Sizilianischer Frühling (2): Die Mitte der Welt

Auch im Paradies ist Krise. Ich sehe es nicht nur an den geschlossenen Geschäften, die mit dem Schild Affittasi offensichtlich schon lange vergeblich nach neuen Mietern suchen. Auch die Besitzerin einer Osteria in Caltanissetta erzählt, sie merke, wie die Leute immer weniger Geld ausgäben. Am deutlichsten sieht man es aber an den sizilianischen Katzen. Diese Katzen sind klein und mager und überhaupt nicht zutraulich. Nähert man sich ihnen, laufen sie ängstlich davon. Offenbar müssen sie sich auf den Straßen durch Jagd selbst ernähren, werden von den Leuten nicht gefüttert, sondern davongejagt. In einem Amphitheater, in dem einst die Römer sich an blutigen Gladiatorenkämpfen ergötzten, schaue ich eine Viertelstunde lang dem Kampf zwischen einer Katze und einigen Tauben zu. Die Katze schleicht sich immer wieder an den Schwarm heran, doch die Tauben sind aufmerksam und flattern ein paar Meter weiter, bevor ihr Feind zum Sprung ansetzen kann. Hartnäckig verfolgt die Katze den Schwarm durch das ganze Theater, bis die Vögel schließlich ganz davonfliegen. Der Beobachter zieht aus diesem Schauspiel die Lehre: Wo gehungert wird, da ist es mit dem Frieden vorbei.
Auf Sizilien scheint aber – wenigstens dem fremden Betrachter – der Frieden noch intakt. Obwohl auf der Insel wenig mehr als Obst und Gemüse produziert wird, kommen doch die Einwohner irgendwie zurecht. Fast alle Sizilianer, so lese ich, arbeiten im Dienstleistungssektor. Und wirklich hat man das Gefühl, dass hier jeder jedem etwas verkauft. Einheimische Bauern bieten geröstete Artischocken und Ziegenkäse an, Afrikaner Feuerzeuge und Plastikspielzeug. Aber in deutschen Zeitungen liest man: „Der Süden Italiens stirbt!“ Wenn das wahr sein sollte, dann handelt es sich wenigstens um einen sehr sanften und schönen Tod. Falls das Abendland demnächst untergeht, möge es sich an Sizilien ein Beispiel nehmen. Vielleicht haben die Sizilianer über Jahrhunderte der Entbehrung aber auch einfach gelernt, trotz widrigster Umstände zu überleben und dabei nicht einmal die Freude am Dasein zu verlieren. Auch in diesem Fall könnte Europa von Sizilien einiges lernen.

Im Museo dello Sbarco in Catania wird die Geschichte der Landung der alliierten Truppen auf Sizilien im Jahr 1943 erzählt. An der Südküste Siziliens begann die Invasion, die rasch zur Eroberung der Insel führte. Auf die Niederlage, welche die italienischen Truppen trotz der Unterstützung durch deutsche Soldaten erlitten, folgten bald die Absetzung Mussolinis und die Kapitulation Italiens. Die Sizilianer begrüßten die Engländer und Amerikaner 1943 mehrheitlich begeistert als Befreier. Im Süden Italiens hatte der italienische Faschismus von Anfang an weniger Anhänger gehabt als im Norden, wo sein eigentliches Zentrum lag. Die norditalienischen Faschisten sind den Sizilianern noch heute böse, am liebsten würden sie sich vom Süden Italiens ganz trennen. Die Süditaliener sind für diese Rassisten ohnehin schon halbe Afrikaner. Die Einwohner des Südens erwidern solche Vorwürfe gelassen. Ein Pizzabäcker aus Bari versicherte mir einmal, das wirkliche Italien fange südlich von Neapel erst an.
Die Italiener haben den Faschismus erfunden, aber sie haben ihn nie mit dem ernsthaften Irrsinn der Deutschen praktiziert. Die Deutschen starben und töteten für ihren Adolf bis zum bitteren Ende, die Italiener haben stattdessen ihren Benito vorher entlassen und erschossen. Sie vergaßen nie ganz, dass ihr Duce auch ein Schauspieler war, ein Großsprecher und Scharlatan. Sieht man Aufnahmen von Mussolinis Reden, erblickt man einen Clown, lächerlicher noch als Adolf Hitler. Doch über einen Clown, der über die Gewalt des Staates verfügt, wagt keiner mehr zu lachen. Faschismus ist lächerlich und braucht die Macht, um überhaupt ernst genommen zu werden. Das heißt aber auch: Menschen sind keineswegs bloß deswegen schon harmlos, weil sie lächerlich wirken. Nur die Gewalt fehlt ihnen noch. Als Mussolini mit der Niederlage von Sizilien seine Rolle ausgespielt hatte, pfiffen die Italiener ihn von der Bühne. Nur ein Weilchen noch deklamierte er im Norden vor seinen treuesten Bewunderern weiter. Die Deutschen hingegen spielten in Hitlers blutiger Wagneroper trotz aller Katastrophen die Nibelungentreue brav bis zum totalen Untergang. Es gilt wohl doch Adornos Wort: „Ein Deutscher ist ein Mensch, der keine Lüge aussprechen kann, ohne sie selbst zu glauben.“

