Soll man mit Rechten reden?

Soll man mit Rechten reden? Diese Frage wird zurzeit hitzig besprochen und von vielen Leuten auf unterschiedlichste Weise beantwortet. Vielleicht wär’s gut, wenn man die Frage erst einmal richtig stellte. Ein Versuch sei hier gemacht.

Zuerst wäre zu klären, um welches „Reden“ es eigentlich gehen soll. Manch eine, manch einer traut es sich zu, im privaten Gespräch Rechtsradikale, wenn nicht zu bekehren, so doch wenigstens von Gewalt abzuhalten und zurück in die menschliche Gemeinschaft zu locken. Man mag solche Versuche für tollkühn oder für blauäugig halten – jemanden deswegen zu verurteilen, scheint mir in jedem Fall ungehörig. Leider aber geschieht dies gelegentlich. Gesinnungsschnüffler trompeten: „X hat sich mehrmals mit Y getroffen und besprochen! Ein klarer Beweis für heimliche Sympathie, Verbrüderung, Verschwörung gar!“ Solch einer verkehrten Logik können nur autoritäre Charaktere folgen, die ausschließlich mit Gleichgesinnten verkehren.

Schwieriger wird die Sache, wenn es nicht um privates, sondern um öffentliches Reden geht. Eine öffentliche Debatte findet nicht nur zwischen zwei Leuten, sondern vor Publikum statt. Sie ist immer ein politischer Akt. Die Klagen darüber, dass in öffentlichen Diskussionen selten ein trauliches, verständnisvolles Gespräch zustande kommt, sind albern. Sobald irgendwo mitgeschrieben wird, eine Kamera läuft oder ein Publikum zuhört, findet kein Gespräch mehr statt, sondern eine politische Auseinandersetzung, bei der es nicht zuerst darum geht, den andern zu verstehen, sondern die Öffentlichkeit zu überzeugen. Aus dem Gesprächspartner wird ein Diskussionsgegner. Man kann das bedauern, aber es ist nun einmal so.

Soll man sich nun auf eine öffentliche Debatte mit rechten Politikern und Wortführern einlassen? Bevor diese Frage beantwortet werden kann, wäre zunächst zu klären, was denn „Rechte“ eigentlich sein sollen. Für manche gehören zur Rechten so ziemlich alle, die sich nicht entschieden zum Kommunismus bekennen. Andererseits gibt’s Nazis, die keinesfalls als Rechte, die vielmehr als besorgte Bürger der Mitte gelten wollen. Solche Begriffsverwirrung macht die Sache schwierig. Ich würde, auch wenn’s nicht jeden überzeugen wird, zunächst vorschlagen, demokratische Rechte von undemokratischen zu unterscheiden, also von solchen, die rassistische und faschistische Überzeugungen vertreten. Mit demokratischen Rechten sollte man schon diskutieren, auch wenn’s keinen Spaß macht. Mit Nazis, die ihre Feinde knebeln, wegsperren und umbringen würden, wenn sie die Macht dazu hätten, gepflegt zu debattieren, das scheint mir sinnlos. Doch sollte man auch folgenden Gedanken berücksichtigen: Es gibt Fälle, in denen ich gar nicht wissen kann, ob jemand ein Nazi ist oder nicht, bevor ich nicht mit ihm geredet habe.

Eines der größten Übel für die Gesprächskultur im Lande ist die Feigheit der Faschisten. Weil sie sich davor fürchten, wegen Volksverhetzung verknackt oder zumindest öffentlich geächtet zu werden, sprechen sie ihre Überzeugungen nicht offen aus. Sie reden beständig in Andeutungen und bewusst zweideutig, um jede Provokation auch wieder zurücknehmen, jede Aussage wieder leugnen zu können. Die Kameraden verstehen es trotzdem, der Staatsanwalt kann aber nichts nachweisen. Das öffentliche Reden der Faschisten ist ein stetes Raunen und Flüstern, selbst da, wo laut gebrüllt wird. Diese Feigheit der Faschisten hat aber auch einen schlechten Einfluss auf ihre linken und liberalen Gegner. Die haben es sich nämlich angewöhnt, bei rechten Rednern auf unterschwellige Signale zu horchen und zwischen den Zeilen zu lesen, um die wahre Gesinnung hinter den Worten zu enttarnen. Das klappt auch oft. Aber manchmal sehen die überempfindlich gewordenen Augen auch etwas, das gar nicht da ist, und demokratischen Rechten werden fälschlich faschistische und rassistische Überzeugungen unterstellt. Man muss sich wohl damit abfinden: Es gibt einen Übergangsbereich zwischen Konservatismus und Faschismus, zwischen Schwarz und Braun, in dem sich Leute bewegen, deren Gesinnung man nie eindeutig bestimmen wird. Womöglich wissen viele dieser Grenzgänger selbst nicht so genau, wohin sie eigentlich gehören.

