Termine der Woche

Am Mittwoch (16. Mai) gibt es die letzte Ausgabe meiner Berliner Leseshow Zentralkomitee Deluxe vor der Sommerpause. Neue Geschichten, Songs und fortschrittliche Komik präsentiere ich wie immer gemeinsam mit den literarischen Genossen Tilman Birr, Noah Klaus, Piet Weber und Christian Ritter. Außerdem haben wir wieder einen Gast mit dabei, diesmal den wunderbaren Karsten Lampe von den Couchpoetos. Los geht es um 20 Uhr in der Baumhaus Bar überm Musik & Frieden an der Oberbaumbrücke in Kreuzberg. Tickets sind zum humanen Preis von 6 Euro am Einlass erhältlich.

Am Freitag (18. Mai) lese ich unter dem Titel „Wütende Bürger und schnelle Autos“ gemeinsam mit dem Kollegen Udo Tiffert in Dessau. Wir präsentieren eine Auswahl unserer schönsten Geschichten aus der letzten Zeit im Schwabehaus. Ich bringe mein aktuelles Buch Der Bürger macht sich Sorgen mit, Udo hat seinen neuen Gedichtband Viele Möglichkeiten zu lächeln im Gepäck. Los geht es um 20 Uhr. Karten gibt es für 5 bzw. 8 Euro am Einlass, Vorbestellungen sind unter der Nummer 0340 859 88 23 möglich.

Am Sonnabend (19. Mai) bin ich einer der Autoren beim Kantinenlesen, dem Gipfeltreffen der Berliner Lesebühnen. Mit dabei sind neben Moderator Dan Richter auch die wunderbaren Kollegen Jakob Hein, Meikel Neid und Falko Hennig. Los geht es um 20 Uhr in der Alten Kantine der Kulturbrauerei. Tickets gibt’s am Einlass.

Termine der Woche

Wenn es eine Stadt gibt, die interessanter ist als die Witze, die über sie gerissen werden, dann ist es Chemnitz. Am Mittwoch, den 9. Mai, besuche ich endlich einmal wieder mit meiner Lesebühne Sax Royal für ein Gastspiel das schöne Karl-Marx-Stadt. Die Neue Sächsische Galerie hat uns eingeladen, im Rahmen der Ausstellung „Tuchfühlung“ von Künstlern der Hochschule für Angewandte Kunst Schneeberg zu lesen. Mit dabei sind mit mir die Genossen Roman Israel, Max Rademann und Stefan Seyfarth. Wir lassen Texte auf Textilien treffen und präsentieren einige der schönsten Geschichten und Gedichte aus den letzten Jahren. Ort des Geschehens ist Das Tietz, los geht es um 19 Uhr.

Am Donnerstag (10. Mai) präsentieren wir mit der Lesebühne Sax Royal dann wie jeden Monat eine brandneue Show in der Scheune in Dresden. Neue Geschichten, Gedichte und Lieder gibt’s von allen Stammautoren, also neben mir von Julius Fischer, Roman Israel, Max Rademann und Stefan Seyfarth. Julius wird uns und unseren Gästen dabei auch sein brandneues Buch Ich hasse Menschen vorstellen, eine misanthropische Reiseerzählung. Los geht es um 20 Uhr. Karten gibt es bis Mittwoch im Vorverkauf, am Donnerstag ab 19:30 Uhr am Einlass.

Am Freitag (11. Mai) folgt wie gewohnt die Lesebühne Grubenhund in Görlitz, die ich gemeinsam mit den Kollegen Udo Tiffert und Max Rademann bestreite. Wir freuen uns, als besonderen Gast erstmals die Berliner Singer-/Songwriterin Jana Berwig begrüßen zu dürfen. Neben neuen Geschichten gibt es diesmal also auch Lieder zu hören. Los geht es im Camillo um 19:30 Uhr, Karten gibt es am Einlass ab 19 Uhr.

Am Sonntag (13. Mai) bin ich als Gastautor bei der Lesebühne Ihres Vertrauens in Frankfurt am Main, einer der schönsten Veranstaltungen ihrer Art in unserem sonst recht traurigen Land. Stammautoren und -musiker sind daselbst Tilman Birr, Elis und Severin Groebner. Einlass um 19 Uhr, Start um 20 Uhr im Elfer.

Nachtigall an der Autobahn

Der Feldweg endet doch,
ich habe mich verhofft.
Der Himmel ist so offen blau,
er weiß nichts von der grauen Grenze,
vor der ich stehen bleiben muss.
Gitter, Zäune, Planken schützen
die Schneise, die von Deutschen auf Befehl
durchs Land geschlagen ward.

Auf dem Beton geben sie Gas,
die Insassen des Blechs,
und röhren wie die Hirsche überm Sofa.
Sie haben freie Fahrt als freie Bürger bis
zum nächsten Nadelöhr,
durch das sie nicht passen werden.
Da verendet manche Reise in der Tragödie
des Polizeiberichts: Durch diese Rettungsgasse
konnte keiner kommen.

Im Rennen gelten keine Bedenken.
Alle wollen überholen und rechts
sind die Wege so verlockend frei.
Ein jeder hofft, beim Tod des Nächsten
nur der Gaffer mit dem guten Bild zu sein.
In diesen Augen bin ich nun nicht mehr
als Randgestalt, wie das flüchtige Tier,
kaum eines Blickes wert.

Da hör ich dich, verborgen im Grün, doch
unverkennbar: Der wegen seines schönen Gesangs
jedem aus Literatur und Musik bekannte Vogel.
Hier aber, am Rand des ungestörten Lärms,
brüllst selbst du, zartester der Vögel,
wie ein Hausmeister im Rausch.
Du schreist die Kehle dir zur Wunde
vergebens. Du wirst das rasende Volk
zu keinem Lied bekehren.

Lass uns lieber beide schweigen.

Krampf gegen rechts

Ein Faschist ist kein Rumpelstilzchen. Er zerreißt sich nicht selbst, wenn man ihn nur oft genug beim Namen nennt. Faschisten sind auch keine Vampire, die man bloß ins Tageslicht zerren muss, damit sie verdampfen, oder böse Zauberer, deren hässliches Antlitz, wenn es enthüllt wird, alle Menschen verschreckt.

