Man wird hellhörig, wenn der Verlag Christian Krachts neues Buch „Air“ als einen „Roman aus dem Geiste einer radikalen Romantik“ anpreist. Ist Kracht doch ein Autor, der nicht nur wegen seines Stils von vielen bewundert, sondern wegen seiner Stoffe auch von vielen misstrauisch beäugt wird. Krachts Interesse an faschistoiden Gestalten und Theorien, der ätzende Spott gegen Altachtundsechziger in seinen frühen Büchern, die Schilderung kommunistischer Herrschaft als Dystopie in den Romanen Ich werde hier sein im Sonnenschein und im Schatten und 1979 – all dies hat bei manchen den Verdacht geweckt, Kracht könnte ein Rechter sein.
Termine der Woche
Am Dienstag (8. April) lese ich gemeinsam mit dem Freund und Kollegen Udo Tiffert in Cottbus. Ich stelle mein neues Buch „Deutsche im Wind“ vor, Udo schöpft aus seinem reichen Geschichtenschatz. Los geht es um 20 Uhr im Comicaze.
Am Sonntag (13. April) bin ich als Gastautor wieder einmal bei der traditionsreichen Lesebühne Der Frühschoppen in Berlin. Das literarische Kollektiv besteht aus den Stammkräften Hinark Husen, Horst Evers, Susanne M. Riedel, Andreas Scheffler und Jürgen Witte. Einlass um 12 Uhr, Start um 13 Uhr. Ort des Geschehens ist der gemütliche Jazzclub Schlot.
Termine der Woche
Am Freitag (4. April) darf ich eine echte Premiere moderieren: Zur „Nacht der Bibliotheken“ gibt’s unter dem Titel „Text & Tanz“ eine Literaturdisko in der Zentralbibliothek im Kulturpalast in Dresden. Im flotten Wechsel dürfen die Gäste eine Geschichte hören und dann zu einem Hit die Hüften schwingen. Es lesen gemeinsam mit mir Ahne von der Reformbühne Heim & Welt aus Berlin, die ebenso politische wie witzige Schriftstellerin Jacinta Nandi und mein Kollege Max Rademann von der Dresdner Lesebühne Sax Royal – Letzterer wird als DJ mit seiner Plattenkiste auch für die Musik sorgen. Um 21 Uhr geht es los.
Am Sonnabend (5. April) lese ich einmal wieder beim Kantinenlesen, dem Gipfeltreffen der Berliner Lesebühnen. Mit mir lesen der Gastgeber Dan Richter sowie Spider, Moses Wolff und Tube. Start um 20 Uhr in der Alten Kantine der Kulturbrauerei.
Termine der Woche
Am Donnerstag (20. März) gibt es eine neue Ausgabe unserer Lesebühne Prunk & Prosa im Varieté Salon der UFA-Fabrik. Mit dabei sind die Stammautoren Tilman Birr, Noah Klaus, Christian Ritter, Piet Weber und ich sowie als besondere Gästin die Kabarettistin Mia Pittroff. Wie immer gibt es nicht nur neue Geschichten, sondern auch Musik und allerlei andere Späße. Start um 20 Uhr. Tickets könnt ihr gern auch schon im Vorverkauf erwerben.
Am Sonntag (23. März) bin ich endlich einmal wieder als Gastautor bei der Lesebühne Schwabinger Schaumschläger in München. Mit dabei im gemütlichen Vereinsheim sind auch die Stammkräfte Moses Wolff, Anne Meinhardt und Christoph Theussl sowie Mandana und Silke Franz. Los geht es um 19:30 Uhr.
Termine der Woche
Am Dienstag (11. März) feiere ich die Premiere meines neuen Buches Deutsche im Wind mit einer ganz besonderen Lesung in Berlin. Es gibt nicht nur einige Geschichten aus dem neuen Band zu hören, sondern auch Musik vom sehr guten Songwriter Doc Schoko. Ort des Geschehens ist die gemütliche Kulturwirtschaft Baiz. Achtung: Start schon um 19 Uhr! Der Eintritt kostet zwischen 5 und 10 Euro.
Am Donnerstag (13. März) folgt dann gleich die nächste Buchvorstellung von Deutsche im Wind, diesmal in Chemnitz. Auch in der Europäischen Kulturhauptstadt 2025 ist Doc Schoko mit seiner Musik dabei, wenn ich ab 20 Uhr im Kulturhaus Arthur lese. Der Eintritt kostet 8 Euro ermäßigt, 12 normal.
