Die Karriere einer Lüge

Seit einer Weile reden wir über „Fake News“, über Lügen, die im politischen Kampf als Waffen eingesetzt werden. Neu ist allenfalls das Wort, die Sache nicht, denn gelogen wurde von Demagogen schon immer. Um zu verstehen, warum das Lügen erfolgreich ist, kann es lehrreich sein, einmal einer einzelnen Lüge nachzugehen.

Im August 2015 randalierten in Heidenau vor einer Flüchtlingsunterkunft einige hundert Leute, unter ihnen militante Rechtsradikale. Dies veranlasste Vizekanzler Sigmar Gabriel zu der Bemerkung: „Das ist wirklich Pack und Mob, und was man da machen muss, man muss sie einsperren.”

Die Anführer der PEGIDA-Bewegung witterten sogleich ihre Chance. Nichts eignet sich ja besser, um die Reihen zu schließen, als eine gemeinschaftliche Selbststilisierung zum Opfer. Rasch waren die Montagsspaziergänger davon überzeugt, Gabriel hätte alle PEGIDA-Anhänger als „Pack“ bezeichnet. Im Internet wurde die Lüge tausendfach geteilt. An einem Galgen baumelte symbolisch „Siegmar ‚das Pack‘ Gabriel“. Die Pegidisten skandierten trotzig „Wir sind das Pack!“, wohl meistenteils im Irrglauben, so verunglimpft worden zu sein, und nicht in Verbundenheit mit den Hooligans von Heidenau.

Selbst seriöse Beobachter fingen bald an, die Unwahrheit zu verbreiten. Auf Seite 28 seines Buches über PEGIDA zählt Prof. Werner J. Patzelt das „Pack“ von Sigmar Gabriel mitten unter den Beschimpfungen auf, mit denen einige Politiker die PEGIDA-Demonstranten bedacht haben. Dabei hatte es Patzelt 2015 noch besser gewusst: „Diejenigen, die in Heidenau Brandsätze geworfen haben, als Pack zu bezeichnen, ist berechtigt.“ Inzwischen ist die Lüge in den Stand einer historischen Tatsache aufgerückt. In dem aktuellen Bestseller „Mit Rechten reden“ wird Sigmar Gabriel die „Aufforderung“ an die PEGIDA-Demonstranten angedichtet, „das ‚Pack‘ solle gefälligst dahin zurückkriechen, wo es hergekommen“ sei. Tatsächlich war Sigmar Gabriel einer der ersten, der für einen Dialog mit den PEGIDA-Anhängern eintrat. Aber diese Tatsache passte den drei überschlauen Autoren des Bestsellers nicht ins Konzept.

Wird diese Kolumne nun irgendwen zur Wahrheit bekehren? Natürlich nicht. Die Leute glauben, was sie glauben wollen. Und niemand scheint ihnen unglaubwürdiger als einer, der widerspricht.

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Dieser Text erschien zuerst als Kolumne der Rubrik Besorgte Bürger in der Sächsischen Zeitung.

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Kommentare
  1. Pedroleum

    Gestern wurde die Pack-Lüge von dem AfD-Politiker Poggenburg in einem Facebook-Eintrag (15.02.2018, 7:58 Uhr) als Rechtfertigung für seine Beleidung türkischstämmiger Deutscher missbraucht: „Deutsche als #Köterrasse und friedliche Demonstranten als #Pack zu bezeichnen ist ja bekanntermaßen keine Volksverhetzung“

    Das mit der Köterrasse ist auch nur halbwahr, denn um den Akt der Volksverhetzung (oder der Kollektivbeleidigung) zu erfüllen, muss die Gruppe erst einmal deutlich abzugrenzen sein, was sie im vorliegenden Fall nicht war und was je schwieriger wird, desto größer die Gruppe ist.

    Zudem ist Poggenburgs Verweis auf die Strafbarkeit der Volksverhetzung heuchlerisch, weil die Volksverhetzung auf die Wahrung des öffentlichen Friedens zielt und er mit seiner Äußerung selbst den öffentlichen Frieden gefährdet.

    Man kann sicherlich hinterfragen, ob es gerechtfertigt ist, dass Kollektivbeleidigungen gegen Deutsche nicht ebenso den öffentlichen Frieden gefährden, wie Kollektivbeleidigungen gegen in Deutschland lebende Minderheiten. Wenn man dabei aber wie Poggenburg selbst den öffentlichen Frieden gefährdet – indem er sie verunglimpft (beispielsweise bezeichnete er Inhaber des Doppelpasses als „heimat- und vaterlandsloses Gesindel“) und zu Willkürmaßnahmen gegen Minderheiten aufruft (Zitat: „Hier haben sie nichts zu suchen und zu melden“) –, macht man sich unglaubwürdig.

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