Jakob Augsteins Scheinheit der Linken

Keinem deutschen Journalisten gelingt es so gut wie Jakob Augstein, sich im festen Glauben an die eigene Schlauheit selbst als Dummkopf zu entlarven. „Manchmal haben die Kollegen von der ‚Bild‘-Zeitung lustige Ideen“, freut sich Augstein in seiner jüngsten Spiegel-Kolumne und merkt tatsächlich nicht, wie er sich damit zum unbezahlten Helfer der Springer-Presse bei ihrem Versuch macht, die Gräben innerhalb des linken Lagers zu vertiefen. Die Bild-Zeitung hatte die Deutschen fragen lassen, ob sie sich vorstellen könnten, einer „Liste Sahra Wagenknecht“ ihre Stimme zu geben. Und siehe da: Angeblich überlegen sich das 25 Prozent aller Wähler. 78 Prozent der Wähler der Linken, aber auch 32 Prozent bei der SPD, bemerkenswerte 30 Prozent bei der AfD, immerhin noch 23 bei den Grünen und sogar 21 Prozent bei der FDP. Dabei stößt Sahra Wagenknecht im Osten auf weit mehr Gegenliebe als im Westen, die Alten sympathisieren mehr mit ihr als die Jungen.

In seinem Freudentaumel über diese Ergebnisse hat Jakob Augstein nun aber versehentlich ein Betriebsgeheimnis der „linken Sammlungsbewegung“ ausgeplaudert: Hieß es nicht immer, es gehe keinesfalls um eine personalisierte Bewegung nach dem Vorbild von Emmanuel Macron oder Sebastian Kurz? Wurde nicht immer wieder versichert, die Sammlungsbewegung solle keine wählbare Partei werden, um die bestehenden linken Parteien zu zersetzen und zu ersetzen? Und nun jubelt das Dummerchen Augstein über die Wahlchancen einer „Liste Sahra Wagenknecht“! Ich fürchte, seine Heldin wird ihm dafür nicht sehr dankbar sein. Liegt doch nun offen zutage, worum es wirklich geht: Sahra Wagenknecht möchte mit einer eigenen Partei die unliebsamen Genossen loswerden, an die sie in der Partei Die Linke noch gefesselt ist, und dann das ganze deutsche Parteiensystem aufmischen.

Jakob Augstein betätigt sich weiter fleißig als Trommler für diese neue Partei. Seine Schlichtheit prädestiniert ihn für diese Aufgabe. „Wenn man mal alles, was kompliziert ist, beiseite räumt“, zitiert er sein treffliches Lebensmotto. Er zählt einige Positionen auf, die so vage formuliert sind, dass ihnen tatsächlich alle Linken zustimmen können: höhere Löhne, weniger Ungleichheit, keine Waffenexporte mehr. Ehrlich geht es dabei allerdings auch nicht zu. „Europa zerfällt und Deutschland sieht zu“, barmt Augstein und vergisst zu erwähnen, dass Sahra Wagenknecht sich ja nichts sehnlicher wünscht als einen Zerfall der Europäischen Union, auf dass endlich wieder der kulturell und sprachlich homogene Nationalstaat zur wesentlichen Stätte des Politischen werde.

Einige Mühe hat Jakob Augstein dabei zu erklären, warum denn bislang die große Revolte gegen Angela Merkel ausgeblieben ist. Aber sein tiefer Geist findet auch hier eine Lösung: „Andererseits kann man der Meinung sein, dass der politisch-mediale Prozess in Deutschland inzwischen ziemlich dysfunktional ist und allen möglichen Zwecken dient – nicht aber dem, den politischen Willen des deutschen Volkes zu repräsentieren.“ Es gibt also „das Volk“, das einen politischen Willen hat, der aber von dunklen Mächten verfälscht wird. Beweis: Die Wahlen bringen nicht die Ergebnisse, die ich, der Herr Jakob Augstein, mir wünsche. Ich weiß aber, was „das Volk“ wirklich will. Es fehlt nur noch die Einheitspartei, die diesen deutschen Willen endlich durchsetzt. Protofaschismus at its best.