Es bleibt also die Frage: Soll man mit Leuten öffentlich diskutieren, die im Verdacht stehen, faschistische Überzeugungen zu hegen? Hier gibt’s zwei entgegengesetzte Standpunkte, die ich etwas vereinfachend als den linken und den liberalen bezeichnen will. Die Linken lehnen Diskussionen mit Leuten am rechten Rand rundweg ab, mit dem Argument, man solle solchen Gestalten „kein Podium bieten“ und sie „nicht salonfähig machen“. Denn schon indem man sie zum demokratischen Gespräch zulasse, werte man sie unnötig auf und sorge dafür, dass ihr Gedankengut in die Bevölkerung einsickere. Dem entgegnen die Liberalen: Es ist Feigheit vor dem Feind, einer Debatte mit den Rechtsradikalen auszuweichen. Man müsse sie vielmehr „im Gespräch stellen“, „in der Sache bekämpfen“ und dadurch letztlich „entzaubern“.

Es lässt sich, wie mir scheint, vieles für und gegen beide Standpunkte sagen. Eine gewisse Kleinmütigkeit muss man der linken Haltung vorwerfen. Die Angst, durch öffentliche Debatten könnte rechtsradikales Gedankengut in die Mitte der Gesellschaft gelangen, ist jedenfalls unbegründet: Das Gedankengut ist längst da. Allenfalls können publikumswirksame Auftritte dazu beitragen, vorhandene Überzeugungen in Stimmen für rechte Parteien umzuwandeln. Und selbst wenn dies der Fall wäre: Es mag gut gemeint sein, gefährliches Gedankengut von den Menschen fernzuhalten, besonders demokratisch ist so eine Vormundschaft nicht. Linke, die so argumentieren, setzen sich dem Verdacht aus, sie wären nicht der Lage, Rechte im Gespräch zu widerlegen. Dem liberalen Standpunkt muss man wiederum einige Arglosigkeit bescheinigen. Es ist zwar durchaus so, dass alle Diktatoren mit gutem Grund die freie Diskussion fürchten, meiden und unterbinden. Solange sich Faschisten in der Opposition befinden, sind sie aber sehr redefreudig. Dass einer für sich selbst keck die Meinungsfreiheit einfordert, beweist keineswegs seine demokratische Gesinnung. Trügerisch ist auch der liberale Glaube, in jedem Redewettbewerb sorge gleichsam eine unsichtbare Hand dafür, dass sich die vernünftigste Position am Ende durchsetzt. Im öffentlichen Streit siegen tatsächlich stattdessen häufig die Lüge und die Bosheit. Im Publikum sitzen eben nicht nur urteilsfähige, unvoreingenommene Leute. Und die rechtsradikalen Redner kümmern sich nicht um die Regeln des rationalen Diskurses, stattdessen greifen sie bedenkenlos zu den manipulativen Tricks der Demagogie. Es sind oft gerade die Vernünftigen, die in Diskussionen unterliegen, weil sie nicht skrupellos genug sind. Erfolg und Recht sind zwei verschiedene Dinge, nicht immer ist die Wahrheit überzeugend.

Wie beantworte ich nun abschließend die Ausgangsfrage? Gar nicht. Dieses ständige Meinen ist so anstrengend, ich habe heute mal keine Meinung. Vielleicht ist auch einfach die eine Antwort auf die Frage genauso unbefriedigend wie die andere. Ich möchte zum Schluss nur vorschlagen, dass die Leute, die aus jeweils guten Gründen mit Rechten reden oder nicht reden wollen, einander nicht als Nazi-Unterstützer oder Meinungsdiktatoren beschimpfen.

