Die Sprachpolizei informiert (2): Gegen den Rant

Es ist dumm, Neuerungen abzulehnen, nur weil sie aus den USA stammen. Aber nicht jede Neuerung, die aus Amerika zu uns kommt, ist begrüßenswert. Seit einer Weile begeistert eine neue Textsorte namens „Rant“ das Internet. Benötigen wir dieses neue Genre? Kamen wir bislang nicht auch ganz gut mit Pamphlet, Polemik und Pasquill aus? Das Oxford Dictionary verrät, das Wort „rant“ bezeichne eine Tätigkeit folgender Art: „speak or shout at length in a wild, impassioned way“. Wer einen „Rant“ von sich gibt, der will also offenbar wüten und schimpfen. Mein altes Schulwörterbuch bietet eine Übersetzung an, die vielen Beiträgen im Netz sogar noch besser gerecht wird: „Phrasen dreschen“. Denn einige Autorinnen und Autoren nehmen das Wort wörtlich und verschriftlichen bloße Motzerei. Regelmäßig entspricht die Sorglosigkeit im Umgang mit Rechtschreibung und Grammatik dabei der Schlampigkeit des Denkens. Solche Texte beweisen einmal mehr, dass es eben keine gute Idee ist, das Internet als Medium virtueller Mündlichkeit zu verstehen und im Netz so zu schreiben, wie man auf der Straße spricht.

Viele Beispiele könnte man zitieren. Ich wähle in unfairer Weise nur eines aus: Sebastian Bartoschek hat im Blog Ruhrbarone jüngst einen Beitrag mit dem Titel Wir sind die Irrelevanten! publiziert. Er beginnt so:

Ich halte es nicht mehr aus: die Rechtsradikalen sind europaweit auf dem Vormarsch. In Österreich die FPÖ, in die Deutschland die AfD, in Ungarn regiert bereits ein Viktor Orban und in Polen das PiS-Pack. Und was tun wir? Wir diskutieren über Gendersternchen, die vermeintlichen Gefahren von Freihandel und Veganismus. Es ekelt mich an – ich muss ranten. Oder damit die FAZ-Leser es auch verstehen: das hier wird ein übellauniger Kommentar.

Wer könnte diese Verzweiflung nicht nachfühlen? Aber zu welchen Schlüssen führt uns der Autor?

Die Dreckssäcke vom „Islamischen Staat“ ermorden Hunderte bei Terroranschlägen in Europa. Die Menschen haben Angst. Und wir diskutieren über den Islam. In Talkrunden, Kommentarspalten und Sozialen Medien. Analysieren, wägen ab, zeigen uns empört, sind überrascht, dass wir Muslime im Land haben, und stellen fest, dass Muslime Muslime töten. Statt ernsthaft etwas zu tun. Wir sind immer noch zu feige, gegen den Islamischen Staat vorzugehen. Weil der menschenverachtende Pazifismus der Wohlfühlboheme lieber tote Araberkinder in Kauf nimmt, statt selbst in einen schmutzigen Krieg einzusteigen.

Wie soll man diese Worte deuten? Sollen wir aufhören, differenziert über den Islam zu diskutieren? Und stattdessen endlich militärisch in den schmutzigen Krieg gegen den IS einsteigen? Weil, wer gegen einen solchen Krieg stimmte, für den Tod von Araberkindern verantwortlich wäre? Wird Sebastian Bartoschek sich bald freiwillig bei der Bundeswehr zum Auslandseinsatz melden? Nein? So waren die Worte gar nicht gemeint? Sie sollten überhaupt nichts Konkretes bedeuten, der Autor wollte nur ein bisschen „ranten“? Genau das hatte ich befürchtet.

