Termine der Woche

Am Donnerstag (9. Februar) startet meine Dresdner Lesebühne Sax Royal in der Scheune mit vollem Elan in die dreizehnte Saison ihres Schaffens – die gewiss nicht zum Unglücksjahr werden wird. Der aus Indien zurückgekehrte Max Rademann wird einiges über seine Reiseabenteuer zu erzählen wissen – nicht oft verschlägt es ja einen Erzgebirgsmenschen in subtropische Gefilde. Neue Geschichten und Gedichte bringen aber auch die anderen Stammautoren mit, neben mir sind das Roman Israel und Stefan Seyfarth. Außerdem begrüßen wir als besonderen Gast auch noch einen unserer liebsten Kollegen: André Herrmann aus Leipzig von der Lesebühne Schkeuditzer Kreuz, den Autor des Erfolgsromans Klassenkampf. Los geht es um 20 Uhr. Karten gibt es bis Mittwoch im Vorverkauf, am Donnerstag ab 19:30 Uhr am Einlass.

Am Freitag (10. Februar) reise ich sodann nach Görlitz zur Lesebühne Grubenhund. Mit dabei sind nicht nur wie immer die Kollegen Udo Tiffert und Max Rademann, sondern auch noch ein musikalischer Gast: der wunderbare Liedermacher Bruno Kolterer aus Dresden. Los geht es um 19:30 Uhr im Kino Camillo, Karten gibt es am Einlass.

Mein Kampf mit Mein Kampf (23): Grundgedanken über Sinn und Organisation der S.A.

Es fällt schwer, bei einem Buch wie Mein Kampf die Qualität verschiedener Kapitel abzuwägen. Das gleicht dem Versuch, Töne von Schwarz zu bestimmen. Aber das Kapitel Grundgedanken über Sinn und Organisation der S.A. zählt doch zu den deprimierendsten des Buches. Es erzählt die Erfolgsgeschichte des Nationalsozialismus in Kurzform, am Beispiel der Eroberung des Städtchens Coburg. Dort erprobte Hitler zum ersten Mal seine – sicherlich von den italienischen Faschisten inspirierte – Strategie, mit Hilfe von Gewalt die öffentliche Meinung zu gewinnen und zuletzt die Macht zu erobern.

Wie stets bekennt Hitler seine eigenen Pläne, indem er sie dem politischen Gegner unterschiebt:

Was dem Marxismus einst den Erfolg gegeben hatte, war das vollendete Zusammenspiel von politischem Wollen und aktivistischer Brutalität. Was das nationale Deutschland von jeder praktischen Gestaltung der deutschen Entwicklung ausschaltete, war das Fehlen einer geschlossenen Zusammenarbeit brutaler Macht mit genialem politischem Wollen.

Die „Sturmabteilung“ wurde gegründet, um Hitlers Pläne praktisch umzusetzen. Wie gewöhnlich versucht Hitler, die eigene Gewalt durch Projektion auf den Gegner als reine Notwehr auszugeben:

Die junge Bewegung stand dabei vom ersten Tage an auf dem Standpunkt, daß ihre Idee geistig zu vertreten ist, daß aber der Schutz dieser Vertretung, wenn notwendig, auch durch brachiale Mittel gesichert werden muß. Getreu ihrer Überzeugung von der ungeheueren Bedeutung der neuen Lehre erscheint es ihr selbstverständlich, daß für die Erreichung des Zieles kein Opfer zu groß sein darf.

Das Wort „Opfer“ ist hier wohl nicht versehentlich zweideutig. Denn noch weniger als Opfer in den eigenen Reihen scheute Hitler Opfer unter den Feinden. Die SA diente selbstverständlich nicht nur dem Schutz, sondern ging unmittelbar zum Angriff über. Gewalt war für Hitler nicht nur eine Möglichkeit, unliebsame Konkurrenten und Gegner auszuschalten. Wichtiger noch war ihm die Gewalt als politisches Mittel der symbolischen Machtdemonstration. Er ging von der Annahme aus, die Masse des Volkes sei träge und feige; sie werde sich also bereitwillig der Partei unterwerfen, die durch Terror die größte Stärke zeige.

Was wir brauchten und brauchen, waren und sind nicht hundert oder zweihundert verwegene Verschwörer, sondern hunderttausend und aber hunderttausend fanatische Kämpfer für unsere Weltanschauung. Nicht in geheimen Koventikeln soll gearbeitet werden, sondern in gewaltigen Massenaufzügen, und nicht durch Dolch und Gift oder Pistole kann der Bewegung die Bahn freigemacht werden, sondern durch die Eroberung der Straße. Wir haben dem Marxismus beizubringen, daß der künftige Herr der Straße der Nationalsozialismus ist, genau so, wie er einst der Herr des Staates sein wird.

