Soll man mit Rechten reden? Diese Frage wird zurzeit hitzig besprochen und von vielen Leuten auf unterschiedlichste Weise beantwortet. Vielleicht wär’s gut, wenn man die Frage erst einmal richtig stellte. Ein Versuch sei hier gemacht.
Zuerst wäre zu klären, um welches „Reden“ es eigentlich gehen soll. Manch eine, manch einer traut es sich zu, im privaten Gespräch Rechtsradikale, wenn nicht zu bekehren, so doch wenigstens von Gewalt abzuhalten und zurück in die menschliche Gemeinschaft zu locken. Man mag solche Versuche für tollkühn oder für blauäugig halten – jemanden deswegen zu verurteilen, scheint mir in jedem Fall ungehörig. Leider aber geschieht dies gelegentlich. Gesinnungsschnüffler trompeten: „X hat sich mehrmals mit Y getroffen und besprochen! Ein klarer Beweis für heimliche Sympathie, Verbrüderung, Verschwörung gar!“ Solch einer verkehrten Logik können nur autoritäre Charaktere folgen, die ausschließlich mit Gleichgesinnten verkehren.
Schwieriger wird die Sache, wenn es nicht um privates, sondern um öffentliches Reden geht. Eine öffentliche Debatte findet nicht nur zwischen zwei Leuten, sondern vor Publikum statt. Sie ist immer ein politischer Akt. Die Klagen darüber, dass in öffentlichen Diskussionen selten ein trauliches, verständnisvolles Gespräch zustande kommt, sind albern. Sobald irgendwo mitgeschrieben wird, eine Kamera läuft oder ein Publikum zuhört, findet kein Gespräch mehr statt, sondern eine politische Auseinandersetzung, bei der es nicht zuerst darum geht, den andern zu verstehen, sondern die Öffentlichkeit zu überzeugen. Aus dem Gesprächspartner wird ein Diskussionsgegner. Man kann das bedauern, aber es ist nun einmal so.
Soll man sich nun auf eine öffentliche Debatte mit rechten Politikern und Wortführern einlassen? Bevor diese Frage beantwortet werden kann, wäre zunächst zu klären, was denn „Rechte“ eigentlich sein sollen. Für manche gehören zur Rechten so ziemlich alle, die sich nicht entschieden zum Kommunismus bekennen. Andererseits gibt’s Nazis, die keinesfalls als Rechte, die vielmehr als besorgte Bürger der Mitte gelten wollen. Solche Begriffsverwirrung macht die Sache schwierig. Ich würde, auch wenn’s nicht jeden überzeugen wird, zunächst vorschlagen, demokratische Rechte von undemokratischen zu unterscheiden, also von solchen, die rassistische und faschistische Überzeugungen vertreten. Mit demokratischen Rechten sollte man schon diskutieren, auch wenn’s keinen Spaß macht. Mit Nazis, die ihre Feinde knebeln, wegsperren und umbringen würden, wenn sie die Macht dazu hätten, gepflegt zu debattieren, das scheint mir sinnlos. Doch sollte man auch folgenden Gedanken berücksichtigen: Es gibt Fälle, in denen ich gar nicht wissen kann, ob jemand ein Nazi ist oder nicht, bevor ich nicht mit ihm geredet habe.
Eines der größten Übel für die Gesprächskultur im Lande ist die Feigheit der Faschisten. Weil sie sich davor fürchten, wegen Volksverhetzung verknackt oder zumindest öffentlich geächtet zu werden, sprechen sie ihre Überzeugungen nicht offen aus. Sie reden beständig in Andeutungen und bewusst zweideutig, um jede Provokation auch wieder zurücknehmen, jede Aussage wieder leugnen zu können. Die Kameraden verstehen es trotzdem, der Staatsanwalt kann aber nichts nachweisen. Das öffentliche Reden der Faschisten ist ein stetes Raunen und Flüstern, selbst da, wo laut gebrüllt wird. Diese Feigheit der Faschisten hat aber auch einen schlechten Einfluss auf ihre linken und liberalen Gegner. Die haben es sich nämlich angewöhnt, bei rechten Rednern auf unterschwellige Signale zu horchen und zwischen den Zeilen zu lesen, um die wahre Gesinnung hinter den Worten zu enttarnen. Das klappt auch oft. Aber manchmal sehen die überempfindlich gewordenen Augen auch etwas, das gar nicht da ist, und demokratischen Rechten werden fälschlich faschistische und rassistische Überzeugungen unterstellt. Man muss sich wohl damit abfinden: Es gibt einen Übergangsbereich zwischen Konservatismus und Faschismus, zwischen Schwarz und Braun, in dem sich Leute bewegen, deren Gesinnung man nie eindeutig bestimmen wird. Womöglich wissen viele dieser Grenzgänger selbst nicht so genau, wohin sie eigentlich gehören.