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Kommentare
  1. Tobias Grüterich

    „Ich würde, auch wenn’s nicht jeden überzeugen wird, zunächst vorschlagen, demokratische Rechte von undemokratischen zu unterscheiden, also von solchen, die rassistische und faschistische Überzeugungen vertreten.“

    • Der kleine Einschub „auch wenn’s nicht jeden überzeugen wird“ hat es in sich. Wo steht man, in welchen Kreisen verkehrt man, um an dieser entscheidenden Stelle eine solche Einschränkung zu machen? Die Unterscheidung zwischen demokratischer Rechte und Rechtsextremismus sollte doch selbstverständlich sein und nicht als etwas hingestellt werden, das von der Großzügigkeit der imaginierten Leser abhängt.

    „Es gibt einen Übergangsbereich zwischen Konservatismus und Faschismus, zwischen Schwarz und Braun, in dem sich Leute bewegen, deren Gesinnung man nie eindeutig bestimmen wird.“

    • Ist der Übergang wirklich so fließend? Gibt es eine Entsprechung auf der Linken, also einen vergleichbaren Übergang etwa von der Sozialdemokratie zu linksextremem „ACAB“-Sprayern?

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    • Michael Bittner

      Lieber Verlagskollege, gar so schlimm sind die Kreise doch wohl nicht, in denen ich mich bewege – sie überschneiden sich ja sogar mit den Kreisen, in denen Sie sich bewegen.

      Was Ihre sachlichen Einwände angeht, scheinen mir die doch aus gar weiter Ferne hergeholt. Ich stelle ja nicht in Frage, dass man zwischen Demokraten und Nicht-Demokraten unterscheiden kann. Ich stelle nur fest, dass dies – rechts wie links – manchmal schwierig ist, weil Leute sich zwar zur „Demokratie“ bekennen, dann aber im Unklaren lassen, wen sie zum „Volk“ zu zählen bereit sind.

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  2. Tobias Grüterich

    „Volk“? In Anlehnung an das Grundgesetz, das nur vom „Deutschen Volk“ spricht, gehe ich davon aus, eben dieses sei gemeint.

    Zunächst wäre eine Vorfrage zu klären. Es gibt zwei Möglichkeiten.

    1.) Zum deutschen Volk gehört die komplette Wohnbevölkerung der Bundesrepublik, also „jeder, der in diesem Land lebt“ (Merkel).

    2.) Zum deutschen Volk gehört nur eine (wie auch immer zu definierende) Teilmenge besagter Wohnbevölkerung und möglicherweise noch einige Externe.

    Was halten Sie für zutreffend? 1 oder 2? (Alles Weitere klären wir anschließend.)

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    • Michael Bittner

      Ein Volk oder eine Nation ist im politischen Sinne die Summe der Staatsbürger, nicht aller Menschen, die in einem Land leben. Dementsprechend halte ich Variante 2 für zutreffend, wobei ich glaube, dass Sie in intellektuell nicht besonders redlicher Weise der Äußerung von Angela Merkel eine Bedeutung unterschieben, welche die gute Frau doch wohl nicht im Sinn hatte. Ihr Satz bezog sich auf die Anmaßung der PEGIDA-Trottel, sich selbst zu Alleinvertretern des Volkes zu erheben. Dagegen beharrte sie zurecht darauf, dass alle Deutschen zum Volk gehören. Ich glaube nicht, dass Sie etwa sagen wollte, dass auch Türken, die in Deutschland leben, Deutsche wären.

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  3. Tobias Grüterich

    OK, bin auch für 2. Jetzt gabelt es sich wieder: a) und b).

    a) Wenn der Begriff „Volk“ gleichbedeutend ist mit der Gesamtheit aller deutschen Staatsbürger, dann dürfte es keine Diskussion geben. Dann brauchen ja nur die Einwohnermeldeämter eine Summe zu bilden, und alles ist klar. Dieser rein rechtliche Volksbegriff ist m.E. einer politischen Emotionalisierung kaum zugänglich.

    b) Was die Gemüter bewegt, ist wohl eher der ethnische Volksbegriff. Aber auch dieser hat juristische Auswirkungen. Nur weil es eine ethnische Mehrheit der Deutschen gibt, kann überhaupt von ethnischen Minderheiten und deren Schutz die Rede sein. Ein Beispiel: Der SSW braucht zur schleswig-holsteinischen Landtagswahl nicht über die 5%-Hürde zu springen, um im Parlament vertreten zu sein.