Im „Kampf gegen rechts“ geben sich viele Linke in bester Absicht Illusionen hin. Sie glauben, man müsse den wahren Namen des Feindes nur laut ausrufen, das Licht der Aufklärung strahlen lassen, dem führenden Kopf die Maske vom Gesicht reißen – und schon wäre der Sieg errungen. Aber der Feind bleibt ungerührt stehen, grinst nur und schart weiter Anhänger um sich. Denn viele lieben ihn nicht trotz, sondern wegen seines Charakters. Je unverschämter er sich zeigt, desto größer der Jubel. Je mehr die Linken toben, desto sicherer sind sich die Rechten, dem Richtigen zu folgen. Und indem manche Linke nicht nur Faschisten, sondern auch demokratische Konservative wie Monster behandeln, schaffen sie sich selbst noch Feinde, die bloß Gegner sein müssten.

Aus dem mäßigen Erfolg des Kampfs gegen rechts schließen manche, er müsse noch lauter, noch militanter, noch kompromissloser geführt werden. Aber die Rechten sind nicht so stark, weil man sie nicht stark genug bekämpft. Sie sind stark, weil die Linken schwach sind. Es mangelt der Linken an Köpfen und Ideen, mit denen jene Mehrheit zu überzeugen wäre, die sich weder dem einen noch dem anderen politischen Lager zuordnet. In vielen Fragen unserer Zeit zeigen sich die Linken uneinig: Ist die Globalisierung Übel oder Chance? Muss Europa stärker werden oder der Nationalstaat wieder souverän? Ist der politische Islam Partner im Kampf gegen westlichen Imperialismus oder Gefahr für die Zivilisation? Ist Israel ein Schurkenstaat oder schützenswerte Demokratie? Sollen wir Putin die Stirn bieten oder die Hand reichen? Sind die katalanischen Separatisten Freiheitskämpfer oder Wohlstandschauvinisten? Brauchen wir Arbeitsbeschaffung für Vollbeschäftigung oder ein bedingungsloses Grundeinkommen? Soll unsere Ökonomie wachsen oder sich auf eine Zeit ohne Wachstum einstellen? Eine Neigung zum inneren Streit hatte die Linke schon immer. Mit dem Verlust auch der vagsten gemeinsamen Vision droht ihr heute aber der völlige Zerfall.

Risse solcher Art gibt’s auch bei der Rechten, aber die nimmt Widersprüche traditionell nicht so tragisch, solange nur ein charismatischer Führer und ein schönes Feindbild die Bewegung einigt. Das macht ihre Stärke aus. Im Kampf gegen rechts siegen die Rechten, solange die Linken nicht auch den schwereren Kampf entscheiden: den mit sich selbst.

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Dieser Beitrag erschien in einer kürzeren Fassung zuerst als Kolumne der Reihe Besorgte Bürger in der Sächsischen Zeitung.

Termine der Woche

Am Dienstag (24. April) unterhalte ich mich in Dresden bei der Sächsischen Zeitung im Haus der Presse in einer Diskussion unter dem Titel „Besorgte Bürger im Gespräch“ mit dem Feuilletonchef Marcus Thielking und dem Politikwissenschaftler Prof. Werner J. Patzelt. Unsere Themen: der Stil in Goethes Alterswerken, die Vor- und Nachteile der Polyamorie sowie der ontologische Gottesbeweis. Wer dabei sein und mitdiskutieren will, erwerbe besser eine Karte im Vorverkauf, denn der Platz ist begrenzt. Los geht es um 19 Uhr.

Die DDR schafft sich ab

In seiner vorigen Kolumne hat Werner J. Patzelt ein Bild unserer Gesellschaft gemalt, hatte aber leider keine Farben zur Verfügung, sondern nur Schwarz und Weiß: Da gibt es einerseits eine Elite, die lange die intellektuelle und mediale Vorherrschaft ausgeübt hat, nun aber mit mutigen Streitern für die Wahrheit konfrontiert ist, die diese Hegemonie in Frage stellen. Diese Recken haben die „Fakten“ als Waffen, jene hingegen bloß eine „Moral“, die auch noch falsch ist. So also wirkt die Welt, wenn man sie vom Schützengraben aus betrachtet.

Unsere Zeit ähnle der Spätzeit der DDR. Und wirklich: Wer erinnert sich nicht daran, wie das DDR-Regime Systemkritiker vor tausend Leuten im Dresdner Kulturpalast reden ließ, um sie mundtot zu machen? Wie das Buch „Die DDR schafft sich ab“ auf der Bestsellerliste im „Neuen Deutschland“ auf Platz 1 kletterte? Und die Oppositionellen ihre Thesen täglich in der „Aktuellen Kamera“ und in der Volkskammer vortragen durften?

Prof. Patzelt gesteht immerhin auch offen, worum es wirklich geht: Die neue Rechte möchte die „Hegemonie“ in Deutschland erobern, zuerst in der öffentlichen Meinung, dann auch im Staat. Zu diesem Zweck bedient sie sich der Methoden des Medienkrieges: Inszeniere dich selbst als Angegriffener und Unterdrückter, damit dein Feind als übermächtiger Aggressor erscheint! Beklage Widerspruch als Zensur! Zweifellos gibt es – so möchte ich einfügen, um mich nicht selbst im Schützengraben einzurichten – einige verbohrte Linke, die es durch ihre Intoleranz erleichtern, dass diese Selbstdarstellung nicht völlig unglaubwürdig erscheint. Im Ganzen aber ist sie ebenso weinerlich wie lächerlich.