Podcast „Titelstory“ #11: Wohin haben sich die Deutschen gewählt?
Für den Podcast „Titelstory“ der Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen sprach ich über die Ergebnisse der Bundestagswahl und ihre Folgen für die Gesellschaft mit Moritz Warnke. Er ist Referent für soziale Infrastruktur und verbindende Klassenpolitik bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Berlin.
Hier geht es zu den Kanälen: https://sachsen.rosalux.de/podcast
Faschisten machen Spaß. Beitrag zur Gedenkveranstaltung „Lasst uns das Erinnern nicht vergessen“ der Friedrich-Ebert-Stiftung Sachsen am 2. März 2025
„Wenn jetzt der Donald Trump wieder an der Macht ist, dann ist das doch für Sie als Satiriker eine gute Nachricht, oder?“ Auf diese Frage musste ich in jüngster Zeit mehrfach den Kopf schütteln. Auch satirische Schriftsteller genießen schlimme Zeiten nicht. Sie leiden vielleicht sogar noch mehr unter ihnen als andere Leute, sonst würden sie sich nicht die fast immer vergebliche Mühe machen, gegen das Übel anzuschreiben. Aber wahrscheinlich wollten die Fragesteller nur ihre Vermutung zum Ausdruck bringen, unsere Gegenwart mit ihren abscheulichen, aber dennoch erfolgreichen Gestalten liefere dem Satiriker wenigstens viel Material und erleichtere ihm so die Arbeit. Aber leider ist nicht einmal diese Vermutung zutreffend. Ich muss ganz im Gegenteil zugeben: Es ist immer schwierig, Satiren zu schrieben, aber noch nie war’s so schwierig wie heute.
Die gute Satire versucht, die Verlogenheit, Korruption oder Bosheit von mächtigen Menschen zu entlarven und sie öffentlich zu beschämen, um sie für ihre Untaten zu bestrafen. Die Voraussetzungen für den Erfolg eines solchen Unternehmens schwinden. Donald Trump wurde hunderttausendfach der Lüge überführt, doch es kümmert ihn nicht, weil es seine Fans nicht kümmert. Eine Öffentlichkeit gibt es in den USA nicht mehr, sondern mindestens zwei, in denen unterschiedliche Begriffe der Wahrheit gelten. Ist die Welt im Kopf erst einmal in Freund und Feind geschieden, haben einfach immer die Eigenen recht und die Anderen unrecht. Und wie sollte man jemanden beschämen, der keine Scham kennt? Donald Trump verdankt seinen Erfolg ja nicht nur seinen Lügen, sondern auch der Ehrlichkeit, mit der er kein Geheimnis daraus macht, dass er von nichts anderem angetrieben wird als von rücksichtslosem Egoismus. Seine Fans lieben ihn gerade dafür – vielleicht nicht einmal, weil sie ebenso brutal sind, sondern weil sie gerne so wären. Die Satire operiert von einem moralischen Standpunkt aus und ihre Waffen werden stumpf im Kampf gegen einen Feind, der nicht nur keine Moral hat, sondern nicht einmal mehr Interesse daran, so zu tun, als hätte er eine. Karl Kraus hat seine heute berühmte Dritte Walpurgisnacht, in der ihm zu Hitler und den Nazis sehr viel eingefallen ist, zu seinen Lebzeiten nicht veröffentlicht – nicht etwa aus Feigheit, sondern weil ihm bewusstwurde, dass Satire nichts ausrichten kann gegen einen Faschismus, der Wahrheit, Moral und Stil für nichts achtete und reine Gewalt an ihre Stelle setzte.
