Berühmt geworden ist die Wiener Autorin und Zeichnerin Stefanie Sargnagel durch Kleinigkeiten: knappe Geschichten und Witze, ironische Selbstentblößungen und aufreizende Kommentare zum politischen Zeitgeschehen, scheinbar nachlässig hingeworfen, dabei aber oft treffend und geistreich, verbreitet vor allem in Blogs und als „Statusmeldungen“ in den sogenannten sozialen Medien. „Ich glaub ich setz die pille ab nur damit ich noch ein paar mal abtreiben kann bevor hitler bundespräsident wird“, textete Sargnagel etwa vor der drohenden Wahl des FPÖ-Politikers Norbert Hofer im Jahr 2016. Wegen ihrer unzweifelhaft linken Haltung avancierte die Autorin unter Burschenschaftlern und anderen neurechten Kameraden zur meistgehassten Frau Österreichs. Unter dem Titel „Dicht“ hat Sargnagel nun „Aufzeichnungen einer Tagediebin“ vorgelegt, eine offenkundig nur leicht literarisierte Geschichte ihrer Jugend in Wien.
Termine der Woche
Am Dienstag (10. November) gibt’s die fünfte Ausgabe der satirischen Medienschau Phrase & Antwort, die ich gemeinsam mit dem Kollegen Maik Martschinkowsky in Berlin fabriziere. Wegen der Corona-Beschränkungen können wir euch diesmal nicht leibhaftig begrüßen, aber ihr könnt euch ab 20 Uhr in unseren Livestream stürzen: auf unserer Homepage oder unserer Facebook-Seite. Wir haben wieder exquisiten Blödsinn aus der deutschen Presse gesammelt und werden ihn heiter entsorgen.
Am Freitag und Sonnabend (13. und 14. November) moderiere ich das Symposium „Aufregung, Eklat, Toleranz. Wertedebatten über Kunst und Bildung“. Diskutiert wird über das Verhältnis von Politik und Kultur, die umstrittene Freiheit der Rede und die moralische Verantwortung von Künstlern und Künstlerinnen. Wer mag, kann das Symposium im Livestream auf der Facebook-Seite des Dresdner Kulturforums Riesa efau verfolgen – Freitag ab 16 Uhr, Sonnabend ab 10 Uhr.
Von Patrioten lernen
Ob Donald Trump die Präsidentschaftswahl gewinnt oder sein Herausforderer Joe Biden – bleiben wird die Spaltung der US-amerikanischen Gesellschaft in zwei Lager, die einander feindlich gegenüberstehen wie zwei Nationen in einem Land. „So schlimm zerrissen waren die USA noch nie!“, hört man’s aus den Medien klagen. Wer so redet, verfügt offenbar nur über ein Kurzzeitgedächtnis und steckt die Nase selten in ein Geschichtsbuch.
Zu Gast im Podcast „Diskursionen“
Der Herbst ist da und neben den Pilzen schießen die Podcasts aus dem Boden. Die Kollegen Noah Klaus und Jean-Philippe Kindler waren so nett, mich zur neuen Ausgabe ihrer „Diskursionen“ einzuladen. Wir haben über Friedrich Merz geredet, über die Modern Monetary Theory und über die Wahlen in den USA.
Zitat des Monats Oktober
Die Arbeit in weißer Haut kann sich nicht dort emanzipieren, wo sie in schwarzer Haut gebrandmarkt wird.
Karl Marx, Das Kapital
Vielleicht doch meine Leute. Über Alexander Kühnes Roman „Kummer im Westen“
Alexander Kühne schickt Anton Kummer, den Helden seines Romans „Düsterbusch City Lights“ über die Subkultur der späten DDR, in seinem neuen Buch nun in das Chaos der Wendejahre. Ost und West stoßen in der Geschichte ebenso ungebremst zusammen wie Aufbruch und Enttäuschung.