Lange Zeit war Sizilien für Europa, was Europa für die Welt ist. In der antiken Welt lag Sizilien genau im Zentrum, mitten im Mittelmeer, dem einzigen Ozean dieser Zeit. Die fruchtbare und reiche Insel war umkämpft zwischen allen Völkern, immer wieder eroberten neue Invasoren Sizilien. Doch die Eroberer wurden immer wieder rasch heimisch und vermischten sich mit den Einwohnern, die schon da waren. Auf die Phönizier folgten die Griechen, auf die Griechen die Römer. Auf die Römer folgten die Germanen, die Araber, die Normannen, die Franzosen, die Spanier. Und selbst das Königreich Italien wurde von vielen Sizilianern nach der Vereinigung mit dem Norden noch als Besatzungsmacht empfunden. Zu blutigen Konflikten kam es immer dann, wenn eine neue herrschende Clique die anderen Einwohner völlig zu entrechten versuchte.
All die verschiedenen Völker malten mit am Bild Siziliens, fügten auf der Leinwand neue Figuren und Gebäude hinzu, übermalten Bestehendes, das doch immer weiter durchschimmerte. Die Kathedralen der Insel, von denen fast jedes Städtchen eine besitzt, sind Zeugnisse dieser Geschichte der Verschmelzung. Aus den Wänden der Kathedrale von Syrakus ragen noch heute die Pfeiler eines alten griechischen Tempels hervor. Sie wurden eingemauert, wie auch die alten Götter dem neuen Gott nicht einfach geopfert, sondern einverleibt wurden. Es gibt auch Kirchen, die zur Hälfte aus arabischen, zur anderen Hälfte aus normannischen Bauten gefügt sind. Auf den Feldern wachsen Zitronen und Orangen, die Araber auf die Insel brachten, neben Kartoffeln und Tomaten, die von den Spaniern aus Amerika entwendet wurden. Aber auch die vielgestaltigen Gesichter der Sizilianer tragen Spuren der jahrhundertelangen Vermischung. Der rothaarige Italiener, der in einem Park in Catania mit seiner Freundin streitet, bezeugt vielleicht noch heute die Manneskraft der Normannen. So zeigt Sizilien im Kleinen ein Bild der europäischen Kultur, die ihre Größe gerade der Tatsache verdankt, dass hier, in der Mitte der Welt, mehr als irgendwo sonst, die verschiedensten Völker und Religionen sich über Tausende von Jahren gegenseitig befruchtet haben.

Ich lese in einem mitgebrachten Buch die Worte von Joseph Roth:

Welch eine lächerliche Furcht der Nationen, und sogar der europäisch gesinnten unter den Nationen, diese und jene „Eigenart“ könnte verloren gehn und aus der farbigen Menschheit ein grauer Brei werden! Aber Menschen sind keine Farben und die Welt ist keine Palette! Je mehr Mischung, desto mehr Eigenart! … Das ist die höchste Stufe der „Humanität“.

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Der erste Teil dieses Reiseberichtes ist in diesem Journal bereits unter dem Titel Erwachen im Süden erschienen.

