Termine der Woche

Die Sommerpause ist vorbei und ich mache mich von nun an wieder monatlich auf den Weg in meine Heimat, um die Sachsen mit neuen Texten zu beglücken. Los geht es am Donnerstag (14. September): Die Dresdner Lesebühne Sax Royal kehrt zurück in die Scheune. Ich lese gemeinsam mit den wunderbaren Kollegen Julius Fischer, Roman Israel, Max Rademann und Stefan Seyfarth. Los geht es um 20 Uhr. Karten gibt es bis Mittwoch im Vorverkauf, aber auch am Donnerstag noch unbegrenzt an der Abendkasse am Einlass ab 19:30 Uhr.

Am Freitag (15. September) folgt dann wie gewohnt die Görlitzer Lesebühne Grubenhund, bei der ich gemeinsam mit Udo Tiffert und Max Rademann wirke. Auch hier darf sich das Publikum auf brandneue Geschichten und Gedichte freuen. Als besonderer Gast mit dabei ist die Liedersängerin Konstanze Niemz. Der Spaß beginnt um 19:30 Uhr im Kino Camillo. Karten gibt’s am Einlass.

Am Sonnabend (16. September) gastiere ich in Dresden dann noch als Solist im Café Brix, einem kulturellen Treffpunkt in meiner alten Heimat Pieschen. Ich lese noch einmal Geschichten aus meinem aktuellen Erzählband Das Lachen im Hals, daneben aber auch andere Texte aus der jüngeren Zeit. Los geht es um 19 Uhr.

Weder rechts noch links

Ab und an bimmelt bei manchem deutschen Bürger abends das Telefon. Am anderen Ende der Leitung meldet sich ein junger Mensch, der im Auftrag eines Soziologieprofessors oder eines Institutes zur Marktforschung um Meinungen bittet. Hat der Bürger gute Laune und nicht gerade Bratkartoffeln auf dem Herd stehen, dann erbarmt er sich und schenkt dem jungen Menschen ein paar Meinungen. Gefragt wird bei solchen Gelegenheiten oft: „Wenn Sie Ihren ökonomischen Status beschreiben sollten, zu welcher Gruppe würden Sie sich zählen: zur Oberschicht, zur Unterschicht oder zur Mittelschicht?“ Oder der neugierige Anrufer fragt: „Wenn Sie Ihre politische Haltung auf einer Skala einordnen müssten, wo sähen Sie sich selbst: links, in der Mitte oder rechts?“

Verlässlich lautet die Antwort der meisten Deutschen auf solcherlei Fragen: „Ich bin Mitte!“ Alles andere würde auch verwundern. Die Mitte gilt dem braven Bürger als sicherer Ort. Wer zu hoch hinaus will oder zu tief abrutscht, der gefährdet nach allgemeiner Auffassung sich selbst. Keiner möchte gern außen am Rand stehen, denn Außenseiter gelten als verdächtig. Man klebt ihnen Zettel auf den Rücken und Kaugummi ins Haar. Man nennt sie Extremisten. Sicherer ist’s auf jeden Fall, sich selbst zur Mitte zu bekennen, ganz unabhängig davon, was man wirklich denkt oder tut. Die Tugend liegt nun einmal in der Mitte.

Die Meinungsforscher raufen sich aber natürlich die Haare, wenn alle Menschen das Gleiche meinen. Sie leben ja davon, Unterschiede festzustellen. Darum behelfen sie sich inzwischen dadurch, dass sie die Mitte noch einmal aufteilen: in eine linke Mitte und eine rechte Mitte, eine obere Mitte und eine untere Mitte. Die beliebteste Antwort der Bürger ist dann allerdings, wenig überraschend: die mittlere Mitte. Mittelfristig wird man wohl noch in die Mitte der mittleren Mitte vordringen.

