Zitat des Monats Juli

Um nun zur Linken überhaupt einen Zugang zu finden, war es notwendig, die rechtsextremistischen Ziele im neuen Gewand erscheinen zu lassen, mit Hilfe von linken Argumentationsschemata rechte Konsequenzen zu ziehen. Vor allem die völkischen und rassistischen Aspekte der Ideologie der Rechtsextremisten in der Bundesrepublik müßten im Hinblick auf die neuen Adressaten aufbereitet werden. Bereits 1973 empfahl Thora Ruth: „In der Fremdarbeiter-Frage erntet man mit der Argumentation ‚Die sollen doch heimgehen‘ nur verständnisloses Grinsen. Aber welche Linke würde nicht zustimmen, wenn man fordert: ‚Dem Grosskapital muß verboten werden, nur um des Profites willen ganze Völkerscharen in Europa zu verschieben. Der Mensch soll nicht nur zur Arbeit, sondern die Arbeit zum Menschen gebracht werden. Der Sinn bleibt der Gleiche: Fremdarbeiter raus! Die Reaktion der Zuhörer aber wird grundverschieden sein.“

Marget Feit: Die „Neue Rechte“ in der Bundesrepublik. Organisation – Ideologie – Strategie (1987)

Gunnar Schupelius ärgert das Volk

Wer glaubt, es gäbe keine Journalisten mehr, die noch den Sorgen des kleinen Mannes eine Stimme verleihen, der irrt: Der B.Z.-Autor Gunnar Schupelius spricht in seiner Kolumne „Mein Ärger. Der gerechte Zorn des Gunnar Schupelius“ aus, was das Volk denkt und leider oft nicht zu sagen wagt. Das bestätigt auch die Fanpost an die B.Z.:

Auf den Punkt. Sehr geehrte B.Z.-Redaktion, mit großem Interesse folge ich seit Wochen den Kommentaren Ihres geschätzten Journalisten Herrn Schupelius. Ich lese die mit Sachkenntnis vorgetragenen Argumente und habe den Eindruck, dass er einer der Wenigen ist, die die Empfindungen einer breiten Schicht der Berliner Bevölkerung, sicher nicht aller, auf den Punkt bringt.

Einer der Wenigen, die auf den Punkt bringt – es ist gut, dass Gunnar Schupelius für die schreibt, die selbst nicht Deutsch schreiben können. Welchem skandalösen Unrecht ist er wohl diesmal auf der Spur?

Es gibt Volksbegehren in Berlin, die gehen gar nicht vom Volk aus

Wie paradox! Was mag dahinterstecken? Lauschen wir den mit Sachkenntnis vorgetragenen Argumenten von Gunnar Schupelius:

Volksbegehren sollen dem Volk ermöglichen, seinen Willen gegen die Regierung außerhalb der Wahlen durchzusetzen. Bürger sind im Protest vereint, sammeln Unterschriften und führen eine Abstimmung herbei, den Volksentscheid. So soll es sein, doch die Wirklichkeit sieht anders aus.

Wie bitte? Die Wirklichkeit sieht anders aus? Werden etwa Bürger, die den Versuch unternehmen, Unterschriften für ein Volksbegehren zu sammeln, von brutalen Bütteln des Berliner Senats auseinandergeprügelt? Oder fälschen bestochene Beamte die Ergebnisse von Volksentscheiden, um die Regierenden vor dem Willen des Volkes zu schützen?

Denn hinter den Volksbegehren in Berlin stecken Aktivisten aus radikalen Gruppen, die mit den regierenden Parteien zusammenarbeiten.

Es ist ein Skandal. Volksbegehren werden also von Aktivisten in die Wege geleitet und nicht, wie es dem normalen Gang der Dinge entspräche, von Passivisten? Und diese Aktivisten sind auch noch radikal, was sich daran zeigt, dass sie mit den regierenden Parteien zusammenarbeiten, wie das für Radikale ja immer typisch ist?

Das Spiel funktioniert so: Mit einem Volksentscheid bauen die Aktivisten eine Drohkulisse auf, die aber nur scheinbar eine Drohung ist, denn man hat sich vorher abgesprochen.

