Denk ich an Deutschland

Vor einer Weile hatten einige Wutbürger einen trefflichen Einfall: Sie wollten ihrer Sorge ums Vaterland Ausdruck verleihen und sich dabei auf eine bekannte deutsche Geistesgröße berufen. Der Plan an sich war gut: Tote Dichter können sich nicht wehren, man kann sie ungefragt für die eigene Sache einspannen.

Bloß leider war es um die Bildung der Wutbürger nicht zum Besten bestellt. Da sie keine Bücher im Haus hatten, mussten sie nach Zitaten im Internet fischen. Dort entdeckten sie den Vers „Denk ich an Deutschland in der Nacht, / Dann bin ich um den Schlaf gebracht“ von Heinrich Heine und pinselten ihn prompt auf ihre Pappschilder. Dass sich Heine in seinem Gedicht „Nachtgedanken“ nicht um Deutschland, sondern um seine Mutter sorgt, konnten die Verteidiger der deutschen Kultur nicht wissen. Dazu hätte ihnen ja das Gedicht im Ganzen vor Augen kommen müssen. Hätten sie sich gar ins Werk von Heine vertieft, wären ihnen womöglich auch noch folgende Verse begegnet: „Fatal ist mir das Lumpenpack, / Das, um die Herzen zu rühren, / Den Patriotismus trägt zur Schau / Mit allen seinen Geschwüren.“ Nicht auszudenken!

Wer nicht mit unseren neuen Patrioten fühle, der kenne wohl einfach die deutsche Kultur nicht, so wird neuerdings behauptet. Seltsam, ich habe einen anderen Eindruck: Gerade wer mit der deutschen Kultur vertraut ist, der weiß auch, wie vielfältig, ja zerrissen sie immer war, wie offen für Einflüsse aus aller Welt, wie weit entfernt in ihren besten Vertretern von jeder nationalen Beschränktheit.

Wie kulturlos zeigen sich dagegen jene, die „Kultur“ erniedrigen zur hohlen politischen Kampfphrase, um ihnen verhasste Menschen herabzusetzen und auszugrenzen. Kein Flüchtling, der sich im Sprachkurs mit seinen ersten Sätzen müht, hat die deutsche Sprache je so geschändet wie unsere neuen Demagogen bei ihren geifernden Reden. Sie repräsentieren nichts von dem, was an der deutschen Kultur schätzenswert ist, stattdessen völkische Dummheit, Fremdenhass und Antisemitismus, Spießertum und autoritäre Gesinnung. Das, was sie Kultur nennen, sollten wir nicht bewahren. Das möge verrecken. Und das wird es auch, es sei denn, die Reproduktionsmedizin entwickelt noch eine Methode, wie alte, frustrierte Männer sich miteinander fortpflanzen können.

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Dieser Text erschien zuerst als Kolumne der Rubrik Besorgte Bürger in der Sächsischen Zeitung.

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Kommentar
  1. Frans Bonhomme

    Nun, ob die Nutzbarmachung des alten, weissen Mannes als Feindbild des an allen Übeln der Welt Kollektivschuldigen eine Bereicherung für unser Land zeitigen wird – da bin ich mir unsicher. Noch unklar ist mir, wie die Einführung einer diversity hierarchy das Problem der sozialen Gerechtigkeit lösen soll – ohne einfach alte Ungerechtigkeiten durch neue zu ersetzen.
    Verhasste Menschen herabzusetzen und auszugrenzen scheint mir sowohl rechts als auch links der dominante Politikstil zu sein.

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