Um seine Strategie zu erproben, nutzte Hitler die Einladung zu einem Treffen völkischer Gruppen in Coburg unter dem Titel „Deutscher Tag“. Hitler beförderte Hunderte SA-Männer aus ganz Bayern im Sonderzug in die Stadt und ließ sie in militärischer Formation mit Musik und Fahnen durch die Straßen marschieren. In der Stadt protestierten linke Arbeiter lautstark gegen diese Provokation. Nach Aussage Hitlers waren es natürlich die Marxisten, die den ersten Stein warfen. Auf jeden Fall begann eine Straßenschlacht, bei der Hitler seine Sturmtruppen die Gegner mit äußerster Brutalität vertreiben ließ. In der Nacht setzte sich die Gewalt von beiden Seiten fort. Am nächsten Tag zeigte sich, dass die linken Gegner durch die Ereignisse eingeschüchtert waren. Wichtiger aber noch war für Hitler, dass diese rücksichtslose Demonstration der Stärke der NSDAP Sympathien beim Bürgertum der Stadt einbrachte:

Und nun konnte man sehen, wie die bisher ängstlich eingeschüchterte Bevölkerung langsam aufwachte, Mut bekam, durch Zurufe und Winken uns zu begrüßen wagte und abends bei unserem Abzug an vielen Stellen in spontanen Jubel ausbrach.

Dass Hitler hier nicht flunkerte, beweisen die Wahlergebnisse der folgenden Jahre. Die NSDAP errang 1929 im Stadtrat die absolute Mehrheit, 1931 wurde ein Nationalsozialist zum Bürgermeister gewählt, 1932 wurde Hitler zum Ehrenbürger ernannt. Coburg durfte im Dritten Reich den Unehrentitel „Erste nationalsozialistische Stadt Deutschlands“ tragen. In Coburg funktionierte Hitlers Strategie also zum ersten Mal: Die Nationalsozialisten empfahlen sich durch ihre gewaltsame Demonstration der Stärke jenen mittelständischen Bürgern als Schutzmacht, die sich vor dem wachsenden Einfluss der Arbeiter und dem Sieg des Bolschewismus fürchteten. Zugleich öffneten die Nazis die Schleusen für den kleinbürgerlichen, provinziellen Antisemitismus; Neid und Hass konnten nun offen in Terror und Beraubung ausbrechen. Schon kurz nach dem „Deutschen Tag“ griffen SA-Männer in Coburg erstmals einen jüdischen Unternehmer an.

Wenn man aus dieser tristen Geschichte etwas lernen kann, dann vielleicht Folgendes: Man verhindert den Aufstieg einer faschistischen Partei nicht dadurch, dass man ihren Provokationen auf den Leim geht, gewaltsam ihre Anhänger angreift und Veranstaltungen sprengt, wie dies die KPD in der Weimarer Republik unternahm. Unabhängig davon, was man moralisch davon halten mag, ist es politisch unklug: Die Angst vor dem Chaos eines Bürgerkriegs treibt den Nazis nämlich nur noch zusätzlich jede Menge verängstigte Bürger in die Arme, besonders dann, wenn der Eindruck entsteht, die Gesellschaft zerfalle in genau zwei verfeindete Lager. Meiner bescheidenen Ansicht nach reagiert man auf rechte Provokationen wirkungsvoller mit Aufklärung, Spott und einem friedlichen Widerstand, der den Tätern jeden Vorwand nimmt, sich als Opfer auszugeben. Auch diese Strategie garantiert allerdings keinen Erfolg. Wenn sich, wie zum Ende der Weimarer Republik, die bürgerlichen Eliten samt Polizei, Armee und Justiz mit den Faschisten verbünden, dann ist jeder Widerstand vergeblich.

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Mein Kampf mit Mein Kampf (1)

Mein Kampf mit Mein Kampf (2): Im Elternhaus

Mein Kampf mit Mein Kampf (3): Wiener Lehr- und Leidensjahre (1)

Mein Kampf mit Mein Kampf (4): Wiener Lehr- und Leidensjahre (2)

Mein Kampf mit Mein Kampf (5): Allgemeine politische Betrachtungen aus meiner Wiener Zeit

Mein Kampf mit Mein Kampf (6): München

Mein Kampf mit Mein Kampf (7): Der Weltkrieg

Mein Kampf mit Mein Kampf (8): Kriegspropaganda

Mein Kampf mit Mein Kampf (9): Die Revolution

Mein Kampf mit Mein Kampf (10): Beginn meiner politischen Tätigkeit

Mein Kampf mit Mein Kampf (11): Die Deutsche Arbeiterpartei

Mein Kampf mit Mein Kampf (12): Ursachen des Zusammenbruches

Mein Kampf mit Mein Kampf (13): Volk und Rasse

Mein Kampf mit Mein Kampf (14): Die erste Entwicklungszeit der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei

Mein Kampf mit Mein Kampf (15): Weltanschauung und Partei

Mein Kampf mit Mein Kampf (16): Der Staat

Mein Kampf mit Mein Kampf (17): Staatsangehöriger und Staatsbürger

Mein Kampf mit Mein Kampf (18): Persönlichkeit und völkischer Staatsgedanke

Mein Kampf mit Mein Kampf (19): Weltanschauung und Organisation

Mein Kampf mit Mein Kampf (20): Der Kampf der ersten Zeit – Die Bedeutung der Rede

Mein Kampf mit Mein Kampf (21): Das Ringen mit der roten Front

Mein Kampf mit Mein Kampf (22): Der Starke ist am mächtigsten allein

Mein Kampf mit Mein Kampf (23): Grundgedanken über Sinn und Organisation der S.A.