Um die Einheit der Volksgemeinschaft nicht zu gefährden, müssen jene, die auf Widersprüche hinweisen, als intellektuelle Schnösel denunziert werden: „Und lauter Leute, die sich zweifellos für linksliberal halten, haben auch gleich abgewinkt, so gelangweilt, blasiert und besserwisserisch, dass ihnen dabei in Charlottenburg und Eppendorf beinahe das Pinot Noir Glas aus der schlaffen Hand gerutscht wäre.“ Sagt uns ein Mann, der von seinem gesetzlichen Vater viel Geld und von seinem natürlichen nur nationalistische Beschränktheit geerbt hat. Die wirklichen politischen Widersprüche, die es zwischen der Vision von Sahra Wagenknecht und der anderer Linker gibt, müssen um der lieben Einheit willen verschleiert werden. Der Konflikt ist doch bloß „ausgedacht“ und der Streit „unsinnig“. Universalität und internationale Solidarität stünden doch nicht im Gegensatz zum Wunsch, die Souveränität des Nationalstaates wiederherzustellen.

Dumm nur, dass uns die Geschichte das Gegenteil lehrt. Und die Zukunft wird uns nichts anderes lehren. Sind die Grenzen erst einmal dicht, fällt jeder Anreiz für die Staaten des Nordens weg, sich um die Probleme des armen Südens zu kümmern. Aber Jakob Augstein warnt: Die armen Zuwanderer seien doch nun einmal für die armen Deutschen Konkurrenten um Arbeit und Wohnraum. Mit demselben Argument könnte man auch gegen die Beschäftigung von Frauen agitieren, weil sie im Wettbewerb mit Männern die Löhne drücken. Aber richtig: Das sind ja deutsche Frauen! Sahra Wagenknecht schlägt vor, die internationalen Ströme von Kapital, Waren und Migranten zu kontrollieren oder ganz zu unterbinden. Realistisch betrachtet kann das aber in einer globalisierten Welt, unter dem Opfer menschlichen Lebens, allenfalls für den dritten Strom gelingen. Und selbst wenn ihre national-soziale Sammlungsbewegung es schaffte, die Ökonomie wieder weitgehend unter die Kontrolle des Einzelstaates zu bringen, würden sich so nur wirtschaftliche Interessen wieder ganz mit nationalen verbinden. Nicht Frieden, sondern Krieg wäre die Folge.

Ein großzügiges Friedensangebot macht immerhin Jakob Augstein am Schluss des Textes seinen Gegnern unter den Linken: Seht einfach ein, dass wir recht haben, dann empfangen wir euch bei uns mit offenen Armen! Doch ist es leider noch nicht soweit. „Aber wer selbst gespalten ist, kann nicht einen.“ Im Klartext: Die Linkspartei schwenkt auf die Linie von Sahra Wagenknecht ein oder sie hört im September auf zu existieren. Ich habe wenig Zweifel daran, dass Sahra Wagenknecht mit ihrer neuen Partei Erfolg haben wird. Die national-soziale Idee ist zurzeit derart populär, dass es ein Wunder wäre, wenn sie nicht auch in Deutschland eine politische Form annähme. Die Idee ist Ausdruck eines verbreiteten Wunsches in den verängstigten, alternden und schrumpfenden Wohlstandsgesellschaften des Westens, sich von der Armut und dem Chaos in den Ländern des Südens abzuschotten.

Das klassische Proletariat, so heißt es oft, sei verschwunden. Tatsächlich wurde es vom Westen nur ausgelagert. Unsere Rohstoffe klauben jetzt afrikanische Kinder aus der Erde, unsere Kleider nähen Asiatinnen, wenn ihnen nicht gerade das Fabrikdach auf den Kopf fällt. Wer sich selbst ernsthaft für soziale Gerechtigkeit einsetzt, kann es nicht als vorrangiges Ziel betrachten, den Wohlstand der Bevölkerung des eigenen Staates zu sichern. Wieso sollten sich die Menschen des einen Staates noch um die Interessen von Menschen anderer Staaten kümmern, wenn alle Länder sich auf sich selbst beschränken? Wer dagegen einwenden möchte, dass doch in allen einzelnen Staaten linke Regierungen linke Politik für das eigene Volk machen könnten, muss mir bitte folgende Frage beantworten: Gehorcht ein solches Programm nicht einfach brav der neoliberalen Maxime „Wenn jeder an sich denkt, ist an alle gedacht“?