Den argumentativen Zusammenhang von Sebastian Bartoscheks Beitrag zu rekonstruieren, erweist sich als schwierig. Womöglich hat er einen solchen Zusammenhang gar nicht erst konstruiert. So viel versteht man: Eine intellektuelle „Pseudoelite“ diskutiert über nebensächlichen Firlefanz wie Veganismus, Diskriminierung oder geschlechtergerechte Sprache, statt sich um die wirklich „großen Themen“ zu kümmern und auch „die Mehrheit der Deutschen“ und den „kleinen Mann“ anzusprechen. Wer nun aber nach handfesten, materiellen Ursachen für die beklagte „Spaltung“ der Gesellschaft sucht, der irrt. Die „soziale Gerechtigkeit“ ist nach Meinung des Autors nämlich nur ein „leerer Begriff“. Nein, das Problem ist das Sprechen, spricht Sebastian Bartoschek. Die Leute müssten einander endlich wieder zuhören und verstehen! Ob ihnen das früher je schon einmal gelungen ist, im Zweiten Weltkrieg, im Mittelalter oder im Paradies, bleibt leider ungeklärt. Ein Umbau der Gesellschaft ist jedenfalls nicht nötig. Die „radikale Linke“ weiß ja auch nur, wie man „Autos abfackelt oder Menschen bedroht“. Wir müssen aber versuchen, „die Herzen der Menschen zu gewinnen“. So sind wir am Ende glücklich bei der politischen Romantik angelangt. Sie wird in Deutschland seit Jahrhunderten von Autoren produziert, die nach unpolitischen Lösungen für politische Probleme suchen. Wenn sich doch die Menschen nur alle wieder lieb hätten! Die Welt wäre geheilt!

Da das Ergebnis auch den Autor unbefriedigt lässt, immunisiert er sich noch durch Selbstironie gegen Kritik: „Ich bin nicht besser.“ „Und noch eins: dieser Text bringt wahrscheinlich auch nichts. Ausser, dass ihr mir ein paar Minuten beim Schimpfen zuhören musstet.“ Nicht einmal hier können wir Sebastian Bartoschek ganz zustimmen: Wir mussten nicht zuhören, sondern lesen – das schmerzt noch mehr.

Der „Rant“ verführt viele Autorinnen und Autoren zu hysterischem Gezeter, Wutgeschnaube und Betroffenheitsgeheule. Von alldem haben wir aber schon genug. Eine gute Polemik erfordert genau das Gegenteil: gelassene Heiterkeit und Sorgfalt. Aufregung hilft nicht beim Schreiben, künstliche Aufregung erst recht nicht. Polemik erfordert außerdem Haltung. Wer nur verzweifelt und ratlos ist, der schweige besser. Und ein literarischer Angriff sollte sich immer auf ein konkretes Ziel richten. Wer alle anklagt, trifft keinen.

Aus den genannten Gründen plädiere ich dafür, die Textsorte „Rant“ wieder abzuschaffen.

Termine der Woche

Am Montag (2. Mai) gibt’s die vierte Ausgabe unserer neu gegründeten Lesebühne Zentralkomitee Deluxe in Berlin. Gemeinsam mit Tilman Birr, Noah Klaus, Christian Ritter und Piet Weber versuche ich, die Berliner Öffentlichkeit mit Mitteln der fortschrittlichen Komik klassenbewusst und revolutionsbereit zu machen. Unterstützen wird uns diesmal die umwerfende Poetin Lisa Eckhart aus Österreich. Der Spaß ereignet sich im Monarch am Kottbusser Tor, dem schönsten Platz Europas. Los geht es um 20 Uhr, der Eintritt kostet 5 Euro.

Am Donnerstag (5. Mai) moderiere ich wieder gemeinsam mit Stefan Seyfarth den Dresdner Livelyrix Poetry Slam. Der Dichterwettstreit beginnt um 20 Uhr in der scheune. Tickets gibt es an der Abendkasse oder im Vorverkauf.

Über die Gratisschreiberei

Die Kapitalisten lieben die Menschen. Aber sie lieben die Menschen nur als Konsumenten, die Geld bezahlen. Als Arbeiter, die Geld verlangen, werden die Menschen weit weniger innig geliebt. Die Kapitalisten würden am liebsten ganz ohne Lohnarbeiter auskommen. „Wenn nur die Arbeiter gratis für mich arbeiteten!“, ruft in seinen kühnsten Träumen der Unternehmer. „Oder noch besser: Wenn die Arbeiter dafür bezahlten, für mich arbeiten zu dürfen!“ Solcher Träumerei ist in der Wirklichkeit eine Grenze gesetzt. Leider ist nämlich der Konsument und der Produzent nicht selten dieselbe Person. Das Geld, das die Menschen als Kunden ausgeben, müssen sie als Arbeiter zuvor verdient haben. Und doch finden Kapitalisten immer öfter Mittel und Wege, Lohn zu sparen, indem sie die Konsumenten davon überzeugen, sich gratis an der Produktion und dem Vertrieb von Waren zu beteiligen. So soll es einen schwedischen Konzern geben, der erfolgreich Bretter und Schrauben verkauft, die von den Käufern dann zuhause selbst zu Möbeln montiert werden. Was früher ein bezahlter Handwerker machte, erledigt nun ein zahlender Kunde.

