Termine der Woche

Am Freitag (19. Januar) bin ich erstmals als Gastautor bei der Lesebühne „Lass uns da mal hingehen“, die von Jürgen Beer in Berlin veranstaltet wird. Los geht es um 20 Uhr in der Kulturkneipe DanTra’s in der Kulmer Straße 20A. Ich bin schon gespannt drauf, wie es sich so tief im Westen liest.

Am Sonntag (21. Januar) darf ich wieder einmal beim traditionellen Lesebühnenbrunch mitwirken, der jährlich das Kabaretttreffen in Cottbus abschließt. Mit dabei sind diesmal die Kollegen Udo Tiffert, Ruth Herzberg, Tobias Hengstmann sowie als musikalischer Gast Schnaps im Silbersee. Einlass ab 10:30 Uhr, Essen ab 11 Uhr, Kunst ab 12 Uhr.

Die letzten Männer

Recht oft hört man leider inzwischen von aussterbenden Arten. Fast habe ich mich an diese traurigen Meldungen schon gewöhnt. In jüngster Zeit aber merke ich bei solchen Schreckensnachrichten doch öfter auf, denn es geht nicht mehr wie früher nur um das Sumatra-Nashorn, die Kleine Hufeisennase oder den Feuersalamander, sondern auch um den gemeinen Mann. Der stehe nämlich ebenfalls vor der Ausrottung, so verkünden es jedenfalls zahllose Artikel, die gerade von verängstigten Männern verfasst werden.

Schuld am Niedergang sei eine mysteriöse Seuche namens „Genderwahn“. Infizierte Männer büßen angeblich ihre Männlichkeit ein. Sie fangen an, im Sitzen zu pinkeln, über Gefühle zu reden und Salat zu essen. Wegen ihrer Verweichlichung sind sie dann nicht mehr in der Lage, ihre Weiber gegen Säbelzahntiger und Südländer zu verteidigen. Erkrankte Frauen empfinden es wiederum neuerdings als sexuelle Belästigung, wenn ihnen ein Fremder zünftig auf den Hintern klatscht. Manche Frau bildet sich plötzlich ein, auf Männer überhaupt verzichten zu können. Und einige menschliche Wesen vergessen im Genderwahn gar, welchem Geschlecht sie angehören! Das geht doch nun wirklich gegen jede Ordnung!

Die zurückliegenden Feiertage zwischen Weihnachten und dem neuen Jahr konnten mich erfreulicherweise beruhigen. Ich schaltete nämlich den Fernseher ein. Als bedeutendstes Sportereignis wurde eine Weltmeisterschaft übertragen, bei der Männer mit Halbglatze und körpereigenem Bierkessel kleine Pfeile auf eine Scheibe warfen, lautstark angefeuert von äußerlich ähnlich veranlagten Geschlechtsgenossen im Vollrausch. Im Nachbarprogramm suchten derweil bärtige Männer in der nordamerikanischen Wildnis nach Gold: „Kann Joe seinen Bagger am Giant Nugget Claim reparieren, bevor der Winter einbricht, um noch die 2000 Unzen zu schürfen, die er braucht, um seiner Frau die versprochene Brustvergrößerung zu bezahlen?“

Auch den abendlichen Spielfilmen hatte der grassierende Feminismus nichts anhaben können: Ob James Bond, Harry Potter oder Kevin allein zu Haus – überall waren es wie eh und je weiße Jungs, die mit ihren Heldentaten das Universum oder zumindest das Weihnachtsfest retteten. Und in den Nachrichten grüßte aus Washington grinsend ein pampelmusenfarbiger Primat, angeblich gerade von den Bürgern zum mächtigsten Mann der Welt gewählt. Vielleicht bekäme der Erde ein bisschen Genderwahn doch gar nicht so schlecht.

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Dieser Text erschien zuerst als Kolumne der Rubrik Besorgte Bürger in der Sächsischen Zeitung.

2018 – Die wahre Jahresvorschau

Januar:

US-Präsident Donald Trump erschüttert die Medienwelt mit einem weiteren ungezügelten Tweet: Frauen, sie sich über sexuelle Belästigung beklagen, seien in Wahrheit frigide Kampflesben, die man nur einmal ordentlich durchnudeln müsse. Er sei bereit, sie alle persönlich im Oval Office von ihrer Hysterie zu heilen. Sofort erntet Trump empörte Reaktionen von Meryl Streep, dem Papst und Katrin Göring-Eckardt. Darauf wird mehrere Tage lang in den Medien erbittert über die Frage gestritten, ob das Problem der frigiden Kampfleben bislang nicht möglicherweise doch unterschätzt wurde. Erst nach knapp einer Woche stellt die Weltöffentlichkeit überrascht fest, dass irgendjemand in der Zwischenzeit fünf Atombomben über Kanada abgeworfen hat.

