Business Punk oder Die Diversität des Geldes

Es gibt auf der Welt allerlei Dinge, die man nur für einen Witz halten kann. Nimmermehr kann jemand so etwas ernst gemeint haben, denkt man, da hat sich jemand einen Spaß erlaubt. Es sind Phänomene, die sich selbst parodieren. Jüngst entdeckte ich dergleichen mal wieder, und zwar im Zeitschriftenladen. Das Objekt meiner Verwunderung steckte da im Regal und hieß Business Punk. Ein schöneres Oxymoron hatte ich lange nicht gesehen. Ich ließ meinen Blick gleich noch ein bisschen über die Auslage wandern in der Hoffnung, vielleicht auch noch die Magazine Der gesunde Alkoholiker und Achtsamkeit für Männer zu entdecken, aber die gab es noch nicht.

Business Punk. Habe ich irgendwas verpasst? Ist es unter Wertpapierhändlern und Bankkauffrauen neuerdings Mode, sich eine Sicherheitsnadel durchs Ohrläppchen zu stechen, ein Bad Religion-T-Shirt überzustreifen und Sternburg Export vorm Lidl zu trinken? Wenn es das gibt, ist es mir bislang nicht aufgefallen; um eine Massenbewegung kann es sich also schwerlich handeln. Wer aber soll dann dieses Heft kaufen? Wie groß ist die Schnittmenge zwischen Geschäftsleuten und Leuten mit Irokesenschnitt? Hat Sascha Lobo vielleicht eine Zeitschrift ganz für sich allein gegründet? Und wenn es um Punk geht, warum sehen die zwei jungen Männer auf dem Cover aus wie Typen, die auf der WG-Party nach dem vierten Gin Tonic fordern, man sollte die Organe von Hartz-IV-Empfängern ernten dürfen?

Um diesen Fragen auf den Grund zu gehen, kaufte ich mir das Heft, um es in Ruhe daheim zu studieren. Schon das Editorial der Redaktionsleitung verwirrte mich aber nur noch mehr:

Wenn es eine Branche gibt, die von uralten Seilschaften lebt, dann doch die Finanzwelt. Die alten Boys eben. Bloß zeigt unser Dossier, dass junge Macher mit frischen Ideen die alte Welt aufbrechen.

Was mag das für eine Idee sein, mit der man als junger Finanzspekulant die alte Welt aufbrechen kann? Fängt man vielleicht an, Geld zu verschenken, statt es an sich zu raffen? Aber mit welchem Geld bezahlen die Leser der Business Punk dann die vielen teuren Autos und Uhren, für die im Heft Reklame gemacht wird?

Ich verdränge solche Fragen und lese weiter, wo ich auf ziemlich Originelles zum Thema Home-Office stoße:

Selbst in Japan setzt sich langsam der Gedanke durch, dass die Menschen zu viel Zeit auf der Arbeit verbringen. Konsequenz: Alle ab nach Hause. Quatsch, natürlich nicht. Die Lösung, die der Immobilienkonzern Mitsui Fudosan aus Tokio gefunden hat, besteht darin, dass man das Büro einfach ein wenig mehr nach Zuhause aussehen lässt.

Nicht nur der Chef wünscht sich ja, dass die Angestellten gar nicht mehr nach Hause gehen, sondern möglichst in der Firma wohnen. Auch der große Traum des Erfolgsmannes wird wahr: Endlich lebt man im Büro ganz wie zuhause, mit allen Annehmlichkeiten, nur ohne das Lästige, die Frau und die Kinder.

Ein paar Seiten weiter bleibt mir der Mund offen stehen: Ich finde in der Business Punk ein Interview mit dem Autor eines Buches mit dem Titel Corporate Rockstar. Der Autor Daniel Szabo verrät darin,

wie sich junge High Performer in Konzernen verwirklichen können.

Ich habe bemerkt, dass ich schnell Karriere mache und in verschiedenen Themen relativ erfolgreich bin. Ein Freund hat mich mal gefragt, wie ich das eigentlich schaffe. Für mich war das immer selbstverständlich, aber da habe ich realisiert, dass es nicht jedem so geht. Das war der Anstoß, mein Wissen mit anderen zu teilen.