Die Verwandlung von zahlenden Kunden in zahlende Mitarbeiter macht auch in anderen Branchen rasche Fortschritte. Abertausende Kunden beliefern Internethandelskonzerne wie Amazon freiwillig und unbezahlt mit Bewertungen und Rezensionen von Produkten. Was treibt diese Menschen an? Offenbar ist es der Reiz, die eigene Meinung publiziert und diskutiert zu sehen. Es verwundert nicht, dass angesichts der finanziellen Krise des Journalismus nun auch Medienkonzerne auf das Amazon-Prinzip setzen. Und man erhält als Autor immer öfter Anfragen wie die folgende:

Über einen Facebook-Link bin ich auf Ihren Text: *** gestoßen. Ich würde Ihren Text gerne auf unserer Seite zur Debatte stellen. Ein Budget habe ich für diese Zwecke leider nicht, würde aber im Text auf Ihren Blog verlinken mit dem Hinweis, dass dieser zuerst dort erschienen ist. Lassen Sie mich wissen, ob Sie Interesse daran haben.

So freundliches Fragen ist natürlich nicht verwerflich. Aber man wundert sich doch, wenn ein solches Angebot von einem kommerziellen Medium kommt. Was soll man als freier Autor, der irgendwie seine Miete bezahlen muss, anderes antworten als:

Lieber ***,

vielen Dank für Ihr Interesse und Ihre Anfrage! Ich freue mich, dass Ihnen der Text gefallen hat und natürlich würde ich mich auch über weitere Verbreitung freuen. Aber ich finde es grundsätzlich problematisch, wenn professionelle Medien ihre Seiten mit Beiträgen von Autoren füllen, die dafür nicht bezahlt werden. Ich hoffe, Sie haben dafür Verständnis und nehmen mir diese Prinzipienreiterei nicht übel.

Mit freundlichen Grüßen, Michael Bittner

Muss man vielleicht auch die triumphale Rückkehr der lange belächelten Leserbriefe in so vielen Medien ganz neu bewerten? Geht’s da vielleicht weniger darum, die Kluft zwischen Redaktion und Leserschaft zu überbrücken, als darum, kostengünstig Seiten zu füllen? Der finanzielle Unterschied zwischen Leserbriefschreiberei und freiem Journalismus schrumpft jedenfalls stetig, während freie Autoren gleichzeitig immer mehr Aufgaben übernehmen, die früher feste Redakteure erledigten. Vielleicht treten bald nur noch Menschen an die Öffentlichkeit, die sich das Schreiben als Hobby leisten können, weil sie vermögend sind oder anderswo sprudelnde Geldquellen erschlossen haben. Man wird sich fragen dürfen, ob das wünschenswert ist.

(Den cleveren Einwand „Schreibt halt besser, dann werdet ihr auch besser bezahlt!“ nehme ich hier gleich mal vorweg, damit sich kein Kommentator die Mühe machen muss.)

Aber ist denn nicht auch dieser Beitrag hier Gratisschreiberei? Verschenke ich nicht auch Texte? In der Tat mache ich das, sogar sehr gerne. Nur mag ich es wie jeder Schenkende nicht, wenn meine Gabe vom Beschenkten anschließend weiterverkauft wird. In meinen kühnsten Träumen verfolgen Medien überhaupt keine kommerziellen Interessen mehr. Aber solange das noch nicht wirklich der Fall ist, sollte die Presse ihre Autoren gefälligst bezahlen.

False Friends

Weit unangenehmer als Menschen, die mir widersprechen, sind mir Leute, die aus den falschen Gründen meiner Meinung sind.