Februar:

Die Koalitionsverhandlungen in Deutschland ziehen sich hin. Der überraschend zum neuen SPD-Vorsitzenden gewählte Benno Schnulz, stellvertretender Vorsitzender des Ortsvereins Peine und früherer Steuerberater von Gerhard Schröder, stellt harte Bedingungen für eine Regierungsbeteiligung der Sozialdemokraten: Der Terminus „Koalition“ müsse in allen offiziellen Dokumenten durch das Wort „Opposition“ ersetzt werden, den SPD-Ministern müsse es gestattet sein, ihr Amt anonym auszuüben, und die CDU müsse vertraglich zusagen, keine der sozialen Errungenschaften der Agenda 2010 anzutasten. „Unter diesen Bedingungen, und nur unter diesen, sind wir bereit, in eine große Opposition einzutreten“, so Schnulz in einer mitreißenden Rede auf einem Sonderparteitag in Peine. Auf diese Forderungen angesprochen, erwidert Bundeskanzlerin Merkel: „Deutschland ist ein schönes Land voller guter Menschen.“

März:

Unter dem Hashtag #NoSmartism sorgt eine neue Antidiskriminierungskampagne im Internet für Aufsehen. Ihre Anhänger fordern ein Ende der Benachteiligung dummer Menschen. Als Gast der Talkshow von Anne Will erläutert die Internetaktivistin Anke Domscheit-Berg die Bewegung: Dummen Menschen werde es in der Gesellschaft sehr schwergemacht. Sie würden im Alltag oft verspottet und gemieden. In Büchern und Filmen, selbst in solchen für Kinder, stelle man dumme Menschen unvorteilhaft dar. In der Schule erhielten sie schlechtere Noten und im Beruf hätten sie kaum Chancen auf eine Karriere. In den Aufsichtsräten großer Firmen und im Bundestag seien Dumme erschreckend unterrepräsentiert. Widerspruch erntet die Aktivistin in der Sendung wie erwartet vom CSU-Politiker Alexander Dobrindt. Das Gejammer über Diskriminierung sei völlig überzogen. „Ich zum Beispiel bin außerordentlich dumm!“, so der bayrische Konservative. „Und ich habe es trotzdem zum Spitzenpolitiker gebracht!“

April:

Zur Eröffnung der sachsen-anhaltinischen Landesgartenschau in Burg bei Magdeburg hält Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier unter dem Titel „Lasst tausend Blumen blühen“ die Festansprache. Steinmeier würdigt ausführlich die Bedeutung der Gartenkunst im Allgemeinen und Speziellen, spricht eine Stunde über die Rolle der Blume in der abendländischen Literatur, für die Demokratie und bei Rentnergeburtstagen. Die Rede des Staatsoberhauptes fordert insgesamt drei Todesopfer, Zuhörer, die während der Ansprache ins Koma fallen und auch durch Behandlung in Spezialkliniken nicht wieder zu Bewusstsein zu bringen sind.

Mai:

Reichlich verspätet erblickt nach fast zehn Monaten Tragezeit das dritte Kind von Prinz William, Duke of Cambridge, und Catherine, Duchess of Cambridge, in Großbritannien das Licht der Welt. Getauft wird der Sohn auf den Namen Jürgen, zur Erinnerung an die deutsche Herkunft der britischen Dynastie. Die erwartete Euphorie bleibt überraschend aus. „Das ist ja doch eigentlich nur ein neuer Hosenscheißer wie Millionen andere, noch dazu aus einer eher unsympathischen Familie von arbeitsscheuen Wichtigtuern. Mit diesem ganzen Royal-Mist will uns die Kulturindustrie sowieso nur von den wahren Klassenkonflikten ablenken!“, so äußert ein Londoner Taxifahrer bei einer Straßenbefragung stellvertretend für alle.

Juni:

Im Golf von Mexiko bildet sich der stärkste je beobachtete Tropensturm. Meteorologen erfinden für den Hurricane Juanita eigens die neue Kategorie 7. Nachdem Juanita bei New Orleans auf die Küste trifft, zieht sie eine Schneise der Verwüstung durch die USA, bis sie endlich nach einer knappen Woche ihre zerstörerische Kraft über Idaho verliert. Wissenschaftler machen für den Hurricane den Klimawandel verantwortlich. Präsident Trump hingegen beschuldigt die Mexikaner, gemeinschaftlich in den Golf von Mexiko uriniert zu haben, um so das Meerwasser zu erwärmen und Wirbelstürme gegen die USA auszulösen. Er verspricht, eine Mauer nicht nur gegen Mexikaner, sondern auch gegen Hurricanes zu errichten, die höchste Mauer aller Zeiten, eine Mauer babylonischen Ausmaßes.