Mein Kampf mit Mein Kampf (24): Der Föderalismus als Maske

Mein Kampf mit Mein Kampf (25): Propaganda und Organisation

Mein Kampf mit Mein Kampf (26): Die Gewerkschaftsfrage

Mein Kampf mit Mein Kampf (27): Deutsche Bündnispolitik nach dem Kriege

Mein Kampf mit Mein Kampf (28): Ostorientierung oder Ostpolitik

Mein Kampf mit Mein Kampf (29): Notwehr als Recht

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Hitler, Mein Kampf. Eine kritische Edition. Im Auftrag des Instituts für Zeitgeschichte München – Berlin hg. von Christian Hartmann, Thomas Vordermeyer, Othmar Plöckinger und Roman Töppel unter Mitarbeit von Pascal Trees, Angelika Reizle und Martina Seewald-Mooser. Zwei Bände. München/Berlin: Institut für Zeitgeschichte, 4., durchges. Aufl. 2016

Wie man nicht über die Sache streitet

Oft kommt man, im Internet oder im noch wirklicheren Leben, in die Verlegenheit, mit einem Andersdenkenden sprechen zu müssen. Solche Diskussionen bergen Gefahren. Man kann sich blamieren, weil man im Streit nicht recht behält. Oder man wird am Ende gar von den Argumenten des Gegners überzeugt. Um dies zu verhindern, haben sich eine Reihe von Kunstmitteln bewährt. Die zehn besten seien hier zum allgemeinen Nutzen vorgestellt:

Erklären Sie gleich vorneweg, die ganze Sache sei ohnehin unwichtig und nicht der Rede wert. Das gibt Ihnen die Möglichkeit, aus dem Gespräch auszusteigen, sobald es irgendwie brenzlig wird.

Behaupten Sie, es seien beide Meinungen gleich berechtigt, weshalb es gar keinen Zweck habe, über die eine oder über die andere zu diskutieren. Es habe eben jeder seinen Standpunkt und damit gut. So ein Unentschieden ist auf jeden Fall immer noch besser als eine Niederlage.

Versichern Sie Ihrem Gegenüber, es sei gar nicht fähig und würdig, über ein so wichtiges und komplexes Problem mitzureden. Es fehle doch erkennbar an Lebenserfahrung, an einem Abitur oder an einem Penis.

Reden Sie nicht über die Meinung Ihres Gegners, sondern über die Gefühle, die dessen Haltung bei Ihnen auslöst. Insbesondere schmerzliche Empfindungen geben Ihnen zweifellos das Recht, die Sache nicht weiter zu besprechen und als Sieger der Herzen das Schlachtfeld zu verlassen. Tränen lügen nicht.

Kritisieren Sie nicht die Argumente Ihres Feindes, unterstellen Sie ihm besser üble Motive. Weisen Sie ihm nach, dass er nur vom Neid angetrieben wird oder als bezahlter Agent finsterer Mächte agiert.

Wechseln Sie im passenden Moment das Thema, vorzugsweise zu einem, das dem Gegner unangenehm ist. Versucht dieser, Sie zurück zur Sache zu rufen, dann werfen Sie ihm vor, er habe wohl etwas zu verbergen und wolle im passenden Moment das Thema wechseln.

Reden Sie ausschließlich in unverständlichen Andeutungen, raunen Sie möglichst vieldeutig, sodass es Ihrem Kontrahenten unmöglich wird, Sie bei irgendeiner konkreten Aussage zu fassen. Werden Sie zum Mäuslein, das dem Jäger stets entkommt, weil es immer ein Schlupfloch in der Nähe findet.

Äußern Sie die Behauptung, auch Hitler, Stalin und Dieter Nuhr hätten in dieser Sache nachgewiesenermaßen die gegnerische Position vertreten, was deren Falschheit, ja Bösartigkeit schon zur Genüge beweise und jede weitere Diskussion überflüssig und sogar gefährlich mache.

Brüllen Sie so laut und ausdauernd Beleidigungen, dass die Stimme des Feindes nie zu hören ist. Halten Sie sich, wenn nötig, außerdem auch noch die Ohren zu. Der Feind wird nach einer Weile entnervt abwinken und verschwinden.

Hauen Sie Ihrem Gegner tüchtig auf’s Maul und laufen Sie dann ganz schnell davon.

Zitat des Monats Januar

Die Männer aus den Gesellschaftsklubs und die Arbeiter-Gruppe weichen in den mittleren F[aschismus]-Punktwerten nicht wesentlich voneinander ab. Das wird nur den überraschen, der alle wichtigen Unterschiede in den sozialen Verhaltensweisen aus der sozio-ökonomischen Gruppenzugehörigkeit zu erklären gewohnt ist, und der die Arbeiter als Hauptträger liberaler Ideen sieht. Natürlich wird ihnen auf Grund der gegebenen ökonomischen und sozialen Tatsachen die entscheidende Rolle im Kampf gegen die wachsende Konzentration wirtschaftlicher Macht zufallen, wenn sie im eigenen Interesse handeln, doch wäre es leichtsinnig, die Empfänglichkeit für faschistische Propaganda in diesen Massen zu unterschätzen. Aus unserer Sicht gibt es keinen Grund für die Annahme, die autoritären Strukturen, mit denen wir uns hier beschäftigen, seien innerhalb der Arbeiterklasse weniger stark entwickelt als in anderen Bevölkerungsschichten.

