Ken Jebsen oder Wahnsinn mit Methode

Was ist ein politisch Inkorrekter? Ein Feigling, der doch ein Provokateur sein möchte. Er ist sich bewusst, ganz außergewöhnliche Meinungen zu hegen, welche die Grenzen der gewöhnlichen politischen Diskussion sprengen. Aber er wagt es doch nicht, seine Weltanschauung unverblümt zu offenbaren. Warum? Er selbst behauptet, die „Mainstream-Medien“ hielten ihn davon ab. Die „politische Korrektheit“ bringe alle Menschen, die es wagten, die „Wahrheit“ zu sagen, zum Schweigen. Aber diese Begründung ist nur vorgeschoben: Tatsächlich scheut der politisch Inkorrekte, sich ganz auszusprechen, weil er zugleich doch auch geliebt werden möchte. Und er vermutet mit Recht, seine Auffassungen könnten – nackt vorgezeigt – die meisten Menschen anwidern und abstoßen. Widerspruch aber schmerzt ihn unendlich, denn er ist eine krankhaft narzisstische Natur. Seine Selbstverliebtheit erträgt keine Kritik. Eben darum flennt und jammert er, sobald ihm jemand Widerworte gibt: „Man will mich mundtot machen! Hilfe! Hilfe!“ So erklärt sich das Paradox, dass diejenigen, die selbst immer rücksichtslos „Klartext“ reden wollen, auf scharfe Erwiderungen am empfindlichsten reagieren. Um jenen Schmerz zu vermeiden, spricht der politisch Inkorrekte vornehmlich in Andeutungen. Seine Anhänger wissen bald, woran sie sind, denn sie vernehmen die unhörbaren Töne wie Hunde die Pfeife ihres Herrn. Kritiker aber beißen sich die Zähne aus, denn der politisch Inkorrekte kann sich meist hinter der Vagheit und Zweideutigkeit seiner Verlautbarungen verstecken.

Dumm ist’s nur, wenn einmal eine private Äußerung in die Öffentlichkeit gelangt. So geschah es Ken Jebsen, der seinen wahnhaften Antisemitismus und Antiamerikanismus in einer privaten Mail aussprach, die von Henryk M. Broder der Öffentlichkeit präsentiert wurde. Ein kleiner Auszug ist mehr als genug:

sie brauchen mir keine holocaus informatinen zukommen lassen. ich habe mehr als sie. ich weis wer den holocaust als PR erfunden hat. der neffe freuds. bernays. in seinem buch propaganda schrieb er wie man solche kampagnen durchführt. goebbels hat das gelesen und umgesetzt. ich weis wer die rassendatten im NS reich möglich gemacht hat. IBM mit hollerithmachinen. ich weis wer wärend des gesamten krieges deutschland mit bombersprit versorgt hat.standartoil also rockefeller.

Der RBB entließ den offenbar geistig Verwirrten aus seinem Job als Moderator – nein, natürlich nicht: Ein Mainstream-Medium machte einen tapferen Propheten der unbequemen Wahrheit gnadenlos mundtot. Seit Jebsen mundtot gemacht wurde, redet er noch mehr als zuvor und hat – wenigstens als „Ken FM“ auf Facebook – über 100000 Verehrer um sich geschart. Seine Popularität nutzt er inzwischen, um die „Montagsdemonstrationen“ zu unterstützen, die eine neuartige „Friedensbewegung“ in vielen deutschen Städten organisiert. Es können nun aber auch Journalisten die Worte hören, die da gesprochen werden, zum Beispiel von Jebsen:

„Mein Vorbild“, ruft Jebsen, „ist die Natur! Im Wald gibt es keinen Krieg, der Wald produziert keinen Müll! Und die Zugvögel, die schaffen es jedes Jahr nach Afrika! Wenn die das demokratisch organisieren würden, kämen sie nur bis Sylt!“ Gelächter. „Nein“, brüllt Jebsen. „Die kommen bestens ohne Demokratie zurecht.“ (Berliner Zeitung)

Nun hagelt es Kritik von verschiedenen Seiten. Jebsen ist außer sich. In einer nicht enden wollenden Suada des Selbstmitleids verteidigt er sich gegen die Anwürfe. Eine Lektüre dieses erschreckenden Dokuments lohnt sich, weil Jebsen seine Weltanschauung hier einmal in ihrer Gänze – nun, nicht offenbart, aber doch zumindest erraten lässt.