So weit, so klar. Dass Kulissen nur scheinbar das sind, was sie zu sein vorgeben, ist keine große Neuigkeit. Ich glaube, auch auf dem Theater spricht sich der Kulissenbauer meistens mit den Schauspielern ab, damit sie nicht versuchen, durch eine Kulissentür in die Kantine zu laufen.

Die Kampagne läuft an, hoch professionell aufgezogen und finanziell reichlich ausgestattet.

Ich verstehe langsam, was Gunnar Schupelius stört: Es ist offenkundig unfair, wenn Volksbegehren so gut organisiert werden, dass sie auch Erfolg haben können. So war die Sache nicht gedacht. Ein Volksbegehren sollte doch den Bürgerinnen und Bürgern nur das Gefühl vermitteln, sie könnten etwas an der Politik ändern, ohne auf die Regierenden zu warten. Und nun gibt’s Leute, die nehmen dieses bloß symbolische Versprechen ernst!

Die rot-rot-grünen Politiker gehen augenzwinkernd darauf ein und übernehmen die Forderungen des Volksbegehrens, lange bevor sich das Volk geäußert hat. Sie können mit dem Hinweis auf den vermeintlichen Volkswillen radikale Ziele verfolgen, was sie sich sonst nicht trauen würden.

Ach so: Es scheinen doch nur manche Wünsche des Volkes zu sein, die Gunnar Schupelius umtreiben, nämlich solche, die den linken Parteien irgendwie zupasskommen. Diese Wünsche noch vor einem Volksentscheid zu erfüllen, ist undemokratisch, denn das Volk hat sich ja noch gar nicht geäußert, wenigstens nicht mehr seit der letzten Wahl, bei der es mehrheitlich für die linken Parteien gestimmt hat. Aber diese Parteien verfolgen leider radikale Ziele, denn radikal ist alles, was Linke wollen.

So war es mit dem „Volksentscheid Fahrrad“ von 2015, dessen Forderungen 2018 in das „Mobilitätsgesetz“ von Rot-Rot-Grün eingingen. Dahinter standen die großen Lobbygruppen ADFC und BUND.

Das ist tatsächlich eine Verhöhnung der Demokratie. Übermächtige Lobbygruppen wie der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club und der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland setzen ihre egoistischen Profitinteressen durch, während gemeinnützige Graswurzelorganisationen wie der Verband der Automobilindustrie ungehört bleiben.

Ähnlich verhält es sich mit dem Volksbegehren „Deutsche Wohnen und Co. enteignen“. Dahinter stecken Linke und Grüne. Sie SPD signalisierte Entgegenkommen und setzte deshalb den Mietendeckel durch. In diesem Falle waren die Aktivisten aber nicht zufrieden. Sie steuern auf einen Volksentscheid am 26. September zu.

Was immer auch die radikalen Aktivisten tun, vor den scharfen Augen von Gunnar Schupelius finden sie keine Gnade: Betrügerisch ist es, wenn sie ein Volksbegehren nur zum Schein in die Wege leiten. Noch schlimmer aber ist es, wenn sie den Volksentscheid doch einmal wirklich erzwingen, vor allem dann, wenn der sogar Aussicht auf Erfolg hat.

Mit „Berlin 2030 klimaneutral“ ist ein weiteres Volksbegehren am Start, das von Organisationen gesteuert wird, die eng mit Rot-Rot-Grün verbandelt sind, darunter „Fridays for Future“, „Extinction Rebellion“, „Grüne Jugend“ und „German Zero“.

Gesteuert also sind die Volksbegehren sogar von den radikalen Linksaktivisten! Wie es ihnen gelingt, die widerstrebenden Berlinerinnen und Berliner in der Fußgängerzone zur Unterschrift zu zwingen, bleibt leider noch unaufgeklärt. Womöglich sind hier Steuerungstechniken wie Hypnose, 5G oder Freibier im Spiel.

Ganz andere Themen, die die Bevölkerung in großer Mehrheit bewegen, wie zum Beispiel Fahrverbote, die Gendersprache oder die unkontrollierte Migration, münden niemals in ein Volksbegehren, weil dafür die Aktivistenszene fehlt.