Erwähnenswert ist, als weiterer Aspekt des „funktionalen“ Charakters des Antisemitismus, daß wir häufig Angehörigen anderer Minderheiten mit stark „konformistischen“ Tendenzen begegneten, die ausgesprochen antisemitisch reagierten. Unter den verschiedenen Fremdgruppen war kaum eine Spur von Solidarität zu finden; vielmehr ist es die Regel, die „Last abzuschieben“, andere Gruppen zu diffamieren, um den eigenen sozialen Status in ein besseres Licht zu rücken.

Schon der beiläufige Blick in das Material genügte, um die Vermutung zu bestärken, daß die sozial Unterdrückten häufig eher dazu neigen, den Druck an andere weiterzugeben, als sich mit ihren Leidensgenossen zu verbünden.

Theodor W. Adorno in: ders., Else Frenkel-Brunswik, Daniel J. Levinson und R. Nevitt Sanford: The Authoritarian Personality, dt. Studien zum autoritären Charakter (1950)

Mein Kampf mit Mein Kampf (22): Der Starke ist am mächtigsten allein

Das kernige Wort aus dem Munde von Schillers Wilhelm Tell scheint ein machtvolles Prachtkapitel anzukündigen. Tatsächlich setzt sich Hitler in diesem kurzen Abschnitt aber auf recht kleinkarierte Weise mit konkurrierenden Parteien im völkischen Lager auseinander. Die Formationen mit Namen wie Nationalsozialer Volksbund, Deutschvölkischer Schutz- und Trutzbund, Deutschvölkische Freiheitspartei und Deutschsozialistische Partei sind heute vergessen, weil sie sich noch vor 1933 auflösten oder in der NSDAP aufgingen. Zu ihrer Zeit aber waren sie zeitweise größer und einflussreicher als die NSDAP.

Hitler unterschied zwischen zwei Sorten von Konkurrenten, den ehrlichen und den diebischen. Jene hatten aus eigenem Antrieb eine der NSDAP verwandte Sendung, diese kopierten bloß nachträglich das Programm der Nationalsozialisten, um an ihrem Erfolg teilzuhaben. Hitlers Grenzziehung zwischen beiden Gruppen war allerdings willkürlich. Und in Wirklichkeit war es natürlich Hitler selbst gewesen, der seine Ideologie bedenkenlos bei Vorgängern zusammengestohlen hatte. Zumeist würdigte er die beklauten völkischen Vordenker in Mein Kampf nicht einmal namentlich. Lobend erwähnt er hingegen in diesem Kapitel Julius Streicher, den wohl widerlichsten aller Antisemiten, weil dieser ehemalige Konkurrent in beispielhafter Weise aus freien Stücken mit seinen fränkischen Anhängern zur NSDAP gekommen sei. (Tatsächlich wurde er auch gut bezahlt.)

Hitlers Taktik im Umgang mit politischen Konkurrenten war ein Kurs der Ausschließlichkeit:

Durch die Bildung einer Arbeitsgemeinschaft werden schwache Verbände niemals in kräftige verwandelt, wohl aber kann und wird ein kräftiger Verband durch sie nicht selten eine Schwächung erleiden. Die Meinung, daß aus der Zusammenfassung schwacher Gruppen sich ein Kraftfaktor ergeben müsse, ist unrichtig, da die Majorität in jeglicher Form und unter allen Voraussetzungen erfahrungsgemäß die Repräsentantin der Dummheit und Feigheit sein wird und mithin jede Vielheit von Verbänden, so wie sie durch eine selbstgewählte mehrköpfige Leitung dirigiert wird, der Feigheit und Schwäche ausgeliefert ist. Auch wird durch solchen Zusammenschluß das freie Spiel der Kräfte unterbunden, der Kampf zur Auslese des Besten abgestellt und somit der notwendige und endgültige Sieg des Gesünderen und Stärkeren für immer verhindert.

Um seinen totalen Führungsanspruch und die programmatische Uniformität der NSDAP nicht zu gefährden, lehnte Hitler jede dauerhafte Zusammenarbeit mit anderen Parteien ab. Zusammenschlüsse akzeptierte er nur in der Form einer bedingungslosen Unterordnung der anderen. Zugleich achtete er darauf, alle Konkurrenten an Radikalität immer zu überbieten. Alle innerparteilichen Gegner, die einen gemäßigteren Kurs verfolgten, zwang er nieder oder zum Austritt. Am Ende hatte diese Taktik Erfolg – allerdings auch, weil die katastrophale Wirtschafts- und Staatskrise Anfang der dreißiger Jahre eben der Partei die günstigste Position beim Publikum verschaffte, die am aggressivsten alles Bestehende verneinte. Und das war die NSDAP.

