Geschlechtergerechte Sprache wird immer wichtiger für deutsche Konzerne. Das ergab eine FOCUS-Umfrage unter den Unternehmen des Dax 30. Die Hälfte aller gelisteten Firmen hat Richtlinien oder verbindliche Vorgaben für Formulierungen erlassen, die Männer und Frauen gleichermaßen, also geschlechtsneutral, adressieren. Dies kann etwa die Verwendung des Doppelpunkts („Mitarbeiter: innen“), eines Unterstrichs („Mitarbeiter_innen“) oder der Partizipialform („Mitarbeitende“) bedeuten.
Da ist der FOCUS-Lesende doch ziemlich erstaunt. In einem Magazin, das sonst vor allem den älteren Herren ein journalistisches Obdach bietet, die ihren Lebensabend mit dem Zetern gegen den Genderwahnsinn verbringen, wird sachlich, ja beinahe wohlwollend über den Siegeszug geschlechtergerechter Sprache berichtet? Die Redaktion des liberalkonservativen Magazins riskiert es, von einer halben Tonne erzürnter Wutbürgerpost verschüttet zu werden? Irgendetwas, man oder mensch wittert es, muss hier faul sein.
Elf Konzerne führen Gender-Schulungen durch, um ihren Mitarbeitern die neuen Sprachregeln nahezubringen. Zum Teil geht es dabei nicht nur um korrekte Schreibweisen. Bei Adidas müssen sich „alle über 62000 Beschäftigten verpflichtend mit Themen wie Vielfalt, unbewussten Vorurteilen, Privilegien und Mikroaggressionen auseinandersetzen“.
Das Staunen hält an, doch zugleich meldet sich der leise Zweifel. Sprachliche Reformen müssen gewiss nichts Schlechtes sein, aber wirken sie befreiend auch dann noch, wenn sie einem vom Chef nahegebracht werden, von dem man sich nicht entfernen kann, ohne zugleich den Job loszuwerden? Ich frage mich: Erfahren die pädagogisch Zwangsbeglückten bei Adidas dann gleich auch noch etwas über die Theorie des Mehrwerts, die Geschichte der deutschen Wirtschaft im Nationalsozialismus oder das Recht auf Faulheit? Oder könnten allzu viele Kenntnisse in diesen Gebieten womöglich den Betriebsfrieden stören? Werden auch die Privilegien der Vorstandsmitglieder kritisch beleuchtet oder käme das schon einer Mikroaggression gleich, die vom Makroboss zu ahnden wäre?
Die VW-Tochter Audi sorgt seit März mit einer Unternehmensrichtlinie für eine „wertschätzende Ansprache aller geschlechtlichen Identitäten“ – also auch von Menschen, die sich nicht eindeutig als Mann oder Frau bezeichnen wollen. Auf VW-Konzernebene wird ein Arbeitskreis demnächst das Thema anpacken. Der Grund ist unter anderem der Facharbeitermangel und die Sorge ums Arbeitgeber-Image.
Ich habe mich immer gefragt, wie es dem Kapitalismus gelingt, bis heute zu überleben, obwohl es doch schon längst Che-Guevara-T-Shirts, Punkrock und kapitalismuskritische Aufsätze in der ZEIT gibt. So langsam ahne ich es. Womöglich gibt es unter denen, die unsere herrschenden Verhältnisse verteidigen, nicht bloß verkalkte Opas, die öffentlich jeden Fortschritt als Niedergang verfluchen. Neben ihnen arbeiten vielleicht auch noch ein paar geschicktere Leute, die wissen, dass es viel besser ist, den Fortschritt stattdessen fest in die Arme zu schließen. So umfangen ist er nicht nur gebremst, er lässt sich auch ausquetschen, notfalls sogar ersticken. Der schlaue Unternehmer weiß, dass sich die frisch entdeckte Vielfalt der Geschlechter nicht zurück ins alte Schema von echtem Mann und treuem Weib pressen lässt. Er macht die Not zur Tugend und die Kapitulation vorm Geist der Zeit zum Profit. Die frustrierten alten Säcke sterben ohnehin demnächst, aber die jungen Leute sind das Menschenmaterial der Zukunft. Die Diversität als Wettbewerbsvorteil: Wenn sich sexuelle Abweichler*innen in der Firma wertgeschätzt fühlen, arbeiten sie tüchtiger für den Aktienwert und die Schätze der Chefs. Vielleicht bietet Mercedes demnächst Modelle mit einem Genderstern auf der Motorhaube an. Gemobbt werden in den Konzernen Minderleister und Querulanteninnen von nun an nur noch streng unabhängig von ihren sexuellen Vorlieben. So bleibt auch das Arbeitgeber-Image glänzend wie eine Anzeige im Hochglanzmagazin. Die Kund*innen der kommenden Generation, die ihren Erweckungsstolz gern auch beim Konsum mästen wollen, sorgen für wachsenden Profit. Sie dürfen gerne eine liquide Geschlechtsidentität haben, solange sie zugleich auch finanziell flüssig sind. So wie einst Coca Cola die Hippies im Werbespot für den Weltfrieden singen ließ, um Koffeinbrause abzusetzen, werden nun queere Modelle ins Schaufenster gestellt.