Schon der Beginn der Klarstellung zu den Friedensmahnwachen erschreckt, weil eine Gemütsstimmung aus den Worten leuchtet, die man als Größenwahn bezeichnen muss. Allen Ernstes setzt Jebsen die neuen Montagsdemonstrationen mit jenen gleich, die zum Ende der DDR führten.

Zuerst wurden diese Demonstrationen totgeschwiegen. Als das nicht mehr funktionierte, wurde sie, und mit ihr ihre bekanntesten Köpfe, aber eben auch alle Teilnehmer, dämonisiert. Pauschal. Doch es half nichts.

Für sich selbst hat er mithin die Rolle des Dissidenten ausersehen. Zum Größen- tritt der Verfolgungswahn. Jebsen fabuliert nun über die Ukraine und übt Kritik an der NATO und der EU, wie sie auch andere Menschen zur Zeit formulieren. Viele der neuen Montagsdemonstranten treibt eben dieses Anliegen auf die Straße. Für Jebsen aber ist diese Krise nur eine günstige Gelegenheit, sein viel tiefer sitzendes Wahnsystem in den öffentlichen Diskurs zu schleusen. Als wichtiges Element dieses Wahns erweist sich die Vorstellung eines

vollständig gleichgeschalteten Medienapparates

Viele vernünftige Menschen haben die Einseitigkeit der Berichterstattung in den meisten Medien kritisiert, aber man muss die Augen schon fest verschlossen halten, um nicht zu sehen, dass durchaus auch abweichende Stimmen zu Wort kommen und gekommen sind. Aber die Medien sind für Jebsen nur Teil einer viel größeren Verschwörung:

Diese Presse hat sich als Teil eines extrem aggressiven Wirtschaftssystems demaskiert, das ohne Krieg nicht auskommt, um immer neue Märkte zu erobern.

Dieser Vulgärmarxismus für den Hausgebrauch muss angesichts der Frage ins Stottern kommen, warum denn so viele deutsche Wirtschaftsbosse energisch für den Frieden eintreten. Rasch lässt Jebsen nun die Ukraine hinter sich, um uns tiefer ins Herz seiner geistigen Finsternis zu führen. Er kennt die Zentrale der großen Weltverschwörung, es ist die

die FED. Die Amerikanische Zentralbank.

Ich kann Jebsens These nur unterstützen. Auch ich erhalte monatliche Zahlungen von der FED dafür, dass ich mutige Streiter der Wahrheit mundtot mache. Den wilden Assoziationsketten, die Jebsen im fröhlichsten Gehirnfasching nun über Ron Paul zu Julian Assange zu Edward Snowdon führen, kann ich nur schwer folgen. Fest steht nur: Die Amis sind schuld. Sie sind sogar schuld an den … höhö … „Terroranschlägen“ vom 11. September 2001. Der Beweis? Es passierte damals

DIE PANNE SCHLECHTHIN […] Am 11. September 2001 sendete das Britische Staatsfernsehen, die BBC, um 17 Uhr einen Bericht über den Zusammensturz von WTC 7. Mit allen Details. Obwohl das Gebäude noch stand, und erst 20 Minuten später über der eigenen Grundfläche zusammensackte. Vergessen? Oder verdrängt?

Wer nun Ken Jebsen noch in irgendeiner Weise als ernsthaften Akteur akzeptieren kann, dem kann ich und niemand sonst auf der Welt mehr helfen. Braucht es noch mehr? Bitte: Osama bin Laden wurde erschossen?

NIEMAND HAT WELTWEIT AUCH NUR EIN EINZIGES BILD DES PROMINENTESTEN TOTEN TERRORISTEN DER WELT VERÖFFENTLICHT.

Mal abgesehen von dem Bild des toten Terroristen, das die Amerikaner veröffentlicht haben und in allen Medien der Welt zu sehen war. Aber wir wissen ja Bescheid. Die Amerikaner! Die Medien! [Korrektur: Ich bin in meinem Text einer falschen Erinnerung aufgesessen. Es gab kein offizielles Bild des toten bin Laden, sondern nur diverse Fälschungen und Bilder ungeklärter Herkunft. Die amerikanische Regierung entschied sich dagegen, Bilder der Leiche zu veröffentlichen. Regierungsvertreter und Soldaten bestätigten den Tod bin Ladens aber ebenso wie al-Qaeda selbst.] Letztere verunglimpfen natürlich auch die neuen Montagsdemonstrationen. Die Journalisten sind alle