Ein Blick hinüber zu den Staaten im Osten genügt, um zu erkennen, dass die vermeintlichen Freiheitskämpfer eine linke Meinungsdiktatur nur herbeifantasieren, um eine rechte errichten zu können. Und auch bei uns plaudert manch ein Streiter diesen Wunsch schon so treuherzig aus, wie der Schreiber eines denkwürdigen Leserbriefes, den ich jüngst erhielt: „JEDER Mensch hat das Recht auf eine Meinung und das Recht wegen dieser nicht denunziert zuwerden. Trittbrettfahrer wie Sie, die sich aus Gewinnsucht und Geltungsbedürfniss einer Meinung anschließen und alle andere Menschen verteufeln gehören Mundtot gemacht.“

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Dieser Text erschien zuerst als Kolumne der Rubrik Besorgte Bürger in der Sächsischen Zeitung.

Frieden mit Russland

In der Sächsischen Zeitung hat mich jüngst der Kollege Wolfgang Schaller in dem Beitrag Alter Narr, was nun? gescholten: für eine Kolumne über den Kabarettisten Uwe Steimle, den ich mit drei kritischen Sätzen bedacht hatte, von denen zwei auch noch ein Lob enthielten. Der Herr Steimle muss von dieser Unverschämtheit tief getroffen worden sein, immerhin fühlte sich einer seiner Dresdner Künstlerfreunde nach einem Gespräch mit dem Gekränkten dazu veranlasst, mir einen cholerischen Drohbrief mit der missverständlichen Warnung zu schreiben, dass ich „gefährlich lebe“. Wenn ich nur gewusst hätte, dass in der Welt des Kabaretts bei so großer Empfindsamkeit zugleich so raue Sitten herrschen! Ich hätte die Finger vom heißen Eisen gelassen und mich lieber mit etwas Harmlosem befasst, der AfD zum Beispiel.

Die Kolumne von Wolfgang Schaller aber gibt mir mein Vertrauen ins Kabarett zurück. Sie zeigt nicht nur unvergleichlich mehr Witz und Kunst als alle erbosten Leserbriefe, die bei mir eintrudelten, schlimmer noch, sie enthält auch viel Wahres.

Was da aus mir raus muss, betrifft die „Hymnen auf die Friedensmacht Russland“, die er bei einem sächsischen Kabarettisten einseitig findet, der halt nicht so politisch korrekt ist wie Dieter Nuhr und, o ja, durchaus umstritten. Aber, sorry, Kabarett ist einseitig, ist in seiner Zuspitzung ungerecht.

So schreibt Schaller, um Uwe Steimle gegen meinen indirekt angedeuteten Vorwurf der Einseitigkeit zu verteidigen. Und wir erinnern uns alle an Tucholsky, der es dem Satiriker erlaubte, die Wahrheit aufzublasen, um sie deutlicher zu machen. Ich stimme ganz zu, gebe aber leise zu bedenken: Es sollte dann schon eine Wahrheit sein, in die man pustet. Wenn es um Flüchtlinge geht oder um Juden, bläst Uwe Steimle leider ab und zu auch einmal eine Lüge auf. Solches Handwerk sollten die Kabarettisten besser den Propagandisten überlassen. Die verstehen sich besser darauf und verlieren auch keine Prozesse vorm Meißner Amtsgericht.

Ich bin vielleicht nicht auf dem neusten Stand der Lüge, wenn ich mich von Putin nicht bedroht fühle, obwohl ich ja wissen müsste: Die Russen sind schuld. Immer. Wir wissen das spätestens, seit sie uns 1945 den deutschen Endsieg vermasselt haben. Das war der Putin!

Es sind offenkundig meine beiläufigen Worte zu Russland, an denen Wolfgang Schaller Anstoß genommen hat. Darum ist es meine Pflicht, sie näher zu erläutern: Ich habe Verständnis dafür, dass Liebe immer einseitig ist. Und auch für die Liebe Steimles und anderer Ostdeutscher zu Russland habe ich Verständnis, selbst wenn sie etwas überrascht, war doch die deutsch-sowjetische Freundschaft einst nicht bei allen eine Herzenssache. Die neu erglühte Liebe lässt sich dennoch erklären, nämlich aus dem Trotz, den die Heuchelei vieler westlicher Medien und Politiker hervorgerufen hat. Da wirft man den Russen die Unterstützung von Separatisten in der Ukraine vor, während man gerade erst Separatisten auf dem Balkan unterstützt hat. Man klagt über russische Einmischung in die Politik westlicher Länder, als würden westliche Länder nicht ebenso die russische Opposition päppeln. Man verdammt die Kriege, die Russland im Kaukasus führt, während die amerikanischen Kriege im Nahen Osten ein Vielfaches an Opfern fordern.

Eine traurige Folge der westlichen Heuchelei scheint mir nun aber gerade die Verwirrung, in die viele Menschen stürzen, die sich ehrlich nach Frieden sehnen. Sie sehen die Ungerechtigkeit des Westens und glauben, sich ganz in die Waagschale des Ostens werfen zu müssen. Sie reden sich ein, die russischen Bomben in Syrien wären nicht mit Sprengstoff, sondern mit Rosenblüten gefüllt. Sie durchschauen westliche Propagandalügen und glauben doch jedes Wort aus dem Kreml. Sie wollen nicht sehen, wie der ehemalige Spitzel Putin sich nach außen routiniert der Methoden der Zersetzung bedient und im Innern als geschäftsführender Direktor einer Clique von Oligarchen amtiert. Es tut mir leid, aber ich bin nicht in der Lage, mein Herz an Putin zu verschenken. Mit Russland in Frieden auskommen will ich aber gerne. Für einen Einmarsch ist es mir da ohnehin zu kalt. Ich plane seit Jahren die Eroberung von La Gomera.

Auf welche Seite soll man sich nun aber schlagen in diesem verfluchten Konflikt? Ich würde sagen: auf keine. Der schlimmste Feind des Kriegstreibers ist nicht der Gegner im Krieg, sondern der Gegner des Krieges. Hier wie in vielen politischen Fragen unserer Zeit lautet die richtige Antwort: Weder-Noch. Ganz schön unbefriedigend ist das, zugegeben, und kompliziert obendrein. Wolfgang Schaller meint:

Von einem Kabarettisten komplexe Betrachtung erwarten, ist so, als würde man von einer Prostituierten verlangen, dass sie Jungfrau bleibt.

