Es heilt nicht. Über Felix Stephans Roman „Die frühen Jahre“

Alle Jahre wieder erregt sie die deutsche Öffentlichkeit: die Ostdebatte. Jahrestage bieten den notwendigen Anlass oder auch Bücher wie jüngst die Streitschrift »Der Osten: eine westdeutsche Erfindung« des Leipziger Literaturprofessors Dirk Oschmann. Menschen in der früheren DDR beklagen sich darüber, benachteiligt und missachtet zu werden. Westdeutsche geben sich überrascht von einem Zorn, den sie weder verstehen noch besänftigen können. Die Sonntagsredner der Republik schlagen schließlich vor, es solle doch mehr miteinander geredet werden, um den innerdeutschen Riss zu kitten. Seltsamerweise vertiefen solche Gespräche den Gegensatz aber oft, statt ihn aufzuheben, womöglich, weil sie erst deutlich machen, dass es Wunden gibt, die nie heilen werden, Unrecht geschehen ist, das sich nicht wieder gutmachen lässt.

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Termine der Woche

Am Mittwoch (10. Mai) lese ich neue Geschichten bei unserer Dresdner Lesebühne Sax Royal. Mit dabei sind neben meinen Kollegen Roman Israel und Max Rademann auch wieder zwei Gäste: die Dresdner Autorin Gesine Schäfer und der Schriftsteller Thilo Bock von den Berliner Brauseboys. Los geht es um 20 Uhr in der GrooveStation. Karten gibt es an der Abendkasse oder im Vorverkauf.

Von Freitag bis Sonntag (12.-14. Mai) gestalte ich für das Kulturforum riesa efau ein Philosophisches Reiseseminar unter dem Titel „Zeit zum Denken über ewigen Frieden“. Wir lesen gemeinsam Immanuel Kants Schrift Zum ewigen Frieden und diskutieren über die brennenden Fragen der Gegenwart. Zum Seminar gehört aber auch ein Filmprogramm und Spaziergänge durch die malerische Landschaft des Zittauer Gebirges. Das Ganze findet in der Kulturfabrik Meda in Mittelherwigsdorf statt. Anmeldung über den riesa efau.

Berlin rechtsgedreht

Wie oft wird Politikerinnen und Politikern vorgeworfen, es gehe ihnen nicht um ihre Überzeugungen, sondern nur um die Macht. Ihr Rückgrat sei biegsam wie ein Gartenschlauch, ihr Gedächtnis auf Knopfdruck löschbar, ihre Treue so unwandelbar wie Aprilwetter. Es ist erleichternd und ermutigend zu sehen, wenn sich solche Vorurteile einmal als falsch erweisen wie gerade bei der Wahl des Regierenden Bürgermeisters in Berlin.

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Termine der Woche

Am Mittwoch (26. April) gibt’s die dritte Ausgabe unserer neuen Lesebühne Prunk & Prosa in Berlin. In der ufaFabrik präsentiere ich im Wolfgang Neuss Salon zusammen mit Eva Mirasol, Tilman Birr, Noah Klaus und Piet Weber heitere Geschichten, fiese Satiren und beschwingte Lieder. Musikalischer Gast ist Karl Neukauf. Los geht es um 20 Uhr.

Wenn Flötentöne flöten gehen

Hurra, der Klassenkampf ist zurück! Nicht nur in Frankreich zünden die Leute die Städte an, um nicht bis ins hohe Alter arbeiten zu müssen. Sogar im sonst so braven Deutschland streiken die Beschäftigten allerorten dafür, dass die Inflation nur zu maßvollen Lohnverlusten führt. Doch eine Gruppe von Menschen war bislang merkwürdig still: die Künstlerinnen und Künstler der Subkultur. Das soll sich nicht nun ändern.

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Eine kleine Sünde

Mit den christlichen Kirchen ist nicht zu spaßen. Sie verderben nicht nur denjenigen, die sich noch zu ihnen bekennen, die Laune durch muffige Sonntagspredigten und trockenen Pflaumenkuchen im Gemeindecafé. Zu Ostern dürfen sie sogar jene plagen, die ihnen längst den Rücken gekehrt haben oder denen als Säugling das spirituelle Water Boarding erspart geblieben ist. Vergnügungsverbote, Tanzverbote, Trinkverbote – damit das kleine Jesuskind nicht weinen muss, sind auch Atheisten und Andersgläubige am Karfreitag bei Strafe zur stillen Zerknirschung aufgefordert. Was aber tun, wenn man von einer rücksichtslosen Kollegin migrantischer Abkunft die Einladung zu einer Geburtstagsparty am Karfreitag bekommt? Man nimmt an. Was aber tun, wenn man auf den letzten Drücker am nicht verkaufsoffenen Karfreitag noch eine Flasche Schnaps als Geschenk besorgen will? Man fährt mit dem Bus nach Berlin-Neukölln, wo die Überfremdung erfreulicherweise die abendländische Knebelung der Ladenöffnungszeiten längst gelockert hat.