Gewohnt größenwahnsinnig erhob Hitler seine Strategie gleich zum Gesetz der Weltgeschichte:

Man vergesse niemals, daß alles wirklich Große auf dieser Welt nicht erkämpft wurde von Koalitionen, sondern daß es stets der Erfolg eines einzelnen Siegers war. Koalitionserfolge tragen schon durch die Art ihrer Herkunft den Keim zu künftigem Abbröckeln, ja zum Verlust des schon Erreichten. Große, wahrhaft weltumwälzende Revolutionen geistiger Art sind überhaupt nur denkbar und zu verwirklichen als Titanenkämpfe von Einzelgebilden, niemals aber als Unternehmen von Koalitionen.
So wird auch vor allem der völkische Staat niemals geschaffen werden durch das kompromißhafte Wollen einer völkischen Arbeitsgemeinschaft, sondern nur durch den stahlharten Willen einer einzigen Bewegung, die sich durchgerungen hat gegen alle.

1933 gelangte Hitler dann an die Macht – allerdings dank einer Koalition. Einige konservative Trottel glaubten allen Ernstes, sich Hitler „engagieren“ zu können. Offenbar zählten sie zu den vielen, die Mein Kampf nicht sehr aufmerksam gelesen hatten.

Ist es übertrieben, ja vielleicht gar hysterisch, wenn ich in Mein Kampf schon wieder etwas über Björn Höcke von der Alternative für Deutschland zu lesen glaube? Dessen im schönen Dresden ausgesprochene „Machtergreifungsphantasie“ (Achim Wesjohann) entspricht aber eben leider nur allzu deutlich der Strategie des Führers. Höcke tritt dafür ein, eine „Fundamentalopposition“ zum bestehenden „Regime“ zu betreiben, allerdings eine „inhaltliche“, keine „strukturelle“. Dies entspricht dem Vorgehen der NSDAP, die das Weimarer „System“ inhaltlich radikal ablehnte, sich aber dennoch an Wahlen beteiligte und in die Parlamente ging, um die Republik von innen zu zersetzen. Höcke verlangt auch, die AfD müsse eine „Bewegungspartei“ bleiben, engstens vernetzt mit den Protestformen der Straße. Welchen Wert die Nazis darauf legten, als „Bewegung“ zu gelten und die Parlamente wie die Straßen zu erobern, ist bekannt. Schließlich finden wir auch Hitlers Anspruch auf Ausschließlichkeit bei Höcke wieder:

Die AfD ist die letzte evolutionäre, sie ist die letzte friedliche Chance für unser Vaterland. Damit sie es sein kann, muss sie sich als inhaltliche – nicht als strukturelle, als inhaltliche! – Fundamentalopposition verstehen, denn sie ist die einzig relevante politische Kraft des Bewahrenden, die gegen die kollektiven Kräfte der Auflösung der One-World-Ideologen und ihrer Verbündeten steht.

Dementsprechend zählt für Höcke nichts außer einem „vollständigen Sieg der AfD“:

Wir werden das so lange durchhalten, bis wir in diesem Lande 51 Prozent erreicht haben, oder aber als Seniorpartner – als Seniorpartner! – in einer Koalition mit einer Altpartei sind, die durch ein kathetisches [gemeint wohl: kathartisches] Fegefeuer gegangen ist, die sich selbst wiedergefunden hat, und die abgeschworen hat von einer Politik gegen das Volk, um endlich wieder zu einer Politik für das eigene Volk […].

Nur ein totaler Sieg der AfD, die sich zuvor ganz dem kompromisslosen Höcke-Kurs angeschlossen hat, kann also Deutschland noch vor dem Untergang retten. Allenfalls um die Macht zu erringen, wäre eine Koalition mit einer anderen Partei denkbar, die zuvor allerdings ihren alten, eigenen Charakter völlig aufzugeben hätte. Mal sehen, ob die blauen Augen von Björn Höcke verführerisch genug sind, um eine andere Partei zu einer solchen Heirat zu bewegen.

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Mein Kampf mit Mein Kampf (1)

Mein Kampf mit Mein Kampf (2): Im Elternhaus

Mein Kampf mit Mein Kampf (3): Wiener Lehr- und Leidensjahre (1)

Mein Kampf mit Mein Kampf (4): Wiener Lehr- und Leidensjahre (2)

Mein Kampf mit Mein Kampf (5): Allgemeine politische Betrachtungen aus meiner Wiener Zeit

Mein Kampf mit Mein Kampf (6): München

Mein Kampf mit Mein Kampf (7): Der Weltkrieg

Mein Kampf mit Mein Kampf (8): Kriegspropaganda

Mein Kampf mit Mein Kampf (9): Die Revolution

Mein Kampf mit Mein Kampf (10): Beginn meiner politischen Tätigkeit

Mein Kampf mit Mein Kampf (11): Die Deutsche Arbeiterpartei

Mein Kampf mit Mein Kampf (12): Ursachen des Zusammenbruches

Mein Kampf mit Mein Kampf (13): Volk und Rasse

Mein Kampf mit Mein Kampf (14): Die erste Entwicklungszeit der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei

Mein Kampf mit Mein Kampf (15): Weltanschauung und Partei

Mein Kampf mit Mein Kampf (16): Der Staat

Mein Kampf mit Mein Kampf (17): Staatsangehöriger und Staatsbürger

Mein Kampf mit Mein Kampf (18): Persönlichkeit und völkischer Staatsgedanke

Mein Kampf mit Mein Kampf (19): Weltanschauung und Organisation

Mein Kampf mit Mein Kampf (20): Der Kampf der ersten Zeit – Die Bedeutung der Rede

Mein Kampf mit Mein Kampf (21): Das Ringen mit der roten Front

Mein Kampf mit Mein Kampf (22): Der Starke ist am mächtigsten allein

Mein Kampf mit Mein Kampf (23): Grundgedanken über Sinn und Organisation der S.A.