Das klingt nun aber beinahe so, als wäre Blödheit beim Kabarett Einstellungsvoraussetzung. Die Arbeit von Wolfgang Schaller selbst beweist schon, wie wenig das stimmen kann. Die Einseitigkeit und die Übertreibung mögen Stilmittel des Satirikers sein. In der deutschen Satireordnung finde ich aber keinen Paragrafen, der vorschreibt, dass sie die einzigen Stilmittel sein sollen. Nirgends steht, dass Kabarettisten ihr Publikum nicht nachdenklicher machen dürfen, als es vor dem Gang ins Theater war. Ich wäre sogar dafür. Sonst wüsste ich nicht, wie man den Anspruch von André Poggenburg abweisen sollte, auch ein Satiriker zu sein. Wenn sich Satire nicht mehr vom Genöle eines Wutbürgers unterscheidet, wenn Künstler und Karikatur zur Ununterscheidbarkeit verschmelzen, wenn Kabarettist und Zuschauer sich im Gesinnungsrausch verbrüdern, dann hört die Satire auf. Vielleicht soll sie das ja auch. Dann möge ein solcher Bühnenbürger vom Kritiker aber auch keine ästhetische Betrachtung mehr einfordern. Und vor Gericht schleiche er sich nicht mit Verweis auf die Freiheit der Kunst davon.

Die Kolumne Wolfgang Schallers endet mit dem mahnenden Ruf zum Frieden:

Wenn es um den Frieden geht, würde ich mich mit allen verbünden, mit KdW, AfD und ADAC.

Elfmal wiederholen die abschließenden Verse das Wort „Frieden“! Das ist fies, denn so wird es mir einigermaßen hart, nicht wie ein Freund des Krieges zu wirken, wenn ich mir eine letzte Anmerkung erlaube. Es ist schön, wenn zwei Länder sich vertragen. Am besten schließen sie dazu einen Vertrag. Nur gibt’s aber auch Verträge, die unsittlich sind, weil sie auf Kosten Dritter abgeschlossen werden. Die Balten, die Polen und auch die Juden erinnern sich jedenfalls noch daran, dass nicht jeder deutsch-russische Frieden ein reiner Segen war. Deswegen befremdet es mich ein wenig, mit welcher Unbeschwertheit manche neuen Freunde Russlands ihrem Liebling zubilligen, die kleinen Länder seiner Umgebung zu beherrschen oder sich bei Bedarf stückweise einzuverleiben.

Da höre ich plötzlich von einem, der rechts gewählt hat, meine eigene Meinung. Das ist für einen Kabarettisten ganz blöd. Saublöd. Wer zur anderen Seite gehört, muss doch grundsätzlich unrecht haben.

So spottet Wolfgang Schaller über jene, die nichts vom Frieden wissen wollen, weil er diesmal auch von Rechten gefordert wird. Ein dummes Verhalten, wohl wahr. Aber wenn daraus folgen soll, dass ich mich dem liebsten Dogma der Rechten, dem Recht des Stärkeren, beugen muss, um meinen persönlichen Frieden mit Russland zu machen, dann kann ich mich nur wiederholen: Ich will das eine nicht. Und das andere noch weniger. Das heißt nicht, dass ich mich in die Neutralität verdrücke. Ich befinde mich im Kriegszustand mit allen. Um des Friedens willen!

Meine Eroberung Wiens

Es giebt Menschen, die nichts zu thun haben. Vollkommen Überflüssige des Daseins. Mit weit aufgerissenen Augen schauen sie und schauen. Diese hat das Schicksal bestimmt, die Vielzuvielbeschäftigten zum Verweilen zu bringen vor den Schönheiten der Welt!

Peter Altenberg

 

Wer auf dem schnellsten Wege nach Wien gelangen will, der nehme die Abkürzung durch die Luft. Wer hingegen den schönsten Weg sucht, dem sei zur Reise mit dem Zug geraten. Von Berlin aus durchquert man dabei hinter Dresden zunächst die Sächsische Schweiz immer entlang des Tals der Elbe. Mir gegenüber sitzt ein allein reisender Minderjähriger, der mit der Kamera seines Telefons, das er auf ein kleines Stativ gestellt hat, durchs Fenster die Landschaft filmt. In Bad Schandau steigt er aus. Ob er seine Großeltern besucht und ihnen nachher die aufgezeichnete Schönheit Sachsens vorführt, um zu beweisen, dass so ein Telefon doch nützlich sein kann? Oder will er das Video beim Fernsehen einreichen, auf dass es in der Sendung Die schönsten Bahnstrecken Deutschlands gezeigt werde? Aber vielleicht filmt er auch nur um des Filmens willen, was durchaus zu begrüßen wäre, ist doch die Freude am Schaffen unnützer Bilder der erste Schritt zum Künstlertum.

Im Zug reise ich heute in der Rolle eines Salonkommunisten: Ich sitze in der ersten Klasse und blättere in der konkret. Und das kam so: Bei der Suche nach günstigen Fahrkarten offenbarte sich die Möglichkeit, für wenig mehr als 100 Euro in der ersten Klasse nach Wien und zurück zu fahren. Der Kapitalismus machte es durch einen internationalen Sparpreis möglich. Dieses Angebot konnte ich unmöglich ausschlagen. Zwar dauert die Reise zehn Stunden, ist dafür aber sehr bequem. Ein wenig enttäuscht bin ich nun nur, weil die erste Klasse sich weit weniger glamourös zeigt, als es der kleine Mann sich träumen lässt. Wo sind die Prinzessinnen auf der Reise zu ihrem Geliebten? Wo die Geheimagenten mit ihrem Koffer voller Plutonium? Wo die gealterten Opernsänger, die in den Süden fahren, um die geschundene Kehle für ihren letzten Parsifal zu kurieren? Stattdessen sehe ich junge Familien, die ihren Kleinkindern Süßigkeiten verabreichen, Rentner, die in Illustrierten blättern, und eine Frau im grauen Pullover, die an mitgebrachten Möhren nagt und das Buch Welche Heilpflanze ist das? studiert. Wahrlich, solcher Menschen hätte ich auch in der Regionalbahn nach Eberswalde gewahr werden können! Gebrochene Versprechen sind schlimm, besonders dann, wenn man selbst es war, der sich etwas versprochen hatte. Auch der tschechische Schaffner, der hinter der Grenze den deutschen ablöst, enttäuscht enorm. Er überprüft nicht nur die Fahrkarten, sondern muss auch noch Mineralwasser in Plastikflaschen kostenlos an die Passagiere verteilen. Diese unwürdige Nebentätigkeit raubt ihm sogleich die Aura der Autorität, die Fahrgäste werfen ihm denn auch mitleidige Blicke zu. Da nützt auch die schöne Uniform nichts mehr.