Schreibtischtäter

Ein Wort, das bislang für Mörder wie Adolf Eichmann reserviert war. Also bestens passt. Besonders angewidert ist Jebsen von

Jutta Ditfurth, deren Bücher wie Blei in den Regalen stehen

Was für ein Charakter offenbart sich hier! Eine Autorin, die keine Bestseller schreibt, kann ja nichts taugen. (Dass Ditfurths Bücher sich gar nicht übel verkaufen – geschenkt.) Jedenfalls hat diese Frau sich erfrecht, eine

Hass- und Verleumdungskampagne gegen mich und die Redaktion KenFM zu starten

Womit vergleichen wir nun diese Kritikerin am besten? Na klar:

Joseph Goebbels Propaganda

Und in welches Kostüm schlüpft Ken Jebsen in diesem Rollenspiel? In die des

Berliner Vize-Polizeipräsidenten vor der offiziellen Machtübernahme der Nazis, Dr. Bernhard Weiß.

Der Verlust der Scham zählt – nach Freud – zu den sicheren Merkmalen des Wahnsinns. Lässt sich eine größere Schamlosigkeit denken, als sich mit einem verfolgten Juden in der NS-Zeit zu vergleichen? Ken Jebsen, der über Jutta Ditfurth sagt, sie sei

so braun wie ihr Haupthaar […] tief kapitalistisch […] dick

dieser Feigling Ken Jebsen droht der kritischen Autorin mit einer

Zivilklage

Der Leser bemerkt, halb amüsiert, halb erschrocken, wie Ken Jebsen beim Schreiben sämtliche Sicherungen durchbrennen. Wir erfahren, dass es Juden waren, die über die amerikanische Zentralbank die Nazis und den Zweiten Weltkrieg finanzierten … oder so ähnlich. August Bebel bezeichnete den Antisemitismus übrigens einmal als „Sozialismus der dummen Kerls“.

Das Leugnen des Holocaust ist in der BRD nicht durch die Meinungsfreiheit gedeckt. Wer die Shoah leugnet, bekommt automatisch Besuch vom Staatsanwalt.

Klingt das nicht doch ein wenig nach Bedauern? Nach einer Klage darüber, dass man in Deutschland ja – leider, leider – die Wahrheit nicht sagen dürfe? Aber nein, keine Angst, der Feigling Ken Jebsen wird nie den Holocaust leugnen. Wieso sind eigentlich die Journalisten alle auf der Seite der Juden? Ach so, sie bekommen ja den

Judaslohn

dafür. Der Antisemitismus-Vorwurf gegen Ken FM ist freilich

Aus der Luft gegriffen.

Man kann es nicht abstreiten, dieser Vorwurf liegt wirklich in der Luft. In der schlechten nämlich, die Ken Jebsen verbreitet.

Der politisch Inkorrekte gleicht dem Patienten in der Klapsmühle, der gerne als geheilt entlassen werden möchte, obwohl tief in seinem Innern der Wahn noch immer kitzelt. Er bemüht sich, die fremden Stimmen in seinem Kopf zu unterdrücken, kontrolliert seine Gesichtszüge, will kein falsches Wort über seine Lippen lassen. Aber der erfahrene Arzt durchschaut ihn doch. Und der Patient bricht in Tobsucht aus, bis man ihn wieder in seine Zelle befördert. Tschüss, Ken!

Termine der Woche

Am Dienstag (06. Mai) lese ich als Gastautor bei der Lesebühne LSD – Liebe statt Drogen in Berlin. Mit dabei sind auch die großartigen Kollegen Micha Ebeling, Andreas “Spider” Krenzke, Tobias “Tube” Herre, Volker Strübing, Uli Hannemann und Ivo Lotion. Los geht’s um 21:30 Uhr im Schokoladen.

Am Donnerstag (08. Mai) bin ich wieder mit dabei, wenn die Dresdner Lesebühne Sax Royal sich mit brandneuen Geschichten, Gedichten und Liedern in der scheune zurückmeldet. Mit dabei sind auch die Stammautoren Julius Fischer, Stefan Seyfarth und Max Rademann. Außerdem begrüßen wir diesmal noch einen besonderen Gast: Die Dresdner Poetin Morné Mirastelle kommt vorbei und bringt einige ihrer hochkomischen Geschichten aus dem Alltag einer unangepassten Frau mit. Ein ebenso unterhaltsamer wie lehrreicher Abend ist garantiert! Los gehts um 20 Uhr.