Juli:

Bei der Fußballweltmeisterschaft in Russland überrascht die Mannschaft der Gastgeber mit einem Durchmarsch: Ohne Niederlage und Gegentor stürmen die Russen ins Finale und bezwingen am 15. Juli in Moskau die deutsche Mannschaft mühelos mit 12:0. Gerüchte, der russische Erfolg könne auf Doping zurückzuführen sein, werden umgehend von Präsident Putin persönlich zurückgewiesen. Das kurzfristige Wachstum der russischen Spieler um einen Meter sei allein hartem Training zu verdanken. Zum Beleg verweist Putin vor laufender Kamera auf seinen Penis, dessen Länge sich ebenfalls ohne jede medizinische Hilfe allein durch manuelle Übungen binnen drei Monaten auf fünfzig Zentimeter verzehnfacht habe.

August:

Die alternative Deutschrockband Freiwild spielt als Headliner bei einem Festival unter dem Titel „Rock gegen links“ auf dem ehemaligen Reichsparteitagsgelände in Nürnberg. Zu Beginn des Auftritts ruft Philipp Burger, der Poet und Sänger der Gruppe, die 500000 anwesenden Fans dazu auf, sich entschieden für Demokratie und Redefreiheit einzusetzen und sich nicht der Meinungsdiktatur zu beugen. Mit dem Finger weist er dabei auf eine Gruppe von 26 linken Gegendemonstranten vor dem Eingang, die eingekesselt von der Polizei mit Trillerpfeifen und Pappschildern gegen den Auftritt der Band demonstrieren. Bei dem dreitägigen Musikfest, das wegen des großen Erfolgs von nun an jährlich stattfinden soll, performen unter anderen auch Xavier Naidoo, Frank Rennicke und die Sächsische Staatskapelle.

September:

Eine von Bundestag und Bundesrat im Frühjahr einstimmig verabschiedete Verfassungsänderung zur Erleichterung direkter Demokratie zeigt erste Ergebnisse. Bei der ersten bundesweiten Volksbefragung entscheiden sich die Deutschen jeweils mit überwältigender Mehrheit für die Wiedereinführung der Todesstrafe, die Anhebung der Promillegrenze im Straßenverkehr auf 2,5, den vollständigen Abriss von Berlin-Neukölln, die Abschaffung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks sowie die Rassentrennung in Bussen und Bahnen. Während die Alternative für Deutschland den Sieg aller ihrer Volksbegehren feiert, räumt Anton Hofreiter von den Grünen ein, man müsse in seiner Partei doch vielleicht noch einmal intensiver darüber diskutieren, ob die Sache mit der Basisdemokratie wirklich so eine gute Idee sei.

Oktober:

Zum Gedenktag der Reformation am 31. Oktober beschwert sich die ehemalige Bischöfin und Glaubensbotschafterin Margot Käßmann, schon ein Jahr nach dem Reformationsjubiläum sei die bedeutendste Stimme der evangelischen Theologie kaum noch im Gespräch. „Wann kommt endlich mal wieder ein Journalist bei mir zuhause vorbei und interviewt mich?“, fragt Käßmann erregt im Telefongespräch mit der Bild-Zeitung. „Es ist Wochen her, dass jemand bei mit geklingelt hat! Dabei hab ich noch so viel zu sagen! Und auch noch zwanzig Flaschen Luther-Wein im Keller!“

November:

Der neue Film von Til Schweiger stürmt gleich am ersten Wochenende an die Spitze der Kino-Charts. Schweiger, der im neuen Streifen wie üblich als Produzent, Drehbuchautor, Regisseur und Hauptdarsteller fungierte, erläutert in Interviews, sein Werk Grütze im Kopf sei von der Internet-Kampagne gegen Smartismus inspiriert. „Zum ersten Mal im Leben habe ich durch diese Debatte gespürt, dass ich nicht allein mit meinen Problemen bin“, so Schweiger. Auch sein Film, in dem ein Mann zurück ins Leben findet, nachdem ihm ein Ziegelstein auf den Kopf gefallen ist, solle als Ermutigung für unverschuldet dumme Menschen verstanden werden. Auch die härtesten Kritiker des Filmkünstlers müssen eingestehen, dass Schweiger noch nie im Leben eine Rolle so überzeugend mit Leben gefüllt hat.