Tatsächlich entdecke ich schon nach wenigen Schritten einen türkischen Spätshop, dessen Tür offensteht. Ein Schriftzug auf dem Schaufenster verheißt „Spirituosen“. Doch als ich im Laden stehe und mich umblicke, entdecke ich zwar Säfte, Biere und Weine in den Kühlschränken und Regalen, doch nichts Höchstprozentiges. „Schnaps habt ihr keinen da?“, frage ich den jungen Verkäufer hinterm Tresen, nachdem er eine andere Kundin verabschiedet hat. „Doch. Aber den darf ich nicht verkaufen. Bist du vom Ordnungsamt, oder was?“ – „Wieso? Ist es heute etwa verboten, Schnaps zu verkaufen?“, frage ich entgeistert. „Ja. Zumindest große Flaschen.“ – „Das ist doch absurd!“, rufe ich. „Ja, aber es ist doch eure Religion!“, lacht der Verkäufer. „Meine nicht“, stelle ich fest und fahre in flehentlichem Ton fort: „Ich bin nicht vom Ordnungsamt. Wirklich nicht! Ich brauche nur ein Geburtstagsgeschenk für heute Abend.“

Der Verkäufer lässt einen grauen Sichtschutz nach oben schnellen, unmittelbar hinter ihm wird plötzlich das Regal mit den Spirituosen sichtbar, das zuvor verborgen gewesen ist wie ein Altarbild in der Passionszeit. „Ich suche einen Gin“, erkläre ich. „Da, den Tanqueray hätte ich gern.“ – „Das ist eine große Flasche, die kann ich dir nicht geben“, kündet der Dealer in strengem Ton. „Okay, dann nehme ich die kleine Flasche Bombay daneben. Die müsste doch gehen, oder?“ Ich bettle inzwischen wie ein Junkie auf Entzug. „Ich mach nur Spaß. Ich geb dir die große Flasche“, sagt der Verkäufer und scannt den Code auf dem Etikett. „O, so teuer ist der?“, fragt er erstaunt. „Ja, das ist ein guter“, simuliere ich Fachwissen. „Wusste ich nicht. Ich trinke immer Bombay.“ – „Ist das nicht gegen eure Religion?“, merke ich kritisch an und entlocke dem Verkäufer ein Grinsen. Ich zahle und verabschiede mich. Draußen stecke ich die Flasche schnell in einen Stoffbeutel. Aus Vorsicht – weiß man doch nie, wer gerade guckt: Gott oder Ordnungsamt.

Termine der Woche

Am Mittwoch (12. April) präsentiere ich mit den Kollegen Roman Israel und Max Rademann neue Geschichten bei unserer Dresdner Lesebühne Sax Royal. Als Gastautorin haben wir die Kollegin Jacinta Nandi aus Berlin mit dabei. Los geht es um 20 Uhr in der GrooveStation.

Am Sonnabend (15. April) bin ich einer der Autoren beim Kantinenlesen, dem Gipfeltreffen der Berliner Lesebühnen. Mit auf der Bühne sind Jacinta Nandi, Volker Surmann, Isobel Markus und Ruth Herzberg. Los geht es um 20 Uhr in der Alten Kantine der Kulturbrauerei.

Dirk Oschmann und der Osten als Opfer

Der Leipziger Literaturprofessor Dirk Oschmann hat mit seinem aktuellen Buch einen großen Bestseller gelandet. Doch sollte er sich trotzdem davor hüten, wegen des großen Erfolgs sein Buch in Dresden im Dynamo-Stadion den Massen zu präsentieren. Denn die Fans des Fußballvereins hätten wahrscheinlich wenig Verständnis für den Titel des Buches. „Der Osten ist eine westdeutsche Erfindung? Nie im Leben!“ Tatsächlich empfinden die Leute, die im Stadion regelmäßig „Ost! Ost! Ostdeutschland!“ skandieren, ihre ostdeutsche Identität keineswegs als aufgezwungen. Sie bekennen sich zum Osten vielmehr mit Stolz und verweisen Leute aus der entgegengesetzten Himmelsrichtung gerne einmal des Platzes: „Halt dein dummes Wessimaul!“ Was hat es auf sich mit Oschmanns Erfolgsbuch, das – wie schon zuvor ein Artikel von ihm in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung – eine hitzige Feuilletondebatte auslöste?

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Termine der Woche

Am Mittwoch (15. März) gibt’s – nach der umwerfend guten Premiere im Februar – die zweite Ausgabe unserer neuen Lesebühne Prunk & Prosa in Berlin an den Start. In der ufaFabrik präsentiere ich im Varieté Salon zusammen mit Eva Mirasol, Tilman Birr, Noah Klaus, Christian Ritter und Piet Weber heitere Geschichten, fiese Satiren und beschwingte Lieder. Tickets bekommt ihr im Vorverkauf oder an der Abendkasse. Los geht es um 20 Uhr.