Politiker, die um Stimmen kämpfen, müssen auf die Vorlieben der Wähler Rücksicht nehmen. Dem Mittelstand gilt darum natürlich die größte Sorge aller Parteien. Und die meisten Parteien beanspruchen für sich, die Mitte des politischen Spektrums auszumachen. Doch es kann nur einen geben! Wenn eine Partei schon die Mitte besetzt hat, dann muss die nächste behaupten, sie verkörpere die „neue Mitte“, die übernächste überrascht mit der Erkenntnis, die „wahre Mitte“ werde allein von ihr repräsentiert, bevor die überübernächste dann die „geheime Mitte“ entdeckt – und so weiter ins Unendliche.

Solche politischen Manöver sind harmlos und werden von den meisten Bürgern auch durchschaut. Gefährlich hingegen ist die derzeit herrschende Mode politischer Bewegungen, sich selbst als „weder rechts noch links“ auszugeben. Dass damit etwas nicht stimmen kann, könnte schon einleuchten, wenn man bedenkt, wie diese Formel sehr früh von den Faschisten als Slogan gebraucht wurde. Sie waren die ersten modernen Politiker, die von sich behaupteten, das ganze Volk allein verkörpern zu können. Darum weigerten sie sich, eine bestimmte Position im politischen Feld einzunehmen, um stattdessen das ganze Feld zu erobern. Tatsächlich kann es aber keine einzelne Partei geben, die den Volkswillen allein ausspricht. Denn das Volk besteht aus Menschen mit verschiedenen, nicht selten gegensätzlichen Interessen und Ansichten; es hat keinen einheitlichen Willen. Die einzige Möglichkeit, eine ganze Nation wirklich zu vereinigen, besteht darin, Krieg gegen Fremde zu führen. Es mögen andere Völker sein oder Mitbürger, die zu Fremden erklärt werden. Deswegen sind die Faschisten so besessen vom Krieg. Nur er verleiht ihrem Anspruch auf Alleinherrschaft den Anschein von Gültigkeit. Der Schriftsteller Ernst Jünger, ein verdienstreicher Vorkämpfer des „deutschen Faschismus“, brachte es in jungen Jahren recht eindringlich auf den Punkt:

Für den Nationalisten gibt es kein rechts und links, für ihn gibt es nur die Idee der Nation und das, was ihr schaden kann und ausgerottet werden muss.

Wäre es nur so, dass heutzutage bloß die Faschisten unserer Zeit sich der alten Formel bedienten! Das wäre nicht überraschend und ließe sich verkraften. Aber leider ahmen diese Strategie auch einige Bewegungen nach, die beanspruchen, die Demokratie zu erneuern.

Es ist nicht nur Marine le Pen, die für sich beansprucht, „ni de droite, ni de gauche“ zu sein; ihr liberaler Konkurrent Emmanuel Macron machte es ebenso. Er ist gewiss kein Faschist. Aber in ihm verkörpert sich eine andere Strömung unpolitischen Denkens, die für die Demokratie ebenfalls nichts Gutes bringt. Es ist der neoliberale Glaube an die technokratische Optimierbarkeit der Gesellschaft. Politischer Streit erscheint aus dieser Sicht nur als Störfaktor, der das reibungslose Funktionieren der Staatsmaschine beeinträchtigt. Es war die Ideologie der Alternativlosigkeit, die der Scharlatan Macron recht keck selbst im Ton des Populisten vortrug, um den rechten und linken Populisten den Wind aus den Segeln zu nehmen. Nach seiner Wahl zeigt sich nun deutlich: Die angekündigte politische Revolution bleibt aus. Die satte Mehrheit dient nur dazu, einen recht mittelmäßigen Wirtschaftsliberalismus durchregieren zu lassen. Eine ordentliche Portion Nationalgetöse darf dabei nicht fehlen.

