Mein Kampf mit Mein Kampf (14): Die erste Entwicklungszeit der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei

Liest man Mein Kampf, gerät man oft in die Gefahr zu vergessen, dass hier noch kein triumphierender Diktator schreibt, sondern der von Feinden belächelte, unter Gleichgesinnten umstrittene Führer einer rechtsextremen Splitterpartei. Hitler stellt eine Siegesgewissheit zur Schau, die mehr ist als bloße Großsprecherei. Besser wird man sie wohl als Autosuggestion verstehen. Liest man Hitlers – natürlich stilisierten – Bericht über seine erste Rede vor Massen, dann spürt man etwas von der ekstatischen Verblendung, in die er verfiel und in die er manche Zuhörer versetzte:

Von Viertelstunde zu Viertelstunde wurden die Zwischenrufe mehr und mehr zurückgedrängt von steigenden Zurufen. Und als ich endlich die fünfundzwanzig Thesen Punkt für Punkt der Masse vorlegte und sie bat, selber das Urteil über sie zu sprechen, da wurden sie nun eine nach der anderen unter immer mehr sich erhebendem Jubel angenommen, einstimmig und immer wieder einstimmig, und als die letzte These so den Weg zum Herzen der Masse gefunden hatte, da stand ein Saal von Menschen vor mir, zusammengeschlossen von einer neuen Überzeugung, einem neuen Glauben, von einem neuen Willen.

Man könnte von Größenwahn sprechen, wäre Hitler nicht leider tatsächlich zu einer historischen Größe geworden. Seine Selbststilisierung zum nationalen Heiland wäre bloß lächerlich, hätte nicht später wenigstens die Hälfte der Deutschen in ihm wirklich einen Messias gesehen, dem sie eine „Wiederaufrichtung eines Deutschen Reiches erhöhter Macht und Herrlichkeit“ zutraute.

Denn es ist das Bemerkenswerte aller großen Reformen, daß sie als Verfechter zunächst oft nur einen einzigen besitzen, als Träger jedoch viele Millionen. Ihr Ziel ist oft schon seit Jahrtausenden der innere, sehnsuchtsvolle Wunsch von Hunderttausenden, bis einer sich zum Verkünder eines solchen allgemeinen Wollens aufwirft und als Bannerträger der alten Sehnsucht als einer neuen Idee zum Siege verhilft.

Und Hitler erfüllte ja offenkundig tatsächlich die Sehnsüchte von Millionen Deutschen. Allerdings erreichte er nicht unbedingt die „breite Masse“, die er selbst anvisierte. Unter Arbeitern verfing seine Botschaft weniger als unter Bürgern des Mittelstandes oder unter Studenten. Wie soll man das erklären? Gerade die Gebildeteren erlagen besonders leicht der Dummheit. Allen Entschuldigungen der Art, Hitler habe die Deutschen „verführt“ oder „betrogen“, steht die schlichte Tatsache entgegen, dass der Führer sowohl seine Methoden als auch seine Ziele von Anfang an ganz offen aussprach:

Der Glaube ist schwerer zu erschüttern als das Wissen, Liebe unterliegt weniger dem Wechsel als Achtung, Haß ist dauerhafter als Abneigung, und die Triebkraft zu den gewaltigsten Umwälzungen auf dieser Erde lag zu allen Zeiten weniger in einer die Masse beseelenden wissenschaftlichen Erkenntnis als in einem sie beherrschenden Fanatismus und einer sie manchmal vorwärtsjagenden Hysterie.
Wer die breite Masse gewinnen will, muß den Schlüssel kennen, der das Tor zu ihrem Herzen öffnet. Er heißt nicht Objektivität, also Schwäche, sondern Wille und Kraft.
Die Gewinnung der Seele des Volkes kann nur gelingen, wenn man außer dem positiven eigenen Kampf für die eigenen Ziele zugleich den Träger des Gegenteils vernichtet.
Das Volk sieht zu allen Zeiten im rücksichtslosen Angriff gegen einen Widersacher einen Beweis des eigenen Rechtes, und es empfindet den Verzicht auf dessen Vernichtung als Unsicherheit in bezug auf das eigene Recht, wenn nicht als Zeichen des eigenen Unrechtes.
Die breite Masse ist nur ein Stück der Natur, und ihr Empfinden versteht nicht den gegenseitigen Händedruck von Menschen, die behaupten, Verschiedenes zu wollen. Was sie wünscht, ist der Sieg des Stärkeren und die Vernichtung des Schwachen oder seine bedingungslose Unterwerfung.
Die Nationalisierung unserer Masse wird nur gelingen, wenn bei allem positiven Kampf um die Seele unseres Volkes ihre internationalen Vergifter ausgerottet werden.

Noch Fragen? Wer die „internationalen Vergifter“ sind, versteht sich von selbst:

Wer das deutsche Volk aus seinen ihm ursprünglich wesensfremden Eigenschaften und Untugenden erlösen will, wird es erst erlösen müssen vom fremden Erreger dieser Äußerungen.
Ohne klarste Erkenntnis des Rasseproblems, und damit der Judenfrage, wird ein Wiederaufstieg der deutschen Nation nicht mehr erfolgen.

Der Krieg, den Hitler sich wünschte, wäre aber auch mit dem vollständigen Sieg des Nationalsozialismus nicht beendet gewesen:

Die Größe einer Bewegung wird ausschließlich gewährleistet durch die ungebundene Entwicklung ihrer inneren Kraft und durch deren dauernde Steigerung bis zum endgültigen Siege über alle Konkurrenten.
Ja, man kann sagen, daß ihre Stärke und damit ihre Lebensberechtigung überhaupt nur solange in Zunahme begriffen ist, solange sie den Grundsatz des Kampfes als die Voraussetzung ihres Werdens anerkennt, und daß sie in demselben Augenblick den Höhepunkt ihrer Kraft überschritten hat, in dem der vollkommene Sieg auf ihre Seite neigt.
Es ist mithin einer Bewegung nur nützlich, diesem Siege in einer Form nachzustreben, die zeitlich nicht zum augenblicklichen Erfolge führt, sondern die in der durch die unbedingte Unduldsamkeit herbeigeführten langen Kampfdauer auch ein langes Wachstum schenkt.

Ein Nationalsozialismus ohne Feind wäre in der Tat in sich zusammengefallen. Und für die Zeit nach dem fest eingeplanten Endsieg lagen ja auch schon Pläne in der Schublade, das Ende doch noch ein bisschen hinauszuschieben: durch einen Ertüchtigungskrieg gegen slawische Untermenschen im Osten etwa oder einen Vernichtungsfeldzug gegen Kranke im eigenen Land.

Der Sieg über den ersten Band von Mein Kampf wäre mit diesem Kapitel nun errungen. Ich kann mit der kleinen Schar treuer Leser dieser Reihe also Bergfest feiern. Prost! Soll ich ein Zwischenfazit ziehen? Das Lesen ist wahrlich eine Qual. Wem die zitierten Hitler-Worte schon unerträglich scheinen, der überlege sich bitte mal, was ich durchmache! Hitlers Deutsch ist schauerlich schlecht, der Text eine Ansammlung ständig wiederholter Phrasen. Dennoch kann man nicht behaupten, das Buch wäre unverständlich oder gar unlesbar. Es ist auch keineswegs durchweg irre. Abgesehen vom pathologischen Antisemitismus entspricht Hitlers Denken und Fühlen eigentlich dem eines Durchschnittsspießers.