Dezember:

Die Koalitionsverhandlungen in Deutschland ziehen sich hin. Der jüngst überraschend zum neuen SPD-Chef gewählte Bernd Schmalz, ein früherer Friseur von Gerhard Schröder, stellt überraschend neue Bedingungen für eine Regierungszusammenarbeit: So müsse die Bundeskanzlerin versprechen, mindestens drei Mal in der Woche die Sozialdemokraten für ihren Mut und ihre Selbstständigkeit zu loben. Außerdem solle sie ihre Anhänger dazu aufrufen, bei der nächsten Wahl aus Mitleid die Zweitstimme der SPD zu geben. In der Union stoßen die Forderungen auf wenig Gegenliebe. In ihrer Neujahrsansprache mahnt Angela Merkel die SPD denn auch zur Kompromissbereitschaft: „Wenn es uns nicht gelingt, endlich eine Regierung zu bilden, dann besteht die große Gefahr, dass die Bürger merken, dass unser Land eigentlich gar keine Regierung braucht.“

Wie die Deutschen weiß wurden

Der Buchtitel, den der Soziologe Wulf D. Hund für seine „Kleine (Heimat)Geschichte des Rassismus“ gewählt hat, irritiert und soll irritieren: „Wie die Deutschen weiß wurden“. Waren die Deutschen denn nicht schon immer weiß? Hund spielt nicht etwa auf die neuesten Ergebnisse biogenetischer Forschungen an, nach denen alle Europäer (sogar die Sachsen!) aus Afrika stammen. Vielmehr geht es ihm um folgende Einsicht: „Die Wahrnehmung von Hautfarben schließt nicht automatisch rassistische Konstruktionen von Schwarzen und Weißen ein.“ Erst in modernen Zeiten wurde aus diesen äußerlichen Unterschieden eine vermeintlich eindeutige Einteilung des Menschengeschlechts in Rassen unterschiedlichen Wertes abgeleitet.

In den ersten Kapiteln seines Buches zeigt Hund, wie bis weit in die Neuzeit hinein vor allem die Religion die wesentliche Kategorie bei der Beschreibung der Menschheit gewesen ist. Nicht nur wird das Christentum selbstverständlich auch Amerikanern, Asiaten und Afrikanern gepredigt, es gibt auch schwarze Heilige. Der Hass, den die Kirchen gegen Andersgläubige anfachen, ist allerdings nicht weniger mörderisch als der spätere Rassenhass. Aber mit einem Glaubensübertritt können sich selbst Juden vor ihren Verfolgern retten, noch niemand hängt dem modernen Aberglauben an, der Charakter des Menschen sei unveränderlich durch das „Blut“ bestimmt.

Dies ändert sich mit der Aufklärung, die – wie Hund zurecht betont – gerade in dieser Hinsicht keinen Fortschritt bringt. Die europäischen Bürger, die im Namen der Gleichheit gegen den Adel rebellieren, denken nicht daran, selbst auf die Beherrschung und Ausbeutung der Völker auf den anderen Kontinenten zu verzichten. Den Widerspruch im Bewusstsein heilt die moderne Wissenschaft: Sie beweist unwiderleglich den niederen Rang der „schwarzen“, „gelben“ und „roten“ Menschen, die von der Natur selbst zur Beherrschung durch die „Weißen“ bestimmt seien, gleichsam als ewige Kinder. Dass sich unter den aufgeklärten „Rassenmachern“ zum Beispiel auch Immanuel Kant befindet, belegt, wie wenig selbst die größten Geister sich den Vorurteilen ihrer Epoche entziehen können.

Die moderne Rassentheorie bleibt nicht auf den Kreis der Gebildeten beschränkt. Die kolonialistische Propaganda verbreitet sie im 19. Jahrhundert auch unter der einfachen Bevölkerung. Die Verpackungen von Kolonialwaren zieren Bilder dienstfertiger „Neger“, in Zoos werden bei „Völkerschauen“ exotische Menschen präsentiert wie Tiere. Aber der Rassismus weckt nicht nur Verachtung und Aggression den entfernten Fremden gegenüber, er wirkt verhängnisvoll auch auf die privilegierten „Weißen“ daheim zurück: „Die Einteilung der Menschen in hierarchisch geordnete Rassen schlug nach innen als der Verdacht durch, zur Rasse der ‚Herrenmenschen‘ könnten ‚Untermenschen‘ gehören.“ Das Gift des weißen Rassismus zersetzte auch die europäischen Gesellschaften. Rassisten fingen an, in ihren eigenen Völkern nach fremden und minderwertigen Elementen zu fahnden. Sie fanden nicht nur die Juden und die „Zigeuner“. Auch Arme, Behinderte und Kranke wurden zu biologischen Feinden erklärt und – etwa von den Nationalsozialisten – im Namen der Volksgesundheit zur Vernichtung freigegeben.