    Wer gehört zum Volk dazu? Wer nicht? Bei a) ist das ganz leicht zu sagen und bei b) sehr schwer.

    Ab wann waren eingewanderte Hugenotten hierzulande keine Fremden mehr? Die Frage ist EINE Gleichung mit ZWEI Unbekannten. Man müsste als aufnehmende Ethnie eine ungefähre Vorstellung von sich haben (schwierig!) und ein Assimilationsmaß oder -gespür entwickeln, um sagen (oder auch nur empfinden) zu können, der- oder diejenige sei einem nicht mehr fremd. Kurz gesagt: Ab wann fällt ein „Migrationshintergrund“ nicht mehr auf?

    Rückwirkend betrachtet waren die Hugenotten ein Beispiel ein Beispiel gelungener Integration/Assimilation. Auch die Japaner in Düsseldorf machen keine Probleme. Doch bei anderen Migrantengruppen zeigen sich unmittelbar (Maghreb-Staaten) oder in zweiter und dritter Generation (Türken) Schwierigkeiten. Insofern sind die Migrantengruppen und Ethnien an sich äußerst unterschiedlich bzw. zur ansässigen Mehrheitsbevölkerung äußerst unterschiedlich kompatibel.

    Hinzu kommt noch der quantitative Aspekt: „Integration wird außerdem immer schwieriger, denn je größer die Zahl der Aufgenommenen ist, desto weniger Anreiz gibt es, sich zu integrieren.“ (Rüdiger Safranski, http://diepresse.com/home/bildung/4949948/Safranski_Den-politischen-Islam-will-ich-nicht-bei-uns-haben)

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    • Michael Bittner

      Die Alternative, die Sie jetzt eröffnen, ist eine falsche, denn es handelt sich ja gar nicht um eine ausschließende Disjunktion. Es gibt neben dem politischen Begriff der Nation noch einen, den man ethnisch oder kulturell nennen kann. Beide sind aber nicht identisch und alle Versuche, die politische Nationalität, die Staatsbürgerschaft, unmittelbar von einer ethnischen abhängig zu machen, führen in einen völkischen Nationalismus.

      Was mich überhaupt an der Diskussion über kulturelle Identität stört, sind Vereinfachungen und Verzerrungen, die immer wieder unterlaufen. Da wäre zunächst das Huntingtonsche Denken in Gruppen, das vom guten alten Rassismus oft schwer zu unterscheiden ist. Als wären „Kulturen“ oder „Ethnien“ homogene Einheiten, deren Individuen immer gleich handelten und dächten, sodass schon die kulturelle und ethnische Zugehörigkeit darüber entschiede, ob jemand zur westlichen Gesellschaft passen kann. Ein anderer offensichtlicher Denkfehler: Wer sagt denn, dass ein Mensch nicht mehrere Identitäten haben kann? Wir alle haben mehrere nebeneinander, nämlich sexuelle, soziale, politische, religiöse und so weiter. Ist jemand ein schlechterer Deutscher, nur weil er sich in kultureller Hinsicht zugleich auch noch als Sorbe, Jude oder Türke fühlt? Ich halte die Forderung, Einwanderer müssten ihre alte Identität völlig ablegen, um sich ganz zu „assimilieren“, für absurd. Sie bewirkt auch das Gegenteil, denn Zwang führt immer zu Trotz. Die Hugenotten sind in der deutschen Gesellschaft so zwanglos aufgegangen, weil niemand ihnen ihre Identität gewaltsam genommen hat. Im Gegenteil: Sie konnten ihre französische Sprache und Kultur vielfach in die preußische einbringen.

      Dass einige Gruppen von Einwanderern, insbesondere türkische und arabische Migranten, größere Schwierigkeiten in unserer Gesellschaft haben als andere, wird wohl kaum jemand bestreiten. Über die vielfältigen Ursachen und mögliche Verbesserungen wird ja auch schon längst gesprochen. Daraus eine wesenhafte Unvereinbarkeit von „Kulturen“ zu konstruieren, ist mir intellektuell zu plump.

