Clemens J. Setz und die Außerirdischen

In unseren Zeiten, da die Wissenschaft, die Vernunft, ja sogar die Wahrheit selbst angegriffen werden, ist es kolossal wichtig, dass die Medien den Prinzipien der Rationalität verpflichtet bleiben. Wie kaum ein anderes Presseorgan verkörperte von jeher die Wochenzeitung Die Zeit den Anspruch des Journalismus auf erzene Seriosität und bleierne Solidität. Doch unter der Ägide des erfolgreichen Chefredakteurs Giovanni di Lorenzo ist seit einigen Jahren auch immer mehr Platz für erfrischende, unkonventionelle Gedanken, so wie jüngst für einen Gastbeitrag des Schriftstellers Clemens J. Setz.

Ufos. Und es gibt sie doch! Seit seiner Kindheit glaubt der Schriftsteller Clemens J. Setz an Ufos. Jetzt bestätigen sogar Barack Obama und das US-Militär ihre Existenz. Aber was heißt das für uns?

Ja, was heißt das? Das würde auch ich gerne erfahren. Die Ufo-Berichterstattung in der Zeit war ja bislang eher spärlich. Was hat dazu geführt, diesen Kurs zu ändern? Weiß Clemens J. Setz Näheres?

Es gehört zu den menschlichen Paradoxien, dass man etwas jahrelang mit Begeisterung und Ernsthaftigkeit glauben kann, aber sich dann, wenn man es plötzlich von offizieller Seite als zweifelsfrei real vorgeführt bekommt, in eine cartoonhaft unwirkliche Welt versetzt fühlt, sozusagen als Gefangener von Disneyland. Mir geht es ein wenig so, denn seit meiner Jugend bin ich ein tiefgläubiger Sammler und Genießer von Berichten über Ufos.

Wie mag es dazu gekommen sein? Ich habe dazu eine Theorie, die gewiss nicht weniger begründet ist als die des begeisterten Schriftstellers.

Foto: Amrei-Marie, Creative Commons BY-SA 4.0, https://de.wikipedia.org/wiki/Clemens_J._Setz#/media/Datei:Clemens_J._Setz_2019.jpg

Ich vermute, dass Clemens J. Setz fest an Ufos glaubt, weil er als Säugling 1982 von Außerirdischen auf der Erde abgesetzt und einer nichtsahnenden Familie als eigenes Kind untergeschoben wurde. Seine Freunde und Verwandten haben sich immer über das merkwürdige Aussehen, die seltsamen Ansichten und das absonderliche Verhalten dieses Menschen gewundert, vom wahren Grund wussten sie jedoch nichts. Auch Clemens J. Setz ahnt seinen eigenen Ursprung offenbar nur unbewusst, sein Verstand muss sich eine andere Erklärung zusammenreimen:

Als ich etwa dreizehn war, erwachte diese Leidenschaft in mir und ist seither nie wieder verschwunden oder verblasst. Ich gehe den Leuten damit nicht groß auf die Nerven, aber hier und da kommt es vor, dass ich ins Dozieren gerate und allen Anwesenden den Charme und die Erhabenheit meiner Lieblings-Ufo-Filme, fachkundig kommentiert und historisch eingeordnet, näherzubringen versuche. Sie sind nämlich wirklich wunderschön, diese Aufnahmen, gerade die unscharfen, körnigen, verwackelten.

Der tiefgläubige Clemens J. Setz erklärt uns die Ursprünge seiner Religion. Wie für die Bauern im Mittelalter sind es auch für ihn vor allem faszinierende Bilder, die seinen Glauben befestigen. Je undeutlicher sie sind, desto klarer erscheint ihm ihre Wahrheit. Auch den fachkundigen Predigten der Ufo-Priester lauscht er regelmäßig voller Andacht, bisweilen wagt er es sogar schon, selbst zu predigen.

In den frühen Neunzigerjahren wurden sie regelmäßig in Boulevardsendungen im Fernsehen gezeigt, und ich schwelgte nächtelang in der Magie dieser Bilder. Offiziell existierten sie nämlich nicht. Das war das Tolle daran. Als Ufo-Anhänger wurde man sozusagen überstimmt von den Regierungen der Welt, man wurde ausgegrenzt und übergangen, und das fühlte sich fantastisch an.

Ein Außenseiter ist Clemens J. Setz, ein Märtyrer der verbotenen Wahrheit. Dass sich dies fantastisch anfühlt, glaube ich gern. Auch die ersten Christen vernarrten sich in ihre Liebe zu Jesus Christus gerade deswegen, weil die Heiden ringsum sie als Toren beschimpften und blutig verfolgten.

Die Wende begann nun im April des letzten Jahres, um dieselbe Zeit, als die ersten Wellen der Pandemie in Europa losgingen. Da bestätigte das Pentagon aus heiterem Himmel die Echtheit dreier im Internet veröffentlichter Videoclips, auf denen von amerikanischen Kampfflugzeugen verfolgte unbekannte Objekte zu sehen sind, die für konventionelle Technologie völlig undenkbare Geschwindigkeiten erreichen und sich in Manövern durch die Luft (und zum Teil auch durchs Wasser) bewegen, die, kurz gesagt, keinen Sinn ergeben.