Donald Trump hat in den ersten Wochen seiner zweiten Amtszeit eigenmächtig ein Meer umbenannt, Dänemark mit der Eroberung Grönlands gedroht und sich als neuen König feiern lassen. Wie soll die Satire, die so gerne zum Mittel der Übertreibung greift, um Absurdität ins Licht zu rücken, mit einer Absurdität umgehen, die selbst schon ohne jede Scheu auftritt? Trump präsentierte sich als Stimme des kleinen Mannes und übergab dem reichsten Mann der Welt die Regierungsgeschäfte. Alle Versuche, darauf hinzuweisen, dass hier ein kleiner Widerspruch vorliegen könnte, verhallen bisher ohne Wirkung. Trumps Fans lieben ihn mehr denn je, auch in den Umfragen schneidet er nicht so schlecht ab, wie es jede Vernunft erwarten würde. Schaue ich mir derzeit die Versuche von Fernsehsatirikern an, Trump zu entlarven und zu verspotten, seien es US-amerikanische oder deutsche, dann überkommt mich oft ein großes Unbehagen. Vieles wirkt wie eine hilflose Witzelei, die Trump in keiner Weise gefährdet. Womöglich hilft uns all das sogar dabei, das unvermeidliche Grauen leichter zu verdauen und uns an das Unerhörte zu gewöhnen. Das liegt nicht an der Unfähigkeit der Spaßmacher, zumindest nicht immer, sondern daran, dass mit dem Faschismus nicht zu spaßen ist.
Die Faschisten selbst amüsieren sich und andere hingegen derzeit bestens. Viele der neuen Rechten zeichnen sich durch eine exzentrische Frisur aus, wie man sie früher eher von Entertainern gewohnt war: Geert Wilders in den Niederlanden, Javier Milei in Argentinien, Donald Trump in den USA. Die strengen Scheitel der rechten Diktatoren alter Schule sind aus der Mode gekommen. Die Haartracht ist ein Accessoire der neuen Selbstinszenierung: Die rechten Demagogen unserer Zeit verhalten sich gerne wie Spinner und Clowns. Für ihren Erfolg ist es dabei gar nicht wichtig, wie groß der Anteil echten Wahnsinns und der des Theaters ist. Ist es bedrohlich oder lustig, wenn Milei seine Kettensäge schwingt? Das kommt wohl darauf an, ob man damit rechnen muss, von ihm gekürzt zu werden. Zählt man nicht zu seinen Opfern, kann man sich vom Spektakel gut unterhalten fühlen.
Was bezwecken die rechten Spaßmacher mit ihren Verrücktheiten? Erstens dient ihnen ihr exzentrisches Verhalten dazu, sich von der Ödnis des gewöhnlichen politischen Betriebs abzuheben. Dankbar berichten die Medien über den Irrsinn, der immerhin unterhaltsam ist, und werben so für die Fun-Faschisten sogar unbezahlt. Zweitens setzen sich die Populisten von der Seriosität der regierenden Elite ab. Dieser herrschende Ernst ist auch gespielt, aber meist deutlich schlechter. Tatsächlich gehören die rechten Pseudorebellen selbst zur Elite, doch ihr halbstarkes Grölen und Randalieren macht sie in den Augen der Bevölkerung zu kecken Außenseitern. Drittens dienen die schlechten Witze der Rechten der Verharmlosung ihrer selbst: Sie können krasseste Sprüche klopfen und sich danach damit herausreden, es sei doch alles nicht gar so ernst gemeint gewesen. Weil ihr Hass stets unterhaltsam ist, genießen selbst Fans die Show, die ihn im Ernst gar nicht ganz teilen. Man wählt die Rechten, um den Laden mal ein bisschen aufzumischen – gar so bös wie angekündigt wird es schon nicht kommen, es ist doch wohl vor allem ein großer Spaß. Aber das Clownskostüm kann sehr schnell durch die Uniform ersetzt werden. Auch Mussolini und Hitler wirken nicht erst heute komisch, wenn wir alte Filmaufnahmen betrachten, sie waren es auch zu ihrer Zeit schon für alle, die nicht in ihrem Bann standen. Aber lachen konnte man über sie nur so lange, wie man dafür nicht hinter Gittern oder tot im Straßengraben landete.
Es gibt zwei sehr verschiedene Arten des Witzes. Der erste verbindet Menschen miteinander. Mit ihm spotten wir über die Widersprüche und Ungereimtheiten des Lebens, auch über die Schwächen der Menschen, doch schließen wir dabei uns selbst mit ein. Dieser Witz ist ein Gleichmacher, weil er alle trifft, auch jene Großen, die sich über ihn erhaben dünken. Die andere Art des Witzes ist Ausdruck der Verachtung. Hier dient der Witz dazu, die Angst, das Unglück und die Verletzlichkeit anderer zu verlachen, um uns über sie zu erheben. Das ist der Witz der Mächtigen. Wer die neurechten Demagogen beobachtet, wird immer wieder diesen hämischen, herabsetzenden Witz erkennen. Sie sind keine Narren, die Mächtige verspotten, sondern Horrorclowns, die Menschen auf der Straße mit einer laufenden Kettensäge erschrecken, um sich an ihrer Panik zu erfreuen. Ihr Extrem findet diese Lust in dem, was Klaus Theweleit „das Lachen der Täter“ genannt hat: der Spaß der Mörder am Leid ihrer Opfer.
