Linkes Faustrecht

Die italienischen Faschisten entwickelten in ihrem Kampf um die Macht nach dem Ersten Weltkrieg sehr originelle Methoden. So verprügelten sie ihre politischen Gegner bei Überfällen nicht nur, sondern fotografierten die blutenden Opfer auch und veröffentlichten die Bilder in Zeitungen, um die Demütigung noch zu steigern.

Vor einer Weile überfielen mehrere Täter, die sich selbst als „Antifaschisten“ bezeichneten, einen Leipziger NPD-Funktionär in seinem Laden. Sie schlugen den Mann blutig, filmten die Tat und stellten dann das Video ins Internet. Der Mann trat inzwischen von seinen Ämtern zurück und hat sich ins Privatleben zurückgezogen. Sympathisanten der Täter triumphieren seitdem, diese Aktion verkörpere „konsequenten Antifaschismus“. Ich frage mich: Wenn konsequenter Antifaschismus in der Anwendung faschistischer Methoden besteht, sollten politische Gegner nicht besser gleich erschossen und in den Berliner Landwehrkanal geworfen werden? Wäre es nicht noch viel konsequenter, wenn diese Antifaschisten Lager errichteten, um in ihnen alle greifbaren Faschisten zu foltern und umzubringen?

Für einige Leute ist Gewalt offenbar legitim, solange die Faust nur den Richtigen trifft. Der Zweck heiligt für sie alle Mittel. Ich kann mich dieser Einschätzung nicht anschließen, mir ist Gewalt einfach widerwärtig. Natürlich gibt es auch Fälle berechtigter Notwehr und Nothilfe. Aber Angriff ist keine Verteidigung. Und eine Gesellschaft, die Gewalttaten nicht grundsätzlich ächtet und bestraft, löst sich in Bürgerkrieg auf. Die Behörden unseres Staates, besonders die sächsischen, haben in den letzten Jahrzehnten im Kampf gegen Nazi-Gewalt oft versagt. Über hundert Menschen wurden seit der Wende von rechten Terroristen erschlagen, erschossen oder verbrannt. Der NSU durfte unter dem Schutz eines Versagervereins namens „Verfassungsschutz“ sogar unbehelligt morden. Der Verdacht, hier habe es sich nicht nur um Schlamperei, sondern auch um Komplizenschaft gehandelt, ist nicht unbegründet. Dass Menschen dem Staat und seinen Behörden misstrauen, verwundert deshalb nicht. Aber militante Selbstjustiz bringt nur die Faschisten ihrem Ziel näher, denn die wünschen sich nichts sehnlicher als einen Bürgerkrieg. Und jeder unprovozierte Angriff auf Polizisten hilft den Faschisten ebenfalls, die unablässig Polizei und Armee umschmeicheln, um sie auf ihre Seite zu ziehen.

Die Verurteilung des „Linksextremismus“ diente rechten Politikern nicht selten dazu, Nazi-Terror zu verharmlosen. Weder in quantitativer noch in qualitativer Hinsicht aber hat die linke Gewalt die Dimension, welche die mörderische rechte aufweist. Dennoch kann man nicht leugnen, dass auch Menschen, die sich selbst für „links“ halten, kriminelle Gewalttaten verüben. Wenn etwa Vermummte in der Rigaer Straße in Berlin einen einzelnen Streifenpolizisten verprügeln oder Gentrifizierungsgegner ebendort nachts Stahlkugeln durch die Fenster von neuen Nachbarn schießen, dann sind das einfach feige und schäbige Verbrechen.

Artikel 20 des Grundgesetzes gibt jedem Deutschen das Recht zum Widerstand gegen alle, die unsere Demokratie beseitigen wollen – aber nur, „wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.“ Davon sind wir glücklicherweise weit entfernt, so laut die Faschisten zurzeit auch brüllen mögen. Diejenigen unter den Antifaschisten aber, welche unsere – gewiss sehr unvollkommene – Demokratie gar nicht erhaltenswert finden, sondern der Meinung sind, es handle sich um ein „Schweinesystem“, das mit Gewalt beseitigt werden müsse, die können sich mit den Faschisten, die das ja genauso sehen, auch gleich zusammentun, statt sie zu bekämpfen.

