Verbrecher am Ruder

Wie man aus München erfährt, wird der frisch aus der Haft entlassene Steuerhinterzieher Uli Hoeneß demnächst wieder für das Amt des Präsidenten beim FC Bayern München kandidieren. Und kaum jemand zweifelt daran, dass die Vereinsmitglieder ihn auch wieder auf diesen Posten wählen werden. Manch einer erinnert sich vielleicht noch daran, wie Uli Hoeneß einst dekretierte, im Fußball hätten Kriminelle nichts zu suchen. Damals ging es aber um die Nase von Christoph Daum. Mit solch kleinen Unstimmigkeiten wird man sich in Bayern nicht aufhalten, zu groß ist die Freude über eine Resozialisierung in Rekordzeit. Die Sachsen sollten nun aber auch nicht über die Bayern spotten, die einen kriminellen Bratwurstfabrikanten beklatschen. Schließlich wurde in Dresden zwei Jahre lang sogar ein kleinkrimineller Bratwurstverkäufer bejubelt.

Die Bürger fordern von Amtsträgern immer sehr laut Ehrlichkeit, aber ich fürchte, manche meinen das nicht ganz ehrlich. In der brandenburgischen Grenzstadt Guben haben die Bürger vor Kurzem einen Mann zum Bürgermeister wiedergewählt, der zuvor wegen Korruption verurteilt worden war. Er hatte einer Firma städtische Aufträge zugeschanzt, die dafür freundlicherweise seinen Privatgarten kostenlos pflegte. Die meisten Bürger verziehen ihm das aber. Denn der Berlusconi von der Neiße hatte vorher im Amt ordentlich Schulden gemacht und mit diesem Geld eine Stadtverschönerung bezahlt, von der viele profitierten. Ein Verbrecher erscheint eben gleich in günstigerem Licht, wenn er etwas von seiner Beute abgibt.

Es gibt dieser Tage viele Menschen, die „das Volk“ für unfehlbar halten und nach einer „direkten Demokratie“ rufen, womit sie oft die Direktwahl eines machtvollen Führers meinen. Mir scheint da ein wenig Skepsis angebracht, denn der Bürger ist nicht weniger gebrechlich als seine Vertreter. Leicht siegt bei direkten Wahlen ein starker Mann, der große Töne spuckt und fleißig Geschenke austeilt. Ist so einer aber erst einmal am Ruder, bekommt man ihn schwer wieder da weg. In unserer indirekten Demokratie mit ihrer geteilten Gewalt wacht immerhin ein Schlingel eifersüchtig über den anderen, sodass selbst Neid und Ehrgeiz zum Guten ausschlagen. Behalten wir lieber eine Demokratie, die das Volk auch vor den Dummheiten des Volkes bewahrt.

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Dieser Text erschien zuerst als Kolumne der Rubrik Besorgte Bürger in der Sächsischen Zeitung.

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Kommentare
  1. Pedroleum

    Zitat: „Es gibt dieser Tage viele Menschen, die ,das Volk‘ für unfehlbar halten und nach einer ,direkten Demokratie‘ rufen“

    … und im selben Atemzug häufig insinuieren, je mehr Entscheidungen dem Volk zur Abstimmung vorgelegt werden, desto demokratischer ginge es zu. Gleichzeitig steigt aber die Verachtung für die demokratisch Gewählten.

    Bei solchen Forderungen wird nicht selten die Demokratie in eine Tyrannei der Mehrheit umgedeutet, wenn unterschlagen wird, dass eine moderne Demokratie mit einer Achtung von Minderheiten und der Sicherung unveräußerlicher Grundrechte einhergeht.

    Interessanter ist aber, dass es eine Form der Demokratie gibt, die ohne Wahlen auskommt: In der Demarchie werden Volksvertreter durch Losverfahren bestimmt. Diese Form der Demokratie gab es im antiken Athen.

    Der belgische Historiker David Van Reybrouck behauptet sogar in einem Essay, Wählen sei undemokratisch und plädiert für Losverfahren (vgl. http://www.deutschlandfunk.de/demokratie-in-der-krise-losen-statt-waehlen.1310.de.html?dram:article_id=362458 ).

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    • Michael Bittner

      Eine interessante Idee, diese Demarchie. Vielleicht wählt ja der Zufall besser als das Volk? Vernachlässigt bleibt dabei aber ein wichtiger Aspekt, nämlich der technokratische. Damit ein Staat funktioniert, müssen die Amtsträger auch über bestimmte Kenntnisse und Fähigkeiten verfügen. Deswegen ist Politik nicht nur Repräsentation und Diskussion, sondern in gewisser Hinsicht auch ein normaler Beruf. Ob rein zufällig ausgewählte Menschen den bewältigen könnten (und überhaupt wollten), muss man bezweifeln.