Auch die jungen Menschen, die in den letzten Jahren unter Namen wie „Occupy“ gegen Finanzindustrie und Sozialabbau protestierten, beanspruchten für sich nicht selten, „weder rechts noch links“ zu sein. Stolz waren sie auf diese vermeintliche Ideologiefreiheit, die doch oft bloß der Unentschiedenheit entsprang. Die Demonstrationen der Globalisierungskritiker, die keine Linken sein wollten, blieben denn auch ohne Ergebnis. Zorn und Unbehagen wurden geäußert, man sprach von Frieden und Freude und buk sehr viele Eierkuchen. Darüber vergaß man aber, ein Programm zu formulieren, sich auf konkrete Ziele zu einigen und Sprecher zu wählen. Wen wundert’s, dass all diese gut gemeinten Proteste verpufften? Als der Dampf aus dem Kessel war, kochte eben nichts mehr. Man kann die Politik nicht verändern, wenn man nicht bereit ist, politisch zu werden. Politisch zu sein heißt aber eine Position zu beziehen, wenn auch nicht notwendig als Mitglied einer bestimmten Partei. Im Laufe der Zeit mag sich die genaue Bedeutung dessen, was man unter „links“ und „rechts“ versteht, wandeln. Aber gegensätzliche politische Richtungen muss es geben, wenn die Demokratie ihren Sinn behalten soll.

Gerade weil in den letzten Jahren Linke wie Rechte sich der Formel „weder rechts noch links“ bedienten, fanden bisweilen recht gemischte Gesellschaften auf den Straßen zusammen. Dies gilt für die teilweise absonderlichen Leute, die sich zu „Montagsmahnwachen“ versammelten. Aber auch bei den diversen Wutbürgerbewegungen hörte man häufig: „Wir sind weder rechts, noch links, wir sind zu Recht besorgt, das ist alles!!!“ Inmitten des Wirrwarrs kippten einige Linke nach rechts, in dem festen Glauben, ihren Prinzipien treu geblieben zu sein. Wer keine politische Haltung hat, die über ein diffuses Dagegensein hinausgeht, der fühlt sich leicht bei allen wohl, die dagegen sind, aus welchen Gründen auch immer.

Eine öffentliche Bewegung, die behauptet, für alle zu sprechen, ist ein Schwindel. Nur indem man die Solidarität der Volksgemeinschaft beschwört, kann man verhindern, dass dieser Schwindel auffliegt. Es ist kein Zufall, dass einige Bewegungen, die im Namen der Gerechtigkeit gegründet wurden, inzwischen weit häufiger von der Nation sprechen. Ein Populismus, der beansprucht, das ganze Volk zu vereinen, zerfällt beim ersten ernsten Konflikt oder findet im Fremden den vereinigenden Feind.

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Der beste mir bekannte Versuch, den Unterschied zwischen Rechts und Links auf allgemeiner Ebene zu bestimmen, und zwar durch den Begriff der Gleichheit, findet sich in dem schmalen Buch des italienischen Sozialisten Norberto Bobbio: Rechts und Links. Gründe und Bedeutungen einer politischen Unterscheidung. Auf Deutsch ist es in mehreren Auflagen bei Wagenbach erschienen.

Anregend, wenn auch nicht immer überzeugend fand ich in diesem Zusammenhang auch die Bücher von Chantal Mouffe, etwa: Über das Politische. Wider die kosmopolitische Illusion. Heranzuziehen ist auch Carl Schmitt: Der Begriff des Politischen.

Termine der Woche

Am Sonnabend (2. September) bin ich als Gastautor bei der wunderbaren Lesebühne Westend ist Kiez in München. Stammautoren daselbst sind Felix Bonke, Alex Burkhard, Georg “Grög!” Eggers, Volker Keidel und Nadja Schlüter. Los geht der Spaß um 20 Uhr in der Realwirtschaft Stragula.

Am Montag (4. September) feiert mein Freund und Kollege Max Rademann die Premiere seiner neuen Max Rademann Show in Leipzig. Ich fühle mich geehrt, gleich bei der ersten Ausgabe als Gastautor dabei sein zu dürfen – und dann auch noch gemeinsam mit der phänomenalen Berliner Schriftstellerin Kirsten Fuchs! Um 21 geht es los im Werk 2, Tickets kann man auch im Vorverkauf schon erwerben.