Die meisten Geschichten des Rassismus konzentrieren sich auf die rassistischen Theorien und ihre politische Umsetzung. Wulf D. Hund setzt hier andere Akzente: Er widmet sich vor allem der Ausbreitung des Rassismus in der Populärkultur und nutzt als Quellen neben Gemälden und Romanen auch Werbegrafiken, Schlager und erfolgreiche Filme. Das macht die Lektüre anschaulich und unterhaltsam, wenngleich der Leser gelegentlich zwischen all den knallbunten Beispielen den rote Faden der Erzählung aus dem Blick verliert.

Ein anderer Mangel des Buches wiegt schwerer: Hunds Geschichte des Rassismus macht sich selbst der Schwarzweißmalerei schuldig. Es gibt in seiner Darstellung nur die rassistischen Weißen und auf der anderen Seite deren Opfer, die Schwarzen, Asiaten, „Zigeuner“, Muslime und Juden. Hund, der im Text einmal von einem anderen Autor Dialektik einfordert, wäre besser auch selbst dialektischer zu Werke gegangen. Dann hätte er kaum die schmerzliche Einsicht unerwähnt gelassen, dass es auch Menschen gibt, die zugleich Opfer von Rassismus und rassistische Täter sind. Dies zeigt sich in unseren Tagen überdeutlich etwa in dem Hass gegen Juden, der in einigen muslimischen Gemeinschaften grassiert. Manch einem Leser wird dieses Fortleben des Rassismus in der Gegenwart sogar gefährlicher scheinen als die „Mohren-Apotheke“, der Hund die letzten Seiten seines Buches widmet.

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Diese Rezension erschien zuerst in der Sächsischen Zeitung.

Termine der Woche

Am Mittwoch (10. Januar) tritt die Lesebühne Zentralkomitee Deluxe zu ihrer monatlichen Sitzung in Berlin zusammen. Brandneue Geschichten und Lieder gibt es wie immer nicht nur von mir, sondern auch von den literarischen Genossen Tilman Birr, Noah Klaus, Piet Weber und Christian Ritter. Außerdem haben wir wie immer einen Gast mit dabei, diesmal die Slam-Poetin Aylin Celik. Los geht es mit dem Abend fortschrittlicher Komik um 20 Uhr in der Baumhaus Bar überm „Musik & Frieden“ an der Oberbaumbrücke in Kreuzberg. Tickets sind zum humanen Preis von 6 Euro am Einlass erhältlich.

Am Donnerstag (11. Januar) feiert unsere Dresdner Lesebühne Sax Royal ihren 13. Geburtstag! Im Jahre 2005 war’s, da taten sich fünf hoffnungsvolle junge Schriftsteller zusammen, um von nun an monatlich in der Scheune dem Dresdner Publikum ihre Geschichten, Gedichte und Lieder zu präsentieren. Die fünf Stammautoren Michael Bittner, Julius Fischer, Roman Israel, Max Rademann und Stefan Seyfarth haben seitdem einiges erlebt und durchgemacht. Sie haben Bücher geschrieben, Platten aufgenommen und Filme gedreht. Sie haben Elbefluten, Bierpreiserhöhungen und Montagsspaziergänge überstanden und sogar beschrieben und besungen. Sie sind darob ein bisschen dicker und ein bisschen grauer geworden. Dennoch haben sie noch immer den gleichen Spaß am Schreiben und am Vorlesen wie zu Beginn, nicht zuletzt dank des wunderbaren Publikums, das ihnen über die Jahre treu geblieben ist und das noch immer um neue Fans wächst. Die Royalisten werden dafür sorgen, dass ihr 13. Jubiläum nicht zum Unglückstag ausschlägt, indem sie ihren Gästen wie immer neue Texte und Songs schenken, aber auch ein paar Klassiker aus den vergangenen Jahren. Für einige Überraschungen wird ebenfalls gesorgt sein. Liebe Freunde von Sax Royal, kommt und feiert mit uns! Tickets gibt’s im Vorverkauf oder ab 19:30 am Einlass. Los geht es um 20 Uhr.

Am Freitag (12. Januar) findet auch in Görlitz die erste Lesebühne Grubenhund des neuen Jahres statt. Frische Geschichten und Gedichte gibt es wie immer von den Stammautoren Udo TiffertMax Rademann und mir. Wie immer haben wir uns auch einen Gast eingeladen, es ist diesmal unser wunderbarer Kollege Roman Israel. Los geht es wie immer um 19:30 Uhr im Kino Camillo, Karten gibt es am Einlass ab 19 Uhr.

