Mit den christlichen Kirchen ist nicht zu spaßen. Sie verderben nicht nur denjenigen, die sich noch zu ihnen bekennen, die Laune durch muffige Sonntagspredigten und trockenen Pflaumenkuchen im Gemeindecafé. Zu Ostern dürfen sie sogar jene plagen, die ihnen längst den Rücken gekehrt haben oder denen als Säugling das spirituelle Water Boarding erspart geblieben ist. Vergnügungsverbote, Tanzverbote, Trinkverbote – damit das kleine Jesuskind nicht weinen muss, sind auch Atheisten und Andersgläubige am Karfreitag bei Strafe zur stillen Zerknirschung aufgefordert. Was aber tun, wenn man von einer rücksichtslosen Kollegin migrantischer Abkunft die Einladung zu einer Geburtstagsparty am Karfreitag bekommt? Man nimmt an. Was aber tun, wenn man auf den letzten Drücker am nicht verkaufsoffenen Karfreitag noch eine Flasche Schnaps als Geschenk besorgen will? Man fährt mit dem Bus nach Berlin-Neukölln, wo die Überfremdung erfreulicherweise die abendländische Knebelung der Ladenöffnungszeiten längst gelockert hat.
Tatsächlich entdecke ich schon nach wenigen Schritten einen türkischen Spätshop, dessen Tür offensteht. Ein Schriftzug auf dem Schaufenster verheißt „Spirituosen“. Doch als ich im Laden stehe und mich umblicke, entdecke ich zwar Säfte, Biere und Weine in den Kühlschränken und Regalen, doch nichts Höchstprozentiges. „Schnaps habt ihr keinen da?“, frage ich den jungen Verkäufer hinterm Tresen, nachdem er eine andere Kundin verabschiedet hat. „Doch. Aber den darf ich nicht verkaufen. Bist du vom Ordnungsamt, oder was?“ – „Wieso? Ist es heute etwa verboten, Schnaps zu verkaufen?“, frage ich entgeistert. „Ja. Zumindest große Flaschen.“ – „Das ist doch absurd!“, rufe ich. „Ja, aber es ist doch eure Religion!“, lacht der Verkäufer. „Meine nicht“, stelle ich fest und fahre in flehentlichem Ton fort: „Ich bin nicht vom Ordnungsamt. Wirklich nicht! Ich brauche nur ein Geburtstagsgeschenk für heute Abend.“
Der Verkäufer lässt einen grauen Sichtschutz nach oben schnellen, unmittelbar hinter ihm wird plötzlich das Regal mit den Spirituosen sichtbar, das zuvor verborgen gewesen ist wie ein Altarbild in der Passionszeit. „Ich suche einen Gin“, erkläre ich. „Da, den Tanqueray hätte ich gern.“ – „Das ist eine große Flasche, die kann ich dir nicht geben“, kündet der Dealer in strengem Ton. „Okay, dann nehme ich die kleine Flasche Bombay daneben. Die müsste doch gehen, oder?“ Ich bettle inzwischen wie ein Junkie auf Entzug. „Ich mach nur Spaß. Ich geb dir die große Flasche“, sagt der Verkäufer und scannt den Code auf dem Etikett. „O, so teuer ist der?“, fragt er erstaunt. „Ja, das ist ein guter“, simuliere ich Fachwissen. „Wusste ich nicht. Ich trinke immer Bombay.“ – „Ist das nicht gegen eure Religion?“, merke ich kritisch an und entlocke dem Verkäufer ein Grinsen. Ich zahle und verabschiede mich. Draußen stecke ich die Flasche schnell in einen Stoffbeutel. Aus Vorsicht – weiß man doch nie, wer gerade guckt: Gott oder Ordnungsamt.