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  2. Pedroleum

    Vielleicht sollte man hier zwischen Mandatsträgern und Amtsträgern unterscheiden. Ziel des Vorschlags, Wahlen durch Losverfahren zu ersetzen, ist, die Bürgerbeteiligung zu stärken und den repräsentativen Charakter leglislativer Gremien zu erhöhen. Natürlich müssen sich die gelosten Mandatsträger in die Materie einarbeiten, Experten anhören und sich beraten, bevor sie Entscheidungen fällen.

    Gerade die Tatsache, dass es viele Berufspolitiker gibt, die auf ihre Wiederwahl schielen und deshalb auf Interessensgruppen Rücksicht nehmen müssen, sorgt ja von vielen Bürgern für Unmut (und damit meine ich nicht nur die „besorgten Bürger“, die im Kreis laufen).

    Selbst Wolfgang Thierse von der SPD habe ich einst sagen hören (kann es aber jetzt nicht belegen), dass er das Modell „Berufspolitiker“ nicht für das beste Karrieremodell in der Politik hält, sondern dass die Menschen, die in die Politik gehen wollen, vorher in anderen Bereichen Erfahrungen sammeln sollten.

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    • Michael Bittner

      Es gibt bei diesem Konzept, nach dem die Parlamentarier nicht durch Wahl, sondern durch Los bestimmt werden, ein entscheidendes Problem. Das Parlament dürfte, was die politische Anschauung, Beruf, Geschlechtszugehörigkeit, Alter etc. angeht, tatsächlich repräsentativer sein als die heutigen Parlamente, d.h. den Durchschnitt der Bevölkerung besser verkörpern, allerdings mitsamt Nazis und anderen unangenehmen Gesellen. Vielleicht könnten sich die gelosten Abgeordneten auch tatsächlich in die politischen Themen einarbeiten, obwohl das für Menschen mit sehr niedrigem Bildungsstand schon schwierig würde. Größer ist aber das folgende Problem: Inwiefern sollen sich geloste Abgeordnete überhaupt verantwortlich fühlen? Es gibt ja keine Wähler, denen sie in Ihrer Arbeit verpflichtet wären. Sie haben auch keinen Grund, Ihre Arbeit gut zu erledigen, weil sie ohnehin nicht wiedergewählt werden können. Diese Zufallsabgeordneten wären für Bestechung dadurch sogar noch anfälliger als gewählte Abgeordnete. Es sei denn, man vertraute auf die natürliche Güte des Menschen und nähme an, mit der Auslosung zum Abgeordneten werde das Verantwortungsgefühl automatisch in die Leute fahren. Aber erfahrungsgemäß sollte man sich auf die Güte der Menschen nicht allzu sehr verlassen.

      Die Wiederwahlmöglichkeit von Abgeordneten ist durchaus nicht negativ, wenigstens nicht überwiegend. Nur, wenn Abgeordnete wiedergewählt werden können, müssen sie auch den Ehrgeiz entwickeln, ihre Arbeit zur Zufriedenheit ihrer Wähler zu erledigen. Wobei zugegebenermaßen im Kapitalismus Abgeordnete auch von Geldgebern und in einer Parteiendemokratie auch von Parteifunktionären abhängig sind. Aber sicher ist doch: Ein Abgeordneter, der schlechte Arbeit macht oder dauerhaft gegen die Interessen seiner Wähler agiert, vermindert seine Chancen auf Wiederwahl. Und das führt tendenziell dazu, dass Abgeordnete ihr Verhalten an den Wünschen der Bürger orientieren. Ein gewähltes Parlament ist also – wenigstens im Idealfall – zwar nicht in seiner personellen Zusammensetzung, aber in seiner Willensbildung repräsentativ für die Bevölkerung.

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      • Pedroleum

        @Michael: Danke für die Antwort.

        Nur eine Anmerkung dazu: Im Link in meinem ersten Kommentar zu diesem Thema, der zu einer Rezension eines Buches des belgischen Historikers David Van Reybrouck führt, ist von „deliberativer Demokratie“ die Rede. Laut Wikipedia handelt es sich dabei um „demokratietheoretische Konzepte, in denen [sowohl] die öffentliche Beratung zentral ist, als auch deren praktische Umsetzung“, über die bereits Leute wie Jürgen Habermas und John Rawls nachgedacht haben. Losverfahren werden in diesem Buch nur für eine von zwei Kammern vorgeschlagen – und zwar wohl für die zweite Kammer, die die erste kontrolliert. Also keine reine Demarchie, sondern lediglich ein (Achtung: Wortschöpfung im Anmarsch) „demarchisches“ Element.

