Die Straße gehört uns allen. Warum werde ich dann dort vollgequalmt? Unschuldig laufe ich des Morgens und des Abends auf meinem Arbeitsweg an einer großen Druckerei vorbei. Davor auf dem Bürgersteig stehen große und kleine Gruppen Männer und Frauen mit tiefernsten Mienen. Warum? Weil sie in ihrer Arbeitspause einer wichtigen Tätigkeit nachgehen, dem Rauchen. Bis zu dem Zeitpunkt, da ich sie passiere, bin ich noch recht heiter, aber wenn ich an ihnen vorbeigehe, ist es aus damit. Oft genau in diesem Moment pusten sie mit voller Kraft den Qualm aus ihren Lungen geradeheraus in mein Gesicht.
Es ist ein Skandal: Die unschuldige Frau Dübber ist auf dem Weg zur Arbeit, natürlich zu Fuß, wie es sich für einen Menschen gehört, der zugleich umwelt- und gesundheitsbewusst lebt. Eben heute hat sie eine Avocado-Diät begonnen und zum Frühstück zwei Gläser informiertes Wasser getrunken, um die Entschlackung zu unterstützen. Doch sie hat in ihrer Unschuld nicht mit den ekelhaften Proleten von der Druckerei gerechnet, die sich erdreisten, in der Öffentlichkeit herumzulungern, statt still und unauffällig im Keller schuften. Es geht ihnen offenbar zu gut, diesen Arbeiterinnen und Arbeitern, denn sie finden Zeit zum Rauchen! Darüber ist Frau Dübber so empört, dass sie ein paar Schritte schneller läuft, um noch in die Rauchwolke zu geraten, über die zu erregen sie sich vorgenommen hat. Auf dem Heimweg nach der Arbeit, so hat sie jetzt schon geplant, will sie dann auch noch in einen Hundehaufen treten. Aus dieser Scheiße möchte sie später ihre nächste Kolumne quirlen.
Ist das nett? Nein! Und ungesund obendrein! Wer jetzt denkt „Ach, die Frau Dübber, die soll sich nicht so haben“, den informiere ich darüber, dass Passivrauchen nicht harmlos ist. Das Deutsche Krebszentrum warnt, dass Passivrauchen das Risiko für Lungenkrebs, Krebs der Nasenhöhle und der Nasennebenhöhle erhöht. Zudem belastet es das Herz-Kreislauf-System, erhöht das Schlaganfallrisiko um schätzungsweise 20 bis 30 Prozent. Außerdem verursacht oder verschlechtert es Atemwegserkrankungen, kann Kopfschmerzen und Schwindelanfälle auslösen.
Mit dem Passivrauchen ist gewiss nicht zu spaßen. Aber gerade deshalb hätte Frau Dübber sich nach dem Anschlag der quarzenden Drucker auf ihr Leben sofort in die Notaufnahme begeben sollen. Dass sie sich stattdessen ins Büro gesetzt und eine Kolumne fabriziert hat, als ginge es nicht um Leben und Tod, muss ich als Leichtsinn tadeln.
Die Kopfschmerzen habe ich allemal, wenn ich hustend aus den Rauchwolken herauswanke. Warum ist hier bei uns das Rauchen vor Gebäuden erlaubt und nicht wie in den USA verboten?
Ja, warum nehmen wir uns nicht noch öfter an den Vereinigten Staaten ein Beispiel, wo das Leben gegen die Gefahren des Passivrauchens und des Wegebieres durch Verbote umfassend geschützt ist, während sich jeder mühelos Opiate oder Kriegswaffen kaufen kann?
In meiner Not befragte ich Johannes Spatz vom Forum Rauchfrei. Er ist recht desillusioniert. Seine Schilderung der, so O-Ton, „organisierten Verschleppung einer Gesetzesänderung“ macht mich noch wütender. „2018 wurde von der Berliner Gesundheitssenatorin ein Gesetzentwurf vorgelegt, der wenigstens das Rauchen vor den Eingängen von Krankenhäusern und Gesundheitseinrichtungen und endlich auch auf Spielplätzen untersagt. 2019 gab es eine Anhörung, seitdem passiert nichts.“
Hoffentlich passiert da bald was. Denn es ist ja unerträglich, dass den Patienten im Krankenhaus, die sich nicht weiter als bis vor die Tür bewegen können, und den todmüden Scheidungseltern auf dem Spielplatz nicht auch noch die letzte kleine Freude in Form einer Zigarette aus der Hand geschlagen wird. Doch wir können zuversichtlich sein: Es gibt viele Leute wie die Frau Dübber, die vom Staat verlangen, all das zu verbieten, was sie persönlich stört: spielende Kinder, trinkende Obdachlose, feiernde Teenager. Noch ein wenig mehr Druck von der Lobby der Mittelschichtsspießer und den Rauchern geht es nicht mehr nur drinnen, sondern auch draußen an den Kragen. Ihr schädlicher Beitrag zum Klimawandel müsste auch noch einmal genauer erforscht werden.
Ich gehe jetzt auf die andere Straßenseite, wenn ich mich der Druckerei nähere. Aber ist das fair, ihr 22,4 Prozent der deutschen Bevölkerung, die dem Hobby Rauchen frönt? Eine Minderheit, die auf ihr Recht pocht.
Eine Minderheit, die auf ihr Recht pocht – wo kommen wir denn hin, wenn diese Unsitte einreißt? Am Ende pochen vielleicht noch die Homosexuellen oder die Juden auf ihre Rechte, die sogar weit weniger als 22,4 Prozent der Bevölkerung ausmachen! Es läuft etwas gewaltig schief, wenn eine Minderheit sich erfrecht, der Meinung zu trotzen, von der 100 Prozent von Susanne Dübber überzeugt sind.
Wenn es ihr wenigstens Spaß machen würde. Oder ist es das schlechte Gewissen, dass [sic] sie so ernst blicken lässt?
Die Druckerinnen und Drucker werden schon wissen, dass sie ihrer Gesundheit mit dem Rauchen nicht viel Gutes tun. Aber vielleicht bestehen sie trotzdem auf dem Recht, über ihren eigenen Körper selbst zu bestimmen, fast so wie schwangere Frauen. Warum blicken die Druckerinnen und Drucker aber so fürchterlich ernst beim Rauchen? Vielleicht machen sie das nur dann, wenn eine arrogante Hüstelsusi an ihnen vorbeistolpert, die niemand mag, deren Kolumnen sie aber trotzdem drucken müssen.
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Quelle: https://www.berliner-zeitung.de/mensch-metropole/mir-reichts-rauchen-vor-gebaeuden-gehoert-verboten-li.146191
Dieser Text entstand für die satirische Medienschau Phrase & Antwort, die ich gemeinsam mit dem Kollegen Maik Martschinkowsky in Berlin im Franz-Mehring-Platz 1 fabriziere. Die nächste Ausgabe gibt es – voraussichtlich im Livestream – am 29. April um 20 Uhr auf unserer Homepage oder unserer Facebook-Seite.