Literaturhinweis:

Joseph Roth: Ich zeichne das Gesicht der Zeit. Essays, Reportagen, Feuilletons. Herausgegeben und kommentiert von Helmuth Nürnberger. Zürich: Diogenes, 2013, Zitat S. 124

Zitat des Monats März

Die AfD wird jetzt systematisch von Freimaurern, Jesuiten und Geheimdiensten unterwandert.

aus einer E-Mail eines besorgten Bürgers

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Eine sehr freundliche Würdigung meines Briefwechsels mit besorgten Bürgern in diesem Blog hat Tomas Gärtner in den Dresdner Neuesten Nachrichten veröffentlicht.

Sizilianischer Frühling (1): Erwachen im Süden

Es ist eine sehr gute Idee, aus dem deutschen Winter nach Sizilien zu fliehen. Auf dieser göttlichen Insel erinnern im Februar an den Winter nur die Bommelmützen, die einige Sizilianer tragen, weil es nur zwanzig Grad warm ist. Als deutscher Gast möchte man sich bei strahlendem Sonnenschein hingegen die Kleider vom Leibe reißen. Die Einheimischen beugen solcher Entblößung aber vor. Sie haben in ihren Städten Schilder aufgestellt, auf denen auch in deutscher Sprache das Verbot bekannt gemacht wird, in der Öffentlichkeit mit nacktem Oberkörper herumzulaufen. Man liest es und hat sogleich die glänzenden Bierbäuche seiner Landsleute vor Augen, die Generationen von Sizilianern erschreckt haben müssen. Doch dann blickt man hinauf zum beinahe unwirklich blauen Himmel und vergisst immerhin für einen Augenblick, was das eigentlich ist, dieses Deutschland.

Natürlich kommt man nach Sizilien nicht nur mit Socken im Gepäck, sondern auch mit Vorurteilen und Ängsten. Wie gut ist es, wenn man da schon im Bus vom Flughafen vertraute Worte hört. „Sind Sie deutsch?“, fragt eine alte Dame und erzählt, sie habe 47 Jahre in Hannover gelebt. Ihre Söhne seien nun über ganz Deutschland verstreut, sie selbst wieder in der Heimat. Freundlicherweise erklärt sie dem Busfahrer noch, wo wir aussteigen wollen. Als wir uns verabschieden, gibt sie uns noch einen Rat mit auf den Weg: „Passen Sie auf Ihre Sachen auf – alles Mafia hier!“ Mit Misstrauen im Kopf sieht nun die Stadt plötzlich aus wie eine Räuberhöhle: Der junge Mann, der von einer Leiter aus einen Stromzähler an einer Hauswand abzulesen vorgibt, bereitet er nicht in Wahrheit seinen nächsten Einbruch vor? Ist der Mann, der regungslos am Steuer seines Wagens am Straßenrand sitzt, vielleicht der Auftraggeber des Verbrechens? Der Alte, der vor dem Geschäft, das lebende Hühner verkauft, seelenruhig das Treiben auf der Straße beobachtet – ist er vielleicht der Pate dieses Viertels? Nur mühsam wird man solche bösen Ahnungen wieder los. Es ist aber auch verteufelt, dass diese Italiener alle haargenau so aussehen wie die Kerle in den Mafia-Filmen! Überhaupt: Alle Südländer haben einen so verdächtig guten Teint. Wie sollte man da nicht Verdacht schöpfen?