Warum wurde Mein Kampf zu allen Zeiten so selten und so oberflächlich zur Kenntnis genommen? Darüber wunderte sich schon Eberhard Jäckel, der in seinem Buch Hitlers Weltanschauung als einer der ersten Historiker die Legende widerlegte, Hitler wäre nur ein machthungriger Irrer ohne konsistente Ideologie gewesen. Noch heute begeistert der Dämon oder die Witzfigur Hitler die Massen, für seine wirklichen Worte und Ideen interessieren sich nur wenige. Vielleicht ist die Lektüre auch deswegen frustrierend, weil man im Text vergeblich nach dem Erfolgsgeheimnis Hitlers sucht. Gewiss beweist er Gespür für die Schwächen seiner Feinde und für die Schwächen des Menschen überhaupt. Aber wie konnte ein so beschränkter, vulgärer und brutaler Kleinbürger die Liebe von Millionen gewinnen? „Aber ausgerechnet den?“ (Erich Weinert) Hatten die Deutschen gar keinen Geschmack oder einfach fürchterlich einen an der Klatsche? Der Leser von Mein Kampf muss aufpassen, dass er vom Menschenhass des Autors nicht angesteckt wird.

To be continued.

***

Mein Kampf mit Mein Kampf (1)

Mein Kampf mit Mein Kampf (2): Im Elternhaus

Mein Kampf mit Mein Kampf (3): Wiener Lehr- und Leidensjahre (1)

Mein Kampf mit Mein Kampf (4): Wiener Lehr- und Leidensjahre (2)

Mein Kampf mit Mein Kampf (5): Allgemeine politische Betrachtungen aus meiner Wiener Zeit

Mein Kampf mit Mein Kampf (6): München

Mein Kampf mit Mein Kampf (7): Der Weltkrieg

Mein Kampf mit Mein Kampf (8): Kriegspropaganda

Mein Kampf mit Mein Kampf (9): Die Revolution

Mein Kampf mit Mein Kampf (10): Beginn meiner politischen Tätigkeit

Mein Kampf mit Mein Kampf (11): Die Deutsche Arbeiterpartei

Mein Kampf mit Mein Kampf (12): Ursachen des Zusammenbruches

Mein Kampf mit Mein Kampf (13): Volk und Rasse

Mein Kampf mit Mein Kampf (14): Die erste Entwicklungszeit der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei

Mein Kampf mit Mein Kampf (15): Weltanschauung und Partei

Mein Kampf mit Mein Kampf (16): Der Staat

Mein Kampf mit Mein Kampf (17): Staatsangehöriger und Staatsbürger

Mein Kampf mit Mein Kampf (18): Persönlichkeit und völkischer Staatsgedanke

Mein Kampf mit Mein Kampf (19): Weltanschauung und Organisation

Mein Kampf mit Mein Kampf (20): Der Kampf der ersten Zeit – Die Bedeutung der Rede

Mein Kampf mit Mein Kampf (21): Das Ringen mit der roten Front

Mein Kampf mit Mein Kampf (22): Der Starke ist am mächtigsten allein

Mein Kampf mit Mein Kampf (23): Grundgedanken über Sinn und Organisation der S.A.

Mein Kampf mit Mein Kampf (24): Der Föderalismus als Maske

Mein Kampf mit Mein Kampf (25): Propaganda und Organisation

Mein Kampf mit Mein Kampf (26): Die Gewerkschaftsfrage

Mein Kampf mit Mein Kampf (27): Deutsche Bündnispolitik nach dem Kriege

Mein Kampf mit Mein Kampf (28): Ostorientierung oder Ostpolitik

Mein Kampf mit Mein Kampf (29): Notwehr als Recht

***

Hitler, Mein Kampf. Eine kritische Edition. Im Auftrag des Instituts für Zeitgeschichte München – Berlin hg. von Christian Hartmann, Thomas Vordermeyer, Othmar Plöckinger und Roman Töppel unter Mitarbeit von Pascal Trees, Angelika Reizle und Martina Seewald-Mooser. Zwei Bände. München/Berlin: Institut für Zeitgeschichte, 4., durchges. Aufl. 2016

Termine der Woche

Am Montag, dem Tag der deutschen Freizeit (3. Oktober), präsentiert in Berlin das Zentralkomitee Deluxe wieder ein aktuelles Programm. Mit dabei sind wie immer die Kollegen Tilman Birr, Noah Klaus, Christian Ritter und Piet Weber – außerdem als Gast diesmal Dominik Erhard aus München. Zu erwarten sind brandneue Geschichten und Lieder, fragwürdige Späße und der Ausbruch der Weltrevolution. Wir laden herzlich ein! Los geht es um 20 Uhr im Monarch am Kottbusser Tor. Der Eintritt kostet proletarierfreundliche 5 Euro.

Am Dienstag (4. Oktober) lese ich bei der Berliner Traditionslesebühne LSD – Liebe statt Drogen. Los geht es um 21:30 Uhr im Schokoladen.

Am Freitag (7. Oktober) bin ich erstmals Gast in der literarischen Reihe „Hamset nich kleina“, deren Gastgeberin die Berliner Schriftstellerin Lea Streisand ist. Die fröhliche Zweierlesung findet statt in der Bar Bänsch in der gleichnamigen Straße in Berlin-Friedrichshain. Los geht es um 20 Uhr.

Am Sonntag (9. Oktober) bin ich erfreulicherweise mal wieder Gast bei der wunderbaren Lesebühne ihres Vertrauens in Frankfurt am Main. Die Stammautoren sind Tilman Birr, Elis und Severin Groebner. Der Spaß findet im Ponyhof in Sachsenhausen statt. Einlass um 20 Uhr, Start um 21 Uhr.

Zitat des Monats September

Viele Männer sind aber auch in Zorn geraten, weil sie mit Schlägen körperlich misshandelt wurden, und haben aus dem Gefühl, Opfer entehrenden Unrechts zu sein, entweder die Täter umgebracht oder es versucht, und dazu gehörten auch die Inhaber hoher Ämter oder Männer aus dem engsten Machtkreis um den König. In Mytilene hat so Megakles mit seinen Anhängern die Penthiliden, die herumzogen und mit Keulen Schläge austeilten, angegriffen und getötet. Und später hat Smerdis, der verprügelt und aus den Armen seiner Frau weggerissen worden war, Penthilos getötet. Und Anführer des Anschlages gegen Archelaos wurde Dekamnichos, der auch die Angreifer ganz besonders aufstachelte. Grund seines Zornes war die Tatsache, daß Archelaos ihn dem Dichter Euripides zum Verprügeln übergeben hatte; Euripides war aber über Dekamnichos verärgert, weil dieser etwas über seinen üblen Mundgeruch gesagt hatte. Viele andere wurden aus solchen Gründen entweder umgebracht oder wurden Opfer von Anschlägen.

Aristoteles, Politik

Mein Kampf mit Mein Kampf (13): Volk und Rasse

Das Kapitel Volk und Rasse forscht nach der tieferen Ursache des Niedergangs der Deutschen, ja des Verfalls der ganzen Welt. Der Blick richtet sich auf die Biologie, wo der Naturforscher Hitler das Grundgesetz „der inneren Abgeschlossenheit der Arten sämtlicher Lebewesen dieser Erde“ entdeckt:

Jedes Tier paart sich wieder nur mit einem Genossen der gleichen Art. Meise geht zu Meise, Fink zu Fink, der Storch zur Störchin, Feldmaus zu Feldmaus, Hausmaus zu Hausmaus, Wolf zu Wolf usw. usw.

Gegen dieses Naturgesetz zu verstoßen ist größter Frevel, denn eine solche Paarung widerspricht dem „Willen der Natur“.

Die Folge dieser in der Natur allgemein gültigen Rassenreinheit ist nicht nur die scharfe Abgrenzung der einzelnen Rassen nach außen, sondern auch ihre gleichmäßige Wesensart in sich selber. Der Fuchs ist immer ein Fuchs, die Gans eine Gans, der Tiger ein Tiger usw., und der Unterschied kann höchstens im verschiedenen Maße der Kraft, der Stärke, der Klugheit, Gewandtheit, Ausdauer usw. der einzelnen Exemplare liegen. Es wird aber nie ein Fuchs zu finden sein, der seiner inneren Gesinnung nach etwa humane Anwandlungen Gänsen gegenüber haben könnte, wie es ebenso auch keine Katze gibt mit freundlicher Zuneigung zu Mäusen.