Ich weiß nicht, ob es uns gelingen wird, den Faschisten den Spaß zu verderben, aber wir sollten es versuchen.
Mein neues Buch: „Deutsche im Wind“

Es ist soweit! Mein neues Buch Deutsche im Wind kommt in dieser Woche in den Handel und ihr könnt es bald überall bestellen, wo es Bücher gibt. Ich danke all den Leserinnen und Lesern, aber auch den Kolleginnen und Kollegen, die mich ermutigt haben, doch endlich mal wieder ein Buch herauszubringen. Volker Surmann vom Satyr Verlag danke ich dafür, dass er Lust und Vertrauen hatte, es mit mir zu machen. Der Band versammelt eine ziemlich strenge Auswahl der schönsten Geschichten, Satiren und Esays aus den vergangenen Jahren. Ich bin ein wenig voreingenommen, glaube aber, dass es recht gut geworden ist. Wie immer bei mir mischt sich Persönliches und Politisches bunt und machmal sonderbar. Es geht um so unterschiedliche Dinge wie den Funktionswandel der Jogginghose, die Phänomenologie des Schnarchens und die existenzielle Bedeutung des Stammtischs. Die Literatur der kleinen Formen hat es schwer im Buchhandel, aber ich liebe sie nun mal. Wenn ihr schon immer einmal mein segensreiches Schaffen unterstützen wolltet, habt ihr jetzt eine gute Gelegenheit dazu.
Buchpremieren gibt es natürlich auch: am 11. März um 19 Uhr in Berlin in der Baiz, am 13. März um 20 Uhr in Chemnitz im Kulturhaus Arthur, am 8. Mai um 20 Uhr im Blechschloss der Scheune in Dresden und später sicher auch noch anderswo.
Termine der Woche
Am Dienstag (18. Februar) stelle ich gemeinsam mit Lea Streisand, Heiko Werning und Volker Surmann unsere Anthologie Sind Antisemitisten anwesend? Satiren, Geschichten und Cartoons gegen Judenhass in Neuruppin vor. Los geht es um 19 Uhr in der Fontane-Buchhandlung.
Am Mittwoch (19. Februar) gibt es eine neue Ausgabe meiner Lesebühne Sax Royal in Dresden in der GrooveStation. Mit dabei sind die Stammkräfte Roman Israel, Max Rademann und Gesine Schäfer sowie als Stargast Uli Hannemann aus Berlin. Los geht es um 19:30 Uhr. Karten gibt es an der Abendkasse oder auch schon im Vorverkauf.
Am Donnerstag (20. Februar) gibt es eine neue Show meiner Berliner Lesebühne Prunk & Prosa im Varieté Salon der UFA-Fabrik. Mit dabei sind die Stammautoren Tilman Birr, Noah Klaus, Christian Ritter, Piet Weber und ich sowie als besondere Gästin die Autorin Daniela Böhle. Wie immer gibt es nicht nur neue Geschichten, sondern auch Musik und allerlei andere Späße. Start um 20 Uhr. Tickets könnt ihr gern auch schon im Vorverkauf erwerben.
Am Sonnabend (22. Februar) lese ich gemeinsam mit meinem Kollegen Udo Tiffert in Dessau. Bei der Lesung im Schwabehaus stelle ich ab 20 Uhr auch mein neues Buch Deutsche im Wind vor.
