Die Kulturleithammel

Die von Thomas de Maizière angestoßene Diskussion um die „deutsche Leitkultur“ zeitigt einen ersten Erfolg: Die Betreiber des Döner-Imbisses bei mir um die Ecke haben ihr Restaurant mit – kein Witz! – etwa einhundert schwarzen, roten und goldenen Luftballons dekoriert. Sind die Türken durch dieses Zeichensetzen in der deutschen Kultur angekommen? Oder müssten sie nicht doch eigentlich Bratwürste mit Kartoffelbrei und Sauerkraut anbieten?

Man erträgt diese Debatte, die alle Jahre wiederkehrt wie die Grippe, wirklich nur noch mit Humor. Und es ist schwer zu entscheiden, über wen man mehr lachen soll: Über die christdemokratischen Kulturkämpfer oder manche ihrer linken Gegner, die jedes Gespräch über Werte sogleich mit dem Vorwurf niederbrüllen, da wolle jemand „am rechten Rand fischen“. Bei einer politischen Debatte erst mal nach dem Angelschein zu fragen, das ist auch ziemlich deutsch.

Die Schwindeleien, die in allen Entwürfen zu einer Leitkultur stecken, sind unschwer zu erkennen. Da wird so getan, als wäre Kultur ein Erbgut wie eine goldene Taschenuhr, die man nur stetig bewahren und vor fremden Dieben schützen müsste. Dabei ist Kultur immer vielfältig, wandelbar und umstritten. Die Aufklärung und die Demokratie, die heute nicht fehlen dürfen im Phrasenkitsch jedes rechten Kulturleithammels, wurden von dessen Ahnen noch als unchristlich und undeutsch bekämpft. Umgekehrt wüsste ich viel Deutsches, das getrost verschwinden könnte: das Spießertum und der Blutstolz, die Feigheit vor der Obrigkeit und die Hausfrau.

Manche Linke glauben leider im Gegenzug, noch die größten Dummheiten im Namen kultureller Vielfalt „respektieren“ zu müssen. Der Unfug der Leitkultur besteht aber nicht darin, dass Normen verteidigt, sondern darin, dass diese Normen mit einer Nationalkultur verknüpft werden. Doch es ist nicht darum verwerflich, Frauen in Säcke zu stecken, weil so eine Burka nicht zur deutschen Tradition gehört. Es ist falsch, weil es falsch ist. Und es ist in Afghanistan genauso falsch wie bei uns. Wer moralische Grundsätze von der „Kultur“ abhängig macht, als rechter Kulturkrieger oder als linker Identitätsverteidiger, der verabschiedet sich von einer tatsächlich bewahrenswerten Leistung der westlichen Zivilisation: den allgemeinen Menschenrechten.

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Dieser Text erschien zuerst als Kolumne der Rubrik Besorgte Bürger in der Sächsischen Zeitung.

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