Bezahlte Journalisten

Nicht weit von meiner Wohnung entfernt steht ein kleines Büdchen, das einen Kiosk beherbergt. Über Jahre kaufte ich mir dort meine Zeitungen und Zeitschriften. Da ich, was das Lesen angeht, ein ziemlicher Vielfraß bin, ließ ich eine Menge Geld in dem Kiosk. Doch offenbar nicht genug, denn vor einigen Monaten gab der langjährige Besitzer auf. Die Bude stand eine Weile leer. Dann wurde sie wieder eröffnet, nun allerdings ohne alle Presseerzeugnisse. Es gibt in dem Kiosk mehrere Sorten Wodka, Zigaretten und Kaugummis. Es gibt sogar Rasierklingen, Tampons und Zubehör fürs Mobiltelefon. Aber es gibt keine einzige Zeitung mehr.

Eine demokratische Gesellschaft kann nur überleben, wenn ein öffentliches Gespräch über alle wichtigen Fragen stattfindet. Ein unverzichtbarer Ort für dieses Gespräch ist die Presse. In einer kapitalistischen Gesellschaft muss die Presse aber notgedrungen noch einen ganz anderen Zweck verfolgen, nämlich den, Geld zu verdienen. Alle Schwächen und Nöte der Presse lassen sich auf den Widerspruch zwischen diesen beiden Zielen zurückführen.

Seit Jahren verlieren die Zeitungen beständig an Käufern, weil Informationen im Netz umsonst zu haben sind. Da die Einnahmen sinken, müssen die Zeitungen sparen. Journalisten werden entlassen, aufwändige Nachforschungen werden immer schwieriger. Diese Verschlechterungen nehmen wiederum Leser zum Anlass, ihre Abonnements zu kündigen. So geht’s immer schneller abwärts. „Was kann man tun, um die Demokratie zu stärken?“, fragen sich derzeit viele. Eine Antwort wäre: Man kann freiwillig für Medien, die man schätzt, Geld ausgeben, es sei am Kiosk oder im Netz. Ein bezahlter Journalist verwandelt sich seltener als ein unbezahlter in einen gekauften Journalisten.

Zumindest ein Gutes aber hat die Medienkrise auch. Wer erinnert sich nicht daran, wie in den Neunzigern, als die Medien noch verhältnismäßig gute Geschäfte machten, die meisten Journalisten alle liberalen „Reformen“ euphorisch begrüßten? Und Menschen, die wie der selige Ottmar Schreiner vor Sozialabbau warnten, als zurückgeblieben verspotteten? Nun, da auch Journalisten die Muffe saust, weil sie bald auf der Straße stehen könnten, haben sie ihren Sinn für soziale Gerechtigkeit wiederentdeckt. Möge es ihnen also bald besser gehen, aber vielleicht doch nicht gar zu gut.

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Dieser Text erschien zuerst als Kolumne der Rubrik Besorgte Bürger in der Sächsischen Zeitung.

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