In ganz Europa triumphiert die radikale Rechte. Die Gründe für diese Entwicklung sind leicht zu erkennen: Die Europäische Union in ihrer gegenwärtigen Verfassung scheint nicht in der Lage, die Probleme der Globalisierung, zu denen auch die Massenmigration gehört, zu bewältigen. Die Linke ist wiederum nicht in der Lage, ein überzeugendes Gegenmodell für eine demokratische und soziale europäische Einigung zu entwerfen. Also fliehen verängstigte Bürger allerorten zurück hinter die Burgmauern des Nationalismus und verriegeln die Tore. Besonders in politisch zurückgebliebenen ehemaligen Ostblockstaaten wie Ungarn, Polen und Sachsen regiert die Weltanschauung eines dümmstmöglichen Nationalismus jetzt nahezu unangefochten.
In meinem vorigen Beitrag PEGIDA und NSDAP – ein Vergleich hatte ich den Versuch unternommen, die neueste faschistische Bewegung zu charakterisieren. Unbeantwortet blieb die Frage, welche Erfolgschancen dieser Neofaschismus habe. Im Folgenden soll eine vorläufige Antwort skizziert werden. Eines lässt sich vorweg schon sagen: Wer meint, PEGIDA sei harmlos, da die Bewegung sich ja auf Sachsen beschränke, der hat offenbar vergessen, dass die NSDAP in ihren Anfangsjahren nichts war als ein vielfach belächeltes Münchner Lokalphänomen. Im Schulterschluss zwischen PEGIDA und Alternative für Deutschland deutet sich eine bundesweite faschistische Einheitsfront auch bereits an, Verbindungen zu neurechten Bewegungen in anderen europäischen Staaten sind ebenfalls längst geknüpft.
Ich gehe im Folgenden von dem Faschismus-Begriff aus, den der konservative Historiker Ernst Nolte in seinem Standardwerk Der Faschismus in seiner Epoche niedergelegt hat: „Revolutionäre Reaktion zu sein ist der Grundcharakter des Faschismus.“ Die historischen faschistischen Bewegungen schafften die liberale, pluralistische, bürgerliche Demokratie auf revolutionärem Wege ab und ersetzten sie durch eine diktatorische Einparteienherrschaft. Dies gelang ihnen aber nur „mit Hilfe der Konservativen“ und „unter einem gewissen Wohlwollen des Staates und der Polizei“. Sympathie und Unterstützung sicherten sich die Faschisten im Bürgertum und beim Staat aber, indem sie sich als Rettung der Nation vor der „kommunistischen Gefahr“ inszenierten. Für ihren Erfolg waren außerdem bestimmte äußere Umstände notwendig: Sie siegten in Staaten, die durch einen Weltkrieg und schwere ökonomische und politische Krisen destabilisiert waren.
Überprüfen wir nun, inwieweit PEGIDA und die Alternative für Deutschland dieser Beschreibung des Faschismus entsprechen. Eine „Revolution“ fordern viele Anhänger der neuen Bewegung, die sich in der Tradition der Revolution von 1989 sieht, ganz offen. Auch der Dresdner Politologe Prof. Werner Patzelt konstatiert, dass viele PEGIDA-Anhänger inzwischen nicht mehr nur eine andere Politik, sondern „einen anderen Staat wollen“. Die neue Bewegung beansprucht zugleich für sich, wahre und einzige Vertretung des ganzen Volkes zu sein, Andersdenkende werden als „Volksverräter“, die anderen politischen Parteien sämtlich als „Blockparteien“ (Frauke Petry) denunziert. Ist die ideologische Grundlage von PEGIDA darüber hinaus ein „faschistischer Nationalismus, der immer antihumanitär und narzißtisch ist“ (Nolte)? Das mag jeder selbst beurteilen.
Der wichtigste Unterschied zwischen altem und neuem Faschismus zeigt sich in der Wahl der Feindbilder. Der alte Faschismus richtete sich gegen den Liberalismus und den Marxismus, hinter beiden witterte er als Drahtzieher den Juden, der zum ultimativen „Haßbild“ (Nolte) avancierte. Obwohl auch bei PEGIDA gerne gegen „Linksversiffte“ gehetzt wird, spielt doch der Kommunismus kaum mehr eine Rolle. Zu schwach ist die Linke inzwischen, um noch als zugkräftiges Feindbild zu taugen. Offenkundig ist „der Islam“ in die Rolle der mobilisierenden Bedrohung gerückt. Angesichts der realen Gefahr, die vom militanten Islamismus ausgeht, verwundert der Erfolg des neuen Feindbildes nicht. PEGIDA kann mit seiner Warnung vor islamischen „Invasoren“ religionskritische Bürger, christliche Fundamentalisten und rassistische Feinde von „Südländern“ gleichermaßen ansprechen.
Ist auch die Praxis von PEGIDA revolutionär, also auf den illegalen, gewaltsamen Umsturz ausgerichtet? Der „Kriegszustand“ ist „die Norm des Faschismus“, schreibt Ernst Nolte. Die Faschisten provozieren üblicherweise einen Bürgerkrieg, in dem sie sich dann als Retter des Vaterlandes inszenieren können. Ganz in diesem Sinne eskaliert zur Zeit die rechtsextreme Gewalt in Deutschland. „Wir befinden uns bereits im Krieg“, rief Tatjana Festerling vor Kurzem auf einer PEGIDA-Kundgebung. Zugleich forderte sie – wie zuvor schon Jürgen Elsässer – die deutschen Soldaten und Polizisten auf, zu meutern und sich der neuen Bewegung anzuschließen. Damit wäre das faschistische Erfolgsszenario komplett: Eine „entschlossene und gut organisierte Minorität“ (Nolte) gelangt mit Hilfe von Heer und Polizei an die Macht. Das alles sind doch nur infantile Träume von geistig Verwirrten? Gewiss. Aber es wäre auch naiv zu verkennen, dass sich in den Reihen der Staatsdiener durchaus Sympathisanten von PEGIDA befinden. Lutz Bachmann protzt mit Freunden bei der Dresdner Polizei, die ihm interne Informationen weitergeben. In Hannover foltert ein Bundespolizist Flüchtlinge, ohne von Kollegen angezeigt zu werden. In Brandenburg hintertreibt ein Polizist mit rechtsextremer Weltanschauung jahrelang Ermittlungen. Auch an konservativen Politikern, die mit PEGIDA sympathisieren, mangelt es – wenigstens im schönen Sachsen – durchaus nicht. Die CDU-Landtagsabgeordnete Daniela Kuge fordert von ihren Bürgern, „auf ordentliche Art und Weise“ gegen eine neue Flüchtlingsunterkunft zu protestieren – woraufhin nachts besoffene Nazis randalieren und Mitarbeiter des Technischen Hilfswerks angreifen. Der Sieg des Faschismus kündigt sich üblicherweise dadurch an, dass „Gesetzesverächter als Hilfspolizei“ (Nolte) eingesetzt werden. In Meißen grüßen Polizisten und Aktivisten der rechtsradikalen Bürgerwehr „Initiative Heimatschutz“ einander mit Handschlag.
Ich will nun aber nicht noch mehr Schwarz aus dem Farbtopf holen. Die Flüchtlingskrise ist ein ernstes Problem, aber längst nicht so existenziell wie ein Krieg oder eine Weltwirtschaftskrise. Die europäischen Demokratien, wenigstens jene des Westens, verfügen über eine republikanische und inzwischen auch multikulturelle Tradition, die sich nicht so einfach umwerfen lässt. Auch Ernst Nolte soll uns abschließend Zuversicht spenden: „Faschistische Bewegungen sind leicht zu besiegen, wenn der Staat es ernstlich will.“ Wenn – anders als in der Weimarer Republik – alle Demokraten sich gemeinsam den faschistischen Versuchen kompromisslos entgegenstellen, dann bleibt PEGIDA das, was es im Moment ist: ein schlechter Witz.
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Ernst Nolte: Der Faschismus in seiner Epoche. Action française. Italienischer Faschismus. Nationalsozialismus. Mit einem Vorwort zur Taschenbuchausgabe. Zürich/München: Piper, 8. Aufl. 1990 [zuerst 1963]
Man verzeihe mir den kleinen Spaß, in der Auseinandersetzung mit PEGIDA einen Autor heranzuziehen, der am Ende seines Lebensweges beim Verlag des PEGIDA-Strategen Götz Kubitschek gelandet ist.