Der Trump-Effekt

Obwohl die Rechtspopulisten in Europa derzeit Erfolge feiern können, fallen diese doch überall etwas schwächer aus, als von ihnen selbst erhofft. In Holland und Frankreich, in Deutschland und Österreich ertönte nach den Wahlen nur gedämpfter Jubel. Dabei haben die Rechten dank des dschihadistischen Terrors, der die Menschen in Angst und Schrecken versetzt, doch eigentlich beste Voraussetzungen. Kann es sein, dass der „Trump-Effekt“ zuschlägt, aber ganz anders, als es sich Trumps europäische Fans ausgemalt hatten?

Als Vorkämpfer der „amerikanischen Arbeiterklasse“ hatte sich Donald Trump im Wahlkampf inszeniert. Vor dem Ablegen seines Amtseides in Washington hob er die Faust zum Arbeitergruß wie der selige Erich Honecker bei der Parade am 1. Mai. Doch inzwischen dämmert vielen Arbeitern, die Trump gewählt haben, dass sie auf einen Schwindler hereingefallen sind. Misstrauisch wurden sie schon, als Trump sein Kabinett mit Millionären, Generälen und Wall-Street-Spekulanten besetzte. Inzwischen versucht er ganz unverschämt, den Ärmeren ihre Krankversicherung zu rauben und die Steuern für Arbeitende zu erhöhen, um den Vermögenden noch mehr Geld zuzuschanzen. Langsam verfängt da auch sein Trick nicht mehr, den Anhängern die Zuwanderer und Minderheiten als Sündenböcke anzubieten.

Auf den gleichen nationalen Egoismus wie Trump setzen auch die europäischen Rechten. Die Intellektuellen unter ihnen verkaufen ihn unter dem Tarnnamen „exklusive Solidarität“: Jede Nation solle sich nur um ihre eigenen Leute kümmern, sonst erschöpfe sich die Hilfsbereitschaft. Wahr ist, wie das Beispiel Trump überdeutlich zeigt, das Gegenteil: Jene, die sich selbst am lautesten als „Patrioten“ ausrufen, scheren sich in Wahrheit einen Dreck um die Armen ihres eigenen Volkes. Und für den, der wirklich an Gerechtigkeit interessiert ist, kann Solidarität unmöglich an Grenzen enden, selbst wenn die Mittel, Hilfe zu leisten, natürlich begrenzt sind.

Vielleicht sind die deutschen Arbeiter ja schlauer und lassen die Rechtspopulisten gar nicht erst an die Macht, sondern durchschauen den Betrug vorher. In meiner Geburtsstadt Görlitz stellen immerhin schon viele fest, dass es nicht Ausländer sind, die ihnen gerade die Arbeitsplätze wegnehmen, sondern deutsche Bosse.

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Dieser Text erschien zuerst als Kolumne der Rubrik Besorgte Bürger in der Sächsischen Zeitung.

Protest aus Pappe

Es ist schon einige Jahre her, da geriet ich in Dresden in den Vortrag eines mir unbekannten jungen Mannes namens Philipp Ruch. Der gebürtige Dresdner stellte das von ihm begründete Projekt „Zentrum für politische Schönheit“ vor, das gerade eine seiner ersten Aktionen verwirklichte: Um an den Völkermord in Srebrenica und das Versagen der Vereinten Nationen zu erinnern, sammelten Ruch und seine Mitstreiter in Bosnien Schuhe von Opfern und deren Angehörigen, aus denen aufgehäuft ein Denkmal entstehen sollte.

Das Symbol des Schuhbergs erinnerte an die Bilder aus dem Vernichtungslager Auschwitz – und zwar mit Absicht, wie Ruch einräumte, denn um groß in die Medien zu kommen, müsse man eben „was mit Holocaust machen“. Außerdem sah er sich selbst in der Tradition der Widerstandskämpfer gegen das Nazi-Regime. Auf mich wirkte er eher wie ein leicht größenwahnsinniger Sektenführer.

Das „Zentrum für politische Schönheit“ hat seitdem zahlreiche Aktionen im Graubereich zwischen Kunstperformance und politischer Intervention veranstaltet. Immer wieder beschlich mich, wenn ich von Ruchs neuestem Streich hörte, ein Unbehagen. Die Ziele der meisten Aktionen erschienen mir lobenswert, doch konnte ich mich oft nicht mit den billigen, geschmacklosen und moralinsauren Provokationen anfreunden, die da inszeniert wurden.

So geht es mir nun auch wieder mit dem Nachbau des Holocaust-Mahnmals neben dem Haus des AfD-Politikers Björn Höcke. Haben die Kunstaktivisten wirklich keine Skrupel, mit ihrem Mahnmal aus Pappmaché das Gedenken an den Völkermord an den Juden zur banalen Waffe im politischen Streit zu erniedrigen? Merken sie nicht, dass sie mit ihrer Forderung, Höcke solle auf Knien Buße tun und um Vergebung bitten, den eitlen Mann bloß dahin treiben, wo er sich am wohlsten fühlt, in die Rolle des Opfers nämlich?