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Eine kürzere Fassung dieses Textes erschien zuerst in der Sächsischen Zeitung.

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Kommentare
  1. Paul Meier

    Sehr geehrter Herr Bittner,

    vielen Dank für diesen Beitrag. Sie kommen darin zu dem zutreffenden Schluss, es lasse sich „nicht leugnen, dass auch Menschen, die sich selbst für ‚links‘ halten, kriminelle Gewalttaten verüben.“

    Sie haben damit Recht, wenn auch auf dieselbe billige Weise, die sich immer einstellt, wenn niemand das Gegenteil behauptet hat. Auch die Täter im Falle des Leipziger NPD-Funktionärs tun das nicht, sondern haben ihre Gewalttat eben derart „dokumentiert“, dass sie offensichtlich eine Ästhetisierung der Gewalt bezwecken wollen. Wenn Sie nun krampfhaft eine Faschismus-Analogie suchen und entdecken wollen, dann liegt sie eben darin – und nicht im bloßen Vorkommen von Gewalttätigkeiten und anderen Straftaten (auch) „von links“. Dergleichen war ohnehin keine Erfindung italienischer oder anderer Faschisten. Insoweit ist die These der Gleichursprünglichkeit – einer „Homologie“, wie ihr spezieller Kollege Patzelt wohl sagen würde – eher zweifelhaft. Vor allem aber ist es zweifelhaft, so zu tun, als sei das alles unter „Linken“ ein akzeptiertes oder breit gewolltes Gemeingut, wie es Leute behaupten, die von einer „roten SA“ sprechen. Ich danke Ihnen, dass Sie wenigstens das nicht tun.

    Sie, Herr Bittner, ziehen gleichwohl nicht näher bezeichnete „Sympathisanten der Täter“ heran. Dabei sind diejenigen, die diese Tat und deren Ästhetisierung glorifizieren, doch zunächst, vor allem und möglicherweise allein die Täter selbst. Man sollte denen bitte nicht die Definitionsmacht über Antifaschismus oder auch „konsequenten Antifaschismus“ zubilligen. Leider insinuieren Sie das mit ihrer Phantasie über Lager und Lynchmord. Ihr idealistisches Kontrastprogramm einer Gesellschaft, die Gewalttaten „grundsätzlich ächtet und bestraft“, ist nicht minder phantastisch, denn es gibt, wie Sie wissen, auch in gefestigten westlichen Demokratien wie der Bundesrepublik einen nicht gerade gering ausgeprägten Bereich legitimer staatlicher Gewaltsamkeit, die nicht geächtet, sondern überwiegend – und wohl sogar: mehrheitlich uneingeschränkt – geschätzt wird.

    Nach alledem und in tiefer Abneigung gegen Pappkameraden aller Art würde ich mich freuen, künftig in Ihren Texten präziser zu erfahren, wen Sie meinen, wenn Sie von „Sympathisanten“, „Antifaschisten“, „Gesellschaft“ oder was auch immer reden. Und es kann auch für Menschen, die sich sehr gut auszudrücken vermögen, nicht schaden, zuvorderst die Fakten aufzulesen: Die einzigen, die sich aktuell auf Art. 20 Abs. 4 GG berufen, gehören zur Rechten – namentlich zur extremen Rechten, die vom Grundgesetz sowieso nichts versteht.

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    • Michael Bittner

      Sehr geehrter Herr Meier, danke für Ihre kritische Nachricht! Ich möchte versuchen, auf Ihre einzelnen Einwände einzugehen:

      Bei Ihrem ersten Argument verstehe ich nicht recht, was Sie mir eigentlich vorwerfen. Sie räumen ein, dass es auch linke Gewalttäter gibt, was in der Tat kein vernünftiger Mensch bestreiten dürfte. Sie räumen ein, dass die „Antifaschisten“ in dem von mir geschilderten Fall Gewalt ästhetisch inszeniert haben. In ziemlich ähnlicher Weise haben das aber auch die italienischen Faschisten getan. Das gilt auch dann, wenn es auch andere Gruppen möglicherweise schon vorher ähnlich gemacht haben. Eine „Homologie“ ist also nicht von mir böswillig konstruiert, sie ist leider einfach vorhanden. Das bedeutet aber nicht, dass Antifaschisten und Faschisten identisch wären, sondern nur, dass einige wenige Antifaschisten sich dazu hinreißen lassen, in einem legitimen Kampf zu – meiner Ansicht nach – falschen Methoden zu greifen. Sie werden, indem sie die Faschisten bekämpfen, ihrem Gegner im Eifer leider ähnlich – ganz wie der Rotfrontkämpferbund in der Spätphase der Weimarer Republik Morde verübte wie die SA.

      Weiterhin bezweifeln Sie, dass es Sympathisanten der Täter gibt. Werfen Sie dazu einfach einen Blick auf die Kommentare zu der Gewalttat gegen den Leipziger NPD-Funktionär bei „Indymedia“. Da liest man z.B.: „Schön zu sehen dass man in Leipzig weiss was zu tun ist. In dieser Woche wird eine klare Grenze gezogen. Die Rechten zu Boden!“ oder „Sehr schöne Aktion, danke für das Handgemenge! Sowas kann auch anderen Schreibtischtätern passieren.“ Dass solche Stimmen repräsentativ für die Mehrheit der Antifaschisten wären, habe ich nie behauptet. Sie sind es ganz sicher nicht.

      Sie weisen darauf hin, dass es auch in Demokratien „legitime staatliche Gewaltsamkeit“ gibt. Ihre Begrifflichkeit ist doppeldeutig. Gewalt des Staates kann legitim sein, z.B. bei der Bekämpfung von Kriminellen. Dann aber ist an ihr nichts auszusetzen. Oder sie kann illegitim sein, wie gewöhnlich in einer Gewaltherrschaft oder auch in einer Demokratie, wenn z.B. Polizisten ihre Befugnisse überschreiten und Unschuldige verprügeln. Nur gegen solche Gewalt ist Widerstand legitim. Sollten Sie aber – vielleicht aus anarchistischer Perspektive – ALLE staatliche Gewalt für verbrecherisch halten, kann ich Ihnen darin nicht folgen.

      Ich hoffe, dass Sie nun klarer sehen, dass ich in keiner Weise Antifaschismus delegitimieren will. Bloß die Methoden einiger Nazi-Gegner sind meiner Ansicht nach falsch und schädlich.

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  2. Paul Meier

    Hallo Herr Bittner, ich danke Ihnen für die freundliche Klarstellung, die mir einiges begreiflicher macht, auch wenn ich nicht allem zustimmen möchte. Historische Vergleiche sind einem Konsens wohl nie zugänglich. Erlauben Sie mir aber doch noch den Hinweis: Das Prinzip von Seiten wie Indymedia heißt „open posting“, es kann dort publizieren, wer will. Das merkt man auch. Entsprechend heikel ist es, Trolle aus einer Kommentarspalte zu „Sympathisanten“ und damit einer relevanten politischen Strömung hochzuschreiben.

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    • Michael Bittner

      Es freut mich, dass ich Missverständnisse abbauen konnte. Mit historischen Vergleichen sollte man natürlich immer vorsichtig sein, doch kann man aus historischen Erfahrungen durchaus etwas lernen, wenn man den Unterschied zwischen Vergleich und Gleichsetzung nicht aus den Augen verliert.

      Es mag sein, dass es sich bei den Menschen, die ich als „Sympathisanten“ bezeichnet habe, nur um sehr wenige Leute handelt. Eine politisch relevante Strömung repräsentieren sie sicher nicht. Aber sie ganz zu ignorieren, wäre doch wohl auch keine befriedigende Lösung.

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  3. Deprifrei-Blog

    Ich denke andere Menschen durch Gewalt zu erniedrigen und dieses Video ins Internet zu stellen ist widerlich. Die NPD sollten wir mit Argumenten und ehrlichen Emotionen bekämpfen. Gewalt führt meist zu Gegengewalt. Es ist leider ein unendlicher Teufelskreis der vom gegenseitigen Hass ernährt wird.

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