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  4. Tobias Grüterich

    „Die politische Nationalität, die Staatsbürgerschaft, unmittelbar von einer ethnischen abhängig zu machen“, war nicht die Absicht meiner Antwort. Ich wollte nur darauf hinweisen, dass es beides gibt. Ein disjunktes Verhältnis besteht gerade nicht. Im Gegenteil: Die Schnittmenge ist groß. Ich zum Beispiel weise das Merkmal „deutscher Staatsbürger“ und auch das Merkmal „ethnisch deutsch“ auf (und noch zig andere Gruppenmerkmale). Interessant wird es außerhalb der Schnittmenge: Die dänische Minderheit hierzulande (Staatsbürgerschaft: überwiegend deutsch, Ethnie: dänisch) wird durch § 3 Abs. 1 S. 2 LWahlG SH begünstigt; ihre Partei, der SSW, ist von der 5%-Hürde befreit. Aus der Tatsache, DASS es diese Sonderregelung in einem Landesgesetz überhaupt gibt, kann man viele Schlüsse ziehen. Ich beschränke mich auf einen: Die Zugehörigkeit zu einer Ethnie ist nicht völlig bedeutungslos, sondern prägt sich als gesetzliche Sonderregelung aus.

    Sicherlich kann ein „Denken in Gruppen“, wenn es die Wahrnehmung jeglicher Individualität hintanstellt oder sogar völlig ausblendet, zu absurden und auch inhumanen Konsequenzen führen. Aber so ganz ohne Gruppendenke geht es auch nicht. Fast jeder Begriff unterstellt eine Nicht-Singularität, eine Menge von verschiedenen Dingen, auf die er (trotz Verschiedenheit im Einzelnen) anwendbar ist. Ganz deutlich wird das bei Farbadjektiven. Die o.g. gesetzliche Sonderregelung kann es ja nur deshalb geben, WEIL es eine (wie auch immer abzugrenzende) GRUPPE von Menschen gibt, die sich – bei gleicher (= deutscher) Staatsangehörigkeit – von einer anderen Gruppen durch ihr ethnisches (Kollektiv)merkmal unterscheidet. Die Möglichkeit einer Grenzziehung zwischen ethnischen Gruppen ist rechtspolitische Voraussetzung des § 3 Abs. 1 S. 2 LWahlG SH! Ich tendiere eher dazu, diese Regelung kritisch zu sehen, als sie zu begrüßen. Denn angesichts Art. 3 Abs. 3 GG muss der Gesetzgeber gute Gründe haben, eine Teilmenge von ursprünglich gleichberechtigten Personen aus einer größeren Menge quasi auszustanzen und diese Teilmenge besser- oder schlechter zu stellen.

    Ist die Ethnie hierfür ein ausreichender, ein moralisch zulässiger, ein nachvollziehbarer Grund? Oder ist dies „heute“ (seit wann?) nicht mehr der Fall?

    Das wären mal untersuchenswerte Fragen. Das Verdikt, nicht „rechts“ sein zu dürfen, macht die Beantwortung spannend. Die hohen Zustimmungsraten insbesondere der Auslandstürken zum Verfassungsreferendum sowie das Vorhaben eines erklärten Erdogan-Fürsprechers (Remzi Aru), hier eine Migrantenpartei zu gründen (http://www.taz.de/!5316162/), macht die Diskussion darüber hoch aktuell.

    Bei den anderen unschönen Dingen, die Sie benennen (Rassismus, offensichtliche Denkfehler, Zwang zur Assimilation, intellektuelle Plumpheiten o.ä.), weiß ich nicht, ob Sie damit allgemeine Fehlentwicklungen ansprechen oder mir persönlich ein derartiges Denken/Schlussfolgern unterstellen. Im ersten Fall kann es dahinstehen, im zweiten Fall würde ich mir zumindest überlegen, ob und wie eine Replik zu verfassen wäre.

