Wie schreibe ich einen Hassbrief? Eine Anleitung

Sie wollen einen Autor wissen lassen, dass Sie ihn und seine Auffassungen hassen und verachten? Sie planen, dem Autor zu diesem Zweck einen Brief zu schicken oder eine Botschaft auf seiner Seite im Internet zu hinterlassen? Sie möchten aber keinesfalls in ein konstruktives Gespräch mit dem Feind eintreten, sondern ihm einfach nur Ihre Meinung geigen? Es ihm mal so richtig zeigen, ihm vielleicht sogar etwas Angst einjagen – natürlich ohne Konsequenzen für Sie selbst? Hier die passenden Tipps für den gekonnten Hassbrief:

1. Schreiben Sie anonym! Wer sich persönlich vorstellt, erweckt gleich zu Beginn einen falschen Anschein von Mitmenschlichkeit. Es fällt ohne Maske auch viel schwerer, zünftig verbal gegen den Feind zu keilen. Noch dazu könnte man Sie für Beleidigungen zur Rechenschaft ziehen – das wäre unangenehm. Verzichten Sie also darauf, Ihren Brief zu unterzeichnen. Legen Sie sich im Netz gegebenenfalls eine falsche Identität zu, Pseudonyme wie Ein normaler Bürger, Volkszorn 88 oder auch Dein Alptraum bieten sich an. Sie lehren den Gegner vielleicht sogar ein bisschen das Gruseln!

2. Verzichten Sie auf jede Form von Höflichkeit! Die üblichen Floskeln des Anstands gaukeln dem feindlichen Autor nur vor, Sie wollten ihm mit Respekt begegnen. Die Benimmregeln, die Ihnen vielleicht von Ihren Eltern beigebracht wurden, müssen Sie vergessen. Im Hassbrief wird natürlich immer geduzt, das „Sie“ allenfalls ironisch verwendet, um die Verachtung noch sichtbarer zu machen. Eröffnen Sie Ihren Brief also keinesfalls mit „Sehr geehrte/r Frau/Herr XYZ“, sondern knackig mit einem: „Hallo, Sie Arschloch!“ Oder gehen Sie gleich in die Vollen: „Du bist ja wohl bescheuert, oder was?!“ Es versteht sich von selbst, dass auch beim Abschied keine „freundlichen Grüße“ gefragt sind.

3. Gestehen Sie Ihrem Gegner keine Individualität zu! Das ist zugegebenermaßen eine schwer zu befolgende Regel. Aber auch wenn Sie einen ganz bestimmten Autor aus einem ganz bestimmten Grund hassen, sollten Sie immer versuchen, ihn als bedeutungslosen Teil einer verachtenswerten Gruppe anzusprechen. Die Formel „Leute wie Sie“ tut hier Wunder. Ihr Gegner muss als kleines Rädchen im Getriebe des Schweinesystems, als beliebiger Parteigänger, als ahnungsloser Teil einer großen Verschwörung erscheinen. Gehen Sie ruhig immer davon aus, dass Ihr Gegner nicht aus eigenem Antrieb handelt, sondern als „bezahlter Schreiberling“ feindlicher Mächte, die ihn kontrollieren.

4. Vermeiden Sie sachliche Argumente! Der Einsatz von Fakten, Quellen und Schlüssen ist außerordentlich gefährlich, denn leicht könnten Sie widerlegt werden. Oft überschätzt man hier seine eigene Stärke. Besser ist es, den Feind ausschließlich persönlich zu attackieren. Hier einige der vielfältigen Möglichkeiten: Hat er sich über einen Prominenten lustig gemacht? Die Antwort ist klar: „Du bist ja bloß neidisch!“ Schreibt er ein lesbares Deutsch, benutzt korrekte Zitate oder verweist auf glaubwürdige Quellen? Dann ist er reif für: „Du willst wohl was Besseres sein, du intellektueller Klugscheißer in deinem Elfenbeinturm! Geh erst mal arbeiten!“ Hat der feindliche Autor vielleicht durch irgendeinen dummen Zufall viele Leser gefunden? Holen Sie ihn von der Wolke wieder herunter: „Dich liest sowieso kein Schwein! Versteht doch keiner, dein Gelaber!“ Eine sehr einfache und doch effektive Form des Streitens ohne Argumente kennen wir zudem schon aus dem Kindergarten. Hat der Feind eine Ihnen liebe Person, Partei oder Weltanschauung angegriffen? Dann plärren Sie ihm einfach ein „Sälba!!!“ ins Gesicht. Schrieb er zum Beispiel etwas gegen Intoleranz, dann werfen Sie ihm einfach vor, er sei ja selber intolerant – gegen die Intoleranz!

5. Machen Sie eine Antwort Ihres Gegners unmöglich! Eine kontroverse, sogar eine polemische Diskussion kann trotz aller Widersprüche Spannungen abbauen, Missverständnisse auflösen und die Einsicht auf beiden Seiten vergrößern. Das gilt es zu verhindern! Ihr Hassbrief darf keinesfalls wie eine Einladung zum Gespräch wirken. Machen Sie zunächst Ihr Schreiben durch mangelhafte Rechtschreibung, wüste Grammatik und schlechten Stil nahezu unlesbar. Auf diese Weise zeigen Sie Ihrem Gegner, dass Sie nicht die geringste Mühe auf Ihren Text verschwendet haben. Warum auch? Damit Ihr Gegner Sie verstehen kann? Lächerlich. Auch wenn es schwer fällt: Auf Humor müssen Sie ebenfalls ganz verzichten. Gerade wenn Sie es mit einem witzigen Gegner zu tun haben, ist bitterster Ernst angebracht. Sie wollen sich doch nicht auf das Niveau Ihres Feindes herablassen, oder? Weiterhin ist es wichtig, nicht auf die Argumente der Gegenseite einzugehen. Schütten Sie einfach aus, was Sie schon immer einmal loswerden wollten, zu allen denkbaren Themen, am besten seitenlang, Fakten, Vermutungen und Fantasien bunt durcheinander gemischt. Wenn Ihr Feind auf einen solchen Wust blickt, dann wird ihm mit Sicherheit jede Lust vergehen, etwas zu erwidern. Sollte er sich aber doch erdreisten, Ihnen zu antworten, dann lassen Sie sich auf keinen Dialog ein. Hat er eine Ihrer Behauptungen widerlegt? Ignorieren Sie das einfach, reden Sie weiter, aber über etwas ganz Anderes. Hat er ein Ihnen unangenehmes Zitat präsentiert? Behaupten Sie einfach, es wäre „aus dem Zusammenhang gerissen“. Im allergrößten Notfall gibt es noch eine Geheimwaffe: Werfen Sie dem Feind vor, dass er ja sowieso immer lüge! Mit einem, der im Irrtum ist, kann man sich noch streiten. Mit einem Lügner ist aber jedes Gespräch sinnlos.

6. Die Krönung eines Hassbriefes ist selbstverständlich der Schluss. Hier zeigen echte Meisterhasser ihre Könnerschaft. Alle bisher genannten Maßregeln sollten noch einmal zusammen angewandt werden. Das Ende des Hassbriefes muss unpersönlich, unhöflich, unsachlich und dazu auch noch abschreckend sein. Nichts passt hier besser als eine schön bösartige Drohung. Nicht zu konkret natürlich, sonst gibt es am Ende noch Ärger mit der Polizei! Bewährt haben sich Formeln wie „Eines Tages werden wir Leute wie dich zur Verantwortung ziehen!“ Das lässt noch Spielraum für die Fantasie und ist doch deutlich genug.

7. Ein Brief ist kein Brief! Auch der beste Hassbrief gerät schnell in Vergessenheit. Soll aber der Feind zur Ruhe kommen, um sein schändliches Treiben ungehemmt fortzusetzen? Gewiss nicht. Darum bleiben Sie am Ball, auch und gerade, wenn Sie – wie erhofft – keine Antwort erhalten haben! Sie können gewiss sein: Jeder Autor ist eitel und liest alle Briefe, die ihn erreichen, auch wenn er vielleicht das Gegenteil behauptet. Sorgen Sie also mindestens wöchentlich für Nachschub! Der Feind muss Angst davor bekommen, sein Postfach zu öffnen! Besonders wirksam ist es, einmal ein Dutzend Mails im Laufe einer einzigen Nacht zu schicken, jede Nachricht wütender als die vorherige. Und zum Schluss vielleicht dann nur noch ein Satz: „Ich bin auf dem Weg!“

Zitat des Monats März

Herr Patzelt, wer so wie Sie fordert, dass immer mehr Ausländer ins Land geholt werden (ich glaube dies bei „Hart aber fair gesehen zu haben) damit quasi das Deutschtum durch Überfremdung ausgelöscht wird, gehört für mich in gar kein Fernsehstudio mehr. Sie sind mit dieser Aussage auf die ganz vorderen Plätze unter den Volksverrätern gerutscht. Und dass Sie mit ihren Einschätzungen über Pegida-Demonstranten ganz falsch liegen, weiß nun wirklich jeder, der nicht wegguckt. Herr Patzelt, gehen Sie in die Produktion. Vielleicht schaffen Sie es ja doch noch, irgendetwas sinnvolles für die Gesellschaft zu erwirken.

(Kommentar auf der Facebook-Seite von Professor Werner Patzelt​)

Es lebe der Volkstod!

Über Friedrich Nietzsche wissen leider die meisten nicht mehr als: Gott – tot, Weib – Peitsche, Bestie – blond. Doch verdiente Nietzsche es, gerade jetzt, da kleinbürgerliches Ressentiment überall Triumphe feiert, eifrig gelesen zu werden. Er war nicht nur einer der größten Stilisten der deutschen Sprache. Er war in seinen frühen Schriften auch ein radikalaufklärerischer Kritiker des deutschen Spießbürgertums. Erst später umnebelte Größenwahn seinen Geist, seine schon leicht übergeschnappte Vision vom „Übermenschen“ konnten die Nazis dennoch nur mit Hilfe von Fälschungen und Missdeutungen für ihre Ideologie nutzbar machen. In Nietzsches Buch Menschliches, Allzumenschliches finden wir die folgende, heute wieder sehr beachtenswerte Passage:

Der europäische Mensch und die Vernichtung der Nationen. — Der Handel und die Industrie, der Bücher- und Briefverkehr, die Gemeinsamkeit aller höheren Kultur, das schnelle Wechseln von Ort und Landschaft, das jetzige Nomadenleben aller Nicht-Landbesitzer, — diese Umstände bringen notwendig eine Schwächung und zuletzt eine Vernichtung der Nationen, mindestens der europäischen, mit sich: so dass aus ihnen allen, in Folge fortwährender Kreuzungen, eine Mischrasse, die des europäischen Menschen, entstehen muss. Diesem Ziele wirkt jetzt bewusst oder unbewusst die Abschließung der Nationen durch Erzeugung nationaler Feindseligkeiten entgegen, aber langsam geht der Gang jener Mischung dennoch vorwärts, trotz jener zeitweiligen Gegenströmungen: dieser künstliche Nationalismus ist übrigens so gefährlich wie der künstliche Katholicismus es gewesen ist, denn er ist in seinem Wesen ein gewaltsamer Not- und Belagerungszustand, welcher von Wenigen über Viele verhängt ist, und braucht List, Lüge und Gewalt, um sich in Ansehen zu halten. Nicht das Interesse der Vielen (der Völker), wie man wohl sagt, sondern vor Allem das Interesse bestimmter Fürstendynastien, sodann das bestimmter Klassen des Handels und der Gesellschaft, treibt zu diesem Nationalismus; hat man dies einmal erkannt, so soll man sich nur ungescheut als guten Europäer ausgeben und durch die Tat an der Verschmelzung der Nationen arbeiten: wobei die Deutschen durch ihre alte bewährte Eigenschaft, Dolmetscher und Vermittler der Völker zusein, mitzuhelfen vermögen. — Beiläufig: das ganze Problem der Juden ist nur innerhalb der nationalen Staaten vorhanden, insofern hier überall ihre Tatkräftigkeit und höhere Intelligenz, ihr in langer Leidensschule von Geschlecht zu Geschlecht angehäuftes Geist- und Willens-Kapital, in einem neid- und hasserweckenden Maße zum Übergewicht kommen muss, so dass die litterarische Unart fast in allen jetzigen Nationen überhand nimmt — und zwar je mehr diese sich wieder national gebärden —, die Juden als Sündenböcke aller möglichen öffentlichen und inneren Übelstände zur Schlachtbank zu führen. Sobald es sich nicht mehr um Konservierung von Nationen, sondern um die Erzeugung einer möglichst kräftigen europäischen Mischrasse handelt, ist der Jude als Ingredienz ebenso brauchbar und erwünscht, als irgend ein anderer nationaler Rest.

Der unpatriotische Europäer Nietzsche war vom biologistischen Denken seiner Zeit stark beeinflusst, umso erstaunlicher ist es, dass er in der Terminologie eben dieses Denkens dem damals grassierenden Nationalismus und Antisemitismus widersprach. Nietzsches Prophezeiung einer Vereinigung der Völker hätte sich vielleicht längst erfüllt, wäre die Entwicklung nicht durch die beiden Weltkriege gewaltsam unterbrochen worden. In ihnen tobte sich der Nationalismus noch einmal auf bestialischste Weise aus. Ob dies nur ein letztes Aufbäumen des Nationalismus vor seinem Untergang war, entscheiden die jetzt lebenden Generationen. Es sieht nicht danach aus.

Nietzsches Prophezeiung ist bemerkenswert. Sie spricht nicht von einer Koexistenz der Völker, einem „Europa der Vaterländer“, sondern von einer „Vernichtung“ der Nationen, aber nicht durch Gewalt, sondern durch eine Aufhebung in Vereinigung. Die Prophezeiung scheint mir nicht nur kaum veraltet, sondern noch immer visionär. Viele glauben, es sei im Kampf gegen den völkischen Nationalismus und Rassismus der beste Weg, die Begriffe „Volk“ und „Rasse“ theoretisch zu dekonstruieren. Ich glaube, es ist noch wirkungsvoller, Volk und Rasse praktisch durch eine fröhliche Völkermischung aufzulösen. Jene „liebevolle Verschmelzung der Nationen“, von der schon der Philosoph Friedrich Schlegel träumte, vollzieht sich von ganz allein, wenn die Staaten nicht mit Verboten dazwischenhauen. Sie wird in Deutschland von den Völkischen zur Zeit besonders gerne als „Volkstod“ bezeichnet. Der „Volkstod“ ist der ewige Alptraum der Rassisten – sehen wir zu, dass dieser Traum wahr wird! Machen wir alle Grenzen durchlässig, sodass die Kinderlein zu- und miteinander kommen können! Jene „durchmischte und durchrasste Gesellschaft“, die den jungen Edmund Stoiber in Angst und Schrecken versetzte, die brauchen wir!

Ein Land, in dem niemand mehr allein wegen seines Äußeren als „normal“ oder „fremd“ gelten könnte, wäre glücklicher als wir. Der Staat, der diesem Ideal am nächsten kommt, sind heute die USA. In dieser Gesellschaft, die fast ausschließlich aus Einwanderern und ihren Nachkommen besteht, gibt es zwar auch schlimmsten Rassismus, besonders gegen die Nachkommen der Sklaven. Aber seit alle Amerikaner wählen dürfen, ist offener Rassismus zumindest nicht mehr mehrheitsfähig. Und seit die Rassen nicht mehr gewaltsam getrennt werden, verschwimmen langsam auch die Grenzen zwischen ihnen. Deswegen kämpfen völkische Nationalisten mit allergrößter Wut immer gegen zwei Dinge: das Wahlrecht für alle und die Mischehe. Inzwischen kämpfen sie erfreulicherweise meist auf verlorenem Posten. Die USA sind der „Völkermischmasch“, den die Völkischen, auch jene der neuen „Querfront“, am erbittertsten hassen. Mag uns der amerikanische Kapitalismus auch suspekt sein, als praktisches Beispiel für einen Vielvölkerstaat sind die USA trotz aller ihrer Gebrechen unersetzlich.

Warum nur demonstrieren bei den Märschen in Ostdeutschland gegen die „Islamisierung des Abendlandes“ und gegen „Überfremdung“ vor allem Männer? Und warum ist das schlimmste Schreckbild dieser Männer der „allein reisende junge Südländer“? Mit Hilfe von Friedrich Nietzsche kommen wir diesem psychologischen Rätsel auf die Spur. Die stachelköpfigen Funktionsjackenträger, die da auf die Straße gehen, haben die nicht unbegründete Angst, ihre Frauen und Töchter könnten Gefallen an den exotischen Fremden finden. Das geben sie freilich nicht zu, stattdessen warnen sie, diese Ausländer seien ja alle potenzielle Vergewaltiger. Sie können sich einfach nicht vorstellen, dass eine deutsche Frau sich freiwillig dem erotischen Reiz der deutschen Biedermänner entziehen könnte! Aber so etwas soll schon mal passieren. Sind doch jetzt schon in vielen Regionen Ostdeutschlands die Männer beinahe unter sich, weil viele agile Frauen sich in die überfremdeten Großstädte oder ganz ins Ausland verabschiedet haben! Volkstum und Heimat gut und schön, aber jeden Abend an der Bushaltestelle besoffen Frei.Wild hören, das ist für die meisten jungen Frauen nicht eben sehr verlockend. Vielleicht kämpft Lutz Bachmann gegen die Überfremdung auch deswegen so entschieden, weil er als ehemaliger Ludenbüttel die schlimme Not vereinsamter Volksdeutscher besonders gut kennt.

Sollte die völkische Idiotie irgendwann einmal überwunden sein, was allerdings so schnell nicht zu erwarten ist, werden gewiss neue Formen der Menschenfeindlichkeit an ihre Stelle treten. Aber damit müssen sich dann unsere scheckigen Enkel herumärgern.

Termine der Woche

Am Montag (09. März) moderiere ich einen livelyriX Poetry Slam Spezial im Deutschen Hygiene-Museum in Dresden. Poetinnen und Poeten machen sich Gedanken über Europa und die “patriotischen Europäer”. Mit dabei sind Sulaiman Masomi, Nhi Le, Temye Tesfu, Franziska Wilhelm, Piet Weber, Tobias Kunze und Boris Flekler. Los geht es um 20 Uhr.

Am Donnerstag (12. März) gibt es eine neue Ausgabe unserer Dresdner Lesebühne Sax Royal in der scheune. Wie immer lese ich neue Geschichten gemeinsam mit den Kollegen Julius Fischer, Roman Israel, Max Rademann und Stefan Seyfarth. Los geht es um 20 Uhr.

Am Freitag (13. März) bin ich wieder gemeinsam mit Max Rademann bei der Lesebühne Grubenhund im schönen Görlitz. Für den ausnahmsweise fehlenden Udo Tiffert liest die Dresdner Autorin Sabine Dreßler mit uns. Los geht es ab 19:30 Uhr im Kino Camillo.

Am Sonntag (15. März) lese ich mit den anderen Kolumnisten der Sächsischen Zeitung als “Satirisches Quintett” in Pirna. Mit dabei sind auch Thomas Bärsch, Wolfgang Schaller, Jens-Uwe Sommerschuh und Peter Ufer. Los geht es um 18 Uhr im Tom-Pauls-Theater.

Am Montag (16. März) bestreite ich allein eine Lesung in Dresden. Zu hören gibt es aktuelle Satiren und unveröffentlichte Geschichten unter dem Titel “Schnörkel am Ornament der Masse”. Los geht es um 18:30 Uhr in der Bibliothek Strehlen im Otto-Dix-Center.

Professor Patzelt fordert: Gerechtigkeit für Professor Patzelt

Professor Werner Patzelt beklagt, die Kritiker seiner Äußerungen zu PEGIDA hätten auf seine Erwiderung nicht geantwortet, verweigerten überhaupt jeden konstruktiven Dialog. Er kanzelt seine Kritiker darum mit einem kapitalen Donnerwort als „DISKURSIV SCHWACH, INTELLEKTUELL UNFRUCHTBAR, PERSÖNLICH MUTLOS“ ab. Professor Patzelt hat meinen früheren, womöglich zu hitzigen Beitrag zum Thema nicht zur Kenntnis genommen. Dennoch möchte ich mich an einer weiteren Erwiderung versuchen. Ich bemühe mich, auf Satire zu verzichten. Aber Professor Patzelt, dem der mediale Ruhm etwas zu Kopf gestiegen zu sein scheint, macht einem das nicht leicht. Bezeichnet er sich doch inzwischen selbst als „eine Eiche, an der mancher sich reibt“. Professor Patzelt ist also eine mächtige deutsche Eiche! Und was sind dann seine Kritiker? Ja, der Redewendung nach offenbar Säue. Wie war das Geschrei groß, als die PEGIDA-Demonstranten vermeintlich als „Ratten“ bezeichnet wurden! Und nun nennt Professor Patzelt seine Kritiker Schweine! Wir wollen uns aber nicht aufregen, sondern nur nüchtern festhalten: Es gibt in Wahrheit gewiss nur sehr wenige Kritiker, die das Bedürfnis haben, sich an Professor Patzelt zu reiben.

Halten wir zunächst fest: Kein ernsthafter Kritiker kann bezweifeln, dass Professor Patzelt ein integrer Mensch, ein seriöser Wissenschaftler und ein demokratisch gesinnter Staatsbürger ist. Seine Einlassungen sind meistens sachlich und vernünftig. In angenehmer Weise unterscheidet sich hier ein traditioneller Konservatismus von der neurechten Pöbelei. Professor Patzelt hat gelegentlich sogar die Größe, Fehler einzugestehen. So hat er zugegeben, die Anti-PEGIDA-Bewegung lange zu undifferenziert betrachtet zu haben. Und doch hat auch der Stil seiner Einlassungen einige Schwächen. Zunächst ist die Selbstinzenierung als verfolgte Unschuld in einem Hexenprozess recht eitel, ja geradezu albern. Müsste ein Professor, der von einigen Kollegen und Studenten kritisiert wird, nicht etwas mehr Gelassenheit an den Tag legen? Stattdessen wirft er den Kollegen vor, sie seien ja nur neidisch auf seine neue Prominenz. Und er wundert sich darüber, dass Studenten nicht den Mut finden, einen akademischen Lehrer persönlich zu tadeln. Ebenfalls eitel und albern ist es, wenn Professor Patzelt von seinen Kritikern fordert, sie müssten doch möglichst erst einmal sein wissenschaftliches Gesamtwerk studieren, bevor sie das Wort gegen ihn ergreifen. Seine zahlreichen neuen Fans haben seine Aufsätze und Bücher auch nicht gelesen, von ihnen lässt er sich im Internet aber widerspruchslos den Bauch pinseln.

Kommen wir nun zur inhaltlichen Auseinandersetzung. Professor Patzelt hat in einigen Punkten recht, insbesondere mit seiner Auffassung, es sei vor der Spaltung der Bewegung sachlich und politisch falsch gewesen, die PEGIDA-Anhänger kollektiv als Nazis zu bezeichnen. In einigen weiteren wichtigen Punkten finde ich die Argumente von Professor Patzelt allerdings nach wie vor nicht überzeugend.

Professor Patzelt verweist darauf, er habe keineswegs nur seine persönliche politische Meinung geäußert, sondern eine Studie auf der Basis von Umfragen erstellt. Sein Bild der PEGIDA-Bewegung sei also empirisch unterfüttert. Nun räumt er aber selbst ein, dass alle Umfragen nicht repräsentativ sind. Ungefähr die Hälfte der Befragten hat nicht auf gestellte Fragen geantwortet. Es ist aber – wie auch Professor Patzelt gesteht – ziemlich wahrscheinlich, dass gerade die radikalen Kräfte sich allen Befragungen verweigern. Es ist also festzuhalten: Alle bisherigen Studien sind strukturell verharmlosend. Damit ist auch das Ergebnis der Studie von Professor Patzelt, wonach nur ein Drittel der PEGIDA-Demonstranten vor der Spaltung der Bewegung „rechtsnationale Xenophobe“, zwei Drittel aber „teils empörte, teils über die Zukunft unseres Landes besorgte gutwillige Bürger“ seien, höchst zweifelhaft. Ich verfüge auch nicht über repräsentative Daten, aber ich habe in den letzten Monaten sehr viele Briefe, Mails und Kommentare von PEGIDA-Anhängern erhalten und gleichzeitig die öffentlichen Äußerungen verfolgt. Also darf ich wohl auch mitraten. Meine nicht quantitative, aber qualitative Analyse widerspricht der Auffassung von Professor Patzelt, die Mehrheit der Demonstranten wären „Gutwillige“. Nein, es sind auch viele Böswillige darunter. Wenn es etwas gibt, dass die Mehrheit der Demonstranten auszeichnet, dann ist es – unabhängig von Bildungsgrad und politischer Einstellung – der schlechte Charakter. Die Leute, die man da sieht und hört und liest, sind größtenteils egoistische, hasserfüllte, neidische, mitleidlose, selbstgerechte, beschränkte, wichtigtuerische Leute. Es gibt sicher viele Ausnahmen. Aber die Regel sei dennoch auch mal konstatiert.

Professor Patzelt wirft seinen Kritikern weiterhin vor, sie hätten über seine Verteidigung der „kleinen Leute“ gespottet. Aber darum geht es nicht. Falsch ist es nicht, die „kleinen Leute“ zu verteidigen, sondern die PEGIDA mit den „kleinen Leuten“ zu identifizieren, ganz so wie PEGIDA sich selbst gerne mit dem „Volk“ identifiziert. PEGIDA, das sind nicht „die kleinen Leute“, das ist eine rechte Splittergruppe. Das sagen uns Umfragen in Dresden und anderswo. Was mich besonders stört, ist die paternalistische Haltung, mit der Professor Patzelt die „kleinen Leute“ wie Kinder entmündigt, indem er für fast alle ihre Dummheiten und Bosheiten eine Entschuldigung, wenigstens eine relativierende Erklärung parat hat. Auch „kleine Leute“ sind verantwortlich für das, was sie sagen und tun. Auch „kleine Leute“ darf man kritisieren, wenn sie einer Clique von Banditen und Rechtsradikalen folgen und hetzerischen Reden zujubeln. Es gibt eine Menge „kleiner Leute“, die mit PEGIDA nichts zu tun haben wollen – weil sie über gesunden Menschenverstand verfügen und ein Herz haben. Übrigens: Hat es sich zu Professor Patzelt noch nicht herumgesprochen, dass der „kleine Mann“ in Deutschland inzwischen ziemlich oft ein Türke ist?

Quatsch ist und bleibt die These von Professor Patzelt, es gebe eine „Repräsentationslücke“ auf der rechten Seite des politischen Spektrums, welche die Menschen geradezu zwinge, sich auf der Straße Luft zu verschaffen. Die CDU ist in Sachsen so rechts wie nirgendwo sonst, über Jahre gab es die NPD im sächsischen Landtag, jetzt sitzt dort die Alternative für Deutschland. Die Rechte ist in Sachsen politisch ausgezeichnet repräsentiert, ja sie ist seit 1989 der Mainstream der sächsischen Politik. Aber eben nur hier und anderswo nicht. Die PEGIDA-Demonstranten stören sich nicht daran, dass sie nicht repräsentiert würden, sondern sie halten es nicht aus, dass nicht alles nach ihrem Willen geht. Und oft wissen sie nicht einmal, was sie wollen. Sie kämpfen nur so lange für Meinungsfreiheit und Volksinteressen, wie es um ihre Meinung und um ihre Interessen geht. Demokraten sind sie also nur bedingt. Nicht wenige von ihnen sind sogar eine Bedrohung für die Demokratie.

Professor Patzelt kann sich auf den Kopf stellen, es bleibt doch wahr: Er hat sich in einen politischen Konflikt in einseitiger Weise eingemischt. Er hat die Gegner der PEGIDA mit Häme und Härte kritisiert, die Anhänger hingegen stets mit Sanftmut und Sympathie behandelt. Ihn erregt es, wenn Gegendemonstranten die PEGIDA-Anhänger als „Nazis“ bezeichnen, kaum aber, wenn umgekehrt der Ruf „Linksfaschisten“ erschallt. (Aber nein, in irgendeiner Fußnote hat er sich sicher klar davon distanziert.) Die Lügen und Bosheiten der PEGIDA werden von Professor Patzelt nur beiläufig und halbherzig in Nebensätzen kritisiert. Darf er so einseitig Partei ergreifen? Natürlich darf er das, zumal sich ja viele andere Menschen auf der Gegenseite engagiert haben. Aber er möge doch bitte nicht behaupten, er wäre die Waage der Gerechtigkeit, da er doch ersichtlich nur das Gegengewicht auf der rechten Schale ist.

Ich beschließe meinen Beitrag mit einer sehr richtigen und erhellenden Einschätzung von Professor Patzelt:

Denn ist PEGIDA im Kern ein faschistisch-rassistisches Unterfangen, dann sollten gerade Demonstrationen unter faktischer Führung Bachmanns weiterhin florieren. Gehen die Demonstrationen von Bachmann und seinesgleichen aber ein, ja käme es gar zu erfolgreichen Anschlussdemonstrationen eines nach Abspaltung verselbständigten und im Grunde als außerparlamentarischer Arm der AfD fungierenden Flügels, so hätte sich gezeigt: PEGIDA war weitgehend eine Protestbewegung von politisch Enttäuschten rechts der Mitte, sozusagen ein (versuchtes) „1968 von rechts“.

Die Demonstrationen unter Führung von Bachmann florieren und gewinnen wieder an Zulauf, während Neonazis und „besorgte Bürger“ gemeinsam Flüchtlingsheime angreifen. Die Demonstrationen der vermeintlich gemäßigten Konkurrenz um Kathrin Oertel sind eingegangen. Man ziehe den Schluss selbst.

Die sächsische CDU im Kampf mit der deutschen Sprache

Die sächsische CDU hat versucht, sich mit einer Erklärung unter dem Titel „Positionspapier für Integration und Zuwanderung“ bei den Anhängern der PEGIDA anzubiedern. Ob es in Sachsen noch Christen gibt, die es irritiert, wie eine angeblich christliche Partei sich eilfertig von den Tugenden der Gnade und der Barmherzigkeit abwendet, um einen dumpfen Volkszorn zu besänftigen und zugleich die Forderungen der Ökonomie nach „nützlichem“ Humanrohstoff zu befriedigen? Die Lektüre des Papiers erbaut jedenfalls nicht sehr. Aber es ist doch immerhin ein erheiternder Anblick, die führenden Köpfe der sächsischen Union im Kampf mit Geografie, Logik und deutscher Sprache zu beobachten:

Eine wesentliche Grundlage dafür ist, das Zuwanderung in Zukunft gesteuert und bestimmt von den Interessen unseres Landes erfolgt.

Bereits heute steht fest, dass zu den sicheren Herkunftsländern auch die Westbalkanstaaten einschließlich des Kosovo, Albanien und Tunesien gehören.

Das gilt erst Recht für straffällig gewordene Personen oder Hassprediger.

Es geht darum, standardisierte Verfahrensabläufe zu finden, mit denen die Ausreisepflicht von straffälligen Asylbewerbern Vorfahrt ermöglicht wird.

Wer eine Freiheitsstrafe von einem Jahr oder mehr verwirkt, soll in der Regel unser Land verlassen.

Bis dahin muss entsprechend dem geltenden europäischen Recht das Asylverfahren in dem Land stattfinden, indem der Bewerber erstmals europäischen Boden betreten hat (Dublin Abkommen).

Die zuwanderungsrelevante Liste mit Mängelberufen muss in Zukunft häufiger aktualisiert werden.

Die Bundesagentur für Arbeit erstellt Listen mit Berufen, bei deren Besetzung offener Stellen mit ausländischen Bewerberinnen oder Bewerbern arbeitsmarkt und integrationspolitisch verantwortbar sind.

Strukturierung und Verschlankung schaffen Transparenz, die an Administration, aber auch international, ein Signal ausstrahlt.

Bereits heute fehlen in zahlreichen Berufen ausgebildete Fachkräfte. Zur Behebung dieser sind wir auf gut ausgebildete ausländische Fachkräfte angewiesen.

So also reden jene Deutsch, die sich für Modellathleten einer „belebten deutschen Leitkultur“ halten. Vor dieser Kultur graust es mir. Einem Satz des Papiers kann ich aber, wenn nicht stilistisch, so doch sachlich, meine Zustimmung nicht verweigern:

Erhöhte Sprachkompetenzen auf Seiten der deutschen Behörden würden einen großen Beitrag für eine gelebte Willkommenskultur leisten.

Termine der Woche

Am Dienstag (3. März) bin ich einer der Autoren beim Kreuzberg Slam in Berlin. Mit dabei sind auch tolle Kollegen wie Kirsten Fuchs, Marvin Ruppert, Hazel Brugger u.v.m. Los geht es um 20:30 Uhr im Lido.

Am Mittwoch (4. März) bin ich erstmals Gast der Lesebühne Kreis mit Berg in Halle an der Saale. Die Lesebühne wird von Christian Kreis und Peter Berg am Textblatt und Andreas Mikolajczyk am Banjo gestaltet. Thema des Abends ist diesmal nichts Geringeres als „die Sprache“. Start ist um 20 Uhr im Kabarett Kiebitzensteiner.

Am Donnerstag (5. März) moderiere ich wieder gemeinsam mit Stefan Seyfarth den Dresdner livelyriX Poetry Slam in der scheune. Der Dichterwettstreit beginnt um 20 Uhr.

Was sucht Alexander Gauland bei PEGIDA?

PEGIDA mag, wenigstens als Massenbewegung, nun der Vergangenheit angehören. Dies gilt aber leider nicht für die seltsame und gefährliche politische Strömung namens „Querfront“, deren Element PEGIDA inzwischen geworden ist. Der folgende Beitrag versteht sich als Kritik dieser Bewegung. Das Wort Kritik stammt vom griechischen Wort für „Unterscheidung“ ab, eine gelungene Kritik sollte sich also durch Differenzierungsvermögen auszeichnen. Daran sei erinnert, weil einige Gegner der neurechten Bewegungen in ihrer verständlichen Ablehnung allzu undifferenziert zu Werke gehen. Begriffe wie „PEGIDA-Nazis“ werden, so scheint mir, zu leichtfertig gebraucht. Bei allem Spaß an der Polemik sollte man doch Führer und Mitläufer, Überzeugte und Verwirrte sowie Neonazis, Faschisten und Konservative auseinanderhalten. Nicht, um die Gefühle der betreffenden Kameraden zu schonen, sondern um die eigene Analyse nicht zu verzerren.

Im Folgenden soll es um einen merkwürdigen Mann gehen, den man als ideologischen Großvater der „Querfront“ bezeichnen könnte: Alexander Gauland. Gauland, ein promovierter Jurist, war viele Jahrzehnte lang Mitglied der CDU, gehörte vor Kurzem dann aber zu den Begründern der Alternative für Deutschland. Gauland arbeitete als Journalist und Publizist für verschiedenste Medien und war lange Herausgeber der Potsdamer Tageszeitung Märkische Allgemeine. Gauland war – neben rechten Irrlichtern wie Monika Maron und Matthias Matussek – einer der Prominenten, die zu den PEGIDA-Aufmärschen nach Dresden fuhren. Er bezeichnete PEGIDA zeitweise sogar als „natürlichen Verbündeten“ der AfD. Von dem verurteilten Banditen und überführten Lügner und Hetzer Lutz Bachmann distanzierte sich Gauland zwar. Doch konnte er sich nicht dem Charme von Kathrin Oertel entziehen, für die er Wertschätzung ausdrückte. Oertel hatte sich ja von Bachmann losgesagt, nachdem sie vom Rassismus des Mannes, „den ich seit 22 Jahren kenne und der ein Freund ist„, überrascht worden war. Dass Oertels Truppe sich von PEGIDA kaum unterscheidet, hat Gauland bislang übersehen.

Was nur treibt einen – auch beim politischen Gegner respektierten – konservativen Intellektuellen auf einen solchen politischen Irrweg? Vielleicht findet sich eine Antwort auf diese Frage in den Büchern namens Anleitung zum Konservativsein (2002) und Die Deutschen und ihre Geschichte (2009), in denen Gauland seine Weltanschauung jenseits tagespolitischer Rücksichten darlegte. Gauland präsentiert sich in diesen beiden – übrigens klugen und lesenswerten – Werken als Fürsprecher eines gegenwärtigen Konservatismus in der Tradition von Edmund Burke. Keineswegs sei der Konservatismus tot, weil er sein Ziel, den klerikal-monarchisch regierten Ständestaat gegen die liberale Demokratie zu verteidigen, nicht erreicht hat. Der Konservatismus ist für Gauland eine überzeitliche, „anthropologische Konstante“, die „lebenswichtig für unsere Gesellschaft“ bleibt.1 Leider sei der Konservatismus wie der gesunde Patriotismus in Deutschland durch den – selbst keineswegs konservativen – Nationalsozialismus und die Verbrechen Hitlers diskreditiert worden:

Man mag es bedauern oder auch beklagen: Auschwitz hat die Möglichkeit einer eigenen, vom Westen unterscheidbaren geistigen Identität Deutschlands auf lange Zeit, wenn nicht für immer ausgelöscht.2

Ich weiß nicht, ob es vielleicht nur mir Unbehagen bereitet, wenn im Zusammenhang mit Auschwitz die deutsche Identität als Opfer beklagt wird. Mit Verlaub: Jeder in Auschwitz ermordete Mensch war mehr wert als die ganze deutsche Identität. Wäre nur die deutsche Identität allein in Auschwitz ausgelöscht worden! Das könnte man leicht verschmerzen. Übrigens hatte Alexander Gauland noch einige Seiten zuvor behauptet, die Deutschen hätten nach der Reichsgründung ohnehin nie eine richtige „Identifikation“, nie eine „gemeinsame Weltanschauung“ entwickelt – allzu viel kann also gar nicht verloren gegangen sein.3

Was aber sieht Alexander Gauland als Kern eines modernen Konservatismus? Die Antwort überrascht: Es ist der Widerstand gegen die „menschenfeindliche Ideologie“ der „Ökonomisierung aller Lebensbereiche“.4 Gauland beschwört die Angst vor ungebremster Modernisierung, Technisierung und Globalisierung und vor der Amerikanisierung der Kultur und Gesellschaft. Da werden viele Linke hellhörig. Und Gauland selbst warb schon 2002 für das paradoxe Bündnis, das heute als „Querfront“ auf den deutschen Straßen mahnwacht und Wahn macht:

Dabei kann es zu neuen Bündnissen zwischen linken Antikapitalisten und rechten europäischen Fundamentalisten kommen, denn Globalisierung und Turbokapitalismus sind beiden suspekt und das alte Rechts-Links-Schema nicht länger die Wasserscheide zwischen den Lagern.5

Es ist von größter Bedeutung, den Unterschied, den Alexander Gauland gerne verschleiern möchte, genauestens zu benennen: Alexander Gauland will den Antikapitalismus zum Kern eines neuen Konservatismus machen. Seine Kritik am Kapitalismus spricht aber nicht in Namen der Gerechtigkeit. Ihn stört am Kapitalismus die modernisierende, nivellierende Kraft, mit der er schöne und wohlvertraute Traditionen, Religionen und Nationen zersetzt. Gaulands Konservatismus ist ein romantischer Antikapitalismus, den eine emanzipatorische Linke bekämpfen muss. Gauland beklagt an der ökonomischen Modernisierung:

Sie wendet sich gegen nationale Vorurteile und ethnische Begrenzungen, gegen traditionale Lebenswelten und religiöse Tabus.6

Genau diese Übel aber muss jeder, der für die Emanzipation eintritt, fröhlich begrüßen, selbst wenn sie uns vom Kapitalismus geschenkt werden. Spätestens wenn Alexander Gauland die Mittel offenbart, mit denen der neue Konservatismus die Modernisierung bremsen soll, müssen Liberalen und Linken gleichermaßen die Augen aufgehen:

Alles, was das Tempo verlangsamt, den Zerfall aufhält, in dem es die Globalisierung einhegt, ist deshalb gut und richtig: Traditionen und Mythen, Glaubensbekenntnisse und Kulturen, Ethnien und Grenzen. Selbst Vorurteile haben hier, sofern sie nicht in Gewalt und Rassismus umschlagen, ihre stabilisierende Wirkung.7

Vorurteile, die nicht in Rassismus umschlagen, sind aber ungefähr so wahrscheinlich wie Regen, der nicht nass macht. Höre man nicht auf die Warnungen der Konservativen, so warnte Gauland, dann werde ein neuer Rechtspopulismus die Folge sein. Und er beschrieb in hellseherischer Weise auch schon die PEGIDA-Bewegung:

Geistige Verbarrikadierung in der eigenen nationalen oder regionalen Identität, Flucht in übersichtliche Gemeinschaften und Aussperrung des Fremden ist Teil des menschlichen Bedürfnisses besonders jener, die im täglichen Rattenrennen nicht vorne liegen.8

Hat etwa Alexander Gauland, lange vor Markus Ulbig, die PEGIDA-Demonstranten schon als Ratten bezeichnet?! Jedenfalls hat er nun mit dem Rechtspopulismus und dem aggressiven Nationalismus, vor dem er vor einigen Jahren noch warnte, ein politisches Bündnis geschlossen – offenbar in dem fatalen Irrglauben, hier endlich eine Massenbasis für seine Idee eines neuen Konservatismus zu finden. Sein schon damals geäußertes Verständnis für die Machtansprüche Russlands konnte er bei der PEGIDA ebenfalls wiederfinden. Dass der stilvolle Konservative nicht schon angesichts der pöbelhaften Stillosigkeit dieser Bewegung seinen Irrtum einsah, ist recht traurig.

Alexander Gauland gleicht einem in die Jahre gekommenen Gentleman, der plötzlich, zum Schrecken seiner Familie, noch einmal eine Affäre mit einer jungen, etwas vulgären Frau von der Straße beginnt. Und die heißt auch noch Peggy. Ich fürchte, Peggy wird den reifen Herrn nicht glücklich machen, sondern ihn nur ausnutzen und dann sitzen lassen, als Gespött der ganzen Welt.

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1 Alexander Gauland: Anleitung zum Konservativsein. Zur Geschichte eines Wortes. Stuttgart/München: DVA, 2002, S. 8.
2 Alexander Gauland: Die Deutschen und ihre Geschichte. Berlin: wjs, 2009, S. 152.
3 Die Deutschen und ihre Geschichte, S. 84.
4 Anleitung zum Konservativsein, S. 42.
5 Ebenda, S. 96.
6 Ebenda, S. 53.
7 Ebenda, S. 87.
8 Ebenda, S. 47.

Peter Willweber alias „Willy“ – ein zeichnender Fremdenfeind bei PEGIDA

Zu den erfreulichen Folgen der PEGIDA-Demonstrationen zählt es, dass die herrschende Atmosphäre einige Menschenfeinde dazu gebracht hat, ihre bislang verborgene Gesinnung öffentlich zu bekennen. Dies ist in jedem Fall ein Fortschritt, denn eine offene Auseinandersetzung ist der verlogenen Harmonie, die gerade in Dresden traditionell herrscht, unbedingt vorzuziehen. Einige Freundschaften gehen dadurch allerdings in die Brüche. Aber vielleicht ist auch das nicht gar so schlimm, denn in den letzten Jahren wurde doch allzu oft unbesehen „geliked“.

Durch überraschende Offenbarungseide von PEGIDA-Anhängern stellt sich auch heraus, dass das Feuchtbiotop Dresdner Neustadt, das gemeinhin bekannt ist als alternative Insel im Dresdner Meer der Spießigkeit, durchaus nicht frei ist von Menschenfeinden. Man sollte sich einmal eingestehen: Es gibt auch in dem gemeinhin als „links“ bezeichneten Milieu gewisse Affinitäten zur PEGIDA-Logik. Einige Menschen – und nicht die dümmsten! – wurden durch einen fehlgeleiteten Oppositionsgeist dazu verführt, sich der fremdenfeindlichen und anti-demokratischen Bewegung anzuschließen. Gegen „Lügenpresse“ und „Systemparteien“? Gegen „westliche Kriegstreiberei“? Slogans wie diese erwärmen auch die Herzen so mancher Menschen, die sich für links halten. Wollen sie nicht auch das „Schweinesystem“ abschaffen und den „Verblendungszusammenhang“ durchbrechen? Halten sie nicht auch die einseitige Verurteilung Russlands für ungerecht? Ein Hindernis müssen Linke allerdings überwinden, um auf dem Weg zur „Querfront“ einen Graben bis hinüber zur äußersten Rechten zu buddeln: Sie müssen sich mit dem radikalen Nationalismus anfreunden, der die Grundlage für die ganze neurechte Bewegung abgibt.

Eine Geschichte, die an sich von keiner großen Bedeutung ist, gibt ein Bild von dieser seltsamen Fraktion der PEGIDA-Anhänger: Peter Willweber ist der Betreiber der HomeCompany in Dresden, die Wohnungen nicht zuletzt an ausländische Gäste vermittelt. Zu einer gewissen lokalen Bekanntheit gebracht hat es Peter Willweber durch ein Hobby: Seit 25 Jahren zeichnet er als „Willy“ Cartoons, insbesondere für das Kulturmagazin DRESDNER. Wer schon einmal gute Cartoons gesehen hat, wird vielleicht finden, dass diese Bezeichnung für die künstlerisch wertlosen Strichmännchen von „Willy“ unangebracht ist. In den Tat kann Peter Willweber weder zeichnen noch verfügt er über Witz. Er ist eher die Karikatur eines Karikaturisten. Aber das ist vielleicht Geschmackssache. Es gibt einige Dresdner, die über die „dicke Katze“ und andere Gestalten von „Willy“ schmunzeln konnten, und dagegen ist natürlich nichts einzuwenden. Aber auch diese Freunde dürfte Peter Willweber unangenehm überrascht haben, als er am 23. Februar 2015 als Schlussredner bei der PEGIDA-Demonstration auftrat (Video) – vom wiederauferstandenen PEGIDA-Führer Lutz Bachmann geradezu familiär als „unser Willy“ angekündigt.

Gehüllt in eine braungrüne Jacke, redete Peter Willweber etwa fünf Minuten und genoss mit geradezu kindischer Freude den Jubel und Applaus der Zuhörer. Auch wenn PEGIDA inzwischen auf einen harten Kern von Rechtsradikalen und Schwerstgestörten geschrumpft ist, waren immer noch einige tausend Menschen vor Ort. Peter Willweber begann seine Rede in ungewöhnlicher Weise: Er zitierte eine Äußerung von Oskar Lafontaine aus dem Jahr 2005, in dem dieser die „oberen Zehntausend“ für die „forcierte Zuwanderung“ verantwortlich machte. Nur diese profitierten von einem Überschuss an Arbeitskräften, während der Großteil der Bevölkerung die Lasten zu tragen habe. Es ist höchst aufschlussreich, wie gerade die eher unappetitliche nationalbolschewistische Seite von Lafontaines Weltanschauung Peter Willweber eine Anschlussmöglichkeit eröffnete. (Die Zuhörer begriffen die Gemeinsamkeit übrigens nicht und buhten bei der Erwähnung des „Linken“ Lafontaine reflexhaft wie das liebe Vieh.) Ausgespart blieb in dem Zitat eine weitere Gruppe, die von der Zuwanderung profitiert, nämlich die Zuwanderer selbst. Wie selbstverständlich geht nämlich der Protest der „Querfront“ von eben jenen „nationalen Interessen“ aus, die auch den völkischen Deutschtümlern der Rechten heilig sind. Der Nationalismus war und ist die Idiotie, auf die sich die Demagogen von rechts und links zur Not immer einigen können. In der Touristenstadt Dresden bekommt der Nationalismus aber noch eine besondere Färbung: „Wir haben zu viele Ausländer der falschen Sorte und zu wenige der richtigen“, so sagte Peter Willweber auf Anfrage der Sächsischen Zeitung. Das ist er, der leider nicht allzu seltene hässliche Dresdner: Ausländer, denen man Geld aus der Tasche ziehen kann, sind stets willkommen, aber Ausländer, die Hilfe brauchen, mögen sich zum Teufel scheren. Als eine syrische Flüchtlingsfamilie in Dresden einen Drohbrief erhielt, schrieb der lustige „Willy“ übrigens bei Facebook: „Der Hersteller dieses Machwerks ist garantiert jemand, der dringend etwas mehr Rechtsradikalismus braucht, gegen den er sich in Hör- und Sichtweite engagieren kann. Es geht ja immerhin um sehr viel Geld in Form von Fördermitteln.“ (Der Täter, ein zwanzigjähriger Dresdner, wurde später ermittelt.)

Der Rest der Rede folgte dem inzwischen bis zur Ödnis bekannten PEGIDA-Schema: Peter Willweber äußert keine politischen Vorschläge oder wenigstens Gedanken, sondern flennt über eine vermeintliche Unterdrückung der Meinungsfreiheit. Man bekomme das Gefühl, „die DDR“ sei „wieder da“ – darunter machen sie es nicht. Dementsprechend entblödet sich Peter Willweber auch nicht, PEGIDA (und nebenbei natürlich in aller Bescheidenheit auch sich selbst) in die Tradition von 1989 zu stellen. Noch mehr: Auch in den Revolutionären von 1848/49 sieht er nur Vorläufer von PEGIDA, schließlich hätten die doch auch schon tapfer die schwarz-rot-goldene Fahne geschwungen! Den historischen Kenntnissen von Peter Willweber ist allerdings nicht unbedingt zu trauen. Behauptet der gute Mann doch kurz darauf auch den Unfug, beim Hambacher Fest von 1832 wäre für die „Gleichberechtigung der Frauen“ demonstriert worden. Und der selbst ernannte Dissident ruft: „Aussprechen, was wir wollen, das dürfen wir nicht!“ Kommt ihm denn nicht in den Sinn, dass er diesen Unsinnssatz gerade sehr wohl aussprechen darf, geschützt von der Polizei und live übertragen in alle Welt? Doch: „Trotzdem tun wir es!“ Das sind schon rechte Helden bei der PEGIDA: Sie trotzen mutig Verboten, die es nicht gibt. Und auch noch den Gegendemonstranten, die der lustige „Willy“ übrigens gelegentlich schon mal als „allmontägliche Scharia-Patrouille“ bezeichnete.

Warum nur mag keiner PEGIDA? Peter Willweber weiß es: Es liegt daran, dass PEGIDA „den Durchbruch von unten durch die Eisdecke der Ignoranz des Medien- und Parteienkartells gewagt hat.“ Kann man es besser ausdrücken? PEGIDA wurde ja in den letzten Monaten jeden Tag in den Zeitungen ganzseitig ignoriert, ebenso im Fernsehen bei der montäglichen Liveschaltung nach Dresden nie erwähnt, bei Günther Jauch verschwiegen, in der Landeszentrale für politische Bildung durch eine Einladung ausgeladen, von Politikern fast aller Parteien durch verständnisvolle Gespräche zum Schweigen gebracht. Wirklich, noch nie hat eine Protestbewegung in Deutschland eine solche Aufmerksamkeit erfahren, indem sie vollständig ignoriert wurde! „Wir sind der Wecker, der das Establishment aus dem Schlaf klingelt! Wir verlangen unsere Freiheit zurück, wir verlangen unsere Demokratie zurück, wir verlangen unser Land zurück!“ So beschließt Peter Willweber seine Rede und lächelt selbst fast ein wenig überrascht angesichts der Erfahrung, wie leicht man mit ein paar nichtssagenden Phrasen bei PEGIDA Applaus ernten kann. Er mag solchen Zuspruch nötig haben.

Heinz K., der Chefredakteur beim DRESDNER, hat angekündigt, das Gespräch mit Peter Willweber zu suchen: „Aber er bekommt jetzt kein Berufsverbot.“ Das heißt wohl, dass er weiter für den DRESDNER zeichnen darf, denn eine Entlassung dort käme für „Willy“ ja einem Berufsverbot gleich. Wer sollte ihn sonst haben wollen? Nicht einmal Gesinnungskameraden von der Jungen Freiheit werden das Erbarmen wohl so weit treiben. Ich wünsche mir auch kein Berufsverbot für „Willy“, denn sonst läge uns Peter Willweber wochenlang in den Ohren: „Wieder ein tapferer, hochtalentierter Karikaturist, der von Islamisten und ihren Verbündeten zum Schweigen gebracht wurde!“ Montags hätte bei PEGIDA bald jeder Zweite ein „Ich bin Willy!“-Schild in der Hand. Bitte nicht! Lasst „Willy“ weiter dicke Katzen zeichnen! Denn wer zeichnet, redet wenigstens nicht.

[Offenlegung: Ich habe um 2008 selbst einmal einige Zeit für das Kulturmagazin DRESDNER geschrieben – und zwar so gern, wie ich das Magazin immer noch lese. Peter Willweber kenne ich persönlich nicht.]

[Nachtrag: Der DRESDNER hat nun leider beschlossen, vorerst doch keine Bilder von „Willy“ mehr zu veröffentlichen. Eine Stellungnahme von Heinz K. befindet sich im Kommentarbereich.]

Zitat des Monats Februar

Vorschlag Straßenname „Pieschener Melodien“ zwischen Konkordienplatz und Moritzburger Straße. […] Die Linken stellten ihren Vorschlag „Rosa-Steinhart-Straße“ vor: eine unbekannte Jüdin, die 1943 auf dem Heller interniert und dann nach Auschwitz deportiert und dort ermordet wurde. […] Damit solle „ein Zeichen gesetzt“ werden angesichts „des gegenwärtigen Klimas in der Stadt“ – 36900 Bürger werden damit als potentielle Judenvergaser gegeißelt. DAS MUSS MAN SICH AUF DER ZUNGE ZERGEHEN LASSEN! Hier geht es nicht um einen Straßennamen, sondern um die Durchsetzung von Ideologie!

Die Abstimmung fiel entsprechend aus: AfD und NPD stimmten dagegen.

Dr. Thomas Hartung (AfD), Mitglied im Ortsbeirat Dresden-Pieschen
in seinem Protokoll der Sitzung (Quelle: DDFE-Watch)