Die Linke vor der Wahl
Bei der Bundestagswahl am 23. Februar geht es wahrscheinlich um die Existenz der Linken als relevante politische Partei. Sollte sie den Einzug in den Bundestag trotz aller Widrigkeiten schaffen, bieten sich ihr als Opposition gegen Trump und Merz gute Chancen. Sollte sie am Wiedereinzug scheitern, wird es äußerst schwierig, Die Linke zusammen und am Leben zu halten. Ohne Repräsentanz im Parlament ginge nicht nur die Aufmerksamkeit der Medien verloren, Die Linke müsste auch mit viel weniger Geld auskommen. Wer glaubt, Die Linke würde als außerparlamentarische Bewegung erst recht aufblühen, macht sich wohl etwas vor: Außerparlamentarische Bewegungen sind erfolgreich, wenn sie sich konsequent einem Thema widmen – es gibt keinen vernünftigen Grund, sich ohne den Mehrwert parlamentarischer Macht in einer Partei zu engagieren, wo man immer auch Forderungen mittragen muss, die man nicht teilt oder nicht für vordringlich erachtet.
Den tiefsten Punkt des Jammertals hat Die Linke hinter sich gelassen, es geht erkennbar wieder aufwärts. In der Partei herrscht eine ungewohnt gute Stimmung, sehr viele junge Menschen sind beigetreten und engagieren sich mit einem Enthusiasmus im Wahlkampf, der manche ältere Genossen geradezu überfordert. Viele Medien schreiben inzwischen deutlich freundlicher über Die Linke, die Umfrageergebnisse haben sich in den vergangenen Wochen verbessert. Ines Schwerdtner und Jan van Aken, die neuen Personen an der Parteispitze, verkörpern einen Beginn und machen – so wie auch Co-Spitzenkandidatin Heidi Reichinnek – bei vielen Menschen einen guten Eindruck. Die entscheidende Frage ist: Kommt der Wiederaufschwung noch rechtzeitig, um Die Linke in den Bundestag zu tragen?
Der Bruch mit dem Bündnis Sahra Wagenknecht ist nach jahrelangem, quälendem Streit für die Öffentlichkeit erkennbar endgültig vollzogen, auch wenn es gewiss noch Jahre dauern wird, bis der Verlust an Vertrauen ganz wettgemacht ist. Das BSW hat sich nicht nur politisch eher konservativ ausgerichtet, es attackiert auch gezielt Die Linke, zum Beispiel durch selektive Direktkandidaturen in entscheidenden Wahlkreisen wie dem von Sören Pellmann in Leipzig. Auch jene Genossinnen und Genossen, die Sahra Wagenknecht in der einen oder anderen Frage nahestanden, dürften begriffen haben, dass beim BSW keine linke Politik gemacht wird und dass es Wagenknecht um die Zerstörung der Linken geht. Für beide Parteien zugleich ist insbesondere im Osten tatsächlich auf Dauer nicht genug Wählerpotenzial vorhanden – es kann nur eine geben. Wer jetzt immer noch öffentlich den Bruch bedauert und von einer Wiedervereinigung träumt, sabotiert den Neubeginn der Linken.
Am BSW ist auch nichts mehr verlockend, es geht erkennbar schon wieder abwärts. Wagenknecht hat zwei strategische Fehler begangen: Zum einen hat sie sich mit ihrer Ludwig-Erhard-Nostalgie wirtschaftspolitisch so weit in die Mitte begeben, dass sie sich auf diesem Feld kaum mehr von CDU und SPD unterscheidet, geschweige denn einen ökonomischen Populismus betreiben kann wie etwa Jean-Luc Mélenchon in Frankreich. Zum zweiten hätte sie die Regierungsbeteiligung des BSW in Brandenburg und Thüringen verhindern müssen – nun sieht das BSW, als Protestpartei noch nicht einmal richtig gegründet, schon aus wie eine gewöhnliche Partei, die faule Kompromisse eingeht und langweilige Koalitionsverträge unterschreibt. Den Ton verschärfen kann Wagenknecht nur noch in der Migrationspolitik. Doch dort ist es unmöglich, noch schriller zu klingen als die AfD.