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    • Michael Bittner

      Ich wollte Ihnen keineswegs die gedanklichen Abwege unterstellen, auf die ich bloß warnend hingewiesen habe. Dem, was Sie ansonsten schreiben, stimme ich zu. Es gibt offenkundig ethnische Identitäten. Die sind allerdings soziale Konstrukte wie andere Identitäten auch, schließlich gibt es keine deutschen oder dänischen Gene. Nationalisten beziehen die ethnische Identität (und mit ihr die politische) aber gern auf vermeintlich objektive biologische Differenzen, um eine scheinbar klare Trennung von Freund und Feind vollziehen zu können. Erdogan mit seinem Gerede über das schlechte „Blut“ seiner Gegner ist da ein Beispiel. Türkischer Nationalismus ist sicher nicht weniger gefährlich als deutscher. Eben deswegen trete ich dafür ein, die in Deutschland und anderswo noch weit verbreitete Vorstellung zu überwinden, eine politische Nation müsse sich auf ethnischer Homogenität gründen. (Leider nehmen ja Deutsche zurzeit noch jeden, der irgendwie südländisch ausssieht, als „Ausländer“ wahr – er mag so gut integriert sein, wie er will.) Die politische Gemeinschaft sollte meiner Ansicht nach durch die gemeinsame Verfassung und die in ihr niedergelegten Werte sowie durch praktische Solidarität gestiftet werden. Ich persönlich kann mir Europa als Ort dieser Heimat vorstellen, aber die meisten Leute halten wohl den Nationalstaat noch für unverzichtbar. Alle Gegner dieser demokratischen, pluralistischen Ordnung wären jedenfalls zu bekämpfen, gleichgültig ob es sich um einheimische Nazis oder um zugewanderte Dschihadisten handelt.

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  5. Pedroleum

    Zitat: „Soll man mit Leuten öffentlich diskutieren, die im Verdacht stehen, faschistische Überzeugungen zu hegen? Hier gibt’s zwei entgegengesetzte Standpunkte, die ich etwas vereinfachend als den linken und den liberalen bezeichnen will. Die Linken lehnen Diskussionen mit Leuten am rechten Rand rundweg ab, mit dem Argument, man solle solchen Gestalten ,kein Podium bieten‘ und sie ,nicht salonfähig machen‘. Denn schon indem man sie zum demokratischen Gespräch zulasse, werte man sie unnötig auf und sorge dafür, dass ihr Gedankengut in die Bevölkerung einsickere. Dem entgegnen die Liberalen: Es ist Feigheit vor dem Feind, einer Debatte mit den Rechtsradikalen auszuweichen. Man müsse sie vielmehr ,im Gespräch stellen‘, ,in der Sache bekämpfen‘ und dadurch letztlich ,entzaubern‘.“

    Da gibt es aber noch eine andere Argumentation, die sich auf die Absicht des kommunikativen Aktes bezieht: „Folgt man Jürgen Habermas, so gibt es zwei grundverschiedene Arten von Diskursen. Die einen sind ,verständigungsorientiert‘: Man redet und streitet, weil man gemeinsam herausfinden möchte, ,was Sache ist‘. Völlig anders funktioniert das, was Habermas ,strategische‘ Kommunikation nennt: Hier redet und streitet man, weil man die eigene Position durchboxen möchte; weil man sein Gegenüber manipulieren oder mundtot machen will. Haben Sie schon einmal eine weit rechts stehende Person getroffen, die verständigungsbereit gewesen wäre? Man kann die radikalen Ränder der Politik geradezu dadurch definieren, dass dort zwar ungeheuer viel geredet, aber eben nicht zugehört wird. Und mit jemandem, der nicht zuhört, braucht man auch nicht zu reden. Es sei denn, man ist ein kommunikativer Masochist. […]
    Die Bewegung ,Mit Rechten reden‘ ist offenbar der Ansicht, dass dieses Schweigen einem Abbruch von Kommunikation gleichkommt. Doch Schweigen ist keineswegs Nicht-Kommunikation, sondern selbst ein kommunikativer Akt. Die Botschaft nämlich lautet: ,Ich werde nicht mit dir sprechen!‘. Und ein solches Schweigen kann beredt und weise, sogar leidenschaftlich, ja, auf ganz eigene Weise radikal sein.“

    (Quelle: http://www.deutschlandfunkkultur.de/was-sollte-man-und-was-besser-nicht-leidenschaftlich.2162.de.html?dram:article_id=398840 )