Aber noch haben sich nicht alle deutschen Großkonzerne zur Vielfalt bekehrt:
Reserviert zeigt sich HeidelbergCement. „Unser Ziel ist es, Sprache nicht zu verkomplizieren“, heißt es dort. Auch bei Bayer und Merck ist das Gendern derzeit kein Thema. BMW will auf Sternchen und Unterstriche verzichten. Ähnlich wie Wettbewerber Daimler hofft der Autobauer „auf eine baldige Entscheidung des Rates für deutsche Rechtschreibung“.
Es gibt also noch Zweifler, aber auch die würden sich einer offiziellen Anweisung beugen. Denn so sehr die deutschen Unternehmer stets ihre Freiheit verteidigen, gehört es doch auch zu ihrer Tradition, dem Befehl zu folgen, der von oben kommt und im Namen der deutschen Nation spricht.
Ich habe Freundinnen und Freunde, die von der Bedeutung des Genders für die Geschlechtergerechtigkeit zutiefst überzeugt sind, und andere Freundinnen und Freunde, die das Gendern für bevormundend und sprachlich verkehrt halten. Auf welche Seite soll ich mich in diesem erbitterten Streit schlagen? Ich wage kaum, es zu sagen: Ich ergreife die Partei der Menschen, die diesen Streit für nicht gar so wichtig halten. Nur Leute, die den ganzen Tag am Schreibtisch verbringen, können auf die Idee kommen, die Gesellschaft ließe sich mit den Mitteln der Zeichensetzung umwälzen. Eine Sprachreform, von der wir im FOCUS lesen, ist jedenfalls ganz sicher keine Revolution, vor der sich die Mächtigen fürchten. Umgekehrt halte ich auch die Warnung für ein wenig überzogen, der Genderasterisk werde für die deutsche Sprache zum Todesstern. Sich beim Schreiben und Sprechen Gedanken darüber zu machen, ob man auch alle Menschen erreicht, ist keine Zumutung, sondern eine Selbstverständlichkeit. Ich wünschte, alle nutzten die Sprache einfach so, wie es ihnen das eigene Gefühl und Gewissen eingeben, ohne andere zu irgendetwas zwingen zu wollen.
Was soll man aber überhaupt von einer Diversität halten, die von Kapitalisten gepredigt wird? Es geht mir mit ihr wie mit Frauen bei der Bundeswehr: Natürlich fühle ich mich verpflichtet, die Gleichstellung von Soldatinnen zu befürworten. Aber noch lieber wär’s mir doch, stattdessen würde der ganze Laden dichtgemacht. Mit den Fabriken könnte man dann, anders als mit den Waffen, vielleicht sogar etwas Nützliches anfangen.
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Quelle: FOCUS, 17/2021
Dieser Text entstand für die satirische Medienschau Phrase & Antwort, die ich gemeinsam mit dem Kollegen Maik Martschinkowsky in Berlin im Franz-Mehring-Platz 1 fabriziere. Die nächste Ausgabe gibt es – voraussichtlich im Livestream – am 26. Mai um 20 Uhr auf unserer Homepage oder unserer Facebook-Seite.