und Jamaika, Linke und Grüne  haben es geschafft!!!

Deutschland = kriminellstes Land in Europa und“ dümmstes Volk “ Europas.

Wie lange werden die weißen Sklaven noch wirtschaftlich schwarze Zahlen schreiben??????

Ihre Politik sollte aus Fakten bestehen und nicht aus Träumen.

Geschichte und Mathematik sind unseren Politikern fremd!

Glückwunsch zu dem kommenden Elend!

Oswald

Termine der Woche

Am Mittwoch (15. November) tritt die Lesebühne Zentralkomitee Deluxe zu ihrer monatlichen Sitzung in Berlin zusammen. Brandneue Geschichten und Lieder gibt es wie immer nicht nur von mir, sondern auch von den literarischen Genossen Tilman Birr, Noah Klaus, Piet Weber und Christian Ritter. Außerdem haben wir wie immer einen Gast mit dabei, diesmal den famosen Romanschriftsteller, Multifunktionssatiriker und Poetry Slammer Volker Surmann. Los geht es mit dem Abend fortschrittlicher Komik um 20 Uhr in der Baumhaus Bar an der Oberbaumbrücke in Kreuzberg. Tickets sind zum humanen Preis von 6 Euro am Einlass erhältlich.

Gespaltenes Bewusstsein

Hat die CDU in Sachsen mehr noch als anderswo Wähler an die Rechtspopulisten verloren, weil die Konservativen nicht mehr konservativ genug waren? Diese Erklärung mancher Ratgeber ist gewiss nicht ganz falsch. Aber reicht sie allein aus? Weil ich gern vom Wissen von Experten profitiere, habe ich den griechischen Philosophen Panajotis Kondylis konsultiert, den wohl besten Kenner der Geschichte des Konservativismus. Er stellte bei jenen modernen Rechten, die sich „Konservative“ nennen, ein gespaltenes Bewusstsein fest: Sie haben sich nach dem Ende von Monarchie und Feudalismus zwar mit dem Kapitalismus angefreundet, kaum aber mit der liberalen Gesellschaft und dem Sozialstaat. Sie begrüßen das Wachstum und den globalen Wettbewerb, wehren sich aber gegen den sozialen Wandel, der von diesen Prozessen ausgelöst wird. Sie entfesseln den Markt und klagen dann darüber, dass auch alte Sitten und Grenzen gesprengt werden.

Mit solchen Illusionen wurde seit der Wende in Sachsen Politik gemacht. Die Konservativen schickten die Sachsen hinaus auf den Weltmarkt, gaben ihnen aber zugleich das Versprechen, fremde Einwanderer zuhause brauche man nicht. Sie freuten sich über arabische Investoren und dekretierten, der Islam gehöre nicht zu Sachsen. Sie priesen die Schönheit der heimatlichen Landschaft, aber ließen sie wegbaggern, wenn unter ihr Kohle zu holen war. Sie lobten das gesunde Landleben, während die kranken Leute auf dem Land verzweifelten, weil sie keinen Arzt mehr fanden. Sie forderten mit Donnerworten Recht und Ordnung und strichen Stellen bei der Polizei. Sie salbaderten sonntags vom Erhalt der abendländischen Kultur, während sie an den Universitäten die Kulturwissenschaften aushungerten. Sie lobten die Bürgertugend, aber vernachlässigten die politische Bildung, als wäre das Leitbild der Erziehung in Sachsen nicht der mündige Bürger, sondern der Fachidiot. Sie verlangten von Müttern, mehr Kinder auf die Welt zu bringen, waren aber unfähig, genügend Erzieher und Lehrer für diese Kinder einzustellen.

Zurzeit platzt so manche Heuchelei und die Leute sind unzufrieden. Aber einige Lügen waren auch gemütlich. Darum schauen sich viele Sachsen nach unverbrauchten Illusionisten um. Und siehe da: Es stehen schon welche bereit!

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Dieser Text erschien zuerst als Kolumne der Rubrik Besorgte Bürger in der Sächsischen Zeitung.