Für einen Deutschen, der es gewohnt ist, vom Gesang der Lerchen und dem Klang von Waldhörnern geweckt zu werden, ist das Erwachen in Sizilien merkwürdig. Geweckt wird man hier nämlich von den Geräuschen der Straße. Es ist eine urbanere Form der Romantik. Sizilianische Straßen klingen anders als deutsche Straßen. Die Autos fahren hier nicht einfach, sie rasen entweder laut los oder bremsen kreischend ab. Die Passanten lachen und brüllen und fluchen, die Hunde bellen. Auch die Autofahrer unterhalten sich miteinander. Die Hupe dient ihnen als Mittel der Verständigung. Durch Variation von Lautstärke und Takt sind höchst vielfältige Äußerungen möglich. Ein einfaches, kurzes Hupen bedeutet nicht mehr als „Hoppla, hier komm ich!“, „Vorsicht!“ oder auch nur „Guten Morgen!“. Langes, ausdauerndes Hupen signalisiert Ungeduld. Mehrfaches, kurzes Hupen ist dagegen Ausdruck von Ärger über das Verhalten anderer Verkehrsteilnehmer, es kann sich bis zum Wutausbruch eines rhythmischen Dauerhupens steigern. Einige Virtuosen ihrer Kunst bringen es fertig, Erkennungsmelodien aus italienischen Opern zu hupen. Der Deutsche, der zu solcher Sinfonie der Großstadt morgens um sechs erwacht, freut sich darüber am ersten Tag noch sehr, am zweiten aber schon weniger. So günstig sonst auch Sizilien ist, Stille ist teuer. Ein Schächtelchen mit Ohrstöpseln kostet beim Apotheker fünf Euro und zwanzig Cent.

Der Fischmarkt von Catania ist ein Ort, der gewöhnliche Mitteleuropäer überwältigen muss. Auf einem kleinen, niedrig gelegenen Platz und in den angrenzenden Gassen ist Bude neben Bude aufgebaut. In den Auslagen sieht man violetten Blumenkohl, merkwürdig geformte Tomaten und Zitronen, Orangen und Fenchel. Der Metzger hat auch Lämmerhälften und Schweinefüße im Angebot. Was aber präsentieren erst die Fischverkäufer! Auf Eis gebettet liegen da Dutzende von unterschiedlichsten Arten nebeneinander, manch ein Tierchen rührt sich noch. Der prachtvolle Schwertfisch reckt den Kopf mit seinem Schwert gen Himmel in einer letzten Geste des Stolzes, während die Hälfte seines Körpers schon in Scheiben zerlegt danebenliegt. Nach Fischweibern sucht man auf dem Markt vergebens, denn Verkaufen ist hier Männersache. Wie überhaupt in Sizilien, wo es ohnehin wenig Arbeit gibt, die Männer auch jene Berufe ausüben, die in Mitteleuropa in der Hand der Frauen sind. Die Verkäufer sind nicht nur Männer, sie sind auch richtige Männer. Während man so einem Prachtkerl noch das Geld für einen Tintenfisch in die Hand drückt, versucht dieser schon, eine vorüberlaufende Schönheit anzulocken. „Junge Frau, ich hätte hier noch einen wunderschönen Aal für Sie!“, ruft der Verkäufer, soweit ich das ohne Kenntnisse der italienischen Sprache beurteilen kann. Das Herz der einen, die vorüberging, wird nicht erweicht, dafür taut laufend das Eis der Fischstände, tropft auf das Pflaster als Wasser, das sich in kleinen Bächen seinen Weg in die Kanalisation sucht. Es ist, als ob die Fische das Meer mitgebracht hätten, das sich nur widerwillig von ihnen trennen mag. Mittags wird jeden Tag der ganze Markt wieder abgebaut. Die Stadtreinigung spült mit Lauge aus einem Schlauch den Platz sauber, bis zum Abend riecht es hier nach Fisch und Chlor.

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Ebenfalls auf Sizilien entstanden ist ein Text über den Beruf des Eckenstehers, der man in der Wahrheit der taz nachlesen kann.

Der zweite Teil dieses Reiseberichtes folgt in Kürze im Journal auf dieser Seite.

Aus meiner Fanpost (19): Boris Preckwitz ist beleidigt

Sehr geehrter Herr Bittner,
Sie werden hiermit aufgefordert, Ihren Beitrag „Boris Preckwitz, ein Barde des neuen Faschismus“ unverzüglich von Ihrem Blog und allen weiteren Internetseiten zu entfernen. Der Titel und sämtliche Formulierung, die mir faschistische Absichten unterstellen, sind strafbar nach § 185 Strafgesetzbuch. Die Fristsetzung zum Löschen der Inhalte beträgt 24 Stunden. Anderenfalls wird der Vorgang polizeilich zur Anzeige gebracht. Mit freundlichen Grüßen, Boris Preckwitz

Sehr geehrter Herr Preckwitz,

dass Sie nicht in der Lage sind, auf meine milde Kritik mit Worten zu reagieren, sondern nur mit Drohungen, beweist immerhin Ihr schriftstellerisches Unvermögen. Dass Sie jämmerlicher Feigling jetzt den Staat zu Hilfe rufen, den Sie tapferer Rebell doch eigentlich stürzen wollen, entbehrt nicht der Komik. Meine Antwort auf Ihre Aufforderung lautet jedenfalls: Nö. Ich bin gespannt, wie der Richter Ihre Aufrufe zur Gewalt einschätzen wird.