In Prag muss ich ein einziges Mal umsteigen. Der Zug der Österreichischen Bundesbahnen, der mich nach Wien bringen soll, heißt Railjet. Geht’s noch angeberischer? Warum nicht gleich Gleisrakete, das Space Shuttle auf der Schiene? Früher suchten die Erfinder das Neuartige sprachlich an das Vertraute anzuschließen, um den Menschen die Angst zu nehmen, so wie beim „Flughafen“. Heute schwindeln Marketingschwätzer das Altbekannte zur Neuigkeit hoch. Wahrscheinlich bleibt ihnen nichts anderes übrig, weil Erfindungen, die das Leben der Leute wirklich verbessern, schon lange keine mehr vorgefallen sind. Die letzten großen Erfindungen der Menschheit waren, wenn ich nicht falsch unterrichtet bin, der Flachbildschirm, Aperol Spritz und der Gender-Asterisk.

Zwei junge italienische Paare kommen in den Wagen. Sie sind äußerst unsympathisch, denn laut und fröhlich. Was gibt es Widerwärtigeres als die gute Laune fremder Menschen? Erfreulicherweise kommt bald eine Schaffnerin und verweist sie der ersten Klasse, in die sie sich widerrechtlich gesetzt hatten. Sie packen ihre Sachen zusammen und trotten geschlagen davon. Äußerst befriedigend ist es, dabei zuzuschauen, wie die Ordnung wiederhergestellt wird! Stille im Waggon. Mir kommt ein schlimmer Verdacht: Kann es sein, dass mein Aufenthalt in der ersten Klasse mich schleichend auch geistig in einen Vertreter der Oberschicht verwandelt? Führt zu viel Beinfreiheit zu Ellenbogenmentalität? Beginnt tief in mir gar die innere Kartoffel zu keimen?

Im Speisewagen sitzen am Nachbartisch zwei junge Männer, offenbar Rucksacktouristen, die sich auf der Reise kennengelernt haben, ein schmaler Finne und ein bulliger, glatzköpfiger Amerikaner. „Sei nicht beleidigt“, sagt der Amerikaner laut zu seinem Gefährten. „Aber ich habe mich bewusst entschieden, durch Mittel- und Osteuropa zu reisen, weil wir zuhause in den Südstaaten davon ausgehen, dass die Westeuropäer schwache Pussys sind, die Angst vor den jungen Moslems haben, ihre Frauen nicht mehr beschützen und sich vom Staat wie Kinder behandeln lassen. Und ich muss dir ehrlich sagen, das alles hat sich auf meiner Reise für mich bestätigt. Die Osteuropäer scheinen mir dagegen noch richtige Männer, einfach und ehrlich.“ – „Ja, ähm, hm“, erwidert der junge Finne, in der Stimme die Härte einer Tofuwurst. „Also, wir Skandinavier sind eigentlich auch ganz normal.“

Viel zu luxuriös ist auch das Hotel, in dem ich von dem Mann einquartiert wurde, der mich für eine Lesung nach Wien geladen hat. Nachdem die Frau an der Rezeption erfahren hat, dass mein Zimmer jemand anderes für mich bezahlt hat, schaut sie mich etwas seltsam an, lässt aber Gnade walten. „Das Frühstück ist in Ihrer Buchung nicht inbegriffen. Sie können aber natürlich auch einfach morgens vorbeikommen und trotzdem frühstücken. Das kostet dann 16 Euro“, erklärt sie und fügt nach einer kurzen Pause, in der sie mich wieder seltsam anschaut, hinzu: „Es gibt auch ein kleines Buffet, das kostet dann nur 7 Euro.“

Ich frühstücke am nächsten Morgen lieber beim Bäcker. Wer sich gerne einmal völlig dumm vorkommen will, der bestelle in Wien „einen Kaffee“. Die Verkäuferin erklärt mir geduldig die verschiedenen Sorten, die zur Auswahl stehen. Ich bestelle irgendwann einfach „einen Braunen“ aus Angst davor, dass die Aufzählung sonst gar kein Ende mehr nimmt. Nach dem Frühstück besuche ich das Museum der Stadt Wien, das sich, der Mode zur sprachlichen Selbstverstümmelung folgend, inzwischen Wien Museum nennt, geschrieben natürlich ohne Bindestrich. Das Innere des Museums wurde von der Modernisierung bislang aber verschont. Zu sehen gibt es bunte Kirchenfenster, Ölgemälde und Stadtmodelle. Besonders der originalgetreue Nachbau der Wohnung von Franz Grillparzer entfaltet großen Reiz. Man kann sich beim Anblick der verschörkelten Möbel aus dunklem Holz fühlen wie im Wohnzimmer der Oma, wenn man sich den Flügel und die Marmorbüste von Goethe wegdenkt. Mulmig wird mir allerdings bei dem Gedanken daran, dass ja zweifellos auch mein Wohnzimmer nach meinem Ableben einmal im Museum so wiederaufgebaut werden wird, um es den Scharen meiner Anbeter zu präsentieren. Wird man mich am Ende gar noch ausgestopft auf das Sofa setzen? Will ich das überhaupt? Unangenehm ist vor allem, dass ich jetzt schon ständig aufräumen muss, denn ich weiß ja nicht, wann mich der jähe Tod ereilen wird. Tritt er im falschen Moment ein, liegen im Wohnzimmer vielleicht noch Speisereste und Socken herum, die dann auf ewig originalgetreu der Nachwelt gezeigt werden, um das echte Bild meines Lebens nicht zu verfälschen.