Solche Worte sollten alle linken Neidhammel für immer zum Schweigen bringen. Was Manager wirklich antreibt, ist keineswegs der Egoismus, sondern die Freude daran, den eigenen Erfolg mit anderen zu teilen – gegen Bezahlung, versteht sich. Leider hat jedoch nicht jeder High Performer in gesellschaftspolitischer Hinsicht eine ganz weiße Weste. Aber Business Punk weiß Rat und empfiehlt in einer Internet-Rubrik eine praktisches Säuberungsprogramm:

Leider hat man in den Social Feeds für alle nachvollziehbar hinterlassen, dass man nicht immer der große Verfechter progressivster Ansichten war. Einfach der App 1984.me Zugriffsrechte erlauben, die mittels KI laufend die schlimmen Tweets von 2010 anpasst – löschen wäre nämlich verdächtiger.

Ist dir bei der Abifeier ein kleiner Hitlergruß rausgerutscht, der nun zum Stolperstein auf einem Weg in den Vorstand werden könnte? Kein Problem, der App 1984.me sei Dank: Wer die Vergangenheit kontrolliert, kontrolliert die Zukunft. Wer die Gegenwart kontrolliert, kontrolliert die Vergangenheit. Wenn bloßes Löschen nicht reicht, kann man aber auch tätige Reue zeigen. Dazu macht die Business Punk ebenfalls einen produktiven Vorschlag:

Mode gegen Rassismus. Suit yourself against racism: eine Kollektion mit Botschaft

Europa 2020 – nationalistische und rechtspopulistische Bewegungen erstarken, rassistische Hetze und Diskriminierung nehmen zu. CG – CLUB of GENTS will die Augen nicht verschließen und ein Zeichen setzen. Die Capsule Collection SUIT YOURSELF AGAINST RACISM in Kooperation mit „Business Punk“ hat eine klare Botschaft: Respect everyone! Denn beim Thema Rassismus gibt es für beide Brands kein „Vielleicht“ und keine „Frage der Sichtweise“ – ein Statement, das mit der limitierten Kollektion jetzt Ausdruck findet. Der urbane, edgy Style gibt dabei mit seinen schwarz-weißen Outfits die Richtung vor. Jetzt heißt es nur noch: Haltung einnehmen und seinen Beitrag zum Schutz der Menschenwürde und Vielfalt leisten.

Geil aussehen, etwas gegen Rassismus tun – und Profit wird dabei auch noch gemacht? Das sind ja gleich drei Wünsche auf einmal, die dank der Kollektion „Progressiver Neoliberalismus“ alle wahr werden! Wenn die nächste Modelinie der Identitären allerdings noch geiler aussieht und noch mehr Profit abwirft, überlegen wir uns das noch mal. Es ist schließlich ein freier Markt!

Für den alltäglichen Kampf ums Dasein im Büro stellt die Business Punk ihren Leserinnen und Lesern Ratschläge in einer besonders originellen Rubrik bereit. Unter dem Titel „Klein, aber gemein“ geben Schulkinder gestressten Schreibtischhockern Ratschläge:

Dieser eine Kollege immer, der meint, einen in Meetings schlecht aussehen zu lassen. Öffentliches Widersprechen würde ihm insgeheim nur recht geben. Was hilft?

DER SCHULHOFTIPP: Benni aus der Klasse über mir hat mich auf dem Schulhof geärgert. Immer schreit er mir gemeine Sachen hinterher und behauptet, dass ich im ersten Schuljahr geweint habe, weil ich meine Mama vermisst habe. Darum habe ich angefangen, anderen Mitschülern Lügen über Benni zu erzählen. Immer und immer wieder. Irgendwann wussten dann alle auf dem ganzen Schulhof über Benni Bescheid. Sogar die Lehrer. Seitdem war Benni nicht mehr fies. (Mona, zehn Jahre alt, 4. Klasse)

Du bist inkompetent und einem Kollegen böse, der das merkt und dich öffentlich zur Rede stellt? Verbreite einfach unter allen Angestellten Lügen über ihn. Irgendwann erreichen die Gerüchte auch die Chefs. Und wenn den Kollegen erst einmal alle ohne Grund hassen, bist du fein raus. Vielleicht hast du Glück und er bringt sich sogar um. Nein, die Welt der Geschäfte ist wahrlich kein Ponyhof, sie ist ein Schulhof.

Auf Seite 33 geht’s nun aber endlich los mit den Berichten aus der sich verjüngenden Finanzwelt. Und wie es losgeht!