Zitat des Monats August

„Wer mit Dreck balgt, geht besudelt davon, mag er nun gewinnen oder nicht.“ (Luther) – Der Feind kreist verkrallt mit seinem Feinde um ein Schwerkraftloch: Der Pazifist wird militant, die Feministin sittenstreng, der Tierschützer fletscht die Zähne. Der Antichrist fängt an zu eifern, der Atheist zu bekehren. Die Multikulturisten feinden die Touristen an. Der Antirassist sieht nur noch Rassen. Der Deutschlandniewieder bleibt ewig deutsch. Der Aussteiger steigt auf die Scholle. Der Freischärler wird Blockwart. Die Rechte färbt die Linke. – Und alles auch umgekehrt.

Thomas Kapielski: Leuchten. A- und So-phorismen

Termine der Woche

Am Dienstag (22. August) tritt meine Dresdner Lesebühne Sax Royal bei ihrem inzwischen traditionellen Sommergastspiel im Deutschen Hygiene-Museum auf. Gemeinsam mit meinen Kollegen Julius Fischer, Roman Israel, Max Rademann und Stefan Seyfarth lese ich Geschichten passend zur aktuellen Sonderausstellung „Das Gesicht“. Wir erzählen von Gesichtern, die unser Leben veränderten, den Unebenheiten unserer eigenen Visagen und dem Antlitz der Zeit. Los geht es um 20 Uhr. Karten gibt es am Einlass für 7 Euro, ermäßigt und für Jahreskarteninhaber sogar nur lächerliche 3 Euro.

Am Sonntag (27. August) lese ich zum letzten Mal in diesem Jahr als Sommergastautor bei der traditionsreichen Reformbühne Heim & Welt in Berlin. Stammautoren dort sind Ahne, Jakob Hein, Falko Hennig, Heiko Werning und Jürgen Witte. Als weitere Gäste sind am Sonntag auch noch Meikel Neid und das grandiose Zonen-Rap-Kollektiv Ostberlin Androgyn mit dabei. Los geht es um 20 Uhr in der gemütlichen Jägerklause in Friedrichshain.

Konservierungsmittel

Ich weiß nicht, wieso die Grünen sich so über eine ihrer Abgeordneten in Niedersachsen aufregen, die jüngst zur CDU übergelaufen ist. Beschritt diese Frau Twesten doch nur den Weg, auf dem die meisten anderen Grünen sich auch befinden. Sie war nur schneller am Ziel. Das war’s wohl, was Neid weckte. Nicht nur die meisten Funktionäre, sondern auch die meisten Wähler der Grünen fühlen sich inzwischen in der Gegenwart von Christdemokraten doch recht wohl. Wo schwarzgrüne Koalitionen zusammengefunden haben, regieren sie so reibungslos, als hätte eine Fusion stattgefunden.

Aber waren nicht viele Grüne in ihrer Jugend linke Rebellen? Das waren sie. Und vielleicht sind sie damals bei der Lektüre von Karl Marx auf dessen Beobachtung gestoßen, dass siegreiche Revolutionäre dazu neigen, konservativ zu werden. In ihren wilden Jahren dachten sie sich aber noch nichts dabei. Inzwischen haben die erwachsenen Grünen dank Bildung, Fleiß und Anpassungsbereitschaft passable Posten und ein kleines Vermögen ergattert. Und die Revolution steht gewöhnlich nicht hoch im Kurs bei denen, die etwas zu verlieren haben. Stattdessen geht es ums Bewahren. Die Demokratie soll bewahrt werden und Europa, der Wohlstand und die Wildkatze. Allenthalben suchen die Grünen heute also Konservierungsmittel – sofern es nicht ums Essen geht.

Die besserverdienenden Grünen entdecken auch, dass sie nicht mehr ganz so gern mit den Habenichtsen teilen. Hat man denn überhaupt etwas zu tun mit den Proleten, die sich partout das Rauchen und das Autofahren nicht abgewöhnen wollen, trotz allen pädagogischen Bemühungen? Die vom vegetarischen Tag so wenig wissen wollen wie vom Gender-Sternchen? Soll man denn wirklich diesen rohen Menschen das sauer verdiente Einkommen in den Rachen werfen? So offen sagt das nur noch keiner. Man verbeißt sich in die Ökologie, um nicht über die Ökonomie reden zu müssen.