Am Sonntag (11. Mai) bestreite ich schließlich allein eine Lesung im schönen Ilmenau am Fuße des Thüringer Waldes. Beim “Poetry Sunday” stelle ich mein aktuelles Buch Wir trainieren für den Kapitalismus vor, lese aber auch neue Texte. Los gehts um 15 Uhr im bc Studentencafé.

Aus meiner Fanpost (5)

Zu meiner Dokumentation Eine Alternative für Sachsen erreicht mich Post von den Alternativen selbst:

Dr. Hans Thomas Tillschneider: Schmähschriften sind ein riskantes Genre. Leicht sagen sie sehr viel mehr Nachteiliges über ihren Autor als über den, der getroffen werden soll. Diese unfreiwilligen Selbstbespiegelungen, diesen peinlichen Bumerangeffekt zu vermeiden gelingt nur echten Meistern. Michael Bittner gehört nicht dazu. Das zumindest hat er mit seinem neusten Text über unser Programm effektvoll unter Beweis gestellt. Wir erfahren dort, dass Bittner Kinderreichtum für eine „persönliche Macke“ hält (!), Feminismus und Genderideologie nicht auseinander halten kann und es für ihn der Gipfel der Komik ist, dass Pflanzen Kohlendioxid zum Wachsen brauchen. Ansonsten lässt er die Hosen an. Gott sei’s gedankt! Wenigstens hat er erkannt und stimmt uns darin zu, dass nationale Identität die Voraussetzung der Demokratie ist. Und damit ist alles gesagt.

PS (von Dr. Thomas Hartung): M. Bittner entpuppt sich als dumpfer Kleingeist, der alles, was über seinen konkreten Horizont hinausweist, weder wahrnehmen will noch verarbeiten kann. Wer nicht erkennt, dass bspw. der antithetische Präambel-Abschnitt zu Waschanlagen und Lehrern darauf zielt, die FDP-Politik als Scheinpolitik mit falschen Prioritäten zu entlarven, ist entweder selbst FDP-Mitglied/ Sympathisant oder in Molwanien zur Schule gegangen – über den Ort des Germanistikstudiums will ich gleich gar nicht mutmaßen.

Ach, schade: Die zwei Doktoren wollten Rache ist Blutwurst spielen, aber heraus kam nur beleidigte Leberwurst. Da will einer den Spieß herumdrehen, schneidet sich aber leider wieder ins eigene Fleisch, weil er es mit der Wahrheit nicht so genau nimmt. Das nennt man Bumerangeffekt! Jeder Unbefangene kann deutlich lesen, dass ich nicht Kinderreichtum, sondern Bevölkerungspolitik für eine Macke halte. Jeder geistig nicht völlig Verbohrte weiß, dass Gender Studies keine Genderideologie sind, sondern ein Studienfach. Akademische Disziplinen aber schließen zu wollen, die einem nicht passen, da ist die AfD ganz auf der Linie der SED. Ein Ruhmesblatt für den Akademiker Dr. Tillschneider! Dass er Ironie weder versteht noch zu gebrauchen weiß, sei ihm gegönnt. Na, und Dr. Hartung, seien Sie mal bitte nicht so streng! Ich bedaure, dass ich über Ihre Provinzquerelen mit der FDP nicht genau informiert bin. Aber Sie schreiben doch selbst über Blogs: „Recherche darf in gewissem Maße substituiert werden durch Subjektivität.“

Termine der Woche

Am Mittwoch (23. April) lese ich als Gastautor bei der neuen Lesebühne Fuchs & Söhne in Berlin. Stammautoren sind die wunderbaren, witzigen und mit Recht weltberühmten Kollegen Kirsten Fuchs, Sebastian Lehmann, Paul Bokowski und André Herrmann. Los gehts um 20 Uhr im Gemeindesaal Moabit.

Am Freitag (25. April) lese ich dann zusammen mit dem Kollegen Sebastian Lehmann bei der 2dichternacht, die in Darmstadt von der Dichterschlacht organisiert wird. Los gehts um 20 Uhr im Schlosskeller.

Eine Alternative für Sachsen

Es hat lange gedauert, bis der sächsische Landesverband der Alternative für Deutschland sein Programm für die Landtagswahl vollständig ins Netz gestellt hat. Nach der ersten Lektüre erscheint dieses Zögern unverständlich: Das Wahlprogramm ist eine humoristische Großtat. Weil nur wenige Sachsen die Zeit finden werden, sich den ganzen Text durchzulesen, möchte ich an dieser Stelle eine kommentierte Blütenlese präsentieren.

