Lose Gedanken zur Redefreiheit

Hitzig diskutiert werden derzeit in der Öffentlichkeit Fragen wie diese: Wo sind die Grenzen der Redefreiheit zu ziehen? Gibt es Grenzen auch für die Freiheit der Kunst? Ist der Ausschluss von Akteuren und Akteurinnen aus der öffentlichen Debatte in bestimmten Fällen legitim, um die Demokratie oder die Menschenwürde zu schützen? Hierzu einige lose Gedanken:

1. In der öffentlichen Debatte herrscht derzeit die Neigung, bei jeder Gelegenheit von der Sachebene auf die Metaebene zu springen. Es wird nicht mehr über die eigentlichen Themen gestritten, sondern darüber, wer wie wann wo etwas sagen oder nicht sagen darf. Insbesondere rechtsradikale Akteure haben die Strategie entwickelt, Ablehnung in der Sache als Angriff auf die Meinungsfreiheit zu skandalisieren. Indem sie sich als Opfer ausgeben, immunisieren sie sich gegen Kritik und erringen zugleich eben den Raum in der öffentlichen Debatte, der ihnen angeblich vorenthalten wird. Feinde der pluralistischen Gesellschaft spielen sich als die wahren Verteidiger der liberalen Demokratie auf.

2. Für diese rechte Erzählung von bedrohter Meinungsfreiheit liefern allerdings manche Akteure und Akteurinnen aus dem progressiven Spektrum geeignete Vorwände, indem sie den Zugang zum Diskurs unverhältnismäßig beschränken. So gibt es mancherorts die Tendenz, Menschen allein aufgrund einer bestimmten Gruppenzugehörigkeit das Rederecht für bestimmte Themen abzusprechen, ohne die Sachargumente überhaupt zu berücksichtigen. Für den Zugang zum Diskurs wird bisweilen die Befolgung recht rigider Sprachregeln eingefordert. Auf die besondere Logik des ästhetischen Feldes wird in Debatten über Kunst von manchen keine Rücksicht genommen. Und der Ausschluss bestimmter Personen aus der Diskussion wird allzu schnell durch Etikettierungen gerechtfertigt, über deren Berechtigung erst das Gespräch selbst entscheiden könnte.

3. Eine zweite destruktive Strategie von rechtsradikalen Akteuren besteht darin, gezielt den Unterschied zwischen liberaler Gesellschaft und Diktatur zu verwischen. Völlige Freiheit herrscht gewiss weder hier noch da, aber die herrschenden Zwänge unterscheiden sich in ihrer Art wesentlich. So setzen etwa eine Reihe von Intellektuellen aus dem Osten Deutschlands die vermeintlich herrschende linke „Cancel Culture“ und „politische Korrektheit“ gleich mit der „Zensur“, die in der DDR herrschte. Die staatliche Unterdrückung freier Rede in einem autoritären Staat ist jedoch etwas wesentlich anderes als die freie Entscheidung von Bürgerinnen und Bürgern in einer pluralistischen Gesellschaft darüber, mit wem sie reden oder zusammenarbeiten wollen und mit wem nicht. Tatsächlich haben Rechtsradikale in unseren Medien keinerlei Mühe, Bühnen für ihre Positionen zu finden. Ihre Klage über Unterdrückung entlarvt sich als Heuchelei auch angesichts ihrer eigenen Unwilligkeit, Andersdenkende und Angehörige von Minderheiten zu ertragen. Viel Protest gegen vermeintliche „Zensur“ entspringt dem Unwillen, sich der Kritik von Menschen aus benachteiligten Gruppen zu stellen, denen früher wie selbstverständlich kein Rederecht zugestanden wurde.

4. Der Ausschluss von Akteurinnen und Akteuren, die durch ihr Reden und Handeln selbst den demokratischen Konsens verlassen haben, kann durchaus legitim sein. Rassisten und Faschisten, die selbst eine Politik radikaler Exklusion vertreten, haben kein Recht auf Inklusion. Das heißt aber nicht, dass der Ausschluss immer politisch klug ist, denn das Mittel der argumentativen Auseinandersetzung ist oft wirkungsvoller. Von staatlichen Institutionen wird ohnehin mit Recht verlangt, dass sie für die gesamte Bevölkerung offen sind und den Ausschluss von Personen nur als letztes Mittel gebrauchen.

