Gegen zwei Äußerungen von Prof. Werner J. Patzelt haben verschiedene Menschen, unter ihnen auch ich, Einwände erhoben. Es handelt sich um Sätze aus der unseligen Kategorie „Nazi-Vergleich“. Prof. Patzelt sieht sich, wie meistens, wenn er kritisiert wird, als Opfer einer Hexenjagd und Diffamierungskampagne. Versuchen wir uns an einer sachlichen Prüfung, wie sie auch von Prof. Patzelt eingefordert wird.
Hierzu zunächst eine Begriffsklärung. Das Wort „Vergleich“ wird, wie auch Prof. Patzelt zurecht betont, in mehrdeutiger Weise verwendet. Leider wird es oft als Synonym für „Gleichsetzung“, also für eine Identifikation gebraucht. Dies führt zu Missverständnissen, zum Beispiel wenn jemand angibt, er wolle die DDR und das Dritte Reich miteinander vergleichen, und ihm daraufhin vorgeworfen wird, er wolle beide Staaten gleichsetzen. Ein Vergleich will aber sowohl Gemeinsamkeiten als auch Unterschiede feststellen. So kann man etwa PEGIDA und die NSDAP miteinander vergleichen, wie ich das in einem früheren Beitrag gemacht habe, ohne damit zu behaupten, beide wären identisch. Um aber zwei Sachverhalte miteinander vergleichen zu können, müssen diese irgendwie ähnlich sein, wenigstens in einer Hinsicht (Tertium comparationis) etwas gemeinsam haben. Man kann z.B. Äpfel und Birnen sehr gut miteinander vergleichen, weil es sich in beiden Fällen um Obst handelt. Hingegen ist ein Vergleich zwischen einem Harzer Käse und dem Satz des Pythagoras unsinnig, wenigstens außerhalb des Reiches der Poesie. Aus dieser Logik hat sich nun aber noch eine dritte Verwendungsweise des Wortes „Vergleich“ ergeben, nämlich die als Synonym für Feststellung von Ähnlichkeit. In der Umgangssprache behauptet jemand, der „X mit Y vergleicht“, X und Y seien ähnlich – wobei nicht immer klar ist, in welcher Hinsicht die Ähnlichkeit bestehen soll.
Am 2. September 2016 erschien in der Sächsischen Zeitung eine Kolumne von Prof. Patzelt in der Rubrik „Besorgte Bürger“. In ihr warnte er vor einer Überforderung der Politik durch uneinlösbare Wünsche. Der Versuch, solche überzogenen Pläne in die Tat umzusetzen, müsse scheitern und könne sogar zu Zerstörungen führen. Und Prof. Patzelt führte einige historische Beispiele auf für den unbedingten Glauben an das Gelingen von zum Scheitern verurteilten Projekten. In diesem Zusammenhang folgte dann gegen Ende des Textes der Satz:
Wenig hilft in solchen Lagen ein „Glaube an den Endsieg“, heute formuliert als „Yo, wir schaffen das“.
Worum handelt es sich hier? Ein Vergleich benutzt üblicherweise das Wörtchen „wie“ – wir suchen es vergebens. Liest man den Satz ganz wörtlich, dann bedeutet er: Der Glaube an den „Endsieg“ (von jedermann mit Adolf Hitler und dem Zweiten Weltkrieg assoziiert), wird heute formuliert als „Wir schaffen das!“, ein Satz, der unzweifelhaft zu Angela Merkel und der Flüchtlingskrise gehört. Man kann den Satz von Prof. Patzelt also durchaus als Gleichsetzung, als die direkte Behauptung einer historischen Wiederkehr lesen. Einige Rechtsradikale werden das auch getan haben: „Die Merkel wird durch die Ausländer Deutschland zu Grunde richten wie Hitler!“ Verräterischerweise hat Prof. Patzelt den Satz in seiner Rechtfertigung auch nicht wörtlich wiederholt, sondern umschrieben:
Ich hatte vor zwei Wochen über die Grenzen von Politik geschrieben und darauf hingewiesen, dass diese Grenzen auch nicht dadurch sonderlich ausgedehnt würden, dass man etwa an einen Endsieg glaubt oder es mit einem Mantra wie „Yo, wir schaffen das!“ versucht.
In dieser Version erscheinen nun zwei Sachverhalte nicht gleichgesetzt, sondern als unterschiedliche Beispiele für einen Sachverhalt aufgeführt. Ich glaube Prof. Patzelt auch, dass seine ursprüngliche Formulierung schon genauso gemeint gewesen ist, dass es sich also um einen impliziten Vergleich, keine Gleichsetzung handelte. Aber: Muss ein Autor, der sonst stets argumentative und sprachliche Sensibilität einfordert und besonders „Nazi-Vergleiche“ streng kritisiert, diese Maßstäbe nicht auch an sich selbst anlegen? Der Satz, mit dem Prof. Patzelt die Debatte lostrat, war missverständlich formuliert, wohl auch bewusst provozierend. Dies jedenfalls legt eine Aussage von Prof. Patzelt gegenüber dem Deutschlandfunk nahe, die sich schon auf seinen zweiten Beitrag zum Streit bezieht:
Hätte ich das Goebbels-Zitat nicht gebracht, spräche niemand über diese Kolumne, jetzt spricht man drüber, und natürlich will ich, dass meine Analysen und Argumente auch ein breites Publikum finden. Und wenn andere über Stöckchen drüber springen, soll mir das Recht sein.