        Eigentlich ging es in der Diskussion, die ich auf deinen Artikel hin angestoßen habe, ja gar nicht darum, ob Demarchie besser als eine wahlbasierte Demokratie ist, sondern darum, dass für eine Demokratie auch Entscheidungswege ohne Mehrheitsabstimmungen möglich sind.

        @Frank
        Danke für den Hinweis. Einen ähnlichen Eindruck habe ich auch.

        Allerdings muss ich auch feststellen, dass es unter den besorgten Bürgern auch einige gibt – mögen sie sich auch in der Minderheit befinden –, die sehr gut über das politische System Bescheid wissen und auf einem sehr hohen Niveau diskutieren können.

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    • Sehr geehte(r) Pedroleum

      Sie beklagen hier, die beim Bürger, auch beim nicht im Kreis laufenden Unbesorgten, umsichgreifende Unzufriedenheit mit den gewählten Politikern. Als Grund nennen Sie die wie auch immer geartete Wahrnehmung der Politik durch die Bürger. Der Bürger fühlt sich (angeblich) unverstanden, ausgerenzt und unbeteiligt von und an polit. Entscheidungen. Diese Ihre Einschätzung kann ich erstmal bestätigen, weil, genau Das stelle ich immer wieder in Gesprächen mit Kollegen, Freunden, Bekannten und auch Familienmitgliedern fest. Alle schimpfen auf die Politik und die Politiker, die sie zwar gewählt haben, aber denen sie offenbar doch nicht vertrauen.

      ABER.
      Wenn man dann tiefgründiger nachhakt, und dass ist meine ganz spezielle und immer wiederkehrende Feststellung, stellt man fest, dass der ach so unverstandene und ausgegrenzte Bürger, meist von Tuten und Blasen keine Ahnung hat. Weder von dem Thema, bei dem er sich ausgegrenzt fühlt, noch hat man irgendeine Ahnung zum Begriff parlamentarische Demoktratie und Rechtstaatlichkeit in der Bundesrepublik. Die Allermeisten haben nicht einmal das GG gelesen, geschweige denn einen Paragraphen zum Wahlrecht. Der Bürger weiß nicht welche Möglichkeiten der Anteilnahme und der Einflussnahme aller Art ihm die Demokratie in der BRD bietet. In Diskussionen höre ich immer die üblichen Plattitüden vom korrupten Politiker, aber niemand ist bereit sich auch nur in der Kommunalpolitik zu engagieren. Der Bürger hat auch überhaupt nicht verstanden, dass Politik immer das Aushandeln von Kompromissen, meist auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner, das Streiten um Mehrheiten, das Hören und Abwägen aller unterschiedlichster Interessen ist.
      Und genau das ist das große Manko. Der Bürger erwartet von Allem und Jedem immer Alles und das in bestmöglicher Qualität.
      Dagegen ist der Bürger aber nicht willens, sich in irgendeiner Form, den zugegebenermaßen schwieriger gewordenen Zeiten, den Problemen die die digitale Revolution, die Globalisierung der Weltwirtschaft, der „Kampf“ um die letzten Reseven dieser Erde, die damit verbundenen Folgen von Hunger, Unterentwicklung, den Klimaproblemen, und und und, zu stellen bzw. sich wenigstens tiefgründig damit zu beschäftigen. Der Bürger will sein „trautes Heim“ nicht verlassen geschweige denn es aufgeben, obwohl dieses Heim schon längst nicht mehr existent ist.
      Politik und vor allem unsere Demokratie ist aber KEINE Einbahnstraße, durch die nur der (polit.) Lieferverkehr rollt. Demokratie beinhaltet aber und vor allem auch eine Bringeschuld des Bürgers. Und nur SO kann den Auswüchsen polit. Amtsmissbrauchs, den es natürlich auch gibt, Einhalt geboten und dieser unter Kontrolle gehalten werden. Und wenn Sie ehrlich zu sich selbst sind, werden Sie einsehen, das Politiker in ihrer Gesamtheit keine „elitäre“ Kaste sind, sondern immer auch das ganz normale Abbild ihrer Gesellschaft, also auch aller Bürger, der Besorgten und der Unbesorgten, der Ehrlichen und der Unehrlichen, der Malocher und der Profiteure, der Populisten und der Argumentierer, der Karrieristen und der Redlichen, mit all ihren Fehlern, aber auch all ihren guten Eigenschaften.
      Und ich bin überzeugt, an all Dem vom mir Genannten würde sich auch durch eine Auslosung der politischen Ämter nichts ändern, bis auf die Gefahr, sich eine politisch nicht gewollte Laus in den Pelz zu losen. Siehe die Ausführungen Hr. Bittners.

      Mir freundl. Grüßen
      Frank Heiber

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