Mit freundlichen Grüßen, Michael Bittner.

Termine der Woche

Am Dienstag (15. März) lese ich beim Saalslam im zauberhaft überfremdeten Berlin-Neukölln. Los geht der Spaß um 20:30 Uhr im Heimathafen.

Am Mittwoch (16. März) reise ich mal wieder in meine alte Heimat Dresden. In der Motorenhalle des riesa efau bin ich im Rahmen der aktuellen Ausstellung „Gestatten, Kästner“ mit einer Lesung zu Gast. Unter dem Titel „Briefe aus Dresden – besorgte Bürger sprechen“ lese ich erheiternde, erschütternde, aber auch ermutigende Auszüge aus dem Briefwechsel, den ich seit 2014 mit den Anhängern von PEGIDA führe. Die besorgten Bürger intoniert mein Freund und Kollege Max Rademann. Natürlich gibt es auch für die Zuhörer Gelegenheit, sich ins Gespräch einzubringen und ihre Sorgen zu äußern. Los geht es um 20 Uhr.

Am Sonnabend (19. März) bin ich einer der Autoren beim Kantinenlesen, dem traditionsreichen Gipfeltreffen der Berliner Lesebühnen. Mit dabei sind neben Moderator Dan Richter auch Clint Lukas, Jacinta Nandi und Sven van Thom. Los geht es um 20 Uhr in der Alten Kantine der Kulturbrauerei.

Boris Preckwitz, ein Barde des neuen Faschismus

Was ein rechter Faschismus werden will, das braucht auch Sänger. Gesucht werden Barden, die mit donnerndem Groll den linken Volksfeind verwünschen und mit schepperndem Pathos die Nation preisen. Aber woher bekommt man solche Sänger? Echte Dichter, die Sympathie für den historischen Faschismus empfanden, wie etwa Gottfried Benn, bemerkten meist schnell, dass sie sich verrannt hatten, und kehrten rechtzeitig um. Als Barden des Faschismus blieben danach nur noch all jene mittelmäßigen Kleckser übrig, die den Kuss, den ihnen die Muse aus Ekel hartnäckig verweigerte, stattdessen selbst dem Führer gehorsam auf den Stiefel drückten. Die neuen Faschisten haben nun zwar noch keinen Dichter gefunden, aber immerhin einen, der des Schreibens halbwegs mächtig ist: Boris Preckwitz.

Die Lebenstragik von Boris Preckwitz besteht darin, dass er sich für einen Dichter hält, aber keiner ist. An Intelligenz mangelt es ihm durchaus nicht. Seine frühen Essays wie etwa im Band Spoken Word & Poetry Slam. Kleine Schriften zur Interaktionsästhetik zeigen einen belesenen und theoretisch versierten Autor. In jenen Jahren hatte Preckwitz sein Schicksal mit dem Poetry Slam verknüpft und versuchte, dieser Literaturbewegung eine Poetik zu liefern, um sie zur „Anti-Avantgarde“ zu entwickeln. Bloß kümmerte sich der Poetry Slam herzlich wenig um die Vorschriften von Boris Preckwitz und wuchs stattdessen zu einem Teil der Popkultur heran, der inzwischen vor allem als Talentschmiede des Kabaretts dient. Boris Preckwitz war sauer über diese Missachtung und wandelte sich ganz im Stil der Elche zum schärfsten Kritiker des Poetry Slams. Mit einigen Vorwürfen traf er auch ins Schwarze. Doch Schwächen im Konzept des Poetry Slams lassen sich so einfach entdecken wie Pickel im Gesicht eines Teenagers.