Eigentlich müsste man den Schlingeln von Wirecard für ihr Gemurkse dankbar sein. Denn damit haben sie einer breiten Öffentlichkeit endlich einen Sektor interessant gemacht, der vorher oft nur Fragezeichen und Skepsis verursachte: die Welt der Finanzen.

Betrüger, die sich ein paar Milliarden Euro ausdenken, sind also Schlingel, die ein bisschen gemurkst haben. Es ist gut, dass die Business Punk nicht allzu harsch mit den ohnehin gebeutelten Finanzjongleuren umgeht; ein schlimmes Wort wie „kriminell“ sollte für wirkliche Verbrecher aufgespart werden, also etwa für Studentinnen, die weggeworfene Lebensmittel aus fremden Mülltonnen holen. Dass die Wirecard-Schlingel dabei helfen, die Skepsis gegenüber der Finanzwelt abzubauen, ist auch zutreffend: Vor der Affäre zweifelten wir noch, ob Spekulanten wirklich allesamt Banditen sind, jetzt wissen wir es.

Ein grundehrliches Anliegen ist der Business Punk die Diversität: Es soll keine Gruppe mehr geben, die von den Freuden des Kapitalismus ausgeschlossen bleibt. Glücklicherweise gibt es da Schönes zu vermelden:

FEMALE FINANCE FORCE. Frauenpower-Overload: Die Initiative Finanz-Heldinnen der Comdirect Bank will mit einer groß angelegten Initiative Frauen für Finanzen begeistern

Nun wissen wir Bescheid: Den Frauen hat bislang nicht das Geld gefehlt, sondern die Begeisterung. Ein bisschen mehr Enthusiasmus, dann wird es schon flutschen. Leider läuft es bei der Vervielfältigung der Marktwirtschaft noch nicht überall glatt:

Aber es gibt ein Problem, das die Startup-Szene weltweit eint: Es mangelt an Diversität. Nicht unbedingt, weil Frauen, People of Color oder Mitglieder der LGBTQI+-Community seltener ein Unternehmen gründen wollen. Sondern, weil diese Gruppen innerhalb der Startup-Szene deutlich seltener eine Chance bekommen als weiße Cis-Männer. Das fängt vor allem beim Funding an.

Um beim Kapitalismus mitspielen zu dürfen, braucht man Geld. Aber leider gibt’s in diesem Spiel eine Regel: Nur dem, der schon hat, wird noch mehr gegeben. Da werden alle Keinechancehabenden wohl weiter auf die Krümel angewiesen bleiben, die ab und zu mal vom Tisch der reichen, weißen Cis-Männer purzeln. Aber es gibt keinen Grund, in Pessimismus zu verfallen: Auf tausend Arten machen Finanzkonzerne unser Leben schon jetzt besser, so wie etwa eine nordische Firma für bargeldloses Zahlen:

In Schweden, wo Klarna herkommt, wird es laut Studien ab 2023 gar kein Bargeld mehr geben. Schon jetzt akzeptieren Obdachlose in Stockholm eine Spende auch via Bezahldienst-App.

Die Menschen, die in der Finanzbranche arbeiten, profitieren aber auch persönlich, entwickeln sich zu vielseitigen und originellen Persönlichkeiten, eben zu echten Business Punks. So wie Moneyfarm-Gründer Giovanni Dapra:

Ich wollte schon immer im Finanzgeschäft arbeiten, außer Musik hatte ich nicht viele Leidenschaften – vielleicht auch, weil ich oft bei Monopoly gewonnen habe. Im Ernst: Ich habe mich schon früh als Finanzgeek gesehen. Als ich dann für die Deutsche Bank gearbeitet habe, investierte ich ein wenig Geld von meiner Familie. Ich habe dabei ziemlich schnell gemerkt, dass man an diesem Prozess einiges verbessern kann.

Wer möchte nicht auch so ein aufregendes Leben führen? Man kann gar nicht jung genug sein, um ins Finanzgeschäft einzusteigen, wie die Aktienhandels-App Robinhood beweist:

Apropos USA: Bisher gibt es die App nur dort, die Expansion nach Europa wurde vorerst gestoppt. Der Grund – und damit auch die Schattenseite: Ein 20-Jähriger aus Nebraska nahm sich im Juni das Leben, als er ein Minus von über 700 000 Dollar auf seinem Robinhood-Konto bemerkte.