5. Der politische Kampf ist seit jeher mit dem Kampf um die Öffentlichkeit verbunden. Jede Partei möchte ihre Positionen möglichst lautstark verkünden und gönnt den konkurrierenden Parteien kein Publikum. Die aktuelle Diskussion enthält viel Heuchelei von allen Seiten: Die Redefreiheit wird vor allem dann beschworen, wenn es um die eigene Rede geht. Die Rede der anderen hingegen wird leicht als unerträgliche Grenzüberschreitung verurteilt, die durch das Eingreifen höherer Instanzen zu unterbinden sei. Bestes Beispiel ist der jüngst ausgetragene Streit um die Satire rund um die Kabarettistin Lisa Eckhart und die taz-Autor:in Hengameh Yaghoobifarah, bei dem sich Anhänger der Satirefreiheit blitzschnell in empörte Verteidiger verletzter Gefühle verwandelten und umgekehrt – je nach politischer Haltung.

6. Die öffentliche Diskussion leidet darunter, dass so viele Beteiligte sich den Mantel des Universalismus überwerfen, obwohl es ihnen tatsächlich um die Vertretung partikularer Interessen geht. Der Bezug auf Kategorien wie „Populismus“ oder „Hassrede“ hilft auch nur bedingt weiter, weil jeder und jede diese Worte nach eigenem Bedarf interpretiert. Moralisch aufgeladene Absolutheitsansprüche sind schädlich, nicht weil sie eine nationale Eintracht verhindern, die ohnehin weder möglich noch wünschenswert ist, sondern weil sie schon den ehrlichen und offenen Streit unmöglich machen und dazu führen, dass auch verschiedene Gruppen des progressiven Spektrums nicht mehr in der Lage sind, sich miteinander zu verständigen und Bündnisse zu schließen.

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Diese Thesen entstanden für das Symposium „Aufregung, Eklat, Toleranz. Wertedebatten über Kunst und Bildung“, das am 13. und 14. November 2020 vom Dresdner Kulturforum riesa efau veranstaltet wurde. Ich habe sie hier leicht überarbeitet.

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Kommentare
  1. Pedroleum

    Zitat: „So gibt es mancherorts die Tendenz, Menschen allein aufgrund einer bestimmten Gruppenzugehörigkeit das Rederecht für bestimmte Themen abzusprechen, ohne die Sachargumente überhaupt zu berücksichtigen. Für den Zugang zum Diskurs wird bisweilen die Befolgung recht rigider Sprachregeln eingefordert.“

    Wobei das eben auch zu Radikalisierung auf einer Seite führen kann, wenn man Leuten eine Plattform gibt, deren Standpunkte keinem Faktencheck standhalten.

    Ich wüsste jetzt z. B. nicht, wieso man radikale Anhänger von Verschwörungsmythen wie Atthila Hildmann in eine seriöse Talkrunde einladen sollte, die ja nicht nur notorische Faktenleugner sind, sondern Menschen regelrecht gegeneinander aufwiegeln – und damit eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit darstellen können.

    Und selbst bei seriös auftretenden Personen kann es auch gefährlich sein, wenn sie als Fachmann auftreten, aber trotzdem Unwahrheiten verbreiten, wie der Lungenarzt Dieter Köhler, dem Ex-Präsidenten der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie (DGP), der Ende 2016 ein Positionspapier zum Thema Feinstaub veröffentlichte, das dem wissenschaftlichen Konsens widerspricht und der dann Widerspruch von vielen Fachleuten erntete (vgl. https://www.aerztezeitung.de/Medizin/Pneumologen-ruegen-Pneumologenvorstoss-zu-Feinstaub-Werten-252400.html). Muss man so einer Person wirklich eine Plattform bieten?

    Man kann sich mit deren Positionen ja dennoch auseinandersetzen, ohne ihnen eine Plattform zu bieten.

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    • Michael Bittner

      Die Schwierigkeit ist: Schon, wenn man sich mit den „Positionen auseinandersetzt“, „bietet“ man ihnen eine „Plattform“, denn man muss die falschen Thesen ja benennen, bevor man sie – hoffentlich – widerlegt. Eine konsequente Alternative wäre das Schweigen – nur funktioniert das in einer pluralen Gesellschaft nicht, weil die Demagogen sowieso Plattformen finden, um sich bemerkbar zu machen, auch wenn man ihnen nicht eigens welche bietet. Es gibt hier schlicht keine beste Lösung. Alles hängt davon ab, ob man mehr der Kraft der argumentativen Auseinandersetzung vertraut, Lügen zu entlarven, oder die Furcht größer ist, dass auch geschickte Lügen aller Vernunft zum Trotz Anhänger finden. Es gibt für beide Sichtweisen gute Argumente. Sie schließen einander auch nicht aus. Man kann die Sache als Frage des Sowohl-als-Auch und des Mehr-oder-Weniger betrachten.

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