Preckwitz verband mit seiner Kritik recht eigennützige Absichten. Er stieß sich von der Subkultur ab, um bei der Hochkultur zu landen. Er hatte längst begonnen, auch selbst Gedichte zu schreiben, wovon sich aber schlecht leben ließ, weil diese Gedichte niemand kaufen wollte. Für Poeten, die sich in der Literaturszene tummeln, stehen in solcher Lage aber immerhin Preise und Stipendien bereit. Doch gibt es sehr viele Autorinnen und Autoren, die sich so durchs Leben schlagen. Preckwitz suchte nach einer Marktlücke und inszenierte sich als politischer Dichter mit rebellischem Gestus. Ein Alleinstellungsmerkmal hatte er damit zweifellos gefunden: Es mag viele Subventionslyriker geben, aber einer, der in seinen Gedichten die Hand beißt, die ihn in Wirklichkeit füttert – das war neu. Preckwitz beließ es aber dabei nicht.

Ob es Kalkulation oder eine Vollmeise war, die Boris Preckwitz dazu brachte, sich auch noch zum rechten Rand zu bewegen, lässt sich aus der Ferne schwer beurteilen. In seine Kritik am Poetry Slam schmuggelte er kulturkonservatives Geraune über die „Geistigkeit und Überzeitlichkeit der deutschen Kultur“ und in seine Gedichte Carl-Schmitt-Zitate – ganz zur Zufriedenheit der neuen Rechten. Die Belohnung ließ nicht auf sich warten: Er wurde in die Alternative für Deutschland aufgenommen und zum Stadtschreiber von Dresden ernannt. Wahrlich zwei literarische Ritterschläge ersten Ranges! Der unmittelbare Kontakt mit PEGIDA ließ sodann bei ihm offenbar auch noch die letzten Sicherungen durchbrennen.

Überzeugen kann man sich davon auf Preckwitz‘ literarischem Blog, der – wie es sich für einen Rechtsaußen gehört – Militanz der Mitte heißt. Die veröffentlichten Gedichte sind so schlecht, dass man nicht weiß, ob man weinen oder lachen soll. Die Technik, mit der Boris Preckwitz Lyrik simuliert, ist geradezu peinlich schlicht: Man nehme eine möglichst platte politische Phrase, zerhacke den Satz dann, schreibe die Teile untereinander und quirle die gewöhnliche Wortstellung noch ein bisschen durcheinander. Heinrich Heine erfand für diese Art der Makulatur den schönen Begriff „gereimte Zeitungsartikel“ – allerdings bekommt Preckwitz selbst Reime nur selten hin. Als Beispiel diene das Poem mit dem subtilen Titel Merkel muss weg:

Wir schaffen das,
schwafelte die Kanzlermadame. Sie
hat es geschafft, das Land zu spalten, sie
hat es geschafft, einen Erdteil zu spalten.
Sie – und jene Geister, den sie rief –
haben hier nichts mehr
und gar nichts zu schaffen.

Wir jedenfalls
wollen mit ihr
nichts zu schaffen haben.

Preckwitz‘ Blog ist ein komplett gefüllter Krämerladen für den gewöhnlichen Reichsbürger- und Klemmnazibedarf. Natürlich geht’s oft gegen die „Maulhuren“ der Sudel-Journaille und ihre Lügen, was bei einem Mann, der als PR-Fatzke sein Geld auch schon mal selbst als professioneller Lügner verdiente, doch etwas überrascht. Die Kommunistenfresser und Judenhasser zugleich bedient er mit einem Poem, das die Ermordung der illegal eingewanderten „Galizierin“ Rosa Luxemburg durch „Kolbenhieb an den Kopf“ aufs Schönste begründet. „Huschen Schwule durch die Schule“, beginnt ein Gedicht über grüne Kinderschänder, das mit einer zauberhaften Wortschöpfung endet: „Mal wieder wollen sie die Welt verändern, / jetzt gehen sie vergewaltigendern.“ Gegen die Multikultitrottel wird mit den Waffen der konkreten Poesie im Dauerfeuer geschossen: „frauenhandel aus der vielfalt / drogenhandel aus der vielfalt / falschaussage aus der vielfalt / ladendiebstahl aus der vielfalt / vergewaltigung aus der vielfalt / …“ – und noch sehr, sehr lange immer so weiter. Und den Rassisten erklärt Boris Preckwitz, wer allein schuld an Afrikas Schande hat – natürlich der Neger:

[…] Schwarze sind es,
die immer noch Schwarze
verjagen, vergewaltigen, zerhacken,
Wo immer sie darben
auf Wegen und Wellen,
wo immer sie sterben
in Wäldern und Wüsten,

das Elend Afrikas
ist die Schande des schwarzen Mannes.