Ich bin neugierig geworden und habe mir diese Videoclips im Internet angeschaut. Und wirklich: Diese Wärmebildaufnahmen von sich bewegenden Flecken und Kugeln sind so unscharf, körnig und verwackelt, wie Clemens J. Setz es liebt. Ich muss gestehen, dass mein Geschmack sich in eine andere Richtung neigt. Ich finde schon seit meinem 13. Lebensjahr scharfe Aufnahmen aus irgendeinem Grund interessanter. Schade, dass es in Zeiten, in denen man vom Weltraum aus ein Gänseblümchen fotografieren kann, dem amerikanischen Militär nicht gelungen ist, die Ufos so zu filmen, dass man irgendetwas erkennen könnte. Aber natürlich tragen auch die Ufos selbst eine Mitschuld: Sie könnten sich ja zur Abwechslung nicht nur amerikanischen Kampfpiloten zeigen, sondern auch einmal mittags auf dem Alexanderplatz landen. Wenn sie aber gar nicht wahrgenommen werden wollen, dann sollen sie sich bitte etwas mehr Mühe geben. Wer es schafft, den Gesetzen der Physik zu trotzen, der wird sich doch wohl auch vor den Augen amerikanischer Soldaten verbergen können. Oder handelt es sich um Exhibitionisten mit Uniformfetisch? Wie auch immer, der Glaube von Clemens J. Setz ist nun von höchster Stelle bestätigt:

Selbst Barack Obama bestätigte in einem Fernsehinterview mit CBS unlängst die Existenz eines realen, alltäglichen Problems: die Sichtung von Ufos. Das US-Militär habe tatsächlich keine Ahnung, was sie seien, so Obama.

Die Ufo-Religion von Clemens J. Setz ist ziemlich anpassungsfähig. Lange Zeit glaubte er fest und tief an Ufos, weil die Regierungen die Existenz dieser mysteriösen Objekte leugneten. Nun wird sein Glaube dadurch gestärkt, dass die US-Regierung ihre Existenz bestätigt. Es scheint fast, als könnte gar nichts den Glauben von Clemens J. Setz erschüttern. Nicht einmal die Tatsache, dass das Pentagon es ist, das hier spricht, ein Ort, aus dem man bislang noch nicht allzu oft die Wahrheit vernehmen konnte. Vielleicht gibt’s Gründe, warum die Leute dort lieber über Ufos als über Kampfdrohnen sprechen. Im Grunde wissen wir jetzt nur eines: Am Himmel über den USA bewegen sich Dinge, von denen wir nicht genau wissen, worum es sich handelt. Bloß, weil sich die merkwürdigen Bilder noch nicht erklären lassen, wird sich jedoch sicher niemand dazu hinreißen lassen, gleich über Besucher aus dem Weltall zu spekulieren, oder?

Eine etwas mildere und unterhaltsamere Spekulation wäre die Frage „Was sind wir wohl für diese Besucher?“. Denn irgendeine Rolle erfüllen wir bestimmt für sie. Über die Jahre begegnet man hier als Freund Ufo-bezogener Theorien den schönsten Erklärmythen. Etwa dem, dass unsere Städte für „sie“ eine Art von Transistorsystem bilden, das gelegentlich gewartet werden muss; deshalb die regelmäßigen Besuche. Eine andere Theorie versichert, dass „sie“ dieselben Wesen sind wie wir, aber eine sogenannte breakaway civilization repräsentieren, die durch einen unerklärlichen technologischen Fortschritt von uns nun kulturell und evolutionär vollkommen entkoppelt existiert.

Ich verstehe schon: Es geht Clemens J. Setz nicht um die vernünftigste Erklärung, sondern um den schönsten Mythos – er sagt es ja selbst. Auch, dass Die Zeit ihre Spalten für das Genre des postmodernen Märchens öffnet, kann ich im Sinne der literarischen Vielfalt nur begrüßen. Die Wochenzeitung hätte nicht einmal unbedingt einen journalistischen Artikel nachliefern müssen, der uns erzählt, dass die Veröffentlichungen des amerikanischen Militärs auf eine Kampagne von überzeugten Ufo-Gläubigen in Politik und Medien zurückgehen, die auch noch tüchtig von Donald Trump unterstützt wurde.

Ich gebe zu: Ich bin ein heilloser Skeptiker, unfähig zum tiefen Glauben. Ich glaube an die Existenz von Ufos erst, wenn sie sich auch der Bundeswehr gezeigt haben. Der müssen sie sich nämlich auf drei Schritte nähern, bis sie entdeckt werden. Und ich hätte in diesem Zusammenhang noch eine abschließende Bitte an alle Außerirdischen, inklusive Jesus: Wenn ihr möchtet, dass ich an eure Existenz glaube, dann klingelt bitte einfach mal bei mir und wir trinken einen Kaffee zusammen. Die Einladung gilt übrigens auch für Clemens J. Setz, von dessen Existenz ich ebenfalls noch nicht restlos überzeugt bin.

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Dieser Text entstand für die satirische Medienschau Phrase & Antwort, die ich gemeinsam mit dem Kollegen Maik Martschinkowsky in Berlin im Hofkino Berlin/Franz-Mehring-Platz 1 fabriziere. Die nächste Ausgabe gibt es am Donnerstag, den 15. Juli, mit Gastmusiker Marco Tschirpke, bei gutem Wetter Open Air, sonst drinnen.

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