Nachdem ich jüngst hier dafür eintrat, Zuwanderer nach ihrem individuellen Handeln zu beurteilen und nicht bloß als austauschbare Exemplare einer vermeintlich gleichförmigen „Kultur“, erhielt ich einen erzürnten Brief von einem Anhänger der PEGIDA: „Wie behandeln und beurteilen bitte Sie, die Medien und die Politik in immer diskriminierender Weise ALLE Menschen en bloc, die sich montags zum Protest treffen? Ich erspare mir diese Verunglimpfung zu wiederholen. Wo ist hier die angemahnte individuelle Betrachtung und Beurteilung persönlichen Handelns?“ Leider beklagen die meisten Menschen nur jene Pauschalurteile, unter denen sie selbst zu leiden haben. So beschwert sich auch der PEGIDA-Anhänger dienstags über Beleidigungen, nachdem er montags Beleidigungen noch frenetisch beklatscht hat. Dennoch ist der Einwand des Lesers bedenkenswert.
In der Tat haben viele Beobachter, so auch ich, anfangs die PEGIDA-Demonstranten zu undifferenziert betrachtet. Man starrte auf den großmäuligen Anführer und glaubte vorschnell, alle seine Anhänger wären so verlogen und rassistisch wie er. Doch inzwischen ist das anders: Auch kritische Beobachter erkannten Unterschiede innerhalb der Demonstrantenschar, zahlreiche Angebote zum Dialog wurden unterbreitet. Der Vorwurf, PEGIDA würde immerzu und von allen nur verunglimpft, trifft also längst nicht mehr zu. Es scheint aber, als hätten es sich die übrig gebliebenen Pegidisten in ihrer Opferrolle zu gemütlich eingerichtet, um aus ihr je wieder herauszufinden. Auf diese Weise können sie auch sachliche Kritik einfach immer als feindliche Diffamierung abtun. Kritik aber hat PEGIDA mehr denn je verdient: Wer am Tag der deutschen Einheit einen dunkelhäutigen Besucher des Gottesdienstes vor der Frauenkirche mit Affenlauten begrüßt, der ist kein besorgter Bürger, sondern hat schlicht den moralischen Nullpunkt erreicht.
Es gibt eine einfache Regel, mit der sich unterscheiden lässt, wo legitime Kritik aufhört und Rassismus oder andere Menschenfeindlichkeit beginnt: Wer Leute danach beurteilt, was sie sagen und tun, der kritisiert. Wer Menschen dafür verurteilt, was sie sind, der verunglimpft. Würde jeder Bürger diesen Maßstab nicht nur an fremdes Verhalten, sondern auch ans eigene anlegen, stünde es rasch besser um die Diskussionskultur im Lande.
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Dieser Text erschien zuerst als Kolumne der Rubrik Besorgte Bürger in der Sächsischen Zeitung.