Der große Austausch

Es ist amüsant, wie gerade jene Leute, die uns ständig sagen, wir sollten doch bitte angesichts der gegenwärtigen Ereignisse nicht immer an die dreißiger Jahre des letzten Jahrhunderts denken, das sei doch so lange her und inzwischen lägen die Dinge ganz anders – wie eben diese Leute für ihre Vergleiche bis in die Bronzezeit zurückkehren, um uns die Apokalypse auszumalen, die Europa wegen der Einwanderung drohe. Da werden die alten Azteken herbeizitiert, die Lehren der Völkerwanderung beschworen, ja ältere Herren schlüpfen sogar in die Frauenrolle der Kassandra, um vor den Invasoren im Bauch des Trojanischen Pferdes zu warnen.

Es ist nicht schwer zu verstehen, warum gerade Männer im Spätherbst ihres Lebens panische Angst davor haben, „ausgetauscht“ zu werden. Der liebe Gott schickt die jungen Menschen nun mal wirklich auf die Erde, um die Alten zu ersetzen. Die rasende Wut angesichts von jungen Fremden ist nur ein politisch verbrämter Versuch, mit solchen Ängsten fertig zu werden. Aber Engstirnigkeit ist keine Frage des Alters. So wie es jede Menge alte Menschen gibt, die sich ihre Offenheit bewahrt haben, gibt es auch Gesellen, deren Hirn und Herz schon in der Jugend versteinern.

Da wären zum Beispiel die sogenannten „Identitären“, die an diesem Wochenende nach Dresden pilgern, zumeist Burschenschaftler, die gerne „unsere Frauen“ verteidigen wollen, obwohl sie seit Jahren keine Frau aus der Nähe gesehen haben. Diese Trauergestalten, die Europa als „Lebensraum des weißen Menschen“ verteidigen wollen, unterscheiden sich von ihrem Vorbild allein durch die Feigheit, ihre Gesinnung nicht offen zu bekennen. Der Führer sprach immerhin gleich vom Kampf gegen die „Vernegerung“ Europas.

Ich hatte schon mehrmals Einwanderer in meiner Wohnung zu Gast und kann versichern, dass sie meinen Kühlschrank nicht geplündert, meine Frau nicht im Sack entführt und mich auch nicht rausgeworfen haben, um anschließend das Türschloss auszuwechseln. Ich will niemanden schockieren, aber wie ich höre, hat die Wissenschaft Erstaunliches herausgefunden: Alle Europäer stammen aus Afrika! Sogar die Sachsen! Die Höflichkeit gebietet, auch die Verwandten, die ein bisschen später eintreffen, bei uns freundlich zu begrüßen.

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Dieser Text erschien zuerst als Kolumne der Rubrik Besorgte Bürger in der Sächsischen Zeitung.

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