Es bleibt also die Frage: Soll man mit Leuten öffentlich diskutieren, die im Verdacht stehen, faschistische Überzeugungen zu hegen? Hier gibt’s zwei entgegengesetzte Standpunkte, die ich etwas vereinfachend als den linken und den liberalen bezeichnen will. Die Linken lehnen Diskussionen mit Leuten am rechten Rand rundweg ab, mit dem Argument, man solle solchen Gestalten „kein Podium bieten“ und sie „nicht salonfähig machen“. Denn schon indem man sie zum demokratischen Gespräch zulasse, werte man sie unnötig auf und sorge dafür, dass ihr Gedankengut in die Bevölkerung einsickere. Dem entgegnen die Liberalen: Es ist Feigheit vor dem Feind, einer Debatte mit den Rechtsradikalen auszuweichen. Man müsse sie vielmehr „im Gespräch stellen“, „in der Sache bekämpfen“ und dadurch letztlich „entzaubern“.
Es lässt sich, wie mir scheint, vieles für und gegen beide Standpunkte sagen. Eine gewisse Kleinmütigkeit muss man der linken Haltung vorwerfen. Die Angst, durch öffentliche Debatten könnte rechtsradikales Gedankengut in die Mitte der Gesellschaft gelangen, ist jedenfalls unbegründet: Das Gedankengut ist längst da. Allenfalls können publikumswirksame Auftritte dazu beitragen, vorhandene Überzeugungen in Stimmen für rechte Parteien umzuwandeln. Und selbst wenn dies der Fall wäre: Es mag gut gemeint sein, gefährliches Gedankengut von den Menschen fernzuhalten, besonders demokratisch ist so eine Vormundschaft nicht. Linke, die so argumentieren, setzen sich dem Verdacht aus, sie wären nicht der Lage, Rechte im Gespräch zu widerlegen. Dem liberalen Standpunkt muss man wiederum einige Arglosigkeit bescheinigen. Es ist zwar durchaus so, dass alle Diktatoren mit gutem Grund die freie Diskussion fürchten, meiden und unterbinden. Solange sich Faschisten in der Opposition befinden, sind sie aber sehr redefreudig. Dass einer für sich selbst keck die Meinungsfreiheit einfordert, beweist keineswegs seine demokratische Gesinnung. Trügerisch ist auch der liberale Glaube, in jedem Redewettbewerb sorge gleichsam eine unsichtbare Hand dafür, dass sich die vernünftigste Position am Ende durchsetzt. Im öffentlichen Streit siegen tatsächlich stattdessen häufig die Lüge und die Bosheit. Im Publikum sitzen eben nicht nur urteilsfähige, unvoreingenommene Leute. Und die rechtsradikalen Redner kümmern sich nicht um die Regeln des rationalen Diskurses, stattdessen greifen sie bedenkenlos zu den manipulativen Tricks der Demagogie. Es sind oft gerade die Vernünftigen, die in Diskussionen unterliegen, weil sie nicht skrupellos genug sind. Erfolg und Recht sind zwei verschiedene Dinge, nicht immer ist die Wahrheit überzeugend.
Wie beantworte ich nun abschließend die Ausgangsfrage? Gar nicht. Dieses ständige Meinen ist so anstrengend, ich habe heute mal keine Meinung. Vielleicht ist auch einfach die eine Antwort auf die Frage genauso unbefriedigend wie die andere. Ich möchte zum Schluss nur vorschlagen, dass die Leute, die aus jeweils guten Gründen mit Rechten reden oder nicht reden wollen, einander nicht als Nazi-Unterstützer oder Meinungsdiktatoren beschimpfen.