Mein Kampf mit Mein Kampf (24): Der Föderalismus als Maske

Mein Kampf mit Mein Kampf (25): Propaganda und Organisation

Mein Kampf mit Mein Kampf (26): Die Gewerkschaftsfrage

Mein Kampf mit Mein Kampf (27): Deutsche Bündnispolitik nach dem Kriege

Mein Kampf mit Mein Kampf (28): Ostorientierung oder Ostpolitik

Mein Kampf mit Mein Kampf (29): Notwehr als Recht

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Hitler, Mein Kampf. Eine kritische Edition. Im Auftrag des Instituts für Zeitgeschichte München – Berlin hg. von Christian Hartmann, Thomas Vordermeyer, Othmar Plöckinger und Roman Töppel unter Mitarbeit von Pascal Trees, Angelika Reizle und Martina Seewald-Mooser. Zwei Bände. München/Berlin: Institut für Zeitgeschichte, 4., durchges. Aufl. 2016

Mein Kampf mit Mein Kampf (21): Das Ringen mit der roten Front

Für Hitler war die Politik nicht nur eine Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln, sie war sogar eine Fortsetzung mit denselben Mitteln. Er verachtete als das, was eine liberale Demokratie ausmacht: den Gewaltverzicht, die Diskussion, den Kompromiss, die Toleranz. Für ihn gab es keine politischen Gegner, sondern nur existenzielle Feinde. Seine Freude am Kampf war aber auch eine ganz persönliche Lust an der Gewalt, wie er sie im Krieg erlebt hatte. Im Kapitel Das Ringen mit der roten Front erzählt er von einer Saalschlacht bei einer der Massenversammlungen in der Frühzeit der NSDAP:

Der Tanz hatte noch nicht begonnen, als auch schon meine Sturmtruppler, denn so hießen sie von diesem Tage an, angriffen. Wie Wölfe stürzten sie in Rudeln von acht oder zehn immer wieder auf ihre Gegner los und begannen sie nach und nach tatsächlich aus dem Saale zu dreschen. Schon nach fünf Minuten sah ich kaum mehr einen von ihnen, der nicht schon blutüberströmt gewesen wäre. […] Nur in der linken rückwärtigen Saalecke hielt sich noch ein großer Haufen und leistete erbitterten Widerstand. Da fielen plötzlich vom Saaleingang zum Podium her zwei Pistolenschüsse, und nun ging eine wilde Knallerei los. Fast jubelte einem doch wieder das Herz angesichts solcher Auffrischung alter Kriegserlebnisse.

Solche Schilderungen in Mein Kampf hatten natürlich auch den Zweck, alte Frontkämpfer und abenteuerlustige junge Männer anzusprechen, die sich nicht in die bürgerliche Spießerwelt finden wollten:

Und wie hatte sich diese Jugend nicht nach einer solchen Parole gesehnt!
Wie ist diese Feldzugsgeneration enttäuscht und entrüstet gewesen, voll Ekel und Abscheu über die bürgerliche Schlappschwänzigkeit.

Der Plan ging auf, Offiziere und Studenten zählten bald zu den glühendsten Vorkämpfern des Nationalsozialismus. Wie Hitler mit einem Seitenblick auf den italienischen Bürgerkrieg rasch erkannte, wirkt Gewalt im politischen Kampf durchaus nicht nur abschreckend, sondern auf viele einschüchternd oder sogar anziehend. Zum Beweis der Stärke forcierte er die Gründung paramilitärischer Einheiten:

So wie ein mutiger Mann Frauenherzen leichter erobern wird als ein Feigling, so gewinnt eine heldenhafte Bewegung auch eher das Herz eines Volkes als eine feige, die nur durch polizeilichen Schutz am Leben erhalten wird.

Auf jeden Fall sorgte die Gewalt für Aufmerksamkeit, Überfälle auf feindliche Politiker und deren Versammlungen wurden zur Routine. Beachtung hatte die NSDAP als unbedeutende Splitterpartei am rechten Rand anfangs auch besonders nötig. Die Art der Aufmerksamkeit war dabei nebensächlich, auch negative Publizität erschien Hitler zweckmäßig:

Ganz gleich, ob sie über uns lachen oder schimpfen, ob sie uns als Hanswürste oder als Verbrecher hinstellen; die Hauptsache ist, daß sie uns erwähnen, daß sie sich immer wieder mit uns beschäftigen und daß wir allmählich in den Augen der Arbeiter selber wirklich als die Macht erscheinen, mit der zur Zeit allein noch eine Auseinandersetzung stattfindet.