Im Laufe seines Lebens politische Überzeugungen zu ändern, das ist nicht verwerflich. Bloß sollte man besser, um nicht lächerlich oder verlogen zu erscheinen, sich selbst und andere über diese Tatsache nicht täuschen. Die Grünen sind dort am erfolgreichsten, wo sie sich offen dazu bekennen, „gerne Spießer“ (Boris Palmer) zu sein. Vielleicht wird es Zeit fürs bundesweite Coming Out?

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Dieser Text erschien zuerst als Kolumne der Rubrik Besorgte Bürger in der Sächsischen Zeitung.

Termine der Woche

Am Mittwoch (16. August) gibt’s die erste Ausgabe unserer Leseshow Zentralkomitee Deluxe in Berlin nach der Sommerpause. Die Stammautoren sind Tilman Birr, Noah Klaus, Piet Weber, Christian Ritter und ich. Wir begrüßen diesmal außerdem als Gast den Slam-Poeten Max Gebhard. Los geht es mit dem Fest fortschrittlicher Komik um 20 Uhr in der Baumhaus Bar an der Oberbaumbrücke in Kreuzberg. Tickets sind am Einlass erhältlich.

Am Donnerstag (17. August) lese ich als Gastautor bei den Brauseboys, der Lesebühne im Wedding, dem schönsten Problemviertel Berlins. Die Stammautoren sind Thilo Bock, Robert Rescue, Frank Sorge, Volker Surmann und Heiko Werning. Als weiterer Gast ist auch Johannes Kubin mit dabei. Der Spaß beginnt um 20:30 Uhr im La Luz.

Rigaer Straße, 19 Uhr

Kurz hinter der Kreuzung mit der Samariterstraße ist die Rigaer Straße seit einigen Tagen vollständig abgesperrt, um eine Großbaustelle zu sichern. Der Schutz von Passanten, Bauarbeitern und Polizisten ist nach Ansicht der Stadt nicht anders zu gewährleisten. Ab und zu laufen und fahren noch Menschen ahnungslos in die Sackgasse, stoppen verdutzt am Zaun und kehren dann missmutig um. Eine sehbehinderte Frau fragt, ob es hier nicht doch noch irgendeinen Weg gebe, aber es ist kein Durchkommen. Ein großes Schild hinterm Bauzaun kündigt an, hier entstünden in Kürze ein neuer Lidl-Markt, Mietwohnungen und eine Kita. Auf einem Verkehrsschild vor dem Bauzaun hat jemand eine andere Botschaft hinterlassen: „Hier entsteht nichts Gutes“.

Kurz vor 19 Uhr versammeln sich wie jeden Tag um diese Zeit Menschen, die Krach schlagen wollen aus Protest gegen das Bauprojekt. Es verkörpert die Gentrifizierung, die das ganze Samariter-Viertel in den letzten Jahren stark verändert hat; beinahe ein Dutzend neue Blöcke, vor allem mit noblen Eigentumswohnungen, haben fast alle alten Baulücken gestopft. Zwei hippiesk anmutende Familien mit kleinen Kindern sind gekommen, dazu einige junge Leute. Sie haben in ihren Rucksäcken Büchsen und Töpfe als Schlagwerk dabei, die Stimmung ist fröhlich. Eine Frau trägt einen grünen Stoffbeutel, auf dem „Refugees Welcome“ steht.

Hinterm Bauzaun taucht ein älterer Mann in kariertem Hemd auf, wahrscheinlich ein Mitarbeiter der zuständigen Bau- oder Sicherheitsfirma: „Ihr seid ja wieder pünktlich da!“ – „Komm doch rüber auf die richtige Seite!“, ruft eine junge Frau. Die beiden streiten unaufgeregt ein wenig herum. „Ihr wisst schon, dass einige eurer Freunde meine Mitarbeiter nachts mit Flaschen beworfen haben?“, fragt der Mann hinterm Zaun. „Dafür habe ich absolut kein Verständnis!“ Er bekommt keine Antwort. „Wundert mich ja, dass der Zaun überhaupt noch steht“, sagt die junge Frau. „Ach, der stand auch schon ein paar Mal nicht mehr“, erwidert einer der anderen Demonstranten lachend. „Den Zaun stellen wir ganz schnell wieder auf, keine Angst“, sagt der Arbeiter hinterm Zaun.