Wer aber erst als bewusster Provokateur zu Missverständnissen einlädt und sich danach über Missverständnisse empört zeigt, der argumentiert unredlich – um ein Wort zu benutzen, das Prof. Patzelt selbst gern Gegnern entgegenschleudert.
Wer Prof. Patzelt kennt, der weiß natürlich, dass es ihm fernliegt, Hitler und Angela Merkel oder Nazis und Flüchtlingshelfer miteinander zu identifizieren. Meine Erwiderung in der folgenden Kolumne der Rubrik „Besorgte Bürger“ am 9. September war deswegen auch in heiterem Ton gehalten. Ich warf Prof. Patzelt keine Gleichsetzung vor, sondern signalisierte nur, dass ich seinen impliziten Vergleich für unsinnig halte. Denn die Unterschiede zwischen Zweitem Weltkrieg und Flüchtlingskrise sind so groß, dass eine Verknüpfung mir unsinnig erscheint. Ich halte die von Prof. Patzelt angenommene Ähnlichkeit schlicht für nicht vorhanden, denn die Flüchtlingshelfer waren keine merkelgläubige Masse, sondern engagierte und dabei durchaus kritisch reflektierte Menschen. So zumindest habe ich einige von ihnen kennengelernt. Wie viele Flüchtlingshelfer Prof. Patzelt persönlich getroffen hat, weiß ich nicht.
Damit hätte es nun sein Bewenden haben können, wenn Prof. Patzelt nicht die ununterdrückbare Leidenschaft hätte, in allen Fragen am Ende Recht zu behalten. Er beschloss, in der folgenden Kolumne am 16. September noch eins draufzusetzen und führte den impliziten Vergleich explizit aus. Wohlgemerkt sieht er die Ähnlichkeit der Flüchtlingshelfer mit den Deutschen unter dem Nationalsozialismus nicht in der moralischen Qualität ihres Tuns. Er sieht sie in einem Vertrauen-Wollen, einem unkritischen Glauben an politische Führer. Und dies erläuterte er u.a. mit dem folgenden Satz:
Gewiss war kein abscheulicher Krieg, sondern eine an menschlicher Schönheit schwer zu übertreffende Willkommenskultur, in was vor einem Jahr so viele hineingingen „wie in einen Gottesdienst“ (so einst Joseph Goebbels).
Ich habe bereits ausgeführt, warum ich diesen Vergleich sachlich für falsch halte. Ich halte ihn aber auch für schief und missraten, denn ein Vergleich (verstanden hier als Feststellung einer Ähnlichkeit) wird auch dann unsinnig, wenn die Unterschiede die Gemeinsamkeiten weit überwiegen. Würde ich z.B. äußern: „Prof. Patzelt ähnelt Dr. Goebbels!“ und dann auf die ausgelöste Empörung erwidern: „Was denn? Haben denn nicht beide Bücher geschrieben?“, dann würde meine Antwort gewiss nicht als hinreichende Erklärung akzeptiert. Prof. Patzelt bliebe beleidigt. Ebenso beleidigt sind nun aber die Flüchtlingshelfer, die sich mit Nazis verglichen sehen, obwohl ihr sicherlich vorhandener Optimismus dem Fanatismus der Nazis weder dem moralischen Wert noch der Intensität nach entspricht, ja ihm sogar entgegengesetzt ist. Dies hat Prof. Patzelt nun auch anerkannt, indem er sagt, er habe das Vertrauen-Wollen nicht dem „Grad“ oder der „Inhumanität“ nach gleichsetzen wollen. Aber diese Klarstellung folgt eben erst jetzt. Und es stellt sich schließlich die Frage: Wozu erst eine Ähnlichkeit zwischen Flüchtlingshelfern und Nazi-Soldaten behaupten, um dann in mühevoller Rechtfertigung herauszustellen, gar so ähnlich seien sich beide ja auch wieder nicht?
Differenzieren macht müde. Ich will’s dabei belassen. Ob ich Prof. Patzelt davon überzeugen konnte, dass er sich mit einem einfachen Eingeständnis, einmal einen missratenen Satz formuliert zu haben, die ganze Debatte hätte sparen können? Ich zweifle daran.
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Eine kürzere und naturgemäß etwas pointiertere Erwiderung auf Prof. Patzelts Beiträge erscheint am 23. September als Kolumne der Rubrik „Besorgte Bürger“ in der Sächsischen Zeitung.
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Prof. Patzelt hat auf die Kritik reagiert in einem Beitrag mit dem Titel Plisch und Plum.