Es ist ein Jammer: Die Themen, die die große Mehrheit bewegen, bewegen die große Mehrheit leider nicht dazu, vom Sofa aufzustehen und ein Volksbegehren anzukurbeln. Daran sind die Linken schuld, die durch ihre radikale Aktivität andere davon abhalten, es ihnen gleichzutun. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass beim letzten Mal, als das rechte Volk in Berlin etwas begehrte, der Volksentscheid scheiterte, obwohl eine klare Mehrheit von 21,7 Prozent für den Weiterbetrieb des Flughafens Tempelhof stimmte.

Die Volksentscheide in Berlin werden weniger wirklich vom Volk genutzt als vielmehr von Interessengruppen. Sie werden zum Instrument, mit dem die Regierungsparteien ihre Ziele vermarkten und durchsetzen können.

Es ist ein erschütternder Missstand: Die Bürgerbeteiligung wird von Leuten missbraucht, die gar keine Bürger sind, denn sie wählen ja keine bürgerlichen Parteien. Volksentscheide werden zur Waffe in der Hand von radikalen Elementen, die nicht völkisch denken, also gar nicht zum Volk gehören! Gunnar Schupelius hat rechter als recht: Diesem Unfug muss ein Riegel vorgeschoben werden! Schützt unsere Demokratie und schafft die Volksentscheide endlich wieder ab!

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Quelle: B.Z., 9. Juli 2021

Dieser Text entstand für die satirische Medienschau Phrase & Antwort, die ich gemeinsam mit dem Kollegen Maik Martschinkowsky in Berlin im Hofkino Berlin/Franz-Mehring-Platz 1 fabriziere. Die nächste Ausgabe gibt es am Donnerstag, den 25. August, mit Gastmusikerin Masha Potempa, bei gutem Wetter Open Air, sonst drinnen.

Auf Sensation gebürstete Islamkritik. Über „Beute“ von Ayaan Hirsi Ali

Die öffentliche Diskussion um den Islam ist in doppelter Weise vergiftet. Da sind zum einen die Rassisten. Sie erklären jeden Menschen muslimischen Glaubens und auch Leute, die nur so aussehen, als könnten sie Muslime sein, zum bloßen Abbild dieser Religion. Jedes Verbrechen von Einzelnen fälschen sie zum Beleg dafür, dass alle Muslime Barbaren und Invasoren wären. Sie unterscheiden weder zwischen verschiedenen Varianten des islamischen Glaubens noch zwischen den Gläubigen und den fanatischen, militanten Islamisten. Auf der anderen Seite gibt es im linksliberalen Milieu Gruppen, die Kritik an den rückständigen Elementen der islamischen Religion und Warnungen vor dem aggressiven Islamismus als „Islamophobie“ denunzieren. Auch sie erschweren eine dringend notwendige Debatte.

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Termine der Woche

Am Sonntag (11. Juli) lese ich in Berlin als Gastautor bei der traditionsreichen Reformbühne Heim & Welt. Mit dabei sind nicht nur die Stammautoren Ahne, Falko Hennig und Spider, sondern als weitere Gäste auch noch Frank Sorge und Ruth Herzberg. Der Spaß findet an der frischen Luft in der Freien Internationalen Tankstelle (FIT, Schwedter Straße 262) statt. Los geht es schon um 19 Uhr, sodass ihr nachher auch noch vor Ort Fußball glotzen könnt, wenn ihr wollt.

Wahlkampf, brutal langweilig

Der gegenwärtige Wahlkampf sei, so kann man derzeit mancherorts lesen, außergewöhnlich schmutzig und brutal. Ich glaube, wer diesen Eindruck hat, der empfand auch den Montessori-Kindergarten als Straflager. Zumindest muss man ein sehr eingeschränktes Gedächtnis haben, um zu einem solchen Urteil zu kommen. Im Vergleich zu vergangenen Zeiten geht’s derzeit eher kreuzbrav und verschnarcht zu.

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Mein Freund, der Nazi. Über Juli Zehs Roman „Über Menschen“

Juli Zehs neuer Roman Über Menschen ist ein Bestseller. Es ist nicht schwer zu verstehen, warum das so ist. Es gelingt ihr, aktuelle Debatten um Corona und den Rechtsradikalismus im Osten in Beziehungsverhältnisse zwischen glaubhaften Figuren zu übersetzen. Sie schreibt einen leicht konsumierbaren Feuilletonstil, der Lesende nicht mit sprachlichen Hindernissen belästigt. Der Plot folgt einer Lehrbuch-Dramaturgie, die nach Verfilmung ruft. Die Protagonistin des Romans ist außerdem noch so freundlich, nie einfach nur zu handeln – stets bedenkt und erläutert sie ihr Tun, als hätte sie über jeden Schritt ihres Lebens einen Leitartikel für Die Zeit zu schreiben.