Lange hält es mich nicht mehr in der historischen Gruft, denn draußen lockt der Sonnenschein des frisch hereingebrochenen Frühlings. Ich fahre zum Prater, um daselbst zwischen den Wienern zu flanieren. Ich mache mir so mit eigenen Augen ein Bild von diesem bunten Völkchen. Es ist eine gemischte Gesellschaft wie auch die Berliner Bevölkerung, allerdings weniger orientalisch, dafür mit auffällig osteuropäischem Einschlag. Wundersam nimmt sich eine jüdische Familie in orthodoxer Tracht aus, wie wenigstens ich sie in Berlin noch nie zu sehen bekommen habe. Die dort herumlaufenden jungen Israelis zeichnen sich durch eher unorthodoxe Trachten aus. Eine Familie von gewöhnlichen Österreichern fällt mir auf, weil sie eine Englische Bulldogge mit sich führt, die hörbar unter Atemproblemen leidet. Der Hund grunzt und röchelt wie ein volltrunkener Unteroffizier im Schlaf. Wie kann man nur so grausam sein, Tiere zu züchten, die von Natur aus nicht richtig atmen können? So fragen Tierschützer oft, wenn es um Möpse und ähnlich behinderte Hunde geht. Sie verkennen bei dieser Frage aber, dass gerade leidende und schwache Wesen unsere Liebe in besonderem Maße wecken. Da verlockt es manchen Menschen, absichtlich hilfsbedürftige Wesen in die Welt zu setzen, um sich dann um jene Geschöpfe kümmern zu können. Warum gäbe es sonst Kinder? Der Mops unter den Göttern ist übrigens Jesus, den die Menschen – wie Heinrich Heine einmal bemerkte – lieben wie keinen Gott vor ihm, eben weil auch er zum Leiden in die Welt gesandt wurde. Einen starken und siegreichen Propheten hingegen kann man nicht lieben, der kann Achtung nur gewinnen, indem er Furcht erweckt.

Zum Essen gerate ich abends in ein Restaurant mit dem eigentümlichen Namen … bin im Leo. Der Innenraum ist in warmen Farben gestrichen, hippiesk dekoriert und mit überfreundlichem Personal bestückt, das therapeutische Gespräche mit den Stammgästen führt. Ein Mann am Nebentisch fragt den Wirt, ob er denn Leo sei, woraufhin dieser erläutert: „Nein, ich bin nicht Leo. Es gibt auch keinen Leo hier. Leo ist nicht der Name, sondern kommt von dem Ausruf von Kindern beim Fangespielen, wenn sie sich im geschützten Bereich befinden und nicht abgeschlagen werden dürfen. ‚Ich bin im Leo!‘, sagt man da in Wien und Niederösterreich. Ein solcher geschützter Bereich soll auch das Restaurant für unsere Gäste sein. Hier sollen sie sich wohl und sicher fühlen.“ Ich erinnere mich, dass in meiner Kindheit in Sachsen beim Fangespielen der entsprechende Satz „Ich bin im Zick!“ lautete. Und mir wird klarer, was hinter der gegenwärtigen Sehnsucht so vieler junger Leute nach „Safe Spaces“ steckt. Sie wollen am liebsten nie erwachsen werden, mit dem Bösen in der Welt nicht in Berührung kommen, um ihre Unschuld zu bewahren. Sie schließen die Augen, um sich unsichtbar zu machen. Man möchte sie manchmal schütteln, diese jungen Leute, aber das wäre ja dann schon wieder eine unerträgliche Grenzüberschreitung. Seltsam übrigens, wie zurzeit die unterschiedlichsten Menschen Angst davor haben, dass Grenzen überschritten werden.

Als ich am nächsten Morgen erwache, spüre ich eine große Sehnsucht nach der Natur. Ich gehe also ins Naturhistorische Museum und schaue mir die Zoologische Sammlung an. Es scheint, als wäre hier jedes Tier der Welt ausgestopft in einer Vitrine zu sehen. Und neben jeder Vitrine hängt eine goldene Plakette, auf der vermerkt ist, dieses Tier habe Prinz Luitpold, der Tierliebe, während seiner Verlobungsreise nach Exotistan persönlich mit seiner silbernen Jagdbüchse erlegt. In meiner gewöhnlichen Art jage ich lieber nach Fällen von merkwürdiger Tragik. Und ich finde die Stellersche Seekuh. Sie lebte friedlich viele Millionen Jahre im Nordpazifik bei einigen Inseln vor Kamtschatka. Dann kamen die Menschen. Der Forscher Georg Wilhelm Steller, der das Leben dieser einzigen Kaltwasserseekuh als erster beschrieb, schilderte zugleich auch schon ihr Sterben. Die Seekühe machten es den Jägern besonders leicht. War eines der Tiere gefangen, versuchten die anderen, ihm zu Hilfe zu eilen und gerieten so in die Hände ihrer Mörder. Zähne, um sich zu verteidigen, besaßen die Seekühe nicht mehr, denn sie hatten sich seit ewigen Zeiten allein von Seetang ernährt. Die letzte Stellersche Seekuh wurde 1768 bei der Beringinsel von hungrigen Pelztierjägern erschlagen. Der klarste Beweis dafür, dass es keinen Gott gibt, ist der Mensch.

