Die Kapitalisten lieben die Menschen. Aber sie lieben die Menschen nur als Konsumenten, die Geld bezahlen. Als Arbeiter, die Geld verlangen, werden die Menschen weit weniger innig geliebt. Die Kapitalisten würden am liebsten ganz ohne Lohnarbeiter auskommen. „Wenn nur die Arbeiter gratis für mich arbeiteten!“, ruft in seinen kühnsten Träumen der Unternehmer. „Oder noch besser: Wenn die Arbeiter dafür bezahlten, für mich arbeiten zu dürfen!“ Solcher Träumerei ist in der Wirklichkeit eine Grenze gesetzt. Leider ist nämlich der Konsument und der Produzent nicht selten dieselbe Person. Das Geld, das die Menschen als Kunden ausgeben, müssen sie als Arbeiter zuvor verdient haben. Und doch finden Kapitalisten immer öfter Mittel und Wege, Lohn zu sparen, indem sie die Konsumenten davon überzeugen, sich gratis an der Produktion und dem Vertrieb von Waren zu beteiligen. So soll es einen schwedischen Konzern geben, der erfolgreich Bretter und Schrauben verkauft, die von den Käufern dann zuhause selbst zu Möbeln montiert werden. Was früher ein bezahlter Handwerker machte, erledigt nun ein zahlender Kunde.
Die Verwandlung von zahlenden Kunden in zahlende Mitarbeiter macht auch in anderen Branchen rasche Fortschritte. Abertausende Kunden beliefern Internethandelskonzerne wie Amazon freiwillig und unbezahlt mit Bewertungen und Rezensionen von Produkten. Was treibt diese Menschen an? Offenbar ist es der Reiz, die eigene Meinung publiziert und diskutiert zu sehen. Es verwundert nicht, dass angesichts der finanziellen Krise des Journalismus nun auch Medienkonzerne auf das Amazon-Prinzip setzen. Und man erhält als Autor immer öfter Anfragen wie die folgende:
Über einen Facebook-Link bin ich auf Ihren Text: *** gestoßen. Ich würde Ihren Text gerne auf unserer Seite zur Debatte stellen. Ein Budget habe ich für diese Zwecke leider nicht, würde aber im Text auf Ihren Blog verlinken mit dem Hinweis, dass dieser zuerst dort erschienen ist. Lassen Sie mich wissen, ob Sie Interesse daran haben.
So freundliches Fragen ist natürlich nicht verwerflich. Aber man wundert sich doch, wenn ein solches Angebot von einem kommerziellen Medium kommt. Was soll man als freier Autor, der irgendwie seine Miete bezahlen muss, anderes antworten als:
Lieber ***,
vielen Dank für Ihr Interesse und Ihre Anfrage! Ich freue mich, dass Ihnen der Text gefallen hat und natürlich würde ich mich auch über weitere Verbreitung freuen. Aber ich finde es grundsätzlich problematisch, wenn professionelle Medien ihre Seiten mit Beiträgen von Autoren füllen, die dafür nicht bezahlt werden. Ich hoffe, Sie haben dafür Verständnis und nehmen mir diese Prinzipienreiterei nicht übel.
Mit freundlichen Grüßen, Michael Bittner
Muss man vielleicht auch die triumphale Rückkehr der lange belächelten Leserbriefe in so vielen Medien ganz neu bewerten? Geht’s da vielleicht weniger darum, die Kluft zwischen Redaktion und Leserschaft zu überbrücken, als darum, kostengünstig Seiten zu füllen? Der finanzielle Unterschied zwischen Leserbriefschreiberei und freiem Journalismus schrumpft jedenfalls stetig, während freie Autoren gleichzeitig immer mehr Aufgaben übernehmen, die früher feste Redakteure erledigten. Vielleicht treten bald nur noch Menschen an die Öffentlichkeit, die sich das Schreiben als Hobby leisten können, weil sie vermögend sind oder anderswo sprudelnde Geldquellen erschlossen haben. Man wird sich fragen dürfen, ob das wünschenswert ist.
(Den cleveren Einwand „Schreibt halt besser, dann werdet ihr auch besser bezahlt!“ nehme ich hier gleich mal vorweg, damit sich kein Kommentator die Mühe machen muss.)
Aber ist denn nicht auch dieser Beitrag hier Gratisschreiberei? Verschenke ich nicht auch Texte? In der Tat mache ich das, sogar sehr gerne. Nur mag ich es wie jeder Schenkende nicht, wenn meine Gabe vom Beschenkten anschließend weiterverkauft wird. In meinen kühnsten Träumen verfolgen Medien überhaupt keine kommerziellen Interessen mehr. Aber solange das noch nicht wirklich der Fall ist, sollte die Presse ihre Autoren gefälligst bezahlen.