Die Sprachpolizei informiert (1): Ironie für Idioten

Das finde ich echt witzig. Nicht.

Ich kann mit Worten kaum beschreiben, welcher Unwille mich übermannt, wenn ich so einen Satz lesen muss. Eine körperliche Übelkeit schüttelt mich beim Anblick dieses Sprachverbrechens. Leider lese ich Sätze wie diesen inzwischen auch in Texten sonst durchaus respektabler Menschen. Ich will versuchen zu erklären, warum solche Äußerungen unbedingt zu unterlassen sind. Es handelt sich, kurz gesagt, um Ironie für Idioten. Eine andere, nicht minder schlimme und nicht minder häufige Form von solch falscher Ironie ist die folgende:

Das finde ich echt „witzig“.

In beiden Fällen möchte der Schreiber ironisch sprechen, aber er scheut die Doppeldeutigkeit, die mit echter Ironie nun einmal verbunden ist. Darum ergänzt er sicherheitshalber Markierungsstriche oder ein Dementierungswörtchen. Der Schreiber möchte sicher gehen, dass auch jeder versteht, was wirklich gemeint ist. Dadurch aber wird die ganze Aussage platt und überflüssig. Denn eine Ironie, die nicht missverstanden werden kann, ist gar keine. Gelungene Ironie versetzt den Leser in Unsicherheit und Zweifel, regt den Spießbürger auf, der doch ein Recht zu haben glaubt, genau zu erfahren, was denn „der Autor eigentlich meint“. Aber Ironie ist eben eine Form uneigentlichen Sprechens. Das erst macht sie subversiv und witzig. Die falsche Ironie gleicht dem Trottel, der beständig zwinkert, während er einen Witz erzählt, und danach auch gleich noch die Pointe erklärt.

Eine falsche Definition von Ironie, die schon in der Schule gelehrt wird, begünstigt das Sprachverbrechen: Ironie sei es, wenn man das Gegenteil von dem sagt, was man eigentlich meint. Keine Erklärung könnte der Wahrheit ferner sein. Ironie möchte gar nichts meinen, sondern in heiterer Weise Zweifel wecken und Fragen aufwerfen. Ironie ist die sprachliche Form des skeptischen Denkens. Es gibt verschiedene Formen der Ironie, die alle von der Skepsis ihre Energie beziehen. Mit kritischer und sarkastischer Ironie weckt man Zweifel an Gewissheiten von Gegnern, deckt ihre Irrtümer und Lügen auf. Charakterliche Größe erfordert die Selbstironie, mit der man dem Publikum eigene Unsicherheiten, Grenzen und Schwächen zeigt. Die höchste Stufe erreicht aber die philosophische Ironie, die Zweifel an der Erkennbarkeit der Welt überhaupt zum Ausdruck bringt und die Gebrechlichkeit der menschlichen Natur offenbart. (Die philosophische Ironie kann wachsen bis zur religiösen, romantischen Ironie, die alle irdischen Gewissheiten verlacht und Wahrheit nur in Gott findet.)

Das ironische Sprechen pervertiert derjenige, der es gar nicht als Ausdruck von Skepsis gebraucht, sondern bloß dazu, irgendeine persönliche Meinung in die Welt zu trompeten und sich dabei auch noch gewitzt vorzukommen. Jedem solchen Freund der Ironie für Idioten sollte man allezeit ganz ohne Ironie sagen: Du bist nicht witzig.

Die Liebe zu Ziegen

Wenn in meiner Kindheit auf dem Dorf die Verwandtschaft bei uns zuhause zu einer Familienfeier zusammenkam, dann wurde die Tafel bei gutem Wetter im Freien aufgestellt, im Garten hinterm Haus, im Schatten des großen Kastanienbaums. Die Onkel und Tanten, Großeltern und Enkel, Cousins und Cousinen saßen beisammen an einem langen Tisch, auf dem Geschirr, Kaffeekannen und eine Erdbeertorte bereitstanden. Wurstbrötchen warteten schwitzend auf ihren Verzehr. Die Männer machten Bierflaschen auf. Wenn drei Generationen so beieinander saßen, geriet das Gespräch aber manchmal ins Stocken, da es an gemeinsamen Interessen fehlte.

