Dresden ist wohl der einzige Ort auf der Welt, wo 15000 Menschen der Einladung eines verlogenen Kriminellen zu einem Abendspaziergang folgen. Ich befürchte langsam, dass dieser Stadt nicht mehr zu helfen ist. Auch in anderen Städten gibt und gab es ähnliche Demonstrationen, doch bislang ohne großen Erfolg und gegen massiven Widerstand. In Dresden hingegen sind die Gegner in der Minderheit gegen Gleichgültige und Sympathisanten. In Dresden hat PEGIDA sich vorläufig durchgesetzt und kann sich nur noch selbst besiegen. Weder vernünftige Argumente noch aufklärerische Polemik haben es vermocht, den Zulauf zu dieser Bewegung zu vermindern. Jede Gegenrede hat ihn noch verstärkt. Vor diesem Eingeständnis der Niederlage sollte sich kein Kritiker drücken. Es kommt nun zunächst darauf an, die Gründe für den Erfolg der PEGIDA zu analysieren, der so nur in Dresden möglich war.
Die PEGIDA hat in taktischer Hinsicht aus dem Misserfolg der „Hooligans gegen Salafisten“ genau die richtigen Schlüsse gezogen. Zwar war es der Kölner Demonstration gelungen, eine beachtliche Menge von Menschen zu mobilisieren. Doch die Bilder von besoffenen, randalierenden Hooligans, die teils offen Naziparolen grölten, schreckten potenzielle bürgerliche Sympathisanten sofort ab. Obwohl sich unter den Initiatoren der PEGIDA Leute finden, die schon an HOGESA beteiligt waren, ist doch die Taktik nun eine völlig andere: keine Gewalt, keine offen rassistischen oder neonazistischen Parolen auf Bannern oder in Sprechchören, kein Alkohol. Die rechten Hooligans, die weiterhin den harten Kern der Bewegung bilden, haben sich in disziplinierte junge Männer verwandelt. Es sind nun „unsere Jungs“, denen sich auch die gesetzestreuen Väter und Mütter anschließen können.
Der PEGIDA ist es gelungen, eine Protestbewegung ohne klar formulierte Ziele und Inhalte zu formieren. Den Teilnehmern der Demonstrationen ist Schweigen anbefohlen – und sie gehorchen. Die Reden bei den Demonstrationen und die Positionspapiere sind – von wenigen entlarvenden Ausrutschern abgesehen – so nichtssagend und harmlos, dass Anhänger wie Gegner regelmäßig enttäuscht werden. Die Anhänger trösten sich: Da jeder seine persönlichen Wünsche hinter den offiziellen Floskeln verborgen glaubt, sind alle zufrieden. Der brave Spießbürger beruhigt sich damit, dass die PEGIDA ja offiziell nicht gegen alle Ausländer, nicht gegen alle Muslime agitiert, sondern nur gegen kriminelle und radikale. Lutz Bachmann isst sogar Döner! Der Neonazi hingegen ist sicher, dass all das brave Geschwätz nur Tarnung ist, um eine möglichst breite rechte Front zusammenzuschweißen. So spaziert schweigend einer neben dem andern und glaubt sich unter Gleichgesinnten. Die Gegner der PEGIDA sind hingegen frustriert: Sie bekommen den Gegner nicht zu fassen, denn offener Rassismus findet sich fast nur in Facebook-Kommentaren, nicht aber in den offiziösen Verlautbarungen.
Der PEGIDA ist es gelungen, ohne wirklichen inhaltlichen Kern doch ein Gemeinschaftsgefühl herzustellen: eine Mischung aus Angst vor den Fremden, Hass gegen Diedaoben und Wut über – eingebildete und reale – soziale Missstände. PEGIDA profitiert von der aufgeheizten Kriegsstimmung, die den öffentlichen Diskurs seit Beginn der Ukraine-Krise auch in Deutschland beherrscht. Initiator Lutz Bachmann, Wurstverkäufer und Werbeprofi, hat in geschickter Weise den Demonstranten das Schema der Freund-Feind-Logik angedreht: „wir“ gegen „die“. Jede Kritik an der Bewegung von außen, gleichgültig ob sachlich oder polemisch, prallt nicht nur ab, sondern schließt die Reihen noch fester. Das haarsträubendste Beispiel für diese Mechanik ist gewiss die Reaktion der PEDIGA-Anhänger auf die Enthüllungen der Sächischen Zeitung zum kriminellen Vorleben ihres Anführers Lutz Bachmann. Den Leuten kamen nicht etwa Zweifel. Nein, die Sympathie für „unsern Lutz“ wuchs noch. Denn die Bild erfährt: „Bachmann steht zu seiner Vergangenheit.“ Er steht dazu! Was soll man da noch erwidern? Mehr noch: Seine Erfahrungen als Krimineller und Flüchtling vor der Polizei qualifizieren ihn sogar besonders zum Kritiker der Ausländerkriminalität und der deutschen Flüchtlingspolitik! Ein Einbrecher verlangt, zum Polizeipräsidenten befördert zu werden! Es gibt eine Dreistigkeit der Lüge, gegen die jede Kritik machtlos ist.
Warum nun aber gerade Dresden? Dresden ist sicherlich die konservativste und provinziellste aller deutschen Großstädte. Aber das allein reicht als Erklärung nicht. Das besondere geistige Klima dieser Stadt ist geprägt von einem Gefühl: Wir sind die Opfer. Das rituelle Gedenken an die Bombardierung der Stadt im Zweiten Weltkrieg, wie es vor und nach der Wende von den Staatsparteien SED und CDU forciert wurde, hat zu diesem kollektiven Selbstmitleid beigetragen. Tatsächlich geht es den Dresdnern leidlich gut, verglichen mit anderen Städten in Deutschland – von den Flüchtlingen und Krisengebieten in aller Welt ganz zu schweigen. Wer aber den ebenso hochmütigen wie weinerlichen Kult um „Unserschönesdresden“ nicht bedingungslos mitmacht, der wird zum Außenseiter.
Eine weitere Einsicht lässt sich leider auch nicht ignorieren: Das Bündnis zwischen Bürgern und Radikalen wäre nicht denkbar ohne eine städtische Institution, nämlich den Fußballverein Dynamo Dresden. Zwar legen der Verein und die meisten Fangruppierungen Wert darauf, als „unbolidisch“ zu gelten. Doch gibt es neben unbescholtenen auch eine große Zahl rechter Fans. Sie sind der Kern der PEGIDA-Bewegung. Und im Stadion haben die Anständigen sich über Jahre daran gewöhnt, ein Auge zuzudrücken und in Jubel und Hass mit zweifelhaften Kameraden für einen Verein vereint zu sein. Natürlich nur spielerisch! Aber aus Spiel wird für einige gerade Ernst. [Nachtrag: Kommentatoren weisen zurecht darauf hin, dass sowohl der Verein Dynamo Dresden als auch Ultras sich seit geraumer Zeit gegen rechte Umtriebe wehren. Der vorige Absatz sei nicht als falsches Pauschalurteil über alle Fans gelesen, sondern als Hinweis auf die Gefahren einer vermeintlich „unpolitischen“ Verbrüderung.]