In einem Café mit israelischer Küche esse ich Shakshuka. Hinter mir sitzen zwei Studentinnen aus Deutschland und beklagen sich über die Wiener. Die seien so schrecklich distanziert, meint die eine, schauten einem nicht in die Augen und grüßten nie zurück – ganz anders als die Leute in Dortmund. „Als ich letztes Jahr in Israel war, bin ich einmal mit einer Freundin frühstücken gegangen, ganz ungewaschen und ungeschminkt, aber prompt haben uns zwei Typen angesprochen, mit denen wir dann den ganzen Tag verbracht haben. Die wollten uns, obwohl wir so scheußlich aussahen! In Wien kann ich so schön sein, wie ich will, hier spricht mich trotzdem nie einer an!“ Die zweite Frau fängt nun an, über ihren Freund zu klagen. Der mache laufend Schluss und komme dann ein paar Tage später doch wieder weinend zurückgekrochen. Woraufhin die erste Freundin tröstend erwidert, ihre Beziehung sei zwar stabil, ja inzwischen eheähnlich, doch auch nicht ohne Unannehmlichkeiten. Besonders im Urlaub sei es schwierig, denn zehn Tage am Stück miteinander, das halte man ja im Grunde nicht aus. In Bangkok letztens habe der Mann zum Beispiel die ganze Zeit am Pool des Hotels verbringen wollen. Aber man müsse doch nicht um die halbe Welt fliegen, um dann am Pool zu liegen! Die beste Lösung sei es in solchen Fällen, wenn jeder für sich allein etwas unternehme. Überhaupt brauche man in der Beziehung regelmäßig Abstand. Eine geniale Strategie, so dachte auch ich: Man trenne sich möglichst oft, um zusammenbleiben zu können! Folgt man konsequent dieser Dialektik der Liebe, dann sind die glücklichsten Partnerschaften jene, in denen die Partner einander gar nicht erst kennenlernen. Wäre es nicht zu aufdringlich gewesen, hätte ich den beiden Frauen gerne noch selbst Ratschläge erteilt, insbesondere den folgenden: Redet lieber nicht über intime Dinge, wenn ein seltsamer Fremder mit einem Notizbuch in eurer Nähe sitzt!

Mit Straßenbahn und Bus fahre ich auf den Kahlenberg, laut Reiseführer ein Ausläufer des Wienerwalds und der Hausberg Wiens. Die Höhenstraße schlängelt sich auf den Gipfel, von einer Aussichtsterrasse bietet sich ein überwältigender Blick hinab auf die Stadt und das ganze Wiener Becken. Ein Schild kündigt an, hier werde bald ein Denkmal für Jan Sobieski errichtet, den polnischen König, der mit seinem Entsatzheer 1683 in der Schlacht am Kahlenberg Wien vor der Eroberung durch die Türken und der vorzeitigen Einführung des Döners rettete. An erfolgreiche Kämpfer gegen die Osmanen erinnert man sich offenbar dieser Tage wieder mit besonderer Inbrunst. An der Bushaltestelle klebt ein weiteres Denkmal: „Die Veränderung hat begonnen“, steht da neben einem Foto des jungen Bundeskanzlers Sebastian Kurz, der auf dem Porträt feldherrenmäßig in die unbestimmte Ferne schaut. Ein weiterer Slogan macht den Wählern aber auch handfestere Versprechungen: „Weniger Steuern. Weniger Schulden. Weniger Bürokratie. Mehr für Sie.“ Die Leute denken bei der Rettung des Abendlandes eben doch zuerst an ihr eigenes Sparbuch.

Mit dem Bus fahre ich zum Bahnhof Heiligenstadt, um mir den Karl-Marx-Hof anzuschauen, einen der riesigen Wohnkomplexe für Arbeiter, die von den österreichischen Sozialisten in der Zwischenkriegszeit in Wien errichtet wurden. Nach dem austrofaschistischen Staatsstreich 1934 verschanzten sich hier die Arbeiter im Kampf gegen die Armee. Inzwischen wirkt die rote Farbe der Hauswände recht verblichen. Vielleicht war sie aber auch von Anfang an nicht sehr satt. Im Hof sitzt auf einer Bank ein Berufstrinker, der alle Vorübergehenden mit erhobenem Arm grüßt. Ich kann nicht richtig verstehen, ob er dabei „Heil Hitler!“ oder „Halleluja!“ ruft. Wird hier heutzutage noch gegen irgendetwas Widerstand geleistet? Das Wort steht immerhin mit schwarzer Farbe gesprüht auf einer Wand. An einer Laterne klebt ein halb abgekratzter Aufkleber in den österreichischen Landesfarben, auf dem man noch lesen kann: „Wie viele Vergewaltigungen müssen noch geschehen, bis ihr …“

Was ist eigentlich los in Österreich? Um diese Frage zu klären, greife ich mir die gleichnamige Gratiszeitung, die überall in der Stadt ausliegt und offenbar auch gerne mitgenommen wird. Einige Schlagzeilen der Ausgabe vom 3. April 2018 lauten: „Letzte Chance für Rauchverbot“, „Neuer Schock: Amazon hört uns alle ab“, „Turbo-Frühling: Hoch ‚Klaus‘ bringt uns Hitze aus Spanien“, „Schneesturm zu Ostern: Klima immer verrückter“, „Niederösterreicherin starb mit 111 Jahren. Österreichs älteste Frau liebte Grammeln & Schnitzel“, „Kurz wichtiger als Merkel“, „Regierung startet in die nächsten 100 Tage. Nach Zwischenbilanz & Osterpause geht’s los“, „Russland: ‚Giftanschlag im Interesse Londons'“, „Melania und Donald Trump: Liebesshow nach Ehekrach“, „Israel will 16000 Migranten in andere Länder umsiedeln“, „Brutaler Räuber: Lehre statt Knast. 17-Jähriger musste nicht in Haft – dann überfiel er Handygeschäft“, „Burschen schossen auf fahrendes Auto“, „SMS rettet Frau vor Vergewaltigung“, „Wiener Jung-Terrorist (19) steht ab morgen vor Gericht“, „Pensionist (81) zu Hause überfallen. Senior beim Geldabheben beobachtet“, „Auf offener Straße mit Pistole bedroht. Zwei bewaffnete Teenager raubten Burschen (15) aus“, „500 Demonstranten legen City lahm. Nächste Kurden-Demo blockiert die Ringstraße“. Kein Zweifel: Ich lese ein Blatt, das wesentlich nicht aus Papier, sondern aus Angst besteht. Österreich wäre kaum auszuhalten, würde mein bundesdeutsches Herz nicht zwischendurch immer wieder mal durch Zauberworte wie „Grammeln“ oder „Burschen“ erwärmt. Es überrascht kaum, dass sich in der Angstzeitung auch eine ganzseitige Anzeige mit folgender Überschrift findet: „Erektionsstörungen. Wenn’s im Bett plötzlich nicht mehr läuft“. Wie soll es auch laufen, wenn man sich davor fürchten muss, am nächsten Morgen von Burschen beschossen, vergewaltigt, ausgeraubt, in die Luft gesprengt oder zum Passivrauchen gezwungen zu werden? Mal ganz davon abgesehen, dass Amazon das Schlafzimmer abhört! Offenbar wird in Wien die Angst trotz ihrer Nebenwirkungen sehr gern konsumiert. Dabei ist Wien so schön und so reich, wird regelmäßig zur lebenswertesten Stadt der Welt gewählt. Ist es vielleicht nicht nur in Wien, sondern auch anderswo gerade der Wohlstand, der die Menschen ängstlich, misstrauisch und neidisch macht? Fürchten die Besitzenden den plötzlichen Verlust noch weit mehr als die Mittellosen? Soll ich am Ende gar den Satz wagen: Die Demagogen haben in unserer Zeit großen Erfolg, nicht weil es den Leuten schlecht, sondern weil es ihnen zu gut geht?