Was über diesen Mann zu sagen ist, hat der CDU-Bundestagsabgeordnete Marco Wanderwitz schon nach Höckes Rede im Dresdner Ballhaus Watzke gesagt: „Das ist ein Nazi. Und er ist dort nicht der einzige.“ Was soll man nun an einem noch entlarven, der sein wahres Gesicht schon zeigte, als er 2010 grölend mit Neonazis in Dresden aufmarschierte? Wie einen beschämen, der offenkundig schamlos ist? Es gibt Menschen, die sind schlicht unter aller Kritik.

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Dieser Text erschien zuerst als Kolumne der Rubrik Besorgte Bürger in der Sächsischen Zeitung.

Termine der Woche

Der Dezember ist in Dresden traditionell die Zeit der besinnungslosen Besinnlichkeit. Doch unsere Dresdner Lesebühne Sax Royal hält am Donnerstag (14. Dezember) dagegen, mit gescheiten und heiteren Geschichten, Gedichten und Liedern, die Lichter nicht an den Bäumen, sondern in den Köpfen entzünden. Mit dabei sind neben mir nicht nur die anderen Stammautoren Julius Fischer, Roman Israel und Stefan Seyfarth, sondern als besonderer Gast auch noch Ahne aus Berlin, Mitglied der Reformbühne Heim & Welt und Schöpfer der aus Radio und Buch bekannten Zwiegespräche mit Gott. Los geht es in der Scheune um 20 Uhr. Tickets gibt es bis Mittwoch im Vorverkauf, aber auch noch problemlos am Donnerstag an der Abendkasse am Einlass ab 19:30 Uhr.

Am Freitag (15. Dezember) findet ebenfalls zum letzten Mal in diesem Jahr die Lesebühne Grubenhund in Görlitz statt. Neue Geschichten gibt es von Stammautor Udo Tiffert und mir. Wir haben uns aber auch noch zwei Gäste eingeladen: die junge Poetin Pia Tomat und den Gitarristen Marcel Mokbel. Los geht es wie immer um 19:30 Uhr, Karten gibt es am Einlass ab 19 Uhr.

Am Sonntag (17. Dezember) bin ich zu Gast bei der wunderbaren Lesebühne Schwabinger Schaumschläger in München. Neben den Stammkräften Michi Sailer, Christoph Theussl und Moses Wolff sind als weitere Gäste auch noch Jochen Klüssendorf, Melanie Arzenheimer und Jaromir Konecny dabei. Ich lese ein bisschen aus meinem neuen Buch Der Bürger macht sich Sorgen. Los geht es um 19:30 Uhr im erzgemütlichen Vereinsheim.

Am Montag (18. Dezember) lese ich dann auch noch bei der gemischten Kleinkunstshow „Blickpunkt Spot“ in München, wiederum ab 19:30 Uhr im Vereinsheim. Weitere Gäste sind Jochen Klüssendorf, Verena Richter, Metromadrid, Ryan Inglis und Saskia.

Im Herz der amerikanischen Rechten

Immerhin eines haben die verfeindeten politischen Lager in den Staaten des Westens noch gemeinsam: Linke wie Rechte fühlen ein Unbehagen angesichts des Abgrundes, der sich da innerhalb der Gesellschaften auftut. Zumindest in den Reihen der Linken mehren sich auch die Bemühungen, die gegnerische Seite erst einmal zu verstehen, ohne vorschnell zu verurteilen oder nur zu belehren. Denn unter den Wählern der Rechtspopulisten finden sich auch viele Arbeiter, deren Vertretung früher Sache der Linken war. Warum haben sie die Seiten gewechselt? Wie lassen sie sich zurückgewinnen?

Die amerikanische Soziologin Arlie Russell Hochschild hat mit dem Buch „Fremd in ihrem Land“ den Versuch unternommen, die „Empathiemauer“ zu überwinden. Hochschild, die lange an der traditionell linken Universität Berkeley in Kalifornien lehrte, nahm für ihr Projekt einigen Mühen auf sich. Fünf Jahre lebte sie zeitweise in Louisiana, tief im konservativen Süden der USA, sprach mit Anhängern der Tea-Party-Bewegung, besuchte Gottesdienste und Familienfeiern, schließlich auch eine Wahlkampfveranstaltung von Donald Trump. Mehr als 4000 Seiten an Interviews hatte Hochschild am Ende zusammengetragen, mit vielen ihrer Gesprächspartner freundete sie sich trotz aller politischen Gegensätze an. In ihrem Buch erzählt sie nur vom Schicksal einiger ausgewählter Protagonisten. Auf diese Weise gelingt es ihr mit literarischem Geschick, auch bei den Lesern Sympathie für diese Menschen zu wecken.