Die NSDAP sollte nach Hitler nicht einfach nur ein Teil des Ganzen sein, also „Partei“ im eigentlichen Sinne. Vielmehr verkörperte sie für ihn eine „Weltanschauung“, die nicht weniger als die absolute Macht im Staat beanspruchte. Die Partei brauchte daher eine eigene „Parteiflagge“, die sich vom Schwarz-Rot-Gold der Republik, aber auch vom Schwarz-Weiß-Rot der reaktionären Monarchisten unterschied. Gewohnt bescheiden behauptete Hitler, er allein habe schließlich die Lösung gefunden:

Ich selbst hatte unterdes nach unzähligen Versuchen eine endgültige Form niedergelegt: eine Fahne aus rotem Grundtuch mit einer weißen Scheibe und in deren Mitte ein schwarzes Hakenkreuz.

Diese Flagge war in der Tat eine geschickte Versinnbildlichung der Idee von der „konservativen Revolution“, wie sie u.a. Arthur Moeller van den Bruck in seinem Buch Das dritte Reich vorgetragen hatte. Die Flagge nimmt die traditionellen Reichsfarben auf, was der Demokratie der Weimarer Republik eine Absage erteilt. Aber auch von den rückwärtsgewandten Konservativen unterscheidet sich die Flagge durch eine revolutionäre Umordnung der Farben. Grundfarbe wird das Rot, die traditionelle Farbe der Revolution und der Arbeiterbewegung. Das zentrale Hakenkreuz deutet diese Anspielung auf die Bildtradition des Sozialismus jedoch völlig um. Hitler selbst interpretiert:

Als nationale Sozialisten sehen wir in unserer Flagge unser Programm. Im Rot sehen wir den sozialen Gedanken der Bewegung, im Weiß den nationalistischen, im Hakenkreuz die Mission des Kampfes für den Sieg des arischen Menschen und zugleich mit ihm auch den Sieg des Gedankens der schaffenden Arbeit, die selbst ewig antisemitisch war und antisemitisch sein wird.

Heben wir den Blick aus dem Buch und schauen auf die Gegenwart, erkennen wir ohne große Mühe politische Bewegungen, die sich heute wieder an den Ratschlägen Hitlers orientieren. Muss man deswegen befürchten, dass die neue Rechte demnächst nach der totalen Herrschaft greift? Ich glaub’s nicht. Es ist offenkundig, welche Zutat in den Ländern des Westens – anders als etwa in der arabischen Welt – fehlt: eine große, beschäftigungslose, opferbereite Jugend. Es gibt einfach zu wenige junge Männer, die bereit wären, ihr Leben für eine Weltanschauung hinzugeben, denn es lebt sich doch insgesamt noch recht angenehm in der befriedeten Konsumgesellschaft. Der Kollege Götz Kubitschek spricht deswegen verächtlich von der „Verhausschweinung“ der Deutschen. Es gibt zwar das Häuflein der „Identitären“ mit ihren Lambda-Ersatzhakenkreuzen, ihren uniformen Scheiteln und ihren billigen, aber wirkungsvollen Provokationen. Doch selbst von diesen rechten Poseuren will sich doch in Wirklichkeit keiner totschießen lassen. Derweil ist der gewöhnliche Wähler der neuen Rechten ohnehin ein frustrierter Frührentner, der ganz sicher keine Barrikaden mehr baut. Mit einer nationalen Revolution wird es also nichts. Durchaus nicht unrealistisch ist aber eine andere Variante: Die neuen Rechten könnten durch Wahlen an die Macht kommen und die Gesellschaft nicht gewaltsam, sondern schleichend umbauen, nicht in einen totalitären, aber in einen autoritären Staat. In Ungarn scheint es schon zu funktionieren. Ob dies auch in einem Land des Westens gelingen kann, wird wohl das Trump-Experiment in den USA zeigen – sofern nicht im Laufe des Versuchs vorher schon die ganze Welt in die Luft fliegt.

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Mein Kampf mit Mein Kampf (1)

Mein Kampf mit Mein Kampf (2): Im Elternhaus

Mein Kampf mit Mein Kampf (3): Wiener Lehr- und Leidensjahre (1)

Mein Kampf mit Mein Kampf (4): Wiener Lehr- und Leidensjahre (2)

Mein Kampf mit Mein Kampf (5): Allgemeine politische Betrachtungen aus meiner Wiener Zeit

Mein Kampf mit Mein Kampf (6): München

Mein Kampf mit Mein Kampf (7): Der Weltkrieg

Mein Kampf mit Mein Kampf (8): Kriegspropaganda

Mein Kampf mit Mein Kampf (9): Die Revolution

Mein Kampf mit Mein Kampf (10): Beginn meiner politischen Tätigkeit

Mein Kampf mit Mein Kampf (11): Die Deutsche Arbeiterpartei

Mein Kampf mit Mein Kampf (12): Ursachen des Zusammenbruches

Mein Kampf mit Mein Kampf (13): Volk und Rasse

Mein Kampf mit Mein Kampf (14): Die erste Entwicklungszeit der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei

Mein Kampf mit Mein Kampf (15): Weltanschauung und Partei

Mein Kampf mit Mein Kampf (16): Der Staat

Mein Kampf mit Mein Kampf (17): Staatsangehöriger und Staatsbürger

Mein Kampf mit Mein Kampf (18): Persönlichkeit und völkischer Staatsgedanke

Mein Kampf mit Mein Kampf (19): Weltanschauung und Organisation

Mein Kampf mit Mein Kampf (20): Der Kampf der ersten Zeit – Die Bedeutung der Rede

Mein Kampf mit Mein Kampf (21): Das Ringen mit der roten Front

Mein Kampf mit Mein Kampf (22): Der Starke ist am mächtigsten allein

Mein Kampf mit Mein Kampf (23): Grundgedanken über Sinn und Organisation der S.A.