Besonderes Augenmerk verdient die Sprache des Manifestes. Beklagt doch die sächsische AfD selbst einen Sprachverfall und fordert pädagogische Gegenwehr:

Deutschland ist das Land in Europa, das die wenigsten Unterrichtsstunden für die eigene Muttersprache einplant. In Sachsen sind mindestens so viele Wochenstunden für die deutsche Orthographie, Grammatik und für den guten Ausdruck wie für die 1. Fremdsprache oder Mathematik vorzusehen. Der Literaturunterricht kommt extra hinzu.

In diesen Stunden wird man dann wohl auch erfahren, seit wann „extra“ ein deutsches Wort ist. Man gewinnt bei der Lektüre des Programms den Eindruck, dass die Verfasser unter dem schlechten Deutschunterricht der Vergangenheit am schwersten gelitten haben. Es seien nur einige Perlen ausgewählt. Über die DDR-Bürger von 1989 heißt es:

Sie standen dagegen auf, keine Hochschule besuchen zu dürfen, nur weil sie am falschen Glauben festhielten oder die Einheitspartei kritisierten.

Die DDR-Bürger hatten also den falschen, nicht etwa den richtigen Glauben und machten darum Revolution. Andernorts fordert die AfD eine

Schwangerschaftskonfliktberatung, die sich vordergründig dem Lebensschutz verpflichtet fühlt

Vordergründig: nur dem Anschein nach also und nicht tatsächlich. Wieso tritt die AfD so vehement für Abtreibungen ein? Gelegentlich kocht der Furor des Manifestes so über, dass noch die letzten Spuren von Logik verdampfen:

Wenn es ein Land wichtiger findet, dass man sonntags an privaten Tankstellen sein Auto waschen kann statt wochentags in staatlichen Schulen genug Lehrer zu haben, muss dieses Land verändert werden.

Würde sonntags keiner mehr sein Auto waschen, wäre das Problem des Lehrermangels also gelöst.

Doch nicht nur sprachlich, sondern auch inhaltlich gleicht das sächsische Programm dieser angeblich so akademischen und bürgerlichen Protestpartei dem Wutausbruch einer Runde von Stammtischbrüdern. Die Alternative für Deutschland behauptet gern, jenseits des Spektrums der etablierten Parteien zu stehen. Tatsächlich rührt sie die dümmsten Ideen aller anderen Fraktionen zu einem populistischen Brei zusammen. Widersprüche nimmt sie in Kauf, denn alle Frustrierten von links bis rechts sollen angesprochen werden. So geht es gegen „den überkommenen Sozialismus“ und zugleich „gegen einen enthemmten Neokapitalismus“. Beinharter Neoliberalismus steht direkt neben DDR-Nostalgie und nationalistischem Dünkel. Die Alternative für Deutschland weist den Weg auf einen dritten Weg für Dummköpfe: soziale Wohltaten und keine neuen Schulden, niedrigere Steuern und mehr Geld für Polizei und Schulen, Freihandel in Europa und deutsche Selbstbestimmung. Mit diesem illusorischen Unfug unterscheidet sie sich freilich überhaupt nicht von den anderen Parteien. Um das Herz des kleinen Mannes zu erobern, muss daher schließlich doch das Ressentiment herhalten. Erst einmal gegen die Muselmanen:

Wir bekennen uns zur Religionsfreiheit und lehnen Moscheebauten nicht prinzipiell ab. Allerdings ist die freie Religionsausübung für Muslime in Sachsen auch ohne Großmoschee gewährleistet.

Religionsfreiheit ja – aber die Sachsen sollen im Einzelfall darüber abstimmen, ob sie auch gewährt wird. Die bekannte Liberalität der Sachsen gewährleistet ja schon, dass da nichts schief gehen kann:

Gebraucht werden keine an die sächsische Bevölkerung gerichteten Kampagnen für Weltoffenheit oder gar Antidiskriminierungsschulungen, sondern eine an die Einwanderer gerichtete aktivierende Integrationspolitik.

Die Ausländer, die manchmal nachts in die Fäuste von jungen Sachsen laufen, haben sich eben noch nicht aktiv genug integriert. Nationale Identität ist überhaupt die Voraussetzung der Demokratie:

Wer sich mit dem Land, in dem er lebt, nicht identifizieren will und kann, neigt zu Extremismen.