Die neueste Methode, sich selbst ins Knie zu schießen. Über die frühen Schriften von Wiglaf Droste
Seit mehr als einem Jahr ist Wiglaf Droste (1961-2019) nun schon tot, seine Schriften leben aber glücklicherweise noch immer. Diese erwartete Entdeckung machte ich, als ich jüngst einmal wieder die frühesten Bücher Drostes zur Hand nahm. Haltbar sind die Texte vor allem dank der Sprachkunst ihres Autors, die selbst nichtige und inzwischen vergessene Ereignisse adelt. Wie heute niemandem mehr gelang es Droste, polemische Wucht mit poetischer „Wortfindungskunst“ (Jürgen Roth) zu verbinden. Er hatte nicht nur meistens recht, er wusste auch mit Stil davon zu überzeugen. Aber die Texte sind auch aus einem anderen Grund noch immer frisch: Viele Debatten sind in den vergangenen dreißig Jahren auch nicht einen Millimeter vorangekommen.
Krieg in den Köpfen. Über den Roman „Monster wie wir“ von Ulrike Almut Sandig
In den vergangenen Jahren sind die 90er Jahre in der ostdeutschen Provinz zu einem der wichtigsten literarischen Stoffe geworden. Sie stehen für eine Zeit, in der Aufbruchstimmung, aber auch Orientierungslosigkeit die jungen Leute in den damals noch neuen Bundesländern umtrieben und sich zugleich rechter Terror fast ungehindert austoben konnte. Weit besser als soziologische Studien scheinen Romane dazu geeignet, diese merkwürdige Epoche verständlich zu machen: Hart und realistisch erzählte Manja Präkels davon in „Als ich mit Hitler Schnapskirschen aß“, dröge und spröde Lukas Rietzschel in „Mit der Faust in die Welt schlagen“, halb satirisch in „Oder Florida“ der Journalist Christian Bangel, der für die 90er auch das Schlagwort „Baseballschlägerjahre“ in Umlauf brachte. Zum Einsatz kommt ein Baseballschläger auch in „Monster wie wir“, dem Debütroman der bislang vor allem für ihre Lyrik bekannten Schriftstellerin Ulrike Almut Sandig.
Termine der Woche
Am Dienstag (13. Oktober) gibt’s in Berlin eine neue Ausgabe der satirischen Presseshow Phrase & Antwort, bei der ich mich gemeinsam mit dem Kollegen Maik Martschinkowsky zum Wort des Verbrechens begebe. Heiter zerlegen wir die dümmsten Texte und schlimmsten Schreiber der letzten Wochen. Außerdem gibt’s Musik – diesmal vom Kollegen Tilman Birr. Los geht es um 20 Uhr im Münzenbergsaal im Franz-Mehring-Platz 1 – für Abstand und Lüftung ist gesorgt. Tickets gibt es im Vorverkauf oder am Einlass ab 19:30 Uhr.
Am Freitag (16. Oktober) bin ich Gastautor beim Tresenlesen im Periplaneta Literaturcafé in Berlin. Mit dabei ist auch der Autor und Kabarettist René Sydow sowie Gastgeber Thomas Manegold. Los geht’s mit Lesung und Plauderei um 19:30 Uhr. Wegen des begrenzten Platzes empfiehlt sich sehr der Vorverkauf.
Wir zuerst!
Der Weltgeist hat es mit der ihm eigenen Ironie recht schön eingefädelt: Gerade in der Zeit, in der Deutschland das Jubiläum seiner Wiedervereinigung feiert und Europa sich gerührt an den Fall des Eisernen Vorhangs erinnert, kommen geschlossene Grenzen wieder in Mode. Allseits haben sich die Mächtigen darauf geeinigt, dass die „Festung Europa“ eben die Idee ist, die der müden Europäischen Union neues Leben einhauchen kann. Nur haben sie, wie die Corona-Pandemie zeigt, ihre Pläne gemacht, ohne eine wichtige historische Einsicht zu bedenken: Die Art, wie wir mit vermeintlich „Fremden“ umgehen, wie wir uns nach außen hin verhalten, schlägt stets auch auf das Innenleben unserer Gesellschaft, schlägt auf uns selbst zurück.