Lohnt es sich, hier oder andernorts Preckwitz‘ Gedichten ein vernünftiges Wort zu entgegnen? Hier zum Beispiel, daran zu erinnern, dass es Soldaten des belgischen Königs waren, die Afrikaner zum Spaß zerhackten, und deutsche Krieger, die in Namibia Frauen und Kinder verdursten ließen? Dass noch heute die Konflike in Afrika auch von Interessen des Westens bestimmt werden? Nein, es lohnt sich nicht, vernünftig über Boris Preckwitz‘ Blog zu reden – so wenig, wie es sich lohnt, auf einer Müllhalde zu pflügen und zu säen. Man muss diesen Autor zu jenen intelligenten Leuten zählen, die in der letzten Zeit ihren Verstand und ihren Geschmack völlig verloren haben. Wir müssen ihn wohl abschreiben.

Boris Preckwitz selbst hält sich allerdings für historisch. Im programmatischen Gedicht Militanz der Mitte heißt es mit gebührender Bescheidenheit:

Ich bin die Sprache,
die man in diesem Land
verlernt hat zu sprechen,
und gebe mich als Stimme seiner Freiheit
zu verstehen.

[…]

In den Tagen des Haders
habe ich verachten gelernt,
die Anmaßungen der Landeshasser –
und habe das Linkspack gelernt zu verlachen,
das sich hat pressen lassen
in Argseligkeit und Selbstablehnung,
und kennen nichts anderes mehr als die Sprache der Niedertracht.

Mit denen treibe ich Spass und die gebe ich meinem Spott preis,
deren ganze Verfassung die Angst ist.

[…]

Und das ist der eine Satz,
der das Urteil über sie fällt:

Man regiert einen Staat nicht
als ob einem fremd sei das eigene Land.

Einer, der die deutsche Sprache beherrschte, statt sie verkörpern zu wollen, hätte im letzten Vers seines wichtigsten Gedichtes vielleicht den korrekten Konjunktiv verwendet, der da „wäre“ gewesen wäre. Ich fürchte, dem Spott setzt sich ein Deutscher nur selbst aus, der gerne Undeutsche verspotten will, aber zugleich nicht weiß, wie man „Spaß“ richtig schreibt.

Leider wird Preckwitz nicht einmal bei seinen neurechten Kameraden als Dichter Karriere machen, denn diese schätzen modern geformte Lyrik noch weniger als Lyrik überhaupt. Für die Patridioten müsste er schon röhrende Hirsche vorm Eichenwald dichten – und vielleicht macht er das auch bald. Ins Buch der deutschen Literaturgeschichte wird dieser Autor jedenfalls nur als hässlicher Tintenfleck am rechten Rand einer bräunlich verfärbten Seite eingehen.

Vielleicht will aber Boris Preckwitz gar nicht als Dichter in die Geschichte eingehen, sondern als Terrorist. Enthalten doch seine Gedichte mehr als nur einen Aufruf zur Gewalt: „gewalt, die uns frei macht, ist widerstandsrecht.“ – „Aber schließlich – wenn es darum geht, die Seinen und das Eigene zu schützen, muss man den Krieg führen.“ Für Boris Preckwitz gehören Dichtung und Gewalt wohl zusammen: „So lange Schwert und Stahl bestehen / soll auch das Land / meine Worte sagen und singen.“ Man darf gespannt sein, was aus dieser militanten Mittelmäßigkeit noch wird.

Aus meiner Fanpost (18): Lügenpresse entlarvt

Sehr geehrter Herr S***,

die Redaktion informierte mich, dass Sie geschrieben haben, weil Sie in meiner letzten Kolumne folgenden Satz nicht verstanden hätten: „Aber glücklicherweise zahlen ja die CIA, Angela Merkel und die Weisen von Zion hohe Bestechungsgelder an alle Schreiberlinge, die ihren Anweisungen gehorchen. Ein fairer Deal, wie ich finde!“

Ich dachte eigentlich, der Satz wäre völlig verständlich. Ich erhalte regelmäßig riesige, oft sogar zweistellige Summen von Vertretern der Weltverschwörung. Manchmal wird der Judaslohn aber auch in Form von Briefmarken oder frischem Gemüse ausgezahlt. Im Gegenzug muss ich nur laufend die Unwahrheit schreiben. Das ist manchmal schwierig, aber wozu arbeitet man schließlich für die Lügenpresse? Ich hoffe, Sie wissen nun Bescheid.

Mit freundlichen Grüßen, Michael Bittner

 

Sehr geehrter Herr Bittner,
ist das jetzt Ironie oder echt ? Ich hätte nicht gedacht, daß Sie als als Schreiber für die SZ den Mut aufbringen, von Lügenpresse zu sprechen. Alle Achtung !

Freundliche Grüße
*** S***

Termine der Woche

Am Montag (6. März) findet die zweite Ausgabe der neuen Berliner Lesebühne Zentralkomitee Deluxe statt. Ich lese neue Texte gemeinsam mit den tollen Kollegen Tilman Birr, Noah Klaus, Christian Ritter, Piet Weber und dem Gastautor Karsten Lampe. Los geht es um 20 Uhr im Monarch. Die Türen öffnen sich um 19:30 Uhr, der Eintritt kostet arbeiterfreundliche 5 Euro.

Ausnahmsweise an einem Mittwoch (9. März) kehrt die Dresdner Lesebühne Sax Royal in die scheune zurück. Die komplette Stammbesatzung ist mit an Bord: Mit mir lesen und singen der Dresdner Poet Stefan Seyfarth, Max Rademann, der Sohn des Erzgebirges und beste Kenner der Dresdner Neustadt, der Erzähler und Lyriker Roman Israel sowie der Leipziger Autor und Liedermacher Julius Fischer. Los geht es um 20 Uhr. Einlass ab 19:30 Uhr, Karten gibt es im Vorverkauf oder an der Abendkasse.

Am Freitag (11. März) gibt es eine neue Ausgabe der Görlitzer Lesebühne Grubenhund im Kino Camillo. Mit dabei sind neben mir mit neuen Geschichten wieder Udo Tiffert und Max Rademann. Los geht es wie immer pünktlich um 19:30 Uhr.

Am Sonnabend (12. März) bestreitet die Lesebühne Grubenhund dann noch ein Gastspiel in Glashütte. Udo Tiffert, Max Rademann und ich lesen eine Auswahl unserer schönsten Geschichten in der örtlichen Bibliothek. Los geht es um 18 Uhr.

Termine der Woche

Am Montag (1. Februar) feiert eine neue Berliner Lesebühne ihre Premiere, in der auch ich Flüchtling aus Sachsen nun eine literarische Heimat in der Hauptstadt gefunden habe. Sie heißt Zentralkomitee Deluxe und findet ab sofort immer am 1. Montag des Monats im Monarch am Kottbusser Tor statt. Mit dabei sind die tollen Kollegen Tilman Birr, Noah Klaus, Christian Ritter und Piet Weber sowie bei der Premiere als besondere Gastautorin Zoe Hagen. Die Zuschauer dürfen monatlich neue Texte, Musik und fortschrittliche Komik erwarten. Das Zentralkomitee Deluxe widmet sich den kleinen Freuden und Tücken des Zusammenlebens ebenso wie den großen Fragen des Daseins. Wir werfen einen kritischen Blick auf die politische Gegenwart und sind der Zukunft zugewandt. Die Türen öffnen sich um 19:30, der Eintritt kostet arbeiterfreundliche 5 Euro.

Am Donnerstag (4. Februar) moderiere ich wie immer am ersten Donnerstag des Monats den Dresdner livelyriX Poetry Slam in der scheune – diesmal ausnahmsweise zusammen mit Max Rademann. Der Dichterwettstreit beginnt um 20 Uhr, Einlass ab 19 Uhr. Es empfiehlt sich, Karten im Vorverkauf zu besorgen.