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Clemens J. Setz und die Außerirdischen

In unseren Zeiten, da die Wissenschaft, die Vernunft, ja sogar die Wahrheit selbst angegriffen werden, ist es kolossal wichtig, dass die Medien den Prinzipien der Rationalität verpflichtet bleiben. Wie kaum ein anderes Presseorgan verkörperte von jeher die Wochenzeitung Die Zeit den Anspruch des Journalismus auf erzene Seriosität und bleierne Solidität. Doch unter der Ägide des erfolgreichen Chefredakteurs Giovanni di Lorenzo ist seit einigen Jahren auch immer mehr Platz für erfrischende, unkonventionelle Gedanken, so wie jüngst für einen Gastbeitrag des Schriftstellers Clemens J. Setz.

Ufos. Und es gibt sie doch! Seit seiner Kindheit glaubt der Schriftsteller Clemens J. Setz an Ufos. Jetzt bestätigen sogar Barack Obama und das US-Militär ihre Existenz. Aber was heißt das für uns?

Ja, was heißt das? Das würde auch ich gerne erfahren. Die Ufo-Berichterstattung in der Zeit war ja bislang eher spärlich. Was hat dazu geführt, diesen Kurs zu ändern? Weiß Clemens J. Setz Näheres?

Es gehört zu den menschlichen Paradoxien, dass man etwas jahrelang mit Begeisterung und Ernsthaftigkeit glauben kann, aber sich dann, wenn man es plötzlich von offizieller Seite als zweifelsfrei real vorgeführt bekommt, in eine cartoonhaft unwirkliche Welt versetzt fühlt, sozusagen als Gefangener von Disneyland. Mir geht es ein wenig so, denn seit meiner Jugend bin ich ein tiefgläubiger Sammler und Genießer von Berichten über Ufos.

Wie mag es dazu gekommen sein? Ich habe dazu eine Theorie, die gewiss nicht weniger begründet ist als die des begeisterten Schriftstellers.

Foto: Amrei-Marie, Creative Commons BY-SA 4.0, https://de.wikipedia.org/wiki/Clemens_J._Setz#/media/Datei:Clemens_J._Setz_2019.jpg

Ich vermute, dass Clemens J. Setz fest an Ufos glaubt, weil er als Säugling 1982 von Außerirdischen auf der Erde abgesetzt und einer nichtsahnenden Familie als eigenes Kind untergeschoben wurde. Seine Freunde und Verwandten haben sich immer über das merkwürdige Aussehen, die seltsamen Ansichten und das absonderliche Verhalten dieses Menschen gewundert, vom wahren Grund wussten sie jedoch nichts. Auch Clemens J. Setz ahnt seinen eigenen Ursprung offenbar nur unbewusst, sein Verstand muss sich eine andere Erklärung zusammenreimen:

Als ich etwa dreizehn war, erwachte diese Leidenschaft in mir und ist seither nie wieder verschwunden oder verblasst. Ich gehe den Leuten damit nicht groß auf die Nerven, aber hier und da kommt es vor, dass ich ins Dozieren gerate und allen Anwesenden den Charme und die Erhabenheit meiner Lieblings-Ufo-Filme, fachkundig kommentiert und historisch eingeordnet, näherzubringen versuche. Sie sind nämlich wirklich wunderschön, diese Aufnahmen, gerade die unscharfen, körnigen, verwackelten.

Der tiefgläubige Clemens J. Setz erklärt uns die Ursprünge seiner Religion. Wie für die Bauern im Mittelalter sind es auch für ihn vor allem faszinierende Bilder, die seinen Glauben befestigen. Je undeutlicher sie sind, desto klarer erscheint ihm ihre Wahrheit. Auch den fachkundigen Predigten der Ufo-Priester lauscht er regelmäßig voller Andacht, bisweilen wagt er es sogar schon, selbst zu predigen.