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    • Michael Bittner

      Ich bin mir nicht sicher, ob diese Unterscheidung von Jürgen Habermas triftig ist und nicht bloß seinem Kommunikationsideal entspringt. Es ist doch wohl eher so, dass in jedem Gespräch Verständigung und Machtausübung in unterschiedlichen Verhältnissen zusammenwirken. Auch Jürgen Habermas will „seine Position durchboxen“, das Mittel, das er dazu wählt, ist es, sie als vernünftigen Konsens erscheinen zu lassen. Wie auch immer dem sei, ich finde meine Unterscheidung zwischen privatem Gespräch und öffentlicher Debatte sinnvoller. In öffentlichen Debatten geht es nie nur um Verständigung, sondern immer auch darum, das Publikum von der eigenen Position zu überzeugen. Deswegen können auch öffentliche Diskussionen mit völlig verbohrten und gesprächsunfähigen Rechtsradikalen (oder Stalinisten, Religionsfanatikern etc. pp.) sinnvoll sein, weil man der Öffentlichkeit deren Irrtümer vor Augen führt. Natürlich kann das auch schiefgehen, weil die Fundamentalisten so geschickt manipulativ agieren, dass sie am Ende als Sieger der Debatte in den Augen des Publikums dastehen. Das ist das Risiko jeder solchen Debatte. Ob man sie deswegen von Vornherein scheuen sollte, muss jeder selber entscheiden.

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      • Pedroleum

        Nicht mit den Rechten zu reden, heißt ja nicht automatisch, sich nicht mit ihren Inhalten auseinanderzusetzen. Es besteht schließlich immer noch die Möglichkeit, „der Öffentlichkeit deren Irrtümer vor Augen“ zu führen, indem man über sie redet.

        Jedoch sollte man sich darüber im Klaren sein, dass es ihnen eben nicht um einen vernünftigen Diskurs nach bestimmten – im Idealfall womöglich akademischen – Regeln geht, sondern um diskursive Hegemonie.

        Erst kürzlich gab es eine Diskussion über den Vortrag des AfD-Intellektuellen Mark Jongen am Hannah Arendt Center in New York. Nach akademischen Gesichtspunkten, also vor einem Publikum, das seinem Vortrag live verfolgte und akademisch geprägt ist, hat er sich vielleicht lächerlich gemacht. Aber er konnte seinen Auftritt später auf Facebook als Erfolg verkaufen, da seinem nationalistischem Standpunkt und ihm selbst als Redner quasi instiutionelle Legitimation erteilt wurde.

        (vgl. http://www.zeit.de/kultur/2017-11/rechtspopulismus-marc-jongen-hannah-arendt-center/komplettansicht )

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        • Michael Bittner

          Es ist – wie gesagt – keineswegs garantiert, dass eine öffentliche Auseinandersetzung immer auch einen Sieg der besseren Argumente bringt. Aber ist es deswegen klug, solche Auseinandersetzungen immer zu scheuen? Verrät man damit nicht demokratische Überzeugungen? Und noch schlimmer: Wirkt man nicht feige? Hätte Herr Jongen nicht mindestens ebenso viele Punkte gemacht, wenn er ausgeladen worden wäre, sodass er sich als Opfer der linken Meinungsdiktatur hätte inszenieren können?

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          • Pedroleum

            Versuchen die Rechten nicht sowieso andauernd, sich als Opfer einer vermeintlich linken Meinungsdiktatur zu inszenieren? Ich denke da z. B. an den Abgang von Frau Weidel aus der ZDF-Talkshow, der ziemlich inszeniert wirkte. Dadurch bereitet man ihnen ja nur die Bühne für solche Inszenierungen.

          • Michael Bittner

            Das Argument kann man auch umdrehen: Hilft man den Rechten nicht durch Ausgrenzung bei ihrer Selbststilisierung zum Opfer? Wäre es nicht besser, sie einfach sachlich scharf, aber im Ton gelassen zu kritisieren? Ich glaube, diese ganze Diskussion ums „Bühne bieten“ führt nicht weiter. Der Erfolg der Rechten ist nicht hauptsächlich das Ergebnis einer falschen Medienstrategie, sondern hat tiefere Gründe. Jetzt sind sie jedenfalls da, werden gewählt, sitzen in Parlamenten – man kann jetzt nicht einfach durch heroisches Schweigen reagieren. Das überzeugt niemanden.

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