Mein Kampf mit Mein Kampf (24): Der Föderalismus als Maske

Mein Kampf mit Mein Kampf (25): Propaganda und Organisation

Mein Kampf mit Mein Kampf (26): Die Gewerkschaftsfrage

Mein Kampf mit Mein Kampf (27): Deutsche Bündnispolitik nach dem Kriege

Mein Kampf mit Mein Kampf (28): Ostorientierung oder Ostpolitik

Mein Kampf mit Mein Kampf (29): Notwehr als Recht

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Hitler, Mein Kampf. Eine kritische Edition. Im Auftrag des Instituts für Zeitgeschichte München – Berlin hg. von Christian Hartmann, Thomas Vordermeyer, Othmar Plöckinger und Roman Töppel unter Mitarbeit von Pascal Trees, Angelika Reizle und Martina Seewald-Mooser. Zwei Bände. München/Berlin: Institut für Zeitgeschichte, 4., durchges. Aufl. 2016

Das Lächeln der Schweine

Wer an einer Fleischerei vorbeikommt, der wundert sich über das Pappschild, das fast immer vor der Tür steht. Es zeigt ein lächelndes Schwein, das die Angebote des Tages präsentiert. Man fragt sich: Würde irgendein Schwein wirklich so lächeln, wenn es wüsste, dass es Schweinemedaillons zum Sonderpreis anbieten soll? Sind das Schwein und der Metzger denn Kollegen? Sind sie nicht eher so etwas wie natürliche Feinde? Immerhin lebt ja der eine davon, dass der andere erledigt, ausgenommen und verzehrt wird. Ist es da nicht geradezu zynisch, wenn Fleischer mit Bildern von lächelnden Schweinen werben? Andererseits: Banken werben ja auch mit Bildern von lächelnden Kunden.

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Zwischen Terror und Wahn

Es dürfte sich inzwischen herumgesprochen haben, dass die neuen sozialen Medien keineswegs automatisch zum Triumph der Aufklärung führen. Das Medium ist eben nicht schon selbst die Botschaft. Jede neue Technik lässt sich für schlechte Zwecke ebenso gebrauchen wie für gute. Und so sollte es auch keinen überraschen, dass sich im Internet auch Hetzparolen, Lügengeschichten und Verschwörungsideologien tummeln und fleißig vermehren.

Wir machen es uns etwas zu einfach, wenn wir die Opfer solcher Verschwörungsideologien als lächerliche „Aluhüte“ abtun. Denn der Wahn ist nicht so weit von der Vernunft entfernt wie wir gerne glauben möchten. Wir alle neigen dazu, Tatsachen zu ignorieren, die uns unangenehm sind, während wir freudig jede Nachricht begrüßen, die in unser Weltbild passt. Im Verschwörungswahn dreht diese selektive Wahrnehmung bloß völlig frei. Und auch intelligente Menschen sind gegen solche Verirrungen nicht immun.

Der Verschwörungswahn ist auch nicht auf ein einziges politisches Lager beschränkt. Rechte leugnen vorzugsweise deutsche Verbrechen, weil solche Tatsachen ihre patriotischen Gefühle schmerzvoll verletzen. Nach dem jüngsten Terroranschlag in Berlin konnte man aber im Netz bestaunen, wie auch einige Linke plötzlich seltsamste Dinge von sich gaben. Der LKW könne ja wohl auch von einem Nazi gesteuert worden sein, um die Stimmung gegen Flüchtlinge zu kehren, wurde da geraunt. Und die Polizei, die verdächtig spät erst die Identität des mutmaßlichen Täters entdeckt habe, erzähle womöglich nicht die Wahrheit über den Anschlag.

Mit solchen Mutmaßungen schützen sich einige vor einer unangenehmen Einsicht: Getarnt als Flüchtlinge haben sich in den vergangenen Jahren auch Terroristen nach Europa geschmuggelt. Dass diese sich nach Anschlägen keine Mühe geben, ihre Identität zu verschleiern, ist nicht merkwürdig, sondern verständlich. Denn der Islamische Staat will durch solche Taten die echten Flüchtlinge diskreditieren und die Europäer demoralisieren. Auf diese Weise stärken die Islamisten ihre geistigen Komplizen, die europäischen Faschisten, auf dass es zum beidseitig ersehnten Krieg der Kulturen komme. Um den abzuwenden, bleibt uns nur die Macht der Vernunft. Ihr Sieg ist aber alles andere als gewiss.

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Dieser Text erschien zuerst als Kolumne der Rubrik Besorgte Bürger in der Sächsischen Zeitung.