Ausgangspunkt der Autorin ist ein „großes Paradox“: Warum wählen weiße Amerikaner der Arbeiter- und Mittelklasse so oft die Republikaner, deren Politik doch vor allem an den Interessen der Vermögenden und Kapitalisten dient? In Louisiana zeigt sich dieser Widerspruch besonders drastisch: Hochschild erzählt von Menschen, die ihr Haus und ihre Gesundheit eingebüßt haben, weil Öl- und Chemiekonzerne rücksichtslos die Umwelt zerstörten. Dieselben Menschen unterstützen aber Politiker, die sich für die Abschaffung von Umweltbehörden und die Lockerung von ökologischen Vorschriften einsetzen. Ein Mann wie Mike Schaff, eine der zentralen Figuren des Buches, engagiert sich sogar zugleich gegen Umweltverschmutzung und für die Tea Party, die staatlichen Umweltschutz als Kommunismus verdammt.

Der deutsche Leser lernt bei der Lektüre dieser Geschichten zunächst, dass es einen einzigen globalen Rechtspopulismus nicht gibt. Von den deutschen Verhältnissen unterscheiden sich die amerikanischen trotz mancher Gemeinsamkeiten erheblich, die Rechte in den USA funktioniert anders als die in Europa. Eine viel größere Rolle spielen nicht nur christliche „Familienwerte“, sondern auch eine eingefleischte Staatsfeindlichkeit, die jede Maßnahme der Bundesregierung in Washington als Einschränkung der persönlichen Freiheit wahrnimmt. Hinzu kommt die Geschichte der Sklaverei in den Südstaaten: Die überwiegend arme weiße Bevölkerung zog hier ihren Stolz lange daraus, wenigstens noch über den Schwarzen zu stehen. Den Reichen gegenüber empfanden sie nicht Hass, sondern Bewunderung, so wie heute für Donald Trump. Die Durchsetzung der Bürgerrechte auch für Minderheiten empfinden noch immer viele Weiße in den Südstaaten, wo seit den sechziger Jahren die treusten Wähler der Republikaner wohnen, als Bevormundung des Nordens.

Erhellend auch für Europäer ist Hochschilds Einsicht, dass die Zugehörigkeit zu politischen Bewegungen, anders als Linke oft meinen, weniger von ökonomischen Interessen als von Gefühlen und Geschichten abhängt. Hochschild hat eine „Tiefengeschichte“ entworfen, in der sich ihre Gesprächspartner wiedererkannten, weil sie ihre „gefühlte Wirklichkeit“ treffend beschrieben sahen: „Du wartest geduldig in einer langen Schlange, die wie bei einer Wallfahrt auf einen Berg führt. … Gleich hinter der Bergkuppe befindet sich der amerikanische Traum, das Ziel aller, die in der Schlange warten. … Die Sonne brennt, und die Schlange rührt sich nicht vom Fleck. Oder bewegt sie sich sogar rückwärts? … Du siehst, wie Leute sich vordrängen! Du hältst dich an die Regeln, sie nicht. … Schwarze, Frauen, Einwanderer … Ein Mann beaufsichtigt die Schlange … Sein Name ist Barack Hussein Obama. Hey – du siehst, wie er den Vordränglern winkt. Er hilft ihnen und hat für sie besondere Sympathien, die er für dich nicht aufbringt.“

Geschichten wie diese schlummern gewiss auch auf dem Seelengrund vieler Deutscher. Auch sie haben das Gefühl, „ältere weiße Männer“ seien inzwischen zur vernachlässigten, ja unterdrückten Minderheit geworden, zu „Fremden im eigenen Land“. Diese Selbststilisierung zum Opfer hat mit den Tatsachen nur bedingt etwas zu tun, viel aber mit verletzten Gefühlen des Stolzes und fehlender Anerkennung. Daraus lassen sich Lehren ziehen: Wer die Mehrheit zurückgewinnen will, sollte es vermeiden, nur als Lobbyist von Minderheiten wahrgenommen zu werden. Und wer die Arbeiter ansprechen will, sollte zuerst einmal die Arbeit würdigen, die geleistet wird, bevor er Utopien des bedingungslosen Einkommens entwirft.

Arlie Russell Hochschild: Fremd in ihrem Land. Eine Reise ins Herz der amerikanischen Rechten. Frankfurt: Campus, 2017

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Diese Rezension erschien zuerst in der Sächsischen Zeitung.