In solchen Momenten gelang es einer bestimmten Anekdote, die ganze Familie wieder in heiterste Stimmung zu versetzen. Jedes Jahr wurde die Anekdote aufs Neue erzählt, ursprünglich von einer Großtante, die an chronischen Depressionen litt, immer zu Späßen aufgelegt war und gerne einen kleinen Schnaps trank. Nachdem sie ins Altersheim umzogen war, übernahmen andere Mitglieder der Familie die Erzählung, die jedoch bei keiner Feier fehlen durfte. Als kleiner Junge verstand ich den Witz der Geschichte noch nicht und lachte bloß mit, weil alle Erwachsenen auch lachten. Erst in meiner Jugend erschloss sich mir mit dem Erwachen des Eros der tiefere Gehalt der Anekdote. Die angeheiterte Tante überlieferte sie ungefähr wie folgt:

„Als ich noch klein war, da lebte in dem jetzt verfallenen Haus oben auf dem Hügel am Rand des Dorfes die alte Traudel. Ihr Mann war schon lange tot. Bei ihr lebte noch ein erwachsener Sohn, der nie eine richtige Arbeit oder eine Frau gefunden hatte. Die alte Traudel besaß nicht den hellsten Verstand, im Kopf ihres Sohnes war es aber noch finsterer. Trotzdem lebten die beiden auf ihrem kleinen Anwesen in ungetrübter Ruhe vor sich hin. In Streit mit der Nachbarschaft gerieten sie nie, wenn auch manchmal einige Männer im Dorf über das seltsame Paar auf dem Hügel unanständige Witze machten.
Nun geschah es aber in einer Nacht, dass mein Vater aus seinem Schlaf erwachte, weil seltsame Geräusche aus unserem Stall drangen. Er erhob sich schnell aus dem Bett, denn er vermutete einen Hühnerdieb oder sonstigen Einbrecher am Werk. Mit einem Knüppel in der einen, einer Lampe in der anderen Hand schritt er durch die Dunkelheit zum Stall. Das Tor stand offen und er trat ein. Und im Stall entdeckte er niemand anderen als den Sohn der alten Traudel, der sich gerade an einer Ziege zu schaffen machte. Unser Vater hielt den Übeltäter fest und schlug Alarm. Bald waren alle im Haus und auch die Nachbarn erwacht. Man sandte nach der alten Traudel, damit sie ihren ertappten Sohn abhole. Und wisst ihr, was die alte Traudel sagte, als sie beim Tatort angekommen war und dem frisch ertappten Sünder gegenüberstand?“ Wie gespannt lauschte meine ganze Familie an dieser Stelle immer der Geschichte, obwohl doch jeder schon ihr Ende kannte. Meine Großtante fuhr fort: „Die alte Traudel stand da ganz verblüfft vor ihrem Sohn und sagte: Ich versteh das ni – wir ham doch selber Ziegen!

Die Ausgelassenheit meiner Familie nach diesem letzten Satz war immer sehr groß. Alle lachten, bis ihnen der Pflaumenkuchen vom Teller rutschte. Und auch ich muss noch heute schmunzeln, wenn ich zufällig an diese Anekdote denke, zum Beispiel beim Anblick von Ziegen im Streichelzoo. Natürlich ist das geschilderte Verbrechen etwas unappetitlich. Aber es gibt gewiss noch schlimmere Dinge, die man Tieren antun kann, als Zoophilie. Man kann Tiere zum Beispiel auch umbringen und dann aufessen.

Als ich nun jüngst hören musste, dass ein deutscher Satiriker das heitere Thema der Liebe zu Ziegen missbraucht hat, um Stimmung gegen den türkischen Präsidenten zu machen, ärgerte ich mich darüber. Eine früher unbeschwerte Kindheitserinnerung ist nun plötzlich mit politischem Ballast überladen. Und zeigt nicht unsere Familienanekdote überdies, dass die Liebe zu Ziegen auch in deutschen Landen verbreitet, also keineswegs auf Herrscher orientalischer Prägung beschränkt ist? Die unter einsamen Männern beliebte Liebe zu Ziegen hat, wie ich meine, gar nichts mit Kultur oder Religion oder Politik zu tun, sondern liegt in dem Umstand begründet, dass man Ziegen – anders als Rinder oder Kamele – auch ohne eine Leiter liebhaben kann.