Um sich vorbehaltlos mit Deutschland identifizieren zu können, muss man allerdings historischen Ballast abwerfen:

Schul- und insbesondere Geschichtsunterricht soll nicht nur ein vertieftes Verständnis für das historische Gewordensein der eigenen Nationalidentität, sondern auch ein positives Identitätsgefühl vermitteln. Wir wollen einen deutlichen Schwerpunkt auf das 19. Jahrhundert und die Befreiungskriege gesetzt wissen.

Ist im 20. Jahrhundert etwa irgendwas vorgefallen, das ein positives Identitätsgefühl stören könnte?

Viele Programmpunkte entspringen offenkundig den persönlichen Macken von bestimmten Aktivisten. So war es gewiss die von der Idee einer neuen „Bevölkerungspolitik“ besessene Parteisprecherin Frauke Petry, die das Ziel ins Programm hievte,

die Geburtenrate zu erhöhen.

Denn ohne deutschen Nachwuchs nützt die identischste Identität nichts. Dem Zuchtprogramm der vierfachen Mutter und Pfarrersgattin widerspricht der Kampf

Gegen eine Früh- und Hypersexualisierung in Kindergarten und Schule

nicht, da der sich hauptsächlich gegen die Homos richtet. Um die Gebärfreude der deutschen Weiber zu erhöhen, muss allerdings auch der Feminismus zurückgedrängt werden. Und so verlangt denn die Alternative für Deutschland, der Denkverbote bekanntlich ein Greuel sind:

Wir fordern ideologiefreie Hochschulen und Universitäten. Deshalb ist die Förderung der sogenannten Gender Studies sofort einzustellen.

Ideologie, das ist immer die Meinung der anderen.

Den Gipfel der Komik erreicht das Programm der sächsischen AfD schließlich im Bereich der Klimapolitik. Die junge Partei verfügt hier über die exklusive Einsicht, dass das ganze Gerede von der Erderwärmung auf

frei erfundenen und längst widerlegten Klimaprognosen

beruhe. Man mache sich doch bitte über den CO2-Ausstoß keine Sorgen:

Kohlendioxid ist für das Pflanzenwachstum notwendig.

Die Alternative für Deutschland wird am 31. August in den sächsischen Landtag einziehen. Der Erfolg der AfD wird die NPD ihre Mandate kosten. Es ist ein schwacher Trost.

Sozialdemokratische Konsequenz

„Angesichts des Ukraine-Konflikts hat SPD-Chef Sigmar Gabriel bei einer Gedenkveranstaltung zum Ersten Weltkrieg vor einem neuen Krieg in Europa gewarnt. Moskau sei offenbar bereit, ‚Panzer über europäische Grenzen rollen zu lassen‘, sagte der Vizekanzler in Berlin. Der ‚alte Geist der nationalistischen Mächtepolitik‘ werde durch Russland wieder aus der Flasche gelassen. Dieses nationalistische Aufladen von Konflikten habe vor 100 Jahren auch zum Ersten Weltkrieg geführt, sagte Gabriel.“

„Jetzt stehen wir vor der ehernen Tatsache des Krieges. […] Für unser Volk und seine freiheitliche Zukunft steht bei einem Sieg des russischen Despotismus, der sich mit dem Blute der Besten des eigenen Volkes befleckt hat, viel, wenn nicht alles auf dem Spiel. […] Da machen wir wahr, was wir immer betont haben: Wir lassen in der Stunde der Gefahr das eigene Vaterland nicht im Stich. […] Von diesen Grundsätzen geleitet, bewilligen wir die geforderten Kriegskredite.“ (Erklärung der SPD-Reichstagsfraktion am 4. August 1914)

Termine der Woche

Am Donnerstag (10. April) lese ich wieder mit der Dresdner Lesebühne Sax Royal in der scheune. Außer den Stammautoren Stefan Seyfarth, Max Rademann und Roman Israel ist diesmal als besonderer Gastautor auch noch der Philosoph, Poet und Universalspaßmacher Kurt Mondaugen aus Leipzig zu Gast, der in seiner Vaterstadt Mitglied der Lesebühnen Schkeuditzer Kreuz und Lesebühne West ist. Los gehts um 20 Uhr.

Am Freitag (11. April) lesen ich wieder mit den wunderbaren Kollegen Max Rademann und Udo Tiffert als Lesebühne Grubenhund in Görlitz. Als Gastautorin begrüßen wir zudem noch erstmals Etta Streicher. Los gehts wie immer um 20 Uhr im Kino Camillo.