Es dürfte sich inzwischen herumgesprochen haben, dass die neuen sozialen Medien keineswegs automatisch zum Triumph der Aufklärung führen. Das Medium ist eben nicht schon selbst die Botschaft. Jede neue Technik lässt sich für schlechte Zwecke ebenso gebrauchen wie für gute. Und so sollte es auch keinen überraschen, dass sich im Internet auch Hetzparolen, Lügengeschichten und Verschwörungsideologien tummeln und fleißig vermehren.
Wir machen es uns etwas zu einfach, wenn wir die Opfer solcher Verschwörungsideologien als lächerliche „Aluhüte“ abtun. Denn der Wahn ist nicht so weit von der Vernunft entfernt wie wir gerne glauben möchten. Wir alle neigen dazu, Tatsachen zu ignorieren, die uns unangenehm sind, während wir freudig jede Nachricht begrüßen, die in unser Weltbild passt. Im Verschwörungswahn dreht diese selektive Wahrnehmung bloß völlig frei. Und auch intelligente Menschen sind gegen solche Verirrungen nicht immun.
Der Verschwörungswahn ist auch nicht auf ein einziges politisches Lager beschränkt. Rechte leugnen vorzugsweise deutsche Verbrechen, weil solche Tatsachen ihre patriotischen Gefühle schmerzvoll verletzen. Nach dem jüngsten Terroranschlag in Berlin konnte man aber im Netz bestaunen, wie auch einige Linke plötzlich seltsamste Dinge von sich gaben. Der LKW könne ja wohl auch von einem Nazi gesteuert worden sein, um die Stimmung gegen Flüchtlinge zu kehren, wurde da geraunt. Und die Polizei, die verdächtig spät erst die Identität des mutmaßlichen Täters entdeckt habe, erzähle womöglich nicht die Wahrheit über den Anschlag.
Mit solchen Mutmaßungen schützen sich einige vor einer unangenehmen Einsicht: Getarnt als Flüchtlinge haben sich in den vergangenen Jahren auch Terroristen nach Europa geschmuggelt. Dass diese sich nach Anschlägen keine Mühe geben, ihre Identität zu verschleiern, ist nicht merkwürdig, sondern verständlich. Denn der Islamische Staat will durch solche Taten die echten Flüchtlinge diskreditieren und die Europäer demoralisieren. Auf diese Weise stärken die Islamisten ihre geistigen Komplizen, die europäischen Faschisten, auf dass es zum beidseitig ersehnten Krieg der Kulturen komme. Um den abzuwenden, bleibt uns nur die Macht der Vernunft. Ihr Sieg ist aber alles andere als gewiss.
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Dieser Text erschien zuerst als Kolumne der Rubrik Besorgte Bürger in der Sächsischen Zeitung.