Das Wien im Schein der Abendsonne ist so schön, dass es mich am Ende fast stört, noch in einen Keller hinabsteigen zu müssen, um dort Leuten etwas vorzulesen. Aber auch dies meistere ich mit Hilfe einiger Stimmungsbiere. Nach getaner Arbeit und zwei verkauften Büchern sitze ich mit Kollegen in der noch erstaunlich milden Nachtluft. Mit dem Gastgeber, der mich vor zehn Jahren zum ersten Mal nach Wien eingeladen hatte, spreche ich über den Wandel der Zeiten und des Publikums. Mir entfährt die kulturpessimistische These, die jungen Leute seien heute im Allgemeinen unempfänglicher für das Abseitige, das Anstößige, das Spielerische in der Literatur. Es dürste sie stattdessen nach sprachlich glatter, gedanklich schlichter und moralisch einwandfreier Lehr- oder Bekenntnisdichtung. Mein Wiener Gastgeber stimmt mir immerhin darin zu, dass es die Ironie auf Bühnen heute schwerer als früher habe. Ob meine kulturpessimistische These auch ohne den Einfluss von sieben Bieren tragfähig bleibt, wäre in Zukunft noch genauer zu prüfen.

Auf der Heimfahrt nach Berlin am nächsten Tag versuche ich, das Buch zu Ende zu lesen, das ich auf meine Reise mitgenommen hatte: Peter Altenbergs Wie ich es sehe. Aber meine Geduld reicht immer nur für ein paar Zeilen, dann fesseln mich schon wieder die Bilder der kleinen Welt, die mich umgibt. Jetzt zum Beispiel streitet sich gerade ein junger Amerikaner mit seinem Vater darüber, wie man richtig Bilder mit der Fotokamera aufnimmt. Der Sohn meint, der Vater solle nicht immer auf den Vordergrund fokussieren, der Hintergrund verschwimme so und sehe aus wie weißgestrichen, ganz furchtbar. Der Vater verteidigt seinen Stil mit der Milde des Alters, die nicht mehr in die Ferne strebt wie die Jugend, sondern das Naheliegende zu schätzen weiß. Soll man diese Einstellung des Alten auf seine Kurzsichtigkeit zurückführen? Oder auf seine Weitsichtigkeit? Die Ehefrau und Mutter zwischen den zwei streitenden Männern macht derweil die ganze Zeit nur: „Schscht! Schscht!“

Termine der Woche

Am Montag (9. April) wage ich mich in Berlin in unbekanntes Terrain, nämlich auf die Bühne des Kabaretts Die Wühlmäuse, wo ich einer der Künstler beim „lebenden Stadtmagazin“ Der Blaue Montag von Arnulf Rating sein werde. Ich werde aber nicht steppen oder Schwerter schlucken. Ich steh da und les was vor, wie immer. Los geht es um 20 Uhr. Es gibt noch Tickets.

Am Donnerstag (12. April) gibt’s eine neue Ausgabe unserer Dresdner Lesebühne Sax Royal in der Scheune. Der April ist unsere liebste Zeit: Nicht nur kommt der Scherzmonat unserer Leidenschaft für fragwürdige Späße entgegen, das wechselhafte Wetter entspricht auch ganz gut dem bunten Wechsel zwischen Heiterkeit und Tiefsinn, Satire und Poesie, der unsere Lesebühne auszeichnet. Neue Geschichten lesen mit mir der vagabundierende Dichter und Romanautor Roman Israel, der erzgebirgische Erzähler Max Rademann sowie der Dresdner Poet Stefan Seyfarth. Wir freuen uns, außerdem noch einen besonderen Gastautor erstmals begrüßen zu dürfen:  schreibt lustige, bittere, abgefahrene, melancholische, unheimliche Texte und liest sie vor und lässt sie abdrucken, zum Beispiel in Romanen wie „Hell“, „Helden in Schnabelschuhen“ und „Vom Licht“. Das macht er seit über 15 Jahren. Etwas Besseres fällt ihm nicht ein. Er wohnt in Hamburg, ist dort Mitglied der Lesebühne „Liebe für alle“ und schreibt mal wieder an einem finsteren Roman. Karten gibt es bis Mittwoch noch im Vorverkauf oder am Donnerstag an der Abendkasse am Einlass ab 19:30 Uhr. Los geht es um 20 Uhr.

Am Freitag (13. April) präsentiert sodann meine Görlitzer Lesebühne Grubenhund wie immer am 2. Freitag des Monats im Camillo ein brandneues Programm: heitere Geschichten, politische Satiren und vielleicht gar das eine oder andere Lied erwarten das Publikum. Mit mir dabei sind nicht nur die Stammautoren Udo Tiffert und Max Rademann, sondern auch in Görlitz Gastautor Anselm Neft. Karten gibt es am Einlass ab 19 Uhr, die Lesung beginnt um 19:30 Uhr.