In den frühen Neunzigerjahren wurden sie regelmäßig in Boulevardsendungen im Fernsehen gezeigt, und ich schwelgte nächtelang in der Magie dieser Bilder. Offiziell existierten sie nämlich nicht. Das war das Tolle daran. Als Ufo-Anhänger wurde man sozusagen überstimmt von den Regierungen der Welt, man wurde ausgegrenzt und übergangen, und das fühlte sich fantastisch an.

Ein Außenseiter ist Clemens J. Setz, ein Märtyrer der verbotenen Wahrheit. Dass sich dies fantastisch anfühlt, glaube ich gern. Auch die ersten Christen vernarrten sich in ihre Liebe zu Jesus Christus gerade deswegen, weil die Heiden ringsum sie als Toren beschimpften und blutig verfolgten.

Die Wende begann nun im April des letzten Jahres, um dieselbe Zeit, als die ersten Wellen der Pandemie in Europa losgingen. Da bestätigte das Pentagon aus heiterem Himmel die Echtheit dreier im Internet veröffentlichter Videoclips, auf denen von amerikanischen Kampfflugzeugen verfolgte unbekannte Objekte zu sehen sind, die für konventionelle Technologie völlig undenkbare Geschwindigkeiten erreichen und sich in Manövern durch die Luft (und zum Teil auch durchs Wasser) bewegen, die, kurz gesagt, keinen Sinn ergeben.

Ich bin neugierig geworden und habe mir diese Videoclips im Internet angeschaut. Und wirklich: Diese Wärmebildaufnahmen von sich bewegenden Flecken und Kugeln sind so unscharf, körnig und verwackelt, wie Clemens J. Setz es liebt. Ich muss gestehen, dass mein Geschmack sich in eine andere Richtung neigt. Ich finde schon seit meinem 13. Lebensjahr scharfe Aufnahmen aus irgendeinem Grund interessanter. Schade, dass es in Zeiten, in denen man vom Weltraum aus ein Gänseblümchen fotografieren kann, dem amerikanischen Militär nicht gelungen ist, die Ufos so zu filmen, dass man irgendetwas erkennen könnte. Aber natürlich tragen auch die Ufos selbst eine Mitschuld: Sie könnten sich ja zur Abwechslung nicht nur amerikanischen Kampfpiloten zeigen, sondern auch einmal mittags auf dem Alexanderplatz landen. Wenn sie aber gar nicht wahrgenommen werden wollen, dann sollen sie sich bitte etwas mehr Mühe geben. Wer es schafft, den Gesetzen der Physik zu trotzen, der wird sich doch wohl auch vor den Augen amerikanischer Soldaten verbergen können. Oder handelt es sich um Exhibitionisten mit Uniformfetisch? Wie auch immer, der Glaube von Clemens J. Setz ist nun von höchster Stelle bestätigt:

Selbst Barack Obama bestätigte in einem Fernsehinterview mit CBS unlängst die Existenz eines realen, alltäglichen Problems: die Sichtung von Ufos. Das US-Militär habe tatsächlich keine Ahnung, was sie seien, so Obama.

Die Ufo-Religion von Clemens J. Setz ist ziemlich anpassungsfähig. Lange Zeit glaubte er fest und tief an Ufos, weil die Regierungen die Existenz dieser mysteriösen Objekte leugneten. Nun wird sein Glaube dadurch gestärkt, dass die US-Regierung ihre Existenz bestätigt. Es scheint fast, als könnte gar nichts den Glauben von Clemens J. Setz erschüttern. Nicht einmal die Tatsache, dass das Pentagon es ist, das hier spricht, ein Ort, aus dem man bislang noch nicht allzu oft die Wahrheit vernehmen konnte. Vielleicht gibt’s Gründe, warum die Leute dort lieber über Ufos als über Kampfdrohnen sprechen. Im Grunde wissen wir jetzt nur eines: Am Himmel über den USA bewegen sich Dinge, von denen wir nicht genau wissen, worum es sich handelt. Bloß, weil sich die merkwürdigen Bilder noch nicht erklären lassen, wird sich jedoch sicher niemand dazu hinreißen lassen, gleich über Besucher aus dem Weltall zu spekulieren, oder?

Eine etwas mildere und unterhaltsamere Spekulation wäre die Frage „Was sind wir wohl für diese Besucher?“. Denn irgendeine Rolle erfüllen wir bestimmt für sie. Über die Jahre begegnet man hier als Freund Ufo-bezogener Theorien den schönsten Erklärmythen. Etwa dem, dass unsere Städte für „sie“ eine Art von Transistorsystem bilden, das gelegentlich gewartet werden muss; deshalb die regelmäßigen Besuche. Eine andere Theorie versichert, dass „sie“ dieselben Wesen sind wie wir, aber eine sogenannte breakaway civilization repräsentieren, die durch einen unerklärlichen technologischen Fortschritt von uns nun kulturell und evolutionär vollkommen entkoppelt existiert.

Ich verstehe schon: Es geht Clemens J. Setz nicht um die vernünftigste Erklärung, sondern um den schönsten Mythos – er sagt es ja selbst. Auch, dass Die Zeit ihre Spalten für das Genre des postmodernen Märchens öffnet, kann ich im Sinne der literarischen Vielfalt nur begrüßen. Die Wochenzeitung hätte nicht einmal unbedingt einen journalistischen Artikel nachliefern müssen, der uns erzählt, dass die Veröffentlichungen des amerikanischen Militärs auf eine Kampagne von überzeugten Ufo-Gläubigen in Politik und Medien zurückgehen, die auch noch tüchtig von Donald Trump unterstützt wurde.

Ich gebe zu: Ich bin ein heilloser Skeptiker, unfähig zum tiefen Glauben. Ich glaube an die Existenz von Ufos erst, wenn sie sich auch der Bundeswehr gezeigt haben. Der müssen sie sich nämlich auf drei Schritte nähern, bis sie entdeckt werden. Und ich hätte in diesem Zusammenhang noch eine abschließende Bitte an alle Außerirdischen, inklusive Jesus: Wenn ihr möchtet, dass ich an eure Existenz glaube, dann klingelt bitte einfach mal bei mir und wir trinken einen Kaffee zusammen. Die Einladung gilt übrigens auch für Clemens J. Setz, von dessen Existenz ich ebenfalls noch nicht restlos überzeugt bin.

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Dieser Text entstand für die satirische Medienschau Phrase & Antwort, die ich gemeinsam mit dem Kollegen Maik Martschinkowsky in Berlin im Hofkino Berlin/Franz-Mehring-Platz 1 fabriziere. Die nächste Ausgabe gibt es am Donnerstag, den 15. Juli, mit Gastmusiker Marco Tschirpke, bei gutem Wetter Open Air, sonst drinnen.

Termine der Woche

Am Mittwoch (30. Juni) moderiere ich ein Gespräch zu einem recht brennenden Gegenwartsthema. Unter dem Titel „Die wütende Kommentarspalte“ geht es um Aggressionen im Netz und ihre Wirkungen auf die Öffentlichkeit und das gesellschaftliche Leben. Es diskutieren die Dresdner Kommunikationswissenschaftlerin Anna-Maria Schielicke und der Philosoph Philipp Hübl. Man kann das Gespräch ab 20 Uhr leibhaftig in der Motorenhalle des riesa efau oder im Livestream (youtube-Kanal, riesa efau) verfolgen.

Am Donnerstag (1. Juli) gastiere ich mit den Kollegen Roman Israel, Max Rademann und Stefan Seyfarth von meiner Dresdner Lesebühne Sax Royal zum zweiten Mal im Societaetstheater. Bei gutem Wetter auf der Gartenbühne, sonst drinnen, lesen wir diesmal ab 20 Uhr Texte unter dem Motto „Zeit für Katastrophen“. Als besonderen Gast haben wir auch noch den Bestsellerautor Paul Bokowski mit dabei! Sichert euch Tickets besser im Vorverkauf, der Platz ist begrenzt!

Zitat des Monats Juni

Kafkas Verwandlung wird als bedeutendes Werk der Literatur bezeichnet. Warum? Wenn es Science Fiction ist, dann ist es schlechte Science Fiction. Wenn es, wie Farm der Tiere, eine Allegorie ist, dann eine Allegorie wovon? Die Antworten der Forschung reichen von aufgeblasen freudianisch bis unglaubwürdig feministisch. Ich kapiere es nicht. Wo sind des Kaisers Kleider?

Richard Dawkins