Die Abspaltung des BSW hat der Linken im Osten nicht sehr viele Mitglieder, aber sehr viele Wählerinnen und Wähler gekostet. Andererseits hat der Bruch in einigen Bereichen auch zu einer inhaltlichen Klärung geführt. In diesen Bereichen gibt es bei der Linken nun nicht mehr die Zerstrittenheit und Beliebigkeit, die in den vergangenen Jahren viele Menschen verwirrt und abgeschreckt haben. Durch den Gegensatz zum BSW sind einige Dinge klarer geworden: Die Linke bleibt eine sozialistische Partei, die mehr will als eine bloß für Deutsche sozial ausgepolsterte Marktwirtschaft. Die Demokratisierung der Wirtschaft durch Vergesellschaftungen, insbesondere in den elementaren Bereichen der Daseinsfürsorge, bleibt ein Ziel der Linken. Die Linke wird – auch im aktuellen Gegenwind – nicht auf einen migrationsfeindlichen Kurs einschwenken, sondern bleibt eine Partei, die das Recht auf Asyl verteidigt und Zuwanderung prinzipiell freundlich betrachtet. Die Linke bleibt eine ökosozialistische Partei, die Umwelt- und Klimaschutz nicht gegenwärtigen Stimmungen in der Bevölkerung oder kurzfristigen Wohlstandsversprechen opfert. Die Linke wird ihre sozialen Versprechen niemals exklusiv formulieren. Sie wird die Gleichstellung sexueller, kultureller oder anderer Minderheiten nicht zugunsten anderer Ziele fallen lassen. Die Linke steht der EU nicht fundamental feindlich gegenüber, sondern will sie demokratisch und sozial weiterentwickeln.
Zugleich ist allen halbwegs Besonnenen in der Linken klar, dass es immer noch genügend Fragen gibt, in denen keine Einigkeit herrscht und wo der Streit nur wegen des gemeinsamen Wahlkampfes aufgeschoben ist. Dies gilt besonders für die Außenpolitik. Zwar gibt es in den tagespolitischen Fragen Ukraine und Nahost halbwegs tragfähige Kompromisse, doch fehlt noch eine einmütige und überzeugende Antwort auf die größere Frage, wie Friedenspolitik in Zeiten stark veränderter globaler Machtverhältnisse aussehen muss. In der Migrationspolitik braucht Die Linke neben humanistischer Haltung auch konkrete Konzepte für erfolgreiche Integration. In der Sicherheitspolitik sind linke Antworten auf die Bedrohungsgefühle der Bevölkerung gefragt. Die notorischen Auseinandersetzungen in der Partei entstehen übrigens nicht, weil Linke von Natur aus streitsüchtig wären, sondern weil Die Linke eine Vielzahl von prinzipiell gleichrangigen Zielen verfolgt: soziale Gleichheit, persönliche Freiheit, Demokratie, ökologische Nachhaltigkeit, Wohlstand, Frieden, Völkerrecht und globale Gerechtigkeit.
Die Linke sollte, statt eine natürliche Harmonie vorzutäuschen, anerkennen, dass diese verschiedenen Ziele auch miteinander in Konflikt geraten können. In Programmdebatten müssen in absehbarer Zeit konkrete Pläne entwickelt werden, wie diese verschiedenen Ziele unter den veränderten Bedingungen der Gegenwart am besten verwirklicht werden können. Die Phrase, man dürfe das eine Ziel nicht gegen ein anderes „ausspielen“, löst allein die konkreten Konflikte ebenso wenig wie die Forderung, zur traditionellen „Klassenpolitik“ zurückzukehren. Debatten, in denen es nicht bloß um den Kampf zwischen Personen oder Strömungen geht, sondern um die Sache, müssen der Linken auch nicht schaden, sondern würden beweisen, dass sie eine intellektuell lebendige Partei ist.
Das Programm zur Bundestagswahl konnte die Ergebnisse dieser Debatten nicht vorwegnehmen. Es ist richtig, dass Die Linke sich in diesem Wahlkampf auf das Thema der sozialen Gerechtigkeit und die sozialen Alltagsprobleme der Leute konzentriert. In diesem Feld wird der Partei von der Bevölkerung noch die höchste Kompetenz und Glaubwürdigkeit zugeschrieben. Auf den letzten Metern vor der Wahl kommt es jetzt vor allem darauf an, den Fokus nicht zu verlieren. Die aktuellen Proteste gegen die AfD sind demokratisch wichtig, aber sie sind nicht geeignet, der Linken als einzigartiger politischer Kraft Aufmerksamkeit zu verschaffen. Schon im vergangenen Jahr waren es vielfach Linke, die die riesigen Demonstrationen gegen den Rechtsruck mitorganisierten – bei den Wahlen schnitt Die Linke dennoch miserabel ab. Mehr Erfolg verspricht es, wenn Die Linke sich weiter als glaubwürdige und engagierte soziale Opposition zeigt – auch gegen SPD und Grüne, die sich dem konservativen Zeitgeist in vielen Fragen angepasst haben.