Verklärung im Tode

Ein Politiker, der sich nach allgemeiner Beliebtheit sehnt, sollte am besten sterben. Nach dem Tod kann er sich aus den Streitereien des Tages heraushalten. Seine Fehltritte und Skandale sind nach einem Weilchen vergessen. Harte Entscheidungen, die Bürger verärgern, müssen fortan die Nachfolger treffen. Ein Politiker, der keine Politik mehr macht, erscheint dem Volk im Rückblick gewöhnlich nur noch als weiser Staatsmann. Zumindest kann er mit Sicherheit keinen Schaden mehr anrichten. Verstorbene erscheinen im milden Licht der Verklärung. Am Grab drängeln sich nicht nur die Freunde, sondern auch die ehemaligen Gegner, um ein bisschen Abglanz vom Heiligenschein auf sich fallen zu lassen. Jede Kritik am Verewigten erscheint als geschmacklose Lästerung, man hört nur Lob. Bei Grabreden wird gewöhnlich noch mehr gelogen als bei Wahlreden.

So ist denn nun auch Helmut Kohl für niemanden mehr die matte Birne, sondern für alle ein helles Licht. Ausschließlich als Vater der Einheit und Staatsführer von Weltformat geht er ein ins Gedächtnis der Nation. Auch Professor Patzelt fand in seinem Nachruf in der vorigen Woche nicht ein einziges Haar in der Kohlsuppe. Ja, er warf den Kritikern des ewigen Kanzlers sogar vor, sie hätten in Wahrheit gar nicht unter Kohl, sondern unter Deutschland gelitten. Dieses patriotische Argument schlechthin hört man sonst nur von Erdogan, Trump und Konsorten: Wer einen Herrschenden angreift, der ist ein Feind des Volkes!

Wenn einem so der Mund verboten werden soll, bekommt man gleich umso mehr Lust zu sprechen. Nein, man ist kein pietätloser Fiesling, wenn man schüchtern daran erinnert, dass Helmut Kohl auch der Mann war, der eine „moralische Wende“ ausrief, selbst aber einfachsten moralischen Ansprüchen im privaten und öffentlichen Leben nicht genügte. Das muss ja niemanden hindern, anzuerkennen, dass Helmut Kohl sich auch Verdienste um die Wahrung des Friedens und die europäische Verständigung erwarb. In welchem Verhältnis Erfolge und Fehler im Lebenswerk dieses Mannes stehen, das sollten die dafür zuständigen Historiker klären, ohne Zorn und Eifer. Helmut Kohl aber möge nun in Frieden ruhen – und bitte nicht als Untoter durch die deutsche Politik geistern, wie das Gerhard Schröder gerade macht.

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Dieser Text erschien zuerst als Kolumne der Rubrik Besorgte Bürger in der Sächsischen Zeitung.

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