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Kommentare
  1. Pedroleum

    Wäre denn eine Liste Wagenknecht für die Linke wirklich so gefährlich? Es bestünde doch viel mehr die Gefahr, dass eine Liste Wagenknecht das Wählerpotenzial von der AfD abzieht, dass die AfD bei den letzten Bundestagswahlen von der Linken und evtl. anderen Parteien wie den Grünen oder der SPD abgeschöpft hat und dadurch der AfD gefährlich werden könnte. Auf der anderen Seite könnten sich diese Parteien auch als Koalitionspartner zusammenraufen.

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    • Michael Bittner

      Sahra Wagenknecht hat auch unter den Wählern der Partei Die Linke viele Anhänger und würde mit einer eigenen Liste die Partei spalten, womöglich in zwei Hälften, die beide mit der 5-Prozent-Hürde zu kämpfen hätten. Ob sie wirklich in größerem Umfang AfD-Wähler zurückgewinnen könnte, bezweifle ich, es sei denn, sie nähert sich politisch noch weiter AfD-Positionen an. Aber was wäre dann gewonnen?

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      • Pedroleum

        Zitat: „Ob sie wirklich in größerem Umfang AfD-Wähler zurückgewinnen könnte, bezweifle ich, es sei denn, sie nähert sich politisch noch weiter AfD-Positionen an.“

        Dieser Satz aus Ihrer Feder überrascht mich. Haben Sie nicht selbst geschrieben: „In der nationalen Frage stimmt die Position von Sahra Wagenknecht mit der Position der AfD im Wesentlichen überein“?

        Die Signale, die Wagenknecht in den letzten drei Jahren in Richtung AfD-Wähler gesendet hat, legen diesen Eindruck doch nahe.

        Zitat: „Aber was wäre dann gewonnen?“

        Sie meinen, wenn es ihr gelingt, den blau-braunen Elefanten etwas kleiner wirken zu lassen?

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        • Michael Bittner

          Was ich meinte, war: Im Prinzipiellen ist Sahra Wagenknecht in der nationalen Frage auf der Linie der AfD. In praktischen Einzelfragen, z.B. in Sachen Asyl, stimmt sie momentan aber noch mit ihren Parteigenossen gegen die AfD. Fiele die Einbindung in Die Linke weg, dann könnte sie auch in diesen Einzelfragen ihren eigenen Weg gehen. Nach ihrer Logik der Trennung von politischen Flüchtingen und „Arbeitsmigranten“ wäre es z.B. nur konsequent, wenn sie wie die AfD für die Abschiebung von „Wirtschaftsflüchtlingen“ einträte. Ob sie mit einer solchen Haltung wirklich AfD-Wähler zu einer „Liste Wagenknecht“ herüberziehen könnte, weiß ich nicht so recht. Vielleicht einige Menschen, die zwar für „Deutsche zuerst“ sind, aber mit den Nazi-Anklängen in der AfD nichts anfangen können. Ich sehe aber nicht so recht, wo der Vorteil liegen sollte, wenn zwar die AfD etwas kleiner würde, deren Positionen aber noch von einer weiteren Partei übernommen wären. Und die Partei Die Linke auch noch erheblich geschwächt oder ganz zerlegt übrigbliebe.

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  2. Ahne

    Genau! Nie wieder darf der Fehler gemacht werden die eigenen Prinzipien (wenn es denn überhaupt je die eigenen waren) um des Erfolges willen aufzugeben. Nationen gehören auf den Müllhaufen der Geschichte (hi hi und das zur Fußball-WM), wenn nicht heute, dann eben in hoffentlich nicht allzu ferner Zukunft.

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