Hätte er noch einen Tag gewartet, wäre ihm klar geworden, dass der Riesenverlust nur Ergebnis eine Buchungsmacke war. Aber da war er leider schon tot. Es gibt eben Leute, die sind nicht hart genug fürs Business und müssen vom Markt verschwinden, auf die eine oder andere Weise.

Manchmal kommen allerdings selbst den Harten im Garten leise Zweifel an ihrem Tun. So Dominic Czaja, der als Kolumnist die letzte Seite der Business Punk füllen darf. Es muss sich um einen tiefsinnigen, innerlich zerrissenen Mann handeln, wenigstens gibt die Beschreibung seiner Person Rätsel auf:

Unser Kolumnist wollte von Anfang an nicht zu der Branche zu gehören, zu der er mit seiner Werbeagentur DOJO seit mittlerweile 15 Jahren gehört.

Welch ein mysteriöser Stoff könnte es sein, der einen Menschen dazu treibt, 15 Jahre lang etwas zu tun, das er nie tun wollte? Welche geheimnisvolle Substanz könnte so eine Macht ausüben? Es bleibt im Ungewissen. Klar ist, dass Dominic Czaja unter einer Sinnkrise leidet:

Heutzutage stehen Werber gesellschaftlich auf einer Stufe mit Immobilienmaklern und Waffenhändlern. Wobei diese beiden ihren Nachwuchs wenigstens mit Einsätzen im Szenekiez oder spannenden Reisen ins Ausland beeindrucken können. Aber was sollte einen jungen, ambitionierten Menschen heute noch dazu bringen, seine Fähigkeiten in einer Werbeagentur einzubringen?

Ja, was nur? Weder darf der Werbefuzzi den Szenekiez mit Kriegswaffen versorgen noch im Ausland Immobilien verscherbeln. Soziales Prestige gibt’s offenbar auch keins zu gewinnen, bestenfalls noch einen Posten als Kolumnist bei der Business Punk. Wird Dominic Czaja also vielleicht Abschied nehmen von einem Beruf, dessen Sinn einzig darin liegt, anderen Leuten dabei zu helfen, aus Geld noch mehr Geld zu machen? Wird er eine Umschulung machen zum Altenpfleger oder Feuerwehrmann?

Ist das also das Ende der klassischen Agenturen? Ich hoffe es ein bisschen. Auch wenn ich inzwischen auch schlechte Werbung mag. Aber eben nur, weil sie uns unsere Arbeit leichter macht. Und weil sie uns immer wieder daran erinnert, warum wir das alles hier nicht mitmachen wollen und niemals wollten. Darum haben wir uns bei der Gründung im Branchenbuch als DOJO „Werbeagentur“ eingetragen – mit den kommentierenden Anführungszeichen. Blöderweise findet man uns jetzt auf der ersten Trefferseite, wenn man nach „Werbeagentur“ googelt. Aber das werden wir auch noch ändern.

Nein, es gibt keine Sinnkrise, die nicht durch ein weiteres Rebranding zu überwinden wäre. Man muss sich nur immer wieder neu erfinden, das heißt: verkleiden, um der fatalen Selbsterkenntnis zu entgehen. Man will eines auf keinen Fall: als der betrachtet werden, der man ist. Und so erklärt sich der überbezahlte Marktschreier zum missverstandenen Künstler. Wenn man den Kapitalismus in kommentierende Anführungszeichen setzt, sieht er gleich ein bisschen weniger bedrohlich aus.

Ich bin nach der Lektüre der Business Punk geschafft wie ein High Performer nach der fünften Überstunde. Work hard, play hard – das ist kein Motto für mich, ich werde ewig ein Minderleister bleiben. Meine Maxime: Work little, drink more. Das Rätsel um den Erfolg der Business Punk konnte ich nicht lösen. Einziges Ergebnis meiner Lektüre: Ich träume in den folgenden Nächten merkwürdig oft von Guillotinen.

***

Alle Originalzitate: Business Punk, Ausgabe 04/2020

Dieser Text entstand für die satirische Presseshow Phrase & Antwort, die ich monatlich gemeinsam mit dem Kollegen Maik Martschinkowsky im Hofkino Berlin/Franz-Mehring-Platz 1 präsentiere. Die nächste Ausgabe gibt’s am Dienstag, den 13. Oktober, um 20 Uhr. Wir laden herzlich ein!

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