Allen Satirikern sei ein für alle Mal gesagt: Lasst die Ziegen in Frieden! Missbraucht sie nicht, um eure Gegner auf die Hörner zu nehmen! Einem Despoten, der ein ganzes Land vergewaltigt, tut man ohnehin nur einen Gefallen, wenn man ihn zum Tierliebhaber verniedlicht.

Termine der Woche

Am Donnerstag (14. April) findet wieder unsere Dresdner Lesebühne Sax Royal in der scheune statt. Der wechselhafte Scherzmonat April bietet beste klimatische Voraussetzungen für unser Treiben; wie immer werden wir auch die ernstesten Themen und tiefsten Fragen mit Heiterkeit und Humor behandeln. Mit mir dabei sind der komische Sänger und Meister des Hassays Julius Fischer, der tiefgründige Erzähler und Lyriker Roman Israel, der Erzgebirgsheros und literarische Nachtschwärmer Max Rademann sowie der ästhetische Erzieher und Dichter Stefan Seyfarth. Karten gibt es im Vorverkauf oder ab 19:30 Uhr am Einlass.

Am Freitag (15. Februar) lese ich wieder mit den Kollegen Udo Tiffert und Max Rademann als Lesebühne Grubenhund in Görlitz. Neue Geschichten gibt es aber nicht nur von uns, sondern auch von unserem Gastautor Karsten Lampe von der Berliner Lesebühne Couchpoetos. Los geht es wie immer um 19:30 Uhr im Kino Camillo.

Am Sonnabend (16. Februar) reise ich endlich mal wieder ins schöne Chemnitz – und das auch noch mit dem Kollegen Max Rademann. Gemeinsam erfreuen wir die Karl-Marx-Städter mit einem bunten literarisch-musikalischen Programm. Los geht es um 20:15 Uhr, Ort des Geschehens ist die Kleinkunstbühne N I C H T S.

Termine der Woche

Am Montag (4. April) gibt’s die dritte Ausgabe der neuesten Lesebühne Berlins: Das Zentralkomitee Deluxe tritt um 20 Uhr zu seiner monatlichen Sitzung im Monarch zusammen. Vollzählig anwesend sind mit mir die ordentlichen Mitglieder Tilman Birr, Noah Klaus, Christian Ritter und Piet Weber. Als besonderen Gastautor begrüßen wir Andreas Weber aus Münster. Die Zuschauer dürfen sich wie immer auf ordentliche Subversion in Form von Text, Musik und fortschrittlicher Komik freuen. Der Eintritt kostet proletarische 5 Euro.

Am Donnerstag (7. April) moderiere ich wieder gemeinsam mit Stefan Seyfarth den Dresdner Livelyrix Poetry Slam. Der Dichterwettstreit beginnt um 20 Uhr in der scheune. Mit dabei sind diesmal u.a. Udo Tiffert, Bonny Lycen, Mike Altmann und Nhi Le.

Am Sonnabend (9. April) bin ich einer der Juroren beim Dresdner Satire-Preis 2016, der vom Dresdner Kabarett Breschke & Schuch ausgelobt wird. Los geht es um 18 Uhr.

Am Sonntag und Montag (10. und 11. April) bin ich zu Gast in München. Am Sonntag lese ich bei der wunderbaren Lesebühne Schwabinger Schaumschläger gemeinsam mit Michi Sailer, Christoph Theussl, Moses Wolff und Gästen. Am Montag folgt dann die humoristische Reihe „Blickpunkt Spot“. In beiden Fällen beginnt der Spaß um 19:30 Uhr im Vereinsheim im schönen Schwabing.

Termine der Woche

Am Montag (28. März) lese ich in Berlin bei der Reihe „Peace, Love & Poetry“, dem einzigen literarischen Wettbewerb, der nur Gewinner kennt. Mit mir dabei sind neben den Moderatoren Sarah Bosetti und Daniel Hoth auch die Kollegen Leon Ostrowski und Samson. Los geht es um 21 Uhr im traditionsreichen Kaffee Burger. Der Eintritt kostet läppische 5 Euro.