Das Gespräch endet, denn es ist nun 19 Uhr, Zeit für den Krach. Der Besitzer des indischen Restaurants kommt während des Lärms vor die Tür, mit dem Ausdruck der Verzweiflung im Gesicht: „Es nervt! Muss das denn sein?! Jeden Tag dasselbe! Jeden Tag!“ Offensichtlich hat er Angst, dass der Lärm seine Gäste vertreibt, die ohnehin wohl schon spärlicher in die neue Sackgasse finden. Die Protestierer, alles junge Deutsche, beachten den Inder nicht. Um 19:10 Uhr endet das Charivari pünktlich, wie es begonnen hat. Die Instrumente werden eingepackt, die kleine Gruppe löst sich schnell auf. Am nächsten Morgen, so steht zu vermuten, wird hinterm Zaun weitergebaut. Und am Abend wird wieder Krach gemacht.

Termine der Woche

Am Sonnabend (12. August) bin ich einer der Autoren beim Kantinenlesen, dem Gipfeltreffen der Berliner Lesebühnen. Mit dabei sind neben Moderator Dan Richter auch noch die Autoren Ivo LotionJochen Reinecke und Jürgen Beer. Los geht es um 20 Uhr in der Alten Kantine der Kulturbrauerei in Prenzlauer Berg.

Am Sonntag (13. August) lese ich als Sommergastautor bei der traditionsreichen Reformbühne Heim & Welt in Berlin. Stammautoren dort sind Ahne, Jakob Hein, Falko Hennig, Heiko Werning und Jürgen Witte. Als weitere Gäste sind am Sonntag auch noch Günther Stolarz, Moses Wolff & Eva Jacobi mit dabei. Los geht es um 20 Uhr in der gemütlichen Jägerklause in Friedrichshain.

Die Schwarzhemden von Themar

Der Staat, so hört man derzeit oft, dürfe keine rechtsfreien Räume dulden. Ganz gut dulden kann er aber Räume voller Rechter. Solches Gelände muss nicht wie andernorts von der Polizei mit aller Gewalt gestürmt und geräumt werden, es reicht vielmehr, wenn es schützend gesäumt und mit dem Rücken zum Geschehen überwacht wird. So geschieht es seit Neuestem in dem Dörfchen Themar in Thüringen, wo sich Menschen aus dem ganzen Vaterland zu politischen Demonstrationen mit musikalischer Begleitung versammeln. „Rock gegen Überfremdung“, nennt sich das oder auch „Rock für Identität“. Die Demonstrationsfreude der Gäste ist so groß, dass sie sogar Eintritt zahlen, um sich zeigen zu dürfen. Es ist fast so, als handelte es sich einfach um kommerzielle Veranstaltungen, die sich als politische Versammlungen nur tarnen – wie einst die Love Parade, nur mit etwas weniger Liebe.

„So sieht deutscher Nationalstolz aus!“, meinte Egbert Ermer, Vorstandsmitglied des AfD-Kreisverbandes Sächsische Schweiz-Osterzgebirge, nach dem ersten Treffen von Themar. Er lobte in einer Rede, wie friedlich und ordentlich das Ganze abgelaufen sei, ohne jeden Konflikt mit den anwesenden Ordnungshütern. Die linke Lügenpresse will hingegen Nazis erkennen beim Blick auf die Bilder, die während der Veranstaltungen angefertigt wurden. Fotografien zeigen tatsächlich aber bloß fröhliche Männer. Zugegebenermaßen erklärungsbedürftig ist allenfalls die fantasievolle Gestaltung der Hemden, die sie trugen. Bei den Besuchern, die sich durch ihre Kleidung als Mitglieder der „Arischen Bruderschaft“ kenntlich machten, handelte es sich aber gewiss nur um eingeschworene Freunde der indogermanischen Sprachfamilie. Ein anderer Gast wurde im Internet dafür kritisiert, dass er auf seinem Hemd seine Liebe zu „HTLR“ bekannte – aber ist es denn jetzt schon verwerflich, Zuneigung zu den deutschen Buchstaben H, T, L und R zu empfinden? Zumal diese ja ausdrücklich als Abkürzungen für „Heimat“, „Treue“, „Loyalität“ und „Respekt“ erklärt waren! Ein weiterer besorgter Bürger wurde als Nazi verunglimpft, weil auf seinem Hemd „N.A.Z.I.“ stand – auch hier eine ganz unverfängliche Kurzform für „natürlich anständig zuverlässig intelligent“. Wer könnte gegen diese löblichen Tugenden etwas einwenden? Doch nur ein wahrer Schuft! Einen Skandal will man schließlich auch daraus machen, dass im Konzertzelt, als die Polizei konzentriert weghörte, ein wenig Armgymnastik betrieben und ein Sprechchor angestimmt wurde, der die Worte „Sieg“ und „Heil“ enthielt. Aber was ist denn an einem Sieg, was ist am Heil zu beanstanden? Wären denn Unheil und Niederlage besser?

Man muss einräumen, dass sich unter den Konzertbesuchern auch Menschen befinden, die Unzufriedenheit mit der gegenwärtigen Politik äußern. Die Zeile „Gegen die Regierung mit allen Mitteln zu kämpfen ist ja ein Grundrecht und Sport jedes Deutschen“ etwa weist in diese Richtung. Ein anderer Besucher sah sich gar „Im Kampf gegen ein Scheiss-System“. Aber hier zeigt sich doch nur ein lebendiger demokratischer Geist, den man begrüßen muss. Politikverdrossenheit oder mangelndes Engagement für ihre Sache kann man diesen Bürgern jedenfalls nicht vorwerfen. Vielleicht geht aus dem Thüringischen Fest sogar eine neue Partei hervor. Ein Gast wenigstens regte dies an durch ein Hemd mit der Aufschrift „Bündnis 88 – die Braunen“. Überhaupt war Braun eine beherrschende Farbe in Themar, was einer der Besucher mit dem erfrischenden Bekenntnis „Bin ich zu braun, bist du zu bunt!“ unterstrich. Noch häufiger sah man allerdings Schwarz. Es wirkt fast, als wollten die Rechten einen eigenen Schwarzen Block präsentieren, allerdings keinen linkschaotischen, sondern einen stramm organisierten. Sie wissen eben, dass in Deutschland jedes Verhalten verziehen wird, solange es nur diszipliniert zugeht.

Nach Halt suchen die von der Gegenwart angewiderten Männer in der guten alten Zeit. „Früher war alles besser“, ließ ein Gast sein Hemd verlauten. Wer würde dem nicht zustimmen! Sicherlich seinen verstorbenen Großvater ehren wollte einer, der den Satz „Adolf war der Beste“ spazieren trug. Ein anderer pries das „Jubeljahr 1933“, womit er auf die Verkündigung eines Jubeljahres durch Papst Pius XI. am 6. Januar 1933 anspielte. Überhaupt wollen die Leute verständlicherweise die Leistungen ihrer Vorfahren in gutem Andenken bewahren: „Ruhm und Ehre dem deutschen Soldat“, diese Worte prangten auf einer Flagge. Der deutsche Soldat bleibt somit in Erinnerung, der deutsche Dativ leider nicht. Aus dem Stolz auf die Geschichte ziehen die Versammelten erfreulicherweise aber auch Hoffnung für die Zukunft. Dies zumindest verheißt ein weiterer textiler Sinnspruch: „Vizeweltmeister 1945 – wir kommen wieder“. Würde dieses Versprechen wahr, käme auf die Welt ein Sommermärchen ganz besonderer Art zu. In Themar hat diese ganz eigentümliche deutsche Mannschaft jedenfalls von nun an beste Trainingsbedingungen, um sich auf ihr Comeback vorzubereiten.