Was aber im Tierreich gilt, das gilt nach Hitler so auch beim Menschen. Es ist der Frevel der „Rassenvermischung“, die „Blutsvermengung des Ariers mit niedrigeren Völkern“, der zum Niedergang führt:

Das Ergebnis jeder Rassenkreuzung ist, ganz kurz gesagt, immer folgendes:
a) Niedersenkung des Niveaus der höheren Rasse.
b) körperlicher und geistiger Rückgang und damit der Beginn eines, wenn auch langsam, so doch sicher fortschreitenden Siechtums.

Der Leser fragt sich: War denn Hitler wirklich so blöd, seine ganze Weltanschauung auf einen so haarsträubend offensichtlichen, lächerlichen Irrtum zu bauen? Selbst schlichte Gemüter erkennen doch, dass in dieser Argumentation tatsächlich eine verhängnisvolle Vermischung vonstatten geht, allerdings keine des Blutes, sondern eine von Begriffen. Hitler verwechselt konsequent „Art“ und „Rasse“. Nur so kann er zu der absurden Behauptung kommen, die Paarung etwa von „Arier“ und „Neger“ gleiche der von Katze und Maus, nicht aber zum Beispiel der eines weißen und eines schwarzen Pferdes. Selbst ähnlich gesinnte Rasseforscher seiner eigenen Zeit kritisierten Hitler für seinen wissenschaftlichen Dilettantismus gerade auf dem Feld, auf dem der Nationalsozialismus höchste Wahrheit für sich beanspruchte. Wahrscheinlich war Hitler aber tatsächlich davon überzeugt, es gäbe überhaupt keinen Homo Sapiens und die Menschenrassen wären wirklich verschiedene, einander fremde und feindliche Arten. Nur der „Arier“ repräsentiert seiner Ansicht nach den „Urtyp“ dessen, „was wir unter dem Worte »Mensch« verstehen.“ Dem Arier ist es deswegen natürlich auch erlaubt, minderwertige Rassen als Sklaven wie Tiere zu gebrauchen:

Ohne diese Möglichkeit der Verwendung niederer Menschen hätte der Arier niemals die ersten Schritte zu seiner späteren Kultur zu machen vermocht; genau so, wie er ohne die Hilfe einzelner geeigneter Tiere, die er sich zu zähmen verstand, nicht zu einer Technik gekommen wäre, die ihm nun gerade diese Tiere langsam zu entbehren gestattet.

Am deprimierendsten ist hier wie immer die Einsicht, dass die Absurdität von Hitlers Denken später keine Rolle spielte. Der Satz „Wissen ist Macht“ gilt nicht nur in einer Richtung: Dem Mächtigen gelingt es, seine Untergebenen mit Gewalt dazu zu bringen, Unsinniges nicht nur öffentlich zu sagen, sondern irgendwann auch wirklich zu glauben.

Natürlich ist der ganze pseudowissenschaftliche Unfug bloß eine nachträgliche Rechtfertigung für Hitlers ursprünglichen Hass. Und der richtet sich wie bekannt immer gegen den Juden. Es ist deswegen auch nicht irgendeine Rassenmischung, sondern letztlich die „Verjudung“, die der arischen Rasse das Licht auszuknipsen droht. Der Rest dieses Kapitels ist ein vollständiger Katalog aller antisemitischen Verleumdungen, die jemals gegen die Juden erhoben wurden. Es erübrigt sich, hier noch einmal alle aufzuzählen. Auffällig an Hitlers Suada ist nur, dass ihm „der Jude“ wirklich ganz buchstäblich biologisch als „Völkerparasit“ erscheint, als „Schmarotzer“, „Bazillus“, „Blutegel“ und so weiter und so fort. Ganz körperlich geht daher auch die „Verjudung“ der arischen Rasse vonstatten:

Der schwarzhaarige Judenjunge lauert stundenlang, satanische Freude in seinem Gesicht, auf das ahnungslose Mädchen, das er mit seinem Blute schändet und damit seinem, des Mädchens Volke raubt.
Mit allen Mitteln versucht er die rassischen Grundlagen des zu unterjochenden Volkes zu verderben. So wie er selber planmäßig Frauen und Mädchen verdirbt, so schreckt er aber auch nicht davor zurück, selbst im größten Umfange die Blutschranken für andere einzureißen. Juden waren es und sind es, die den Neger an den Rhein bringen, immer mit dem gleichen Hintergedanken und klaren Ziele, durch die dadurch zwangsläufig eintretende Bastardisierung die ihnen verhaßte weiße Rasse zu zerstören, von ihrer kulturellen und politischen Höhe herunterzuschmettern und selber zu ihren Herren aufzusteigen.
Denn ein rassereines Volk, das sich seines Blutes bewußt ist, wird vom Juden niemals unterjocht werden können. Er wird auf dieser Welt ewig nur der Herr von Bastarden sein.

Dass unsere heutigen Vorkämpfer gegen die „Umvolkung“ ihre sexuellen Komplexe in ähnlicher Weise rassistisch auf Fremde projizieren, wie Hitler seine schmierige Notgeilheit auf die Juden übertrug, scheint mir offensichtlich. Darum, zum Schluss, ihr Freunde, ertöne der Ruf: Kein Sex mit Nazis! Und ein dreifaches Hoch auf die Rassenschande!

***

Mein Kampf mit Mein Kampf (1)

Mein Kampf mit Mein Kampf (2): Im Elternhaus

Mein Kampf mit Mein Kampf (3): Wiener Lehr- und Leidensjahre (1)

Mein Kampf mit Mein Kampf (4): Wiener Lehr- und Leidensjahre (2)

Mein Kampf mit Mein Kampf (5): Allgemeine politische Betrachtungen aus meiner Wiener Zeit

Mein Kampf mit Mein Kampf (6): München

Mein Kampf mit Mein Kampf (7): Der Weltkrieg

Mein Kampf mit Mein Kampf (8): Kriegspropaganda

Mein Kampf mit Mein Kampf (9): Die Revolution

Mein Kampf mit Mein Kampf (10): Beginn meiner politischen Tätigkeit

Mein Kampf mit Mein Kampf (11): Die Deutsche Arbeiterpartei

Mein Kampf mit Mein Kampf (12): Ursachen des Zusammenbruches

Mein Kampf mit Mein Kampf (13): Volk und Rasse

Mein Kampf mit Mein Kampf (14): Die erste Entwicklungszeit der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei

Mein Kampf mit Mein Kampf (15): Weltanschauung und Partei

Mein Kampf mit Mein Kampf (16): Der Staat

Mein Kampf mit Mein Kampf (17): Staatsangehöriger und Staatsbürger

Mein Kampf mit Mein Kampf (18): Persönlichkeit und völkischer Staatsgedanke

Mein Kampf mit Mein Kampf (19): Weltanschauung und Organisation

Mein Kampf mit Mein Kampf (20): Der Kampf der ersten Zeit – Die Bedeutung der Rede

Mein Kampf mit Mein Kampf (21): Das Ringen mit der roten Front

Mein Kampf mit Mein Kampf (22): Der Starke ist am mächtigsten allein

Mein Kampf mit Mein Kampf (23): Grundgedanken über Sinn und Organisation der S.A.

Mein Kampf mit Mein Kampf (24): Der Föderalismus als Maske

Mein Kampf mit Mein Kampf (25): Propaganda und Organisation

Mein Kampf mit Mein Kampf (26): Die Gewerkschaftsfrage

Mein Kampf mit Mein Kampf (27): Deutsche Bündnispolitik nach dem Kriege

Mein Kampf mit Mein Kampf (28): Ostorientierung oder Ostpolitik

Mein Kampf mit Mein Kampf (29): Notwehr als Recht

***

Hitler, Mein Kampf. Eine kritische Edition. Im Auftrag des Instituts für Zeitgeschichte München – Berlin hg. von Christian Hartmann, Thomas Vordermeyer, Othmar Plöckinger und Roman Töppel unter Mitarbeit von Pascal Trees, Angelika Reizle und Martina Seewald-Mooser. Zwei Bände. München/Berlin: Institut für Zeitgeschichte, 4., durchges. Aufl. 2016

Termine der Woche

Am Montag (26. September) lese ich in der von Sarah Bosetti und Daniel Hoth moderierten Reihe „Peace, Love & Poetry“ im Kaffee Burger in Berlin. Mit dabei sind auch die wunderbaren Kollegen Zoe Hagen und Karsten Lampe. Los geht es um 21 Uhr.

Am Sonntag (2. Oktober) helfe ich als Gastautor aus bei der Berliner Reformbühne Heim & Welt. Die Stammautoren sind Ahne, Jakob Hein, Falko Hennig, Heiko Werning und Jürgen Witte. Als Gäste sind diesmal außerdem Herr Horst und Andreas Gläser mit dabei. Los geht es in der Jägerklause in Friedrichshain um 20 Uhr.

Professor Patzelt und der Nazi-Vergleich

Gegen zwei Äußerungen von Prof. Werner J. Patzelt haben verschiedene Menschen, unter ihnen auch ich, Einwände erhoben. Es handelt sich um Sätze aus der unseligen Kategorie „Nazi-Vergleich“. Prof. Patzelt sieht sich, wie meistens, wenn er kritisiert wird, als Opfer einer Hexenjagd und Diffamierungskampagne. Versuchen wir uns an einer sachlichen Prüfung, wie sie auch von Prof. Patzelt eingefordert wird.

Hierzu zunächst eine Begriffsklärung. Das Wort „Vergleich“ wird, wie auch Prof. Patzelt zurecht betont, in mehrdeutiger Weise verwendet. Leider wird es oft als Synonym für „Gleichsetzung“, also für eine Identifikation gebraucht. Dies führt zu Missverständnissen, zum Beispiel wenn jemand angibt, er wolle die DDR und das Dritte Reich miteinander vergleichen, und ihm daraufhin vorgeworfen wird, er wolle beide Staaten gleichsetzen. Ein Vergleich will aber sowohl Gemeinsamkeiten als auch Unterschiede feststellen. So kann man etwa PEGIDA und die NSDAP miteinander vergleichen, wie ich das in einem früheren Beitrag gemacht habe, ohne damit zu behaupten, beide wären identisch. Um aber zwei Sachverhalte miteinander vergleichen zu können, müssen diese irgendwie ähnlich sein, wenigstens in einer Hinsicht (Tertium comparationis) etwas gemeinsam haben. Man kann z.B. Äpfel und Birnen sehr gut miteinander vergleichen, weil es sich in beiden Fällen um Obst handelt. Hingegen ist ein Vergleich zwischen einem Harzer Käse und dem Satz des Pythagoras unsinnig, wenigstens außerhalb des Reiches der Poesie. Aus dieser Logik hat sich nun aber noch eine dritte Verwendungsweise des Wortes „Vergleich“ ergeben, nämlich die als Synonym für Feststellung von Ähnlichkeit. In der Umgangssprache behauptet jemand, der „X mit Y vergleicht“, X und Y seien ähnlich – wobei nicht immer klar ist, in welcher Hinsicht die Ähnlichkeit bestehen soll.

Am 2. September 2016 erschien in der Sächsischen Zeitung eine Kolumne von Prof. Patzelt in der Rubrik „Besorgte Bürger“. In ihr warnte er vor einer Überforderung der Politik durch uneinlösbare Wünsche. Der Versuch, solche überzogenen Pläne in die Tat umzusetzen, müsse scheitern und könne sogar zu Zerstörungen führen. Und Prof. Patzelt führte einige historische Beispiele auf für den unbedingten Glauben an das Gelingen von zum Scheitern verurteilten Projekten. In diesem Zusammenhang folgte dann gegen Ende des Textes der Satz:

Wenig hilft in solchen Lagen ein „Glaube an den Endsieg“, heute formuliert als „Yo, wir schaffen das“.

Worum handelt es sich hier? Ein Vergleich benutzt üblicherweise das Wörtchen „wie“ – wir suchen es vergebens. Liest man den Satz ganz wörtlich, dann bedeutet er: Der Glaube an den „Endsieg“ (von jedermann mit Adolf Hitler und dem Zweiten Weltkrieg assoziiert), wird heute formuliert als „Wir schaffen das!“, ein Satz, der unzweifelhaft zu Angela Merkel und der Flüchtlingskrise gehört. Man kann den Satz von Prof. Patzelt also durchaus als Gleichsetzung, als die direkte Behauptung einer historischen Wiederkehr lesen. Einige Rechtsradikale werden das auch getan haben: „Die Merkel wird durch die Ausländer Deutschland zu Grunde richten wie Hitler!“ Verräterischerweise hat Prof. Patzelt den Satz in seiner Rechtfertigung auch nicht wörtlich wiederholt, sondern umschrieben:

Ich hatte vor zwei Wochen über die Grenzen von Politik geschrieben und darauf hingewiesen, dass diese Grenzen auch nicht dadurch sonderlich ausgedehnt würden, dass man etwa an einen Endsieg glaubt oder es mit einem Mantra wie „Yo, wir schaffen das!“ versucht.

In dieser Version erscheinen nun zwei Sachverhalte nicht gleichgesetzt, sondern als unterschiedliche Beispiele für einen Sachverhalt aufgeführt. Ich glaube Prof. Patzelt auch, dass seine ursprüngliche Formulierung schon genauso gemeint gewesen ist, dass es sich also um einen impliziten Vergleich, keine Gleichsetzung handelte. Aber: Muss ein Autor, der sonst stets argumentative und sprachliche Sensibilität einfordert und besonders „Nazi-Vergleiche“ streng kritisiert, diese Maßstäbe nicht auch an sich selbst anlegen? Der Satz, mit dem Prof. Patzelt die Debatte lostrat, war missverständlich formuliert, wohl auch bewusst provozierend. Dies jedenfalls legt eine Aussage von Prof. Patzelt gegenüber dem Deutschlandfunk nahe, die sich schon auf seinen zweiten Beitrag zum Streit bezieht:

Hätte ich das Goebbels-Zitat nicht gebracht, spräche niemand über diese Kolumne, jetzt spricht man drüber, und natürlich will ich, dass meine Analysen und Argumente auch ein breites Publikum finden. Und wenn andere über Stöckchen drüber springen, soll mir das Recht sein.

Wer aber erst als bewusster Provokateur zu Missverständnissen einlädt und sich danach über Missverständnisse empört zeigt, der argumentiert unredlich – um ein Wort zu benutzen, das Prof. Patzelt selbst gern Gegnern entgegenschleudert.

Wer Prof. Patzelt kennt, der weiß natürlich, dass es ihm fernliegt, Hitler und Angela Merkel oder Nazis und Flüchtlingshelfer miteinander zu identifizieren. Meine Erwiderung in der folgenden Kolumne der Rubrik „Besorgte Bürger“ am 9. September war deswegen auch in heiterem Ton gehalten. Ich warf Prof. Patzelt keine Gleichsetzung vor, sondern signalisierte nur, dass ich seinen impliziten Vergleich für unsinnig halte. Denn die Unterschiede zwischen Zweitem Weltkrieg und Flüchtlingskrise sind so groß, dass eine Verknüpfung mir unsinnig erscheint. Ich halte die von Prof. Patzelt angenommene Ähnlichkeit schlicht für nicht vorhanden, denn die Flüchtlingshelfer waren keine merkelgläubige Masse, sondern engagierte und dabei durchaus kritisch reflektierte Menschen. So zumindest habe ich einige von ihnen kennengelernt. Wie viele Flüchtlingshelfer Prof. Patzelt persönlich getroffen hat, weiß ich nicht.

Damit hätte es nun sein Bewenden haben können, wenn Prof. Patzelt nicht die ununterdrückbare Leidenschaft hätte, in allen Fragen am Ende Recht zu behalten. Er beschloss, in der folgenden Kolumne am 16. September noch eins draufzusetzen und führte den impliziten Vergleich explizit aus. Wohlgemerkt sieht er die Ähnlichkeit der Flüchtlingshelfer mit den Deutschen unter dem Nationalsozialismus nicht in der moralischen Qualität ihres Tuns. Er sieht sie in einem Vertrauen-Wollen, einem unkritischen Glauben an politische Führer. Und dies erläuterte er u.a. mit dem folgenden Satz:

Gewiss war kein abscheulicher Krieg, sondern eine an menschlicher Schönheit schwer zu übertreffende Willkommenskultur, in was vor einem Jahr so viele hineingingen „wie in einen Gottesdienst“ (so einst Joseph Goebbels).

Ich habe bereits ausgeführt, warum ich diesen Vergleich sachlich für falsch halte. Ich halte ihn aber auch für schief und missraten, denn ein Vergleich (verstanden hier als Feststellung einer Ähnlichkeit) wird auch dann unsinnig, wenn die Unterschiede die Gemeinsamkeiten weit überwiegen. Würde ich z.B. äußern: „Prof. Patzelt ähnelt Dr. Goebbels!“ und dann auf die ausgelöste Empörung erwidern: „Was denn? Haben denn nicht beide Bücher geschrieben?“, dann würde meine Antwort gewiss nicht als hinreichende Erklärung akzeptiert. Prof. Patzelt bliebe beleidigt. Ebenso beleidigt sind nun aber die Flüchtlingshelfer, die sich mit Nazis verglichen sehen, obwohl ihr sicherlich vorhandener Optimismus dem Fanatismus der Nazis weder dem moralischen Wert noch der Intensität nach entspricht, ja ihm sogar entgegengesetzt ist. Dies hat Prof. Patzelt nun auch anerkannt, indem er sagt, er habe das Vertrauen-Wollen nicht dem „Grad“ oder der „Inhumanität“ nach gleichsetzen wollen. Aber diese Klarstellung folgt eben erst jetzt. Und es stellt sich schließlich die Frage: Wozu erst eine Ähnlichkeit zwischen Flüchtlingshelfern und Nazi-Soldaten behaupten, um dann in mühevoller Rechtfertigung herauszustellen, gar so ähnlich seien sich beide ja auch wieder nicht?

Differenzieren macht müde. Ich will’s dabei belassen. Ob ich Prof. Patzelt davon überzeugen konnte, dass er sich mit einem einfachen Eingeständnis, einmal einen missratenen Satz formuliert zu haben, die ganze Debatte hätte sparen können? Ich zweifle daran.

***

Eine kürzere und naturgemäß etwas pointiertere Erwiderung auf Prof. Patzelts Beiträge erscheint am 23. September als Kolumne der Rubrik „Besorgte Bürger“ in der Sächsischen Zeitung.

***

Prof. Patzelt hat auf die Kritik reagiert in einem Beitrag mit dem Titel Plisch und Plum.

Mein Kampf mit Mein Kampf (12): Ursachen des Zusammenbruches

Die Niederlage der Deutschen im Ersten Weltkrieg war für Hitler bloß Symptom eines allgemeinen Niedergangs des deutschen Volkes in der Zeit der Moderne. Seine Aufzählung der „Verfallserscheinungen einer langsam abfaulenden Welt“ ist nicht originell. Er hakt nur all jene Phänomene der „Entartung“ noch einmal ab, die von kulturpessimistischen Konservativen der Jahrhundertwende schon vielfach attackiert worden waren. So beklagt er die „schädliche Industriealisierung“ [sic], die zusammen mit der Verstädterung zu einer „Schwächung des Bauernstandes“ und einem Verlust des Heimatgefühls geführt habe. Die nationale Souveränität leide unter der „Verinternationalisierung der deutschen Wirtschaft“ durch das globale Finanzkapital. Im „Geflunker einer sogenannten »Pressefreiheit«“ sieht er nur „straflose[] Volksbelügung und Volksvergiftung“. Ihr entspricht auf dem ästhetischen Feld der avantgardistische „Bolschewismus der Kunst“, auf dem politischen Feld das Elend des Parlamentarismus.

Eigentümlich an Hitlers Thesen ist einerseits – wie immer – die rasende Übertreibung, andererseits der Biologismus. Dass es in der Moderne einen ganz förchterlichen Verfall der Kultur gebe, behauptet ja noch immer jeder zweite pensionierte Studienrat; Hitler aber sah eine ganz körperliche Degeneration am Werk. „Verweichlichung und Verweibung“ zersetzten die männliche Wehrtüchtigkeit. Und die Massenmedien machten die Menschen nicht einfach nur dümmer, vielmehr finde gar eine „Rückentwicklung des menschlichen Gehirns“ statt. Es sind denn auch die „blutsmäßigen Faktoren“, welche für die Katastrophe der allgemeinen Entartung verantwortlich sein sollen, letztlich natürlich wieder einmal „der Jude“.

Mit auffälliger Akribie widmet sich Hitler der „Verpestung unseres Sexuallebens“, die sich in der „Prostituierung der Liebe“ zeige. Es ist besonders eine Sorge, die Hitler umtreibt und die ihn wohl schon nachts im Bett des Männerwohnheims nicht schlafen ließ, die Angst vor der Syphilis. Diese Krankheit erscheint besonders schrecklich, weil sie nicht nur die Gesundheit des Einzelnen, sondern durch Vererbung den ganzen Volkskörper bedroht. Erreger dieser Lustseuche ist nach der Diagnose Hitlers kein Bakterium, sondern der Jude:

Die Verjudung unseres Seelenlebens und Mammonisierung unseres Paarungstriebes versauen früher oder später unseren gesamten Nachwuchs, indem statt kraftvoller Kinder eines natürlichen Gefühls, nur mehr die Jammererscheinungen finanzieller Zweckmäßigkeit treten.

Vordringlich ist für Hitler die Abschaffung der Prostitution. Im Ziel ist Hitler also mit Alice Schwarzer einig, nur in der Wahl der Mittel stimmen die beiden nicht ganz überein:

Die Prostitution ist eine Schmach der Menschheit, allein man kann sie nicht beseitigen durch moralische Vorlesungen, frommes Wollen usw., sondern ihre Einschränkung und ihr endlicher Abbau setzen die Beseitigung einer ganzen Unzahl von Vorbedingungen voraus. Die erste aber ist und bleibt die Schaffung der Möglichkeit einer der menschlichen Natur entsprechenden frühzeitigen Heirat vor allem des Mannes; denn die Frau ist ja hier ohnehin nur der passive Teil.

Als weitere Maßnahme empfiehlt Hitler besonders der Jugend den Sport. Denn wer turnt, der sündigt nicht:

Die übermäßige Betonung des rein geistigen Unterrichtes und die Vernachlässigung der körperlichen Ausbildung fördern aber auch in viel zu früher Jugend die Entstehung sexueller Vorstellungen. Der Junge, der in Sport und Turnen zu einer eisernen Abhärtung gebracht wird, unterliegt dem Bedürfnis sinnlicher Befriedigungen weniger als der ausschließlich mit geistiger Kost gefütterte Stubenhocker.

Kurz gesagt: Die deutschen Buben sollen nicht zu so schlaffen, untätigen Zwangsonanisten heranwachsen, wie der junge Adolf Hitler einer war.

Wie für alle Rassisten, so sind auch für Hitler das Individuum und die Menschheit keine leitenden Begriffe, allein Volk und Rasse bestimmen als Höchstwerte das Denken. Auch die Liebe wird dementsprechend vom Zweck zum Mittel, die Sexualität zur Menschenzucht:

Auch die Ehe kann nicht Selbstzweck sein, sondern muß dem einen größeren Ziele, der Vermehrung und Erhaltung der Art und Rasse, dienen. Nur das ist ihr Sinn und ihre Aufgabe.

Das heißt aber auch: Die Gesundheitspolitik wird zur Bevölkerungspolitik. Nicht mehr der Körper des Kranken soll geheilt werden, sondern der Volkskörper. Der Kranke wird so selbst zur Krankheit, die es zu beseitigen gilt. Und Ärzte müssen zu Mördern werden. Diese fatale Logik ist in Mein Kampf bereits nahezu vollständig offengelegt:

Es ist eine Halbheit, unheilbar kranken Menschen die dauernde Möglichkeit einer Verseuchung der übrigen gesunden zu gewähren. […] Die Forderung, daß defekten Menschen die Zeugung anderer ebenso defekter Nachkommen unmöglich gemacht wird, ist eine Forderung klarster Vernunft und bedeutet in ihrer planmäßigen Durchführung die humanste Tat der Menschheit. […] Denn hier wird man, wenn nötig, zur unbarmherzigen Absonderung einmal unheilbar Erkrankter schreiten müssen; eine barbarische Maßnahme für den unglücklich davon Betroffenen, aber ein Segen für die Mit- und Nachwelt.

Denn der Einzelne zählt nichts, das Volk ist alles. Nicht einmal der eigene Körper gehört mehr dem Individuum in jenem totalen Staat, von dem Hitler träumte, bis er Wirklichkeit wurde.

Das Recht der persönlichen Freiheit tritt zurück gegenüber der Pflicht der Erhaltung der Rasse.

Auf diese Weise aber bemächtigte sich Hitler schließlich doch noch der fremden Körper, die sich ihm in seinem erbärmlichen Leben so lange entzogen hatten.

***

Mein Kampf mit Mein Kampf (1)

Mein Kampf mit Mein Kampf (2): Im Elternhaus

Mein Kampf mit Mein Kampf (3): Wiener Lehr- und Leidensjahre (1)

Mein Kampf mit Mein Kampf (4): Wiener Lehr- und Leidensjahre (2)

Mein Kampf mit Mein Kampf (5): Allgemeine politische Betrachtungen aus meiner Wiener Zeit

Mein Kampf mit Mein Kampf (6): München

Mein Kampf mit Mein Kampf (7): Der Weltkrieg

Mein Kampf mit Mein Kampf (8): Kriegspropaganda

Mein Kampf mit Mein Kampf (9): Die Revolution

Mein Kampf mit Mein Kampf (10): Beginn meiner politischen Tätigkeit

Mein Kampf mit Mein Kampf (11): Die Deutsche Arbeiterpartei

Mein Kampf mit Mein Kampf (12): Ursachen des Zusammenbruches

Mein Kampf mit Mein Kampf (13): Volk und Rasse

Mein Kampf mit Mein Kampf (14): Die erste Entwicklungszeit der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei

Mein Kampf mit Mein Kampf (15): Weltanschauung und Partei

Mein Kampf mit Mein Kampf (16): Der Staat

Mein Kampf mit Mein Kampf (17): Staatsangehöriger und Staatsbürger

Mein Kampf mit Mein Kampf (18): Persönlichkeit und völkischer Staatsgedanke

Mein Kampf mit Mein Kampf (19): Weltanschauung und Organisation

Mein Kampf mit Mein Kampf (20): Der Kampf der ersten Zeit – Die Bedeutung der Rede

Mein Kampf mit Mein Kampf (21): Das Ringen mit der roten Front

Mein Kampf mit Mein Kampf (22): Der Starke ist am mächtigsten allein

Mein Kampf mit Mein Kampf (23): Grundgedanken über Sinn und Organisation der S.A.

Mein Kampf mit Mein Kampf (24): Der Föderalismus als Maske

Mein Kampf mit Mein Kampf (25): Propaganda und Organisation

Mein Kampf mit Mein Kampf (26): Die Gewerkschaftsfrage

Mein Kampf mit Mein Kampf (27): Deutsche Bündnispolitik nach dem Kriege

Mein Kampf mit Mein Kampf (28): Ostorientierung oder Ostpolitik

Mein Kampf mit Mein Kampf (29): Notwehr als Recht

***

Hitler, Mein Kampf. Eine kritische Edition. Im Auftrag des Instituts für Zeitgeschichte München – Berlin hg. von Christian Hartmann, Thomas Vordermeyer, Othmar Plöckinger und Roman Töppel unter Mitarbeit von Pascal Trees, Angelika Reizle und Martina Seewald-Mooser. Zwei Bände. München/Berlin: Institut für Zeitgeschichte, 4., durchges. Aufl. 2016

Termine der Woche

Am Freitag (23. September) moderiere ich in Dresden einen Poetry Slam unter dem Titel „Literaturen am Fluss“, der im Rahmen der Aktion „FreiRaum – Brücken bauen für Demokratie und Dialog“ stattfindet. Die Reihe wird von der Stiftung Friedliche Revolution organisiert. Vier junge Poetinnen und Poeten setzen sich literarisch mit Migration und kulturellem Wandel in Europa auseinander. Ich freue mich auf die Leipziger Autorin und Bloggerin Nhi Le, den Berliner Poeten Temye Tesfu, die Dichterin Tanasgol Sabbagh aus Friedberg in Hessen und Noah Klaus, meinen Berliner Kollegen von der Lesebühne Zentralkomitee Deluxe. Der Spaß findet auf der FreiRaum-Bühne auf dem Theaterplatz statt – bei gutem Wetter draußen, bei schlechtem drinnen. Der Eintritt ist frei!

Mein Kampf mit Mein Kampf (11): Die Deutsche Arbeiterpartei

Keiner soll mir vorwerfen, ich verschwiege die menschlichen Züge Hitlers, die sich in einigen Passagen von Mein Kampf durchaus zeigen. Der Gefreite Hitler erzählt uns aus seinem Kasernenleben:

Da ich jeden Morgen früh schon vor 5 Uhr aufzuwachen pflegte, hatte ich mir die Spielerei angewöhnt, den Mäuslein, die in der kleinen Stube ihre Unterhaltung trieben, ein paar Stückchen harte Brotreste oder -rinden auf den Fußboden zu legen und nun zuzusehen, wie sich die possierlichen Tierchen um diese paar Leckerbissen herumjagten. Ich hatte in meinem Leben schon soviel Not gehabt, daß ich mir den Hunger und daher auch das Vergnügen der kleinen Wesen nur zu gut vorzustellen vermochte.

Ist das nicht ein rührendes Bild? Wird uns nicht der Mann, der früher selbst Hunger litt und nun die Macht genießt, hungernde Mäuslein ums Brot kämpfen zu lassen, gleich sympathisch? Nein? Na, dann weiß ich auch nicht weiter.

Eigentliches Thema des Kapitelchens ist der Beitritt des Helden zur Deutschen Arbeiterpartei. Sie war einer der zahllosen völkischen Zirkel, die nach dem Weltkrieg in München aufblühten. Hitler bemüht sich, die Kleinstpartei um den Werkzeugschlosser Anton Drexler noch kleiner zu schreiben, als sie wirklich war, offenkundig in der Absicht, sich später selbst als eigentlichen Neugründer besser ins Licht zu setzen. Geradezu lustig macht Hitler sich über die „Vereinsmeierei allerärgster Art und Weise“, die ihn bei den ersten Begegnungen mit Parteileuten sehr abgeschreckt habe. Umso schwerer fällt es ihm sodann zu erklären, wieso er dennoch halb widerstrebend Mitglied wurde. Wieder einmal ist der „entscheidendste Entschluss [s]eines Lebens“ fällig – so ungefähr in jedem vierten Kapitel fasst Hitler solch schwerste Entschlüsse. Er tritt bei!

Denn dies war der Vorteil, der sich hier ergeben mußte: man konnte hier noch arbeiten, und je kleiner die Bewegung war, um so eher war sie noch in die richtige Form zu bringen. Hier konnten noch der Inhalt, das Ziel und der Weg bestimmt werden, was bei den bestehenden großen Parteien von Anfang an schon wegfiel.

Die DAP also ein weißes Blatt Papier, das Hitler zur Niederschrift seiner Erfolgsgeschichte auswählte? Näher an der Wahrheit dürfte folgende Vermutung sein: Der vereinsamte Gefreite war froh, überhaupt irgendwo Anschluss zu finden. Und er entdeckte, dass sich Leute für die wütenden Monologe begeisterten, die er bislang zuhause allein seinem Wandschrank vorgetragen hatte.

Mehr lässt sich aus diesem Kapitel wirklich nicht quetschen. Aber das nächste droht schon mit über sechzig Seiten! Werde ich es lesen? Das wird der schwerste Entschluss meines Lebens!

***

Mein Kampf mit Mein Kampf (1)

Mein Kampf mit Mein Kampf (2): Im Elternhaus

Mein Kampf mit Mein Kampf (3): Wiener Lehr- und Leidensjahre (1)

Mein Kampf mit Mein Kampf (4): Wiener Lehr- und Leidensjahre (2)

Mein Kampf mit Mein Kampf (5): Allgemeine politische Betrachtungen aus meiner Wiener Zeit

Mein Kampf mit Mein Kampf (6): München

Mein Kampf mit Mein Kampf (7): Der Weltkrieg

Mein Kampf mit Mein Kampf (8): Kriegspropaganda

Mein Kampf mit Mein Kampf (9): Die Revolution

Mein Kampf mit Mein Kampf (10): Beginn meiner politischen Tätigkeit

Mein Kampf mit Mein Kampf (11): Die Deutsche Arbeiterpartei

Mein Kampf mit Mein Kampf (12): Ursachen des Zusammenbruches

Mein Kampf mit Mein Kampf (13): Volk und Rasse

Mein Kampf mit Mein Kampf (14): Die erste Entwicklungszeit der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei

Mein Kampf mit Mein Kampf (15): Weltanschauung und Partei

Mein Kampf mit Mein Kampf (16): Der Staat

Mein Kampf mit Mein Kampf (17): Staatsangehöriger und Staatsbürger

Mein Kampf mit Mein Kampf (18): Persönlichkeit und völkischer Staatsgedanke

Mein Kampf mit Mein Kampf (19): Weltanschauung und Organisation

Mein Kampf mit Mein Kampf (20): Der Kampf der ersten Zeit – Die Bedeutung der Rede

Mein Kampf mit Mein Kampf (21): Das Ringen mit der roten Front

Mein Kampf mit Mein Kampf (22): Der Starke ist am mächtigsten allein

Mein Kampf mit Mein Kampf (23): Grundgedanken über Sinn und Organisation der S.A.

Mein Kampf mit Mein Kampf (24): Der Föderalismus als Maske

Mein Kampf mit Mein Kampf (25): Propaganda und Organisation

Mein Kampf mit Mein Kampf (26): Die Gewerkschaftsfrage

Mein Kampf mit Mein Kampf (27): Deutsche Bündnispolitik nach dem Kriege

Mein Kampf mit Mein Kampf (28): Ostorientierung oder Ostpolitik

Mein Kampf mit Mein Kampf (29): Notwehr als Recht

***

Hitler, Mein Kampf. Eine kritische Edition. Im Auftrag des Instituts für Zeitgeschichte München – Berlin hg. von Christian Hartmann, Thomas Vordermeyer, Othmar Plöckinger und Roman Töppel unter Mitarbeit von Pascal Trees, Angelika Reizle und Martina Seewald-Mooser. Zwei Bände. München/Berlin: Institut für Zeitgeschichte, 4., durchges. Aufl. 2016

Mein Kampf mit Mein Kampf (10): Beginn meiner politischen Tätigkeit

Im Laufe der Revolutionswirren der Jahre 1918 und 1919 gerät der Gefreite Adolf Hitler in recht undurchsichtiger Weise in die Politik, zuerst als Spitzel und Propagandist innerhalb der Reichswehr in Bayern. Über die genauen Abläufe erzählt der Autor Hitler wenig und mancherlei Zweifelhaftes. Ungewöhnlicherweise namentlich würdigt er einen frühen Mentor: Gottfried Feder. Der Bauingenieur und Hobbyökonom war kurz nach dem Ersten Weltkrieg mit Schriften und Vorträgen aufgetreten, in denen er behauptete, „das Ei des Kolumbus“ gefunden zu haben. Schlüssel zur Lösung aller ökonomischen Probleme sei die Abschaffung des Zinses. Man muss kein Wirtschaftswissenschaftler sein, um zu erkennen, dass Feder ein faules Ei ausgebrütet hatte. Hitler hingegen war begeistert, denn Feder lieferte ihm eine theoretische Grundlage für seinen Wunsch, eine nationalistische Antwort auf die soziale Frage zu finden:

Der Kampf gegen das internationale Finanz- und Leihkapital ist zum wichtigsten Programmpunkt des Kampfes der deutschen Nation um ihre Unabhängigkeit und Freiheit geworden.

So ein Satz Hitlers dürfte auch heute noch so manchem Bürger wohlklingend im Ohr tönen. Und liest man Gottfried Feders Manifest zur Brechung der Zinsknechtschaft des Geldes (1919), dann glaubt man, eine aktuelle Ausgabe des Magazins Compact vor sich zu haben. Ich möchte gerne kurz zu dieser Schrift abschweifen, denn die Verführungskraft dieses nationalen Sozialismus scheint mir auch heute noch beträchtlich.

Nicht der Kapitalismus ist nach Gottfried Feder das Übel, sondern nur der raffende Finanzkapitalismus, der fundamental vom schaffenden Industriekapitalismus unterschieden wird:

Wir erkennen klar, daß nicht die kapitalistische Wirtschaftsordnung, an sich nicht das Kapital als solches die Geißel der Menschheit ist. Das unersättliche Zinsbedürfnis des Groß-Leihkapitals ist der Fluch der gesamten arbeitenden Menschheit!

Gottfried Feder meint denn auch, mit der Abschaffung eines einzelnen Elementes des kapitalistischen Systems, nämlich des Zinses, wäre dieses System von allen Gebrechen zu heilen:

Der Zins ist es, der mühe- und endlose Güterzufluß aus reinem Geldbesitz ohne Hinzutun jeglicher Arbeit hat die großen Geldmächte wachsen lassen. Der Leihzins ist das teuflische Prinzip, aus dem die goldene Internationale geboren ist. All überall hat sich das Leihkapital festgesaugt. Wie mit Polypenarmen hat das Großleihkapital alle Staaten, alle Völker der Welt umstrickt.

Spekulanten sind den meisten Menschen unsympathischer als Fabrikanten und das ist wohl nur natürlich. Dass Finanzkapital eine ganz eigene Dynamik entwickeln kann, die einer Selbstvermehrung des Geldes ähnlich sieht, wird auch niemand bestreiten. Dennoch bleibt eine theoretische Entgegensetzung von Finanz- und Industriekapital, die in der Praxis keineswegs getrennt sind, Unsinn. Der Finanzunternehmer strebt nach dem, worauf auch der Industrieunternehmer angewiesen ist: Profit. Einer kann ohne den anderen auch keinen Profit machen, weshalb beide nicht selten identisch sind. Wären Finanzkapitalisten nur Schmarotzer, gäbe es sie nicht mehr, denn der Kapitalismus duldet keine Nutzlosigkeit. Um „die unheimliche, unsichtbare, geheimnisvolle Herrschaft der großen internationalen Geldmächte“ zu erklären, die doch eigentlich überflüssig sein sollen, muss Feder eine Verschwörung am Werke sehen. Und er lässt keinen Zweifel daran, dass die Zinslobby vor allem aus Juden besteht.

Was unterscheidet diesen nationalen Sozialismus von einer vernünftigen Kapitalismuskritik?

Es ist erstens die Simplifizierung der ökonomischen Fragen. Alle wirtschaftlichen Probleme werden auf ein einziges Hauptübel reduziert, dessen Beseitigung nicht weniger als die „Erlösung“ der Menschheit garantieren soll. So verspricht etwa die „Brechung der Zinsknechtschaft“ die Wiederherstellung nationaler Souveränitität, die Abschaffung aller Steuern, niedrigere Mieten, mehr Einkommen und noch viele andere schöne Dinge. Der nationale Sozialist glaubt, der Kapitalismus könnte reibungslos funktionieren, hätte sich nur der verteufelte Zins nicht eingeschlichen. Nur ein Willensakt sei nötig, um ihn abzuschaffen. Ebenso könnte man allerdings vorschlagen: Die Marktwirtschaft wäre vollkommen, gäbe es nur diese ärgerlichen Preise nicht! Schaffen wir sie ab, dann bekommen wir alles umsonst!

Zweitens bringt der nationale Sozialismus eine Moralisierung und Personalisierung. Probleme werden mit Menschen identifiziert. Die Kritik gilt weniger den Produktionsverhältnissen als vielmehr Charakteren, Weltanschauungen und Verhaltensweisen. Die kapitalistische Ordnung wird ausdrücklich als natürlicher „Erwerbstrieb“ gebilligt, lediglich Auswüchse einer bei bestimmten Personen „zum Wahnsinn gewordenen Geldgier“ werden gegeißelt. Aus dem systematischen Konflikt von Arbeit und Kapital werden Meinungsverschiedenheiten von Arbeitern und Arbeitnehmern, die sich beilegen lassen, wenn sich beide Gruppen nur im nationalen Interesse zusammenraufen.

Auf diese Weise gelingt schließlich drittens eine Nationalisierung des ökonomischen Programms. Es sind nicht die einheimischen Kapitalisten, sondern immer nur die fremden, die der Glückseligkeit im Wege stehen. Verständlicherweise sind es die ökonomisch erfolgreichen Nationen, die als Schuldige ausgemacht werden, zu Feders und Hitlers Zeiten also die Engländer und Amerikaner. Vor allem aber von den Juden geht in den Augen der nationalen Sozialisten die Gefahr aus. Eine versöhnliche Verständigung mit ihnen ist unmöglich, denn sie sind ja Feinde der nationalen Idee. Die Entmachtung, Enteignung, Vertreibung und Vernichtung bestimmter Menschengruppen kann damit zur Lösungsstrategie werden. Letztlich wird also über den Umweg pseudoökonomischer Argumentation in ganz klassisch antisemitischer Weise das Judentum für alle Übel der Welt verantwortlich gemacht. Das Böse = die „Zinsknechtschaft“ = das „internationale Finanzkapital“ = die „goldene Internationale“ = der „Mammonismus“ = „Rothschild“ = der Jude. Der Nationalsozialismus sieht die Lösung der sozialen Frage am Ende darin, die Juden totzuschlagen.

Verräterischerweise lobt Hitler Gottfried Feder dafür, dass er dem Nationalsozialismus „eine gewaltige Parole“ verschafft habe. In der Tat wurde das Programm Feders nur propagandistisch beim Kampf um die Stimmen der Arbeiter genutzt. Es hatte keine Substanz, bot aber die Möglichkeit, fremde Schuldige für die wirtschaftliche Not zu benennen, ohne zuhause am Kapitalismus wirklich etwas zu ändern. Hitler sagt es klar:

Die scharfe Scheidung des Börsenkapitals von der nationalen Wirtschaft bot die Möglichkeit, der Verinternationalisierung der deutschen Wirtschaft entgegenzutreten, ohne mit dem Kampf gegen das Kapital überhaupt auch die Grundlage einer unabhängigen völkischen Selbsterhaltung zu bedrohen.

Nach der Machtübernahme landeten die ökonomischen Pläne Feders im Papierkorb, Feder selbst wurde auf einflusslose Posten abgeschoben. Um seine Macht zu sichern, schloss Hitler Frieden mit den Kapitalisten und natürlich auch mit den Bankiers. Zustimmung bei den Arbeitern erkaufte er sich mit sozialen Wohltaten, die er unter anderem mit dem Geld bezahlte, das er den vertriebenen und ermordeten Juden stahl.

Und die Moral von der Geschichte: Es gibt keinen nationalen Sozialismus. Sozialismus ist entweder übernational oder er ist gar nicht.

***

Mein Kampf mit Mein Kampf (1)

Mein Kampf mit Mein Kampf (2): Im Elternhaus

Mein Kampf mit Mein Kampf (3): Wiener Lehr- und Leidensjahre (1)

Mein Kampf mit Mein Kampf (4): Wiener Lehr- und Leidensjahre (2)

Mein Kampf mit Mein Kampf (5): Allgemeine politische Betrachtungen aus meiner Wiener Zeit

Mein Kampf mit Mein Kampf (6): München

Mein Kampf mit Mein Kampf (7): Der Weltkrieg

Mein Kampf mit Mein Kampf (8): Kriegspropaganda

Mein Kampf mit Mein Kampf (9): Die Revolution

Mein Kampf mit Mein Kampf (10): Beginn meiner politischen Tätigkeit

Mein Kampf mit Mein Kampf (11): Die Deutsche Arbeiterpartei

Mein Kampf mit Mein Kampf (12): Ursachen des Zusammenbruches

Mein Kampf mit Mein Kampf (13): Volk und Rasse

Mein Kampf mit Mein Kampf (14): Die erste Entwicklungszeit der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei

Mein Kampf mit Mein Kampf (15): Weltanschauung und Partei

Mein Kampf mit Mein Kampf (16): Der Staat

Mein Kampf mit Mein Kampf (17): Staatsangehöriger und Staatsbürger

Mein Kampf mit Mein Kampf (18): Persönlichkeit und völkischer Staatsgedanke

Mein Kampf mit Mein Kampf (19): Weltanschauung und Organisation

Mein Kampf mit Mein Kampf (20): Der Kampf der ersten Zeit – Die Bedeutung der Rede

Mein Kampf mit Mein Kampf (21): Das Ringen mit der roten Front

Mein Kampf mit Mein Kampf (22): Der Starke ist am mächtigsten allein

Mein Kampf mit Mein Kampf (23): Grundgedanken über Sinn und Organisation der S.A.

Mein Kampf mit Mein Kampf (24): Der Föderalismus als Maske

Mein Kampf mit Mein Kampf (25): Propaganda und Organisation

Mein Kampf mit Mein Kampf (26): Die Gewerkschaftsfrage

Mein Kampf mit Mein Kampf (27): Deutsche Bündnispolitik nach dem Kriege

Mein Kampf mit Mein Kampf (28): Ostorientierung oder Ostpolitik

Mein Kampf mit Mein Kampf (29): Notwehr als Recht

***

Hitler, Mein Kampf. Eine kritische Edition. Im Auftrag des Instituts für Zeitgeschichte München – Berlin hg. von Christian Hartmann, Thomas Vordermeyer, Othmar Plöckinger und Roman Töppel unter Mitarbeit von Pascal Trees, Angelika Reizle und Martina Seewald-Mooser. Zwei Bände. München/Berlin: Institut